15.S.n.Tr., 28.09.2025, "Vom Wagnis des Glaubens", Mutterhauskirche, Ulrike Heimann
Predigt-Meditation „Vom Wagnis des Glaubens“ 28.9.2025
Einleitung
Um den Glauben geht es in diesem Gottesdienst. Dass es im Gottesdienst um Glauben geht, ist nun nichts Ungewöhnliches. Wird doch in (fast) jedem Gottesdienst ein Glaubensbekenntnis gesprochen oder wie nachher als Lied gesungen.
Aber es geht eben nicht um ein fertiges Bekenntnis, das ich Ihnen vorstellen werde, auch nicht um den richtigen Glauben in Abgrenzung gegenüber falschen Glaubensüberzeugungen. Es geht nicht um hohe Theologie, sondern um das Leben, das uns zu leben aufgegeben ist. Jedem einzelnen von uns. Damit jedes Leben gelingt, braucht es neben Verstand, neben dem Denken, auch das Herz, die Seele, eben den Glauben. Wissen und Glauben, Erkennen und Glauben, Verstehen und Glauben sind untrennbar miteinander verbunden. Sätze wie „Das brauchst du nicht verstehen, das muss man einfach glauben.“ führen in die Irre. Einfach ist Glauben wahrlich nicht. Er ist ein Wagnis, das jeder und jede eingeht, dem es darum zu tun ist, als aufrechter Mensch mit Rückgrat durchs Leben zu gehen, der beides miteinander in Einklang bringen möchte: Verstand und Herz, Geist und Seele, um als ganzer Mensch sich selbst und dem Leben und damit dem Schöpfer treu zu sein.
Im Folgenden will ich anhand von zwei Glaubenszeugen aufzeigen, wie sie dieses Wagnis des Glaubens angegangen sind: Abraham und Jesus von Nazareth.
Hören wir die Verse 1-4 aus dem 12.Kapitel des 1.Buch Mose.
Lesung Gen.12,1-4a
Predigt-Meditation I „Abraham: Glauben ~ Aufbrechen/Aussteigen ~ Vertrautes verlassen ~ sich auf Neues einlassen“
Wenn wir diesen Text hören, dann bleiben wir meistens an den Verheißungen hängen, die Gott Abraham macht: dass er ihn in ein neues Land führen wird (aus anderen Textstellen ergänzen wir gerne: wo Milch und Honig fließt) und ihn zu einem großen Volk macht (Überbevölkerung war damals noch kein Thema) und zu einem Segen für alle Völker. Was meistens unter den Tisch fällt, ist das, was von Abraham erst einmal „geleistet“ werden muss, bevor die Verheißungen überhaupt greifen können.
Abraham muss seine Heimat verlassen, sein Vaterhaus, seine sozialen und familiären Beziehungen aufgeben, seine Wurzeln kappen: das tut man nicht leichten Herzens und schon gar nicht aufgrund eines Traumes, einer religiösen Eingebung. Abraham war ein lebenserfahrener Mann, kein junger Heißsporn. 75 Jahre war er alt, so die biblische Tradition. Da sehen viele eher zu, dass sie ihren Lebensabend genießen, auf ihre Erfolge zurückblicken und die Zukunft mit ihren Unwägbarkeiten den Jüngeren überlassen. Da hat man sich eingerichtet im Bleiben.
Was also mag Abraham bewegt haben, aufzubrechen, alles hinter sich zu lassen?
Als historisches Individuum ist Abraham nicht greifbar. Er ist vielmehr eine Gestalt, an der beispielhaft deutlich gemacht wird, wie Glauben und Welterleben, Inneres und Äußeres ineinandergreifen müssen, damit es gut werden kann nicht nur für ein Individuum, sondern auch für die Gemeinschaft.
Immer wieder aufzubrechen, das gehörte Jahrhunderttausende für unsere Vorfahren zum ganz normalen Leben, das war überlebenswichtig für die Sammler- und Jägergemeinschaften. Sie brachen auf, zogen im Rhythmus der Jahreszeiten und auch bei klimatischen Veränderungen weiter, immer dorthin, wo sie Nahrung fanden und Wild, das sie erjagen konnten. Der Einzelne war – um zu überleben – auf die Gemeinschaft, die Sippe, angewiesen. Und die Sippe profitierte davon, wenn der Einzelne eine neue Idee hatte, z.B. für ein besseres Werkzeug oder weil er entdeckt hatte, dass eine bestimmte Pflanze gegen Schmerzen half. Geben und Nehmen gingen Hand in Hand, mussten Hand in Hand gehen, sonst hätten unsere Vorfahren nicht überlebt. Und es gab damals große Krisen, das hat die Paläontologie herausgefunden: Eiszeiten, heftigste und gigantische Vulkanausbrüche, Dürrezeiten und Flutkatastrophen.
Das änderte sich erst im Neolithikum vor etwa 17.000 Jahren, als die Menschen sesshaft wurden, weil sie gelernt hatten, Ackerbau zu betreiben, vor allen Dingen Getreide anzubauen. Sie bauten Häuser, zogen Grenzen, bauten Mauern, besitzanzeigende Worte begannen ihren Siegeszug: ich, mein, Eigentum, das gehört mir, darauf habe ich Anspruch.
Was für das Individuum galt, galt auch für die Gemeinschaft: jede Gemeinschaft verteidigte ihren Anspruch gegen die anderen. Bald waren aus Siedlungen befestigte Städte geworden. Männer taten sich zusammen, nicht um auf die Jagd zu gehen nach Wild, sondern die Beute waren Menschen, die sie nicht nur beraubten, sondern versklavten, denn Landwirtschaft und Bauwesen brauchten immer mehr Arbeiter und Arbeiterinnen. Die Geschichte vom Turmbau zu Babel entführt uns in diese vergangene Zeit. Es war für Menschen, die noch eine Erinnerung an das freie, gemeinschaftsorientierte Leben hatten, keine Verlockung, sich in den Machtbereich der aufstrebenden Städte zu begeben; sie zogen das Nomadenleben vor. So erzählt die Bibel, dass schon der Vater von Abraham aus dem Umfeld der ersten „Megacity“ Ur im Zweistromland weggezogen war, um sich in Haran niederzulassen. Sein Sohn Abraham brach dann von dort ebenfalls auf, der Patriarch einer Nomadensippe, der von und mit seinen Tieren lebte, immer auf der Suche nach Wasserstellen und Weidegründen für seine Herden. Die so bekannte Formulierung vom „Land in dem Milch und Honig fließen“ meint kein Schlaraffenland, sondern bezeichnet einfach die Offenheit des Landes, in der Milchvieh genügend Wasser und Futter findet und die Nomaden auch den Honig wilder Bienen als Leckerbissen finden und „ernten“ konnten. Aufbrechen und weiterziehen brauchte das Vertrauen, dass es hinter dem Horizont gute Lebensmöglichkeiten für sie gab, das Vertrauen, dass die göttliche Macht, die das Leben in der Welt ermöglichte, sie begleitet und sie beschützt. Es war ein Weg, der Vertrauen und Mut verlangte.
Lied „Vertraut den neuen Wegen“
Lesung Lk.9,57-62
Predigtmeditation II : „Jesus von Nazareth: Aufbrechen und das Reich Gottes in der Welt Gestalt gewinnen lassen“
Auch Jesus von Nazareth war aufgebrochen, hatte die Sicherheit und Geborgenheit in seiner Herkunftsfamilie und seiner Heimatgemeinde verlassen und war als Wanderrabbi durch die Dörfer und Landschaften rund um den See Genezareth unterwegs gewesen. Sein Ziel war kein fernes Land, ein Exodus wie bei Abraham oder Mose war damals schon nicht mehr möglich: der Macht der Römer konnte man sich nicht räumlich entziehen. Jesus wusste das. Aber man konnte seine Haltung, seine Maßstäbe, sein ganz alltägliches Leben an anderen Werten ausrichten als nach denen der Machthaber und so von innen her das Äußere, die Welt verändern. Dafür steht Jesu Evangelium vom Reich Gottes. Ein Reich nicht von dieser Welt, aber in dieser Welt, das den inneren und äußeren Menschen als Individuum und in der Gemeinschaft herausfordert: Nicht Geld und Macht, Ansehen, Erfolg und Ruhm waren die Fundamente dieses Reiches, sondern Barmherzigkeit und Güte, Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe. Jesus rief zur Entscheidung auf, die er auch sich selbst auferlegt hatte: Auszug aus den alten Sicherheiten und konsequenter Aufbruch in ein neues Leben mitten in der alten Welt. Ein Wagnis für jeden. Jesus wusste: allein kann er diesen Weg nicht gehen, kann kein Mensch diesen Weg gehen. Es braucht die Gemeinschaft derer, die ihn gehen. Alle Evangelisten erzählen in den ersten Kapiteln von den Berufungen der Jünger: Folge mir nach! Es braucht eine gemeinsame Sehnsucht nach diesem Reich Gottes, nach diesem anderen Zusammenleben auf dieser Welt, die Freiheit vom Streben nach Geld, Macht und Ansehen, die Freiheit der Kinder Gottes, die sich alle auf Augenhöhe begegnen als Brüder und Schwestern des himmlischen Vaters. Eingeladen zur Nachfolge ist jede und jeder – auch Menschen mit Vergangenheit. Jesus denkt die Thora weiter, öffnet sie sogar - wenn auch etwas zaghaft – für Menschen anderer Völker. Ein Anstoß, den erst der Apostel Paulus dann konsequent auch gegen Widerstand in den eigenen Reihen umsetzt. Alle Menschen - egal welcher Religion und kulturellen Prägung können am Reich Gottes Anteil haben – in der tätigen Nachfolge. Durch die Liebe Gottes werden alle in eine neue Beziehung gestellt – zu sich selbst und zu den Mitmenschen. So hatte es Jesus bei seiner Taufe erfahren: „Du bist mein lieber Sohn.“ Diese Wertschätzung wog für ihn mehr als alles andere und sie gab ihm Mut, im Vertrauen auf Gott seinen Weg zu gehen.
Lied „Leben aus Glauben“
Predigtmeditation III „Vom Wagnis des Glaubens heute“
Der Ruf zur Nachfolge gilt auch uns heute – in unserer Zeit und unter den Bedingungen, wie sie eben sind, sind wir aufgerufen, Bauleute am Reich Gottes in dieser Welt zu sein.
Leider hat die entstehende Kirche dieses Evangelium Jesu weichgespült und geradezu übermalt mit einem Evangelium von Jesus Christus, der uns durch seinen Kreuzestod erlöst hat und uns nach dem Tod im Reich Gottes im Himmel in Empfang nimmt.
Um es einmal auf den Punkt zu bringen: Jesus wollte Mitstreiter und Mitstreiterinnen. Nachfolge ist nicht, mit gefalteten Händen und gesenktem Blick an Jesus zu glauben. Jesus wollte Glauben in dem Sinne, dass wir darauf vertrauen: es lohnt sich, sich für das Reich Gottes, für Recht, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Wahrheit und Liebe mit aller Kraft einzusetzen. Er wollte tätige glaubende Mitstreiterinnen und Mitstreiter. „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit!“ und „Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist.“ und „Seid ganz / vollkommen, wie auch euer Vater im Himmel ganz / vollkommen ist.“ Seid es heute und hier, denn heute und hier ist eure Zeit und euer Ort, um zu leben und zu handeln. In dieser Zeit und Welt sind wir Menschen gefragt, das Leben aller besser, gerechter zu gestalten. „Salz der Erde und Licht der Welt“ – das sollen, das müssen wir sein und das können wir auch sein, wenn wir es nur wirklich wollen und uns in Bewegung setzen – wie Abraham, wie Jesus – raus aus der Komfortzone, runter vom Sofa, ins Risiko gehen. Wie Dietrich Bonhoeffer erkannt hatte: Worauf es in unseren schwierigen, verworrenen Zeiten ankommt, was uns als Christen aufgegeben ist, das ist zu beten – d.h. mit Gott in stetem Austausch zu sein – und das Tun des Gerechten.
Es braucht Mut zu einem tätigen Leben in der Welt, den Mut, der eigenen Verantwortung für das Leben auf dieser Welt am je eigenen Ort und mit den sich jeweils bietenden Möglichkeiten nicht auszuweichen, eben zu leben als gäbe es Gott nicht; denn Gott wird hier auf der Erde nicht unseren Mist und Müll wegzaubern.
Gleichzeitig dürfen wir aber wie Jesus wissen, dass man in allem Bemühen, welches immer beides in der Folge hat: Erfolg und Scheitern, dass wir in all diesem umfangen sind von dem, der das Universum geschaffen hat und erfüllt,
inspiriert von der Geistkraft, die ewig neu und immer überraschend Erkenntnis schenkt und Wege eröffnet, die mehr und besseres Leben für alle möglich machen.
Glauben ist das Zusammenkommen von de-mütigem Denken und groß-mütigem Handeln aus einem weiten Herzen,
das sich der Liebe verpflichtet sieht gegenüber allem, was ist.
Was heißt das konkret?
Die Geschichte zeigt, dass die Werte, um die es geht, damit alle Menschen auf dieser Welt in Gerechtigkeit, Freiheit und in Würde leben können, am besten in demokratisch verfassten Gesellschaften zum Tragen kommen. Darum erfordert für uns der Einsatz für das Reich Gottes den Einsatz für unsere Demokratie auf allen Ebenen verbunden mit dem Widerstand gegen alle Kräfte, die sie zerstören wollen.
Und genauso sind wir aufgerufen, im Einsatz für das Reich Gottes zum Einsatz gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. In unserer Gesellschaft heißt das vor allem, bereit zu sein, sich zurückzunehmen, es sich genügen zu lassen mit dem, was allen Menschen auf der Erde eine Lebensperspektive offenhält. Der Leitgedanke muss sein: was kann die Erde sich noch leisten – an Raubbau und Umweltbelastungen durch unseren Lebensstil – um weiter Heimat für die Menschheit zu sein? Und nicht: Das wird man sich doch noch leisten können.
Hören wir heute neu auf den Ruf, mit dem laut dem Markusevangelium Jesus seinen Weg begonnen hat: Das Reich Gottes ist nahe! Kehrt um und glaubt an das Evangelium, vertraut dieser guten Nachricht: Ein anderes Leben ist möglich, das Reich Gottes fängt mitten unter euch an.
Lied „Unser Gott hat uns geschaffen“
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
Gen.12,1-4a
Der HERR sagte zu Abram:
„Verlass dein Land, deine Verwandtschaft und das Haus
deines Vaters! Geh in das Land, das ich dir zeigen werde!
Ich will dich zum Stammvater eines großen Volkes machen.
Ich will dich segnen und deinen Namen groß machen,
sodass du ein Segen sein wirst.
Ich werde die segnen, die dich segnen.
Wer dir aber Böses wünscht, den werde ich verfluchen.
Alle Völker der Erde sollen durch dich gesegnet werden.“
Da ging Abram los, sie der HERR es ihm befohlen hatte.
Lk.9,57-62
Unterwegs sagte jemand zu Jesus:
„Ich will dir folgen, wohin du auch gehst!“
Jesus antwortete:
„Die Füchse haben ihren Bau und die Vögel ihr Nest.
Aber der Menschensohn hat keinen Ort,
an dem er sich ausruhen kann.“
Einen anderen forderte Jesus auf: „Folge mir!“
Aber der sagte:
„Herr, erlaube mir, zuerst noch einmal nach Hause zu gehen
und meinen Vater zu begraben.“
Aber Jesus antwortete:
„Überlass es den Toten, ihre Toten zu begraben.
Du aber geh los und verkünde das Reich Gottes.“
Wieder ein anderer sagte zu Jesus:
„Ich will dir folgen, Herr!
Doch erlaube mir,
zuerst von meiner Familie Abschied zu nehmen.“
Aber Jesus antwortete:
„Wer die Hand an den Pflug legt und zurückschaut,
der eignet sich nicht für das Reich Gottes.“
14. So. n. Trinitatis, 21.09.2025, Mutterhauskirche, 1.Mose 28, 10ff, Jonas Marquardt
Predigt Mutterhauskirche 14.n.Trin. - 21.09.2025
1.Mose 28, 10-22
Liebe Gemeinde!
Hätten wird doch nur Jakobs Kopfschmerzen!
… Er ist zwar ein Weichling und Betrüger, ein Flüchtling vorm eigenen Gewissen und dem linsengesättigten Zorn seines übervorteilten Bruders Esau. Jakobs von Mama einigermaßen verwöhnter, vom raschen Abhauen aber umso strapazierterer Lieblingssöhnchen-Körper ist klebrig vor Angstschweiß und schmierig vom Steppenstaub. Durst und Angst und Erschöpfung hämmern in seinen Schläfen. Und unterm müden Haupt hat er heutabend nur einen Stein. …
… Und dennoch hätten wir wohl gerne Jakobs Kopfschmerzen: Denn auch wenn er verloren ist, ist es die Welt um ihn herum doch nicht. Auch wenn er nicht weiß, was ihn erwartet, ist doch die Erde noch jung und wird der Tau dieser Nacht für einen frischen Morgen voll neuer Ziele im Land der Lebendigen sorgen. Auch wenn Jakob also ein Lump sein mag und sein Nachtlager traurig, ist das doch harmlos im Vergleich zu unsern alten Tagen beinah 40 Jahrhunderte später, auf welker Lebensgrundlage einer verbrauchten Welt, in der wir alle vor unserem Gewissen wohl nur Reißaus nehmen und die verhätschelten Madensäcke unseres Wohlstands am besten irgendwo in eine unbekannte Sicherheit schleppen müssten.
Jakobs Pfusch zum Segen ist eine Anfangsgeschichte gewesen, während bei uns ein Endpunkt an verpfuschtem und verwirktem Segen greifbar werden zu wollen scheint.
Darum betteten wir uns vielleicht also wirklich lieber an Jakobs Stelle auf dem vom Tag warmstrahlenden Stein, der später den Namen Beth-El tragen wird. Darum wären wir vielleicht tatsächlich lieber Teil der konfliktträchtigen Jugendgeschichte von den neidischen Rebekka-Zwillingen, als dass wir unsere Rolle im verfilzten Alte-Männer-Drama einer Menschenfamilie übernehmen müssten, in der im 21. Jahrhundert lauter Ewiggestrige die Träume der Großmächte, der Ideologien und Industrien des 20.Jahrhunderts noch einmal rücksichtslos erzwingen wollen. …
Vielleicht lägen wir also wirklich lieber mit Jakob damals buchstäblich am Boden, als uns auf der vermeintlichen Höhe der menschheitlichen Entwicklung nach so langer Zeit … und doch in keiner angenehmeren Lage zu finden? ……
Müßig zu fragen.
Denn wo immer wir stehen oder liegen, wo immer uns der Platz auf unserer derzeitigen Wanderung - hochhinausfahrend oder niedergestreckt in den Staub - zugefallen sein mag in der Geschichte von Abrahams Samen nach dem Fleisch und nach dem Geist, die uns letztlich sogar nahtlos mit Jakob verknüpft: … Wenn wir jetzt mit Jakob oder ohne Jakob, mit Kopfschmerzen oder betäubt oder vielleicht auch völlig sorgenfrei zur Ruhe kämen und dadurch unsere Sinne überhaupt erst wahrnehmungsfähig würden, wie damals in jener finsteren Nacht der Einsamkeit, ja der Verlassenheit beim künftigen Patriarchen der 3.Generation, … dann, … nun, dann würde uns etwas begegnen, das allen Kopfschmerz nimmt, auch wenn es unser Gewissen nicht entlastet und unsere Wanderung hier nicht beendet.
Wir sehen’s zwar nicht. – Oder siehst Du sie doch? Erinnerst Du Dich, sie einst bemerkt, wenigstens geahnt zu haben? Könnte es sein, dass Du Dich ihrer dunkel entsinnst? …
Wir hören nichts. – Oder kommt Dir ein Hauch davon bekannt vor? Hast Du das unerklärliche Hintergrundrauschen der dunkelsten Stunden jemals bis zu seinem Ursprung verfolgen können? Haben Dich leise Schwingungen in der völligen Leere gestreift? Wurdest Du bewegt, obwohl nichts mehr ging und keiner mehr da war? …
Wir nehmen auch geistig, intellektuell nicht das Geringste wahr. – Oder geht’s Dir trotz aller Vernagelung und Verblendung gelegentlich auf? Öffnet sich eine Höhe, offenbart sich eine Nähe, leuchtet eine Tiefe auf, die eben nicht unbevölkertes Vakuum, nackt-abstrakte Ausdehnung eines leblosen „All“-Begriffs sind, sondern uns Schicht um Schicht, Stufe für Stufe etwas Anwesendes, eine Gegenwart entdecken lassen?! …
Das ist die Jakobs-Nacht der Seele: Eine aufklarende Sternstunde des Geistes, der unterm Kopf den harten Stein der materiellen Wirklichkeit braucht, um sich gerade da und dort, im Niemandsland der Mitternacht überzeugen zu dürfen, dass Himmel und Erde nicht geschieden und dass beide auch nicht tot oder verlassen sind.
Der alte Walt-Disney-Dokumentarfilm, der als einer der ersten Farbfilme der Gattung das Publikum von 1953 in dessen Nachkriegsnot und -müdigkeit begeisterte, hat Recht: „Die Wüste lebt“ (vgl. Jes.41,18 / 43,19)!
… Man könnte auch sagen: „Die Nacht leuchtet wie der Tag“ (vgl. Ps.139,12) oder „Deine Toten werden leben, … denn ein Tau der Lichter ist dein Tau …“ (Jes.26,19).
Dieses trost- und kissenlose K.o. des verlorenen Sohnes irgendwo in Transjordanien auf dem Rückweg ins Mutterland, in den Stunden des dramatischen Nachspiels zum erschlichenen Sterbesegens seines Vaters - der womöglich in ebendieser Nacht den Geist aufgibt -, öffnet ein biblisches Tor, das nie wieder geschlossen wird … und anders als die Pforten Edens auch niemals geschlossen war: Es ist der Himmel Gottes, das Reich der Herrlichkeit, die Realität der Transzendenz, das durch und durch lebendige und lebensvolle Jenseits, das in Wahrheit doch die korrespondierende andere Röhre, die zweite Herzkammer, das unverzichtbare Pendant zu dem ist, was wir hier die „Welt“ nennen.
Das Reich Gottes macht hoch die Tür und seine Tore weit über dem läppischen, tapsigen Sünderlein Jakob.
Das Licht scheint in der Finsternis.
Die Gnade baut ihr Haus - ihr Beth-El - in der menschenleeren Wüste, damit auch nicht ein einziger Streuner durch die Einöde irrt und meint, es gebe tote Winkel oder Landschaften, in denen Mangel an Gottes Gegenwart herrsche, so wie wir Heutigen allen Halt verlieren, sobald das Telefonnetz wegbricht.
Die Wüste lebt.
Totale Verlassenheit wird von lebendigster Gegenwart umfangen und durchdrungen.
Dort, wo Menschen nichts erwarten, erwartet sie alles.
Die Finsternis der Hölle vergeht nämlich, sobald wir nur merken, dass der Himmel da ist, … immer da ist, …. immer schon war, ….. und für immer auch bleibt! —
… Wie schön!
… Hätten wir doch nur Jakobs steinernes Kopfkissen! … Er ist zwar ein Obdachloser und Landflüchtiger, ein Mensch im Nirgendwo, doch er ist aufs „Überall“ und „Immer“ gestoßen!
… Zum Träumen schön! …….
Allerdings ist die Bibel gerade darin die Bibel, dass sie hier zwar die größte aller Wahrheiten in einem Traum schildert, aber weil sie hier zugleich ja die echteste aller Wirklichkeiten aufdeckt, geht’s eben nicht zu wie im Traum.
Der menschliche Traum wäre: Überall auf dieser einsamen, mühsamen, grausamen Erde kann der Himmel sich auftun und uns mit Licht und Duft und warm-weich-wolkigem Wohl aus seiner jenseitigen Wunderkammer überströmen.
Aber Jakob muss sich weiterhin an einen rauhen Stein schmiegen, statt an Muttis Schürze, und um ihn legt sich kalt die Nacht der Wildnis, in der die Schakale wittern.
Und die biblische Wirklichkeit dabei ist: Der Himmel ist nicht irgendeine Watte für die Welt, sondern die Welt ist es, die den Himmel berührt und bewegt, … die Welt lässt den Himmel nicht kalt, weil sie bis zu ihm reicht und weil der Ansturm ihrer Anliegen und Verlegenheiten, der Ansturm der Welt-Lage und aller Niederlagen in der Welt sich allemal dort Zugang verschafft …; ja, die Welt durchbohrt den Himmel sogar buchstäblich, wie wir auf Golgatha sehen, wo eine viel kleiner Leiter als die von Jakobs Nachtgesicht in Bethel ausreicht, um den aufgehängten Himmel mit der aufgerissenen Herzflanke vom Kreuz herunter zu pflücken und der Erde zurück in den Schoß zu legen. ——
Die Himmelsleiter also. Die Leiter zwischen den Folterknechten dieser Erde, ja, der ganzen Welt der Trauernden und Leidenden und dem mitleidenden Himmel.
Da reiben wir uns vielleicht die Augen oder schlackern mit den Ohren, dass die beliebte Kindergottesdienst-Geschichte heute in Passionsfarben ausgemalt wird. Diese wunderbare Verbindung zwischen oben und unten sieht in den Kinderbibeln oder auf den Emporenmalereien der Dorfkirchen so fröhlich aus: Weißwallende, strahlenumflossene Scharen von Engeln tummeln sich am Reck, es geht entweder zu wie auf einer Rutschbahn oder es sind feierliche Auftritte auf einer Freitreppe zu beobachten, auf der der himmlische Hofstaat sich huldvoll sehen lässt und niederschwebt.
Doch weder ein spielerisches Abwärtssausen, noch hoheitliche Herablassung der himmlischen Heerscharen zeigt uns die Bibel anhand der Bethel-Leiter, die sich über Jakobs harter Flüchtlings-Nacht erhebt. Vielmehr will sie uns doch die umgekehrte Richtung weisen, … mit dem Blick auf Golgatha muss man bewusst von der „Stoßrichtung“ sprechen, die in der Beschreibung der Verbindungslinie zwischen dieser und der Welt Gottes so unmissverständlich betont wird: „Eine Leiter stand auf der Erde, die rührte mit der Spitze an den Himmel.“
Es ist ein Von-unten-nach-oben-Drängen, für das uns hier die Sinne geschärft werden und ganz eindeutig nicht das umgekehrte Gefälle!
So dass wir schon hier, an der ersten Stelle der Bibel, an der vom offenen Himmelreich die Rede ist, erkennen können, wie’s in Gottes Welt niemals „von oben herab“ zugeht. „Und siehe, die Engel Gottes stiegen auf und nieder …“ heißt es ja von der verbindenden Leiter!
Wenn uns das aber vor Augen steht – dass der Himmel eine einzige Offenheit ist, um die Signale der Erde zu empfangen, um Boten und Botschaften aus der Tiefe aufzunehmen – , dann stellt sich uns – der um den auf seinem Stein schlafenden Jakob versammelten Gemeinde – nicht mehr die Frage, ob wir uns nun die Sorgen oder die Träume dieses Menschen wünschen sollen. Vielmehr werden wir dann doch begreifen, wie sehr und wie unverändert und wie unveränderbar wir Teil seiner Welt sind, über der die Offenheit Gottes steht: Sorgen, Träume, Lügen, Schwächen, Konflikte, Feigheiten Weglaufen, Erschöpfungen, … sämtliche Kalamitäten, Absurditäten und Tragödien der Jakobsgeschichte sind Teil dieser Welt unterm Himmel. Sie sind und wir sind Teil dieser Welt, aus der die Engel, die Träger aller Gebete und die stille Post unserer inneren Wünsche, die Sammler unserer Tränen und die unerschrockenen Vermittler unserer verheimlichten Schuld das alles nicht nur an die Ober-fläche, sondern wirklich nach oben bringen, … hinauf, … hinaus übers Tageslicht, das auch über Bethel dämmert, und hinein in die Herrlichkeit der Höhe, wo all’ das, was sie auf-decken und dem sie auf-helfen, … all’ das, was sie auf-arbeiten und auf-heben´, in Gottes weit geöffnete Gerichts- und Gnadenhänden gelegt wird.
Die Engel, die Jakob aus seiner Tiefe, aus seiner Torheit und Traurigkeit, von seinem Kopfschmerzkissen auf ihrem Weg zu Gott erblicken durfte, sind die wichtigste Wirklichkeit der Welt: Sie steigen von jedem Nachtlager und jedem Alltagsflecken auf; sie verbinden die Einsamsten und Abseitigsten, die Heuchler und die Heiligen, die Sünder und die Kinder ununterbrochen und unzerreißbar mit dem Himmel; sie springen aus jeder Falle und schweben aus jeder Freiheit immer und überall in Richtung Gottes, um das arme Unten mit dem Seligen, das über ihm offensteht, zu verbinden.
Die Engel wuchten den tonnenschweren Schmerz der Welt hinauf an das Herz, das ihn heilen wird. Sie tragen das Leid, sie heben die Sorgen, sie lüften die Geheimnisse, sie nehmen die Schreie mit und werfen alle Anliegen der ganzen Erde auf den lebendigen HERRn, Der allein das alles wirklich kennt und wirklich wenden wird.
Wir sollen also wissen – mit Furcht und Zittern und zugleich mit einer buchstäblich unvorstellbaren Hoffnung –, dass aus dem Horror, dem namenlosen, abgründigen Horror von Gaza und über den immer schlimmer von Drohnen und Kampfflugzeugen zerrissenen Luftraum der Ukraine und des Baltikums und durch die Betondecken und Stacheldrahtwälle und Todesstreifen aller Foltergefängnisse und Flüchtlingslager und Elendsviertel der Menschheit hindurch die Engel von dort zu Gott aufsteigen und Ihm bringen, was sie wissen und tragen und Ihn bestürmen und Ihm das Herz durchbohren und von Ihm mitnehmen, was in den dunkelsten Stunden, den tiefsten Nachterfahrungen und leersten Wüsten des Lebens eben doch zu ahnen, zu spüren und manchmal klar zu erkennen ist: Das Himmlische, … das Rettende, … die Gotteskraft.
So – von jedem Kissen und Stein, von jedem Ruheort und jedem Grab, von allen furcht- und wunderbaren Punkten der Erde – ist also zu sagen: „Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte!“
Und umgekehrt sollen wir an der ersten Stelle, an der diese Gegenwart Gottes im Elend des Irdischen offenbar wird, begreifen, was wir Christen lange ja auch wussten und heute wieder lernen werden:
Die Erde will zum Himmel.
Die wirkliche Hoffnung liegt nicht hier, sondern sie öffnet sich über uns.
Das Leid - alles Leid! - und das Leben - alles Leben! - muss den Weg der Engel ziehen und endlich Gott erreichen, um gestillt zu werden und als Trost und Kraft und morgendliches Lob eine Fortsetzung zu finden.
Was können wir also tun? Was sollen wir hoffen?
Alles in den Himmel hinauf zu geben.
Und ihm näher zu kommen. Immer näher.
Bis wir durch Nacht und Schuld und Verwirrung hindurch sagen können: „Beth-El“ – das Haus, das zuhause ist.
Für Jakob.
Und Esau.
Und alle.
Amen.
Lied: „Näher,mein Gott zu Dir …“
12.S.n.Tr., 07.09.2025, Apg.3,1-10 und Mar.7,31-37, Stadtkirche, Dr. Johannes Grashof
Liebe Gemeinde!
Zwei Heilungswunder in einem Gottesdienst! Das ist schon ziemlich viel Wunder auf einmal. Die Bibel erzählt ja jede Menge solcher Geschichten. Und heute stehen gleich zwei davon auf dem Leseplan: Da schildert uns der Evangelist Markus, wie Jesus einem Taubstummen die Ohren öffnet und seine Zunge löst – und das mit einer Therapie, die uns in unserer nüchtern aufgeklärten Kultur eher befremdlich, vielleicht sogar etwas ekelig anmutet. Und in unserem Predigttext aus der Apostelgeschichte des Lukas, der für diesen Sonntag vorgesehen ist, stellen die Apostel Petrus und Johannes einen von Kind auf gelähmten Mann auf seine eigenen Füße – im Namen Jesu, durch Blickkontakt und mit einem beherzten Griff.
Es gibt Kirchengemeinden, die an dieses Genre aus dem Neuen Testament direkt anknüpfen. Aus der Heilungspraxis Jesu und der ersten Apostel leiten sie ihre Berechtigung und auch ihre Befähigung ab, durch Gebet und sichtbare Zeichen wie Handauflegung oder Salbung Menschen von ihren Gebrechen zu befreien. Wir kennen dies besonders aus charismatischen und pfingstlichen Gemeinden rund um den Globus aber auch in unserem Land. Selbst in unsere landeskirchlichen Frömmigkeitspraxis hat die liturgische Heilung längst Einzug gehalten. Auch hier gibt es Gottesdienste, in denen das persönliche Gebet für einen Kranken, Handauflegung oder Salbung eine zentrale Rolle spielen.
Natürlich kann hier die kritische Frage gestellt werden: Wie weit darf verantwortbare Sorge für Menschen gehen und wo beginnt die Scharlatanerie? Und wo leisten möglicherweise unsere biblischen Glaubensquellen letzterem noch Vorschub?
In Afrika ist es durchaus vorstellbar, dass kranke Menschen nicht den Arzt aufsuchen, sondern den Gottesdienst, um Heilung zu erfahren. Gut, dort ist die medizinische Versorgung nicht so hervorragend wie bei uns in Kaiserswerth. Sicher spielt aber der Umstand eine Rolle, dass in afrikanischen Kulturen Gesundheit und Krankheit immer eine spirituelle Komponente haben. Und kaum eine Person ist dort nicht Teil einer religiösen Gemeinschaft, in der sie sich in Leben und Tod, in Gesundheit und Krankheit beheimatet und getragen weiß.
Das ist bei uns in Europa sicher anders. Wir sind deutlich individualistischer, deutlich säkularer. Und soweit wir uns nicht zu den Querdenkern oder anderen Skeptikern gegenüber einer Fakten-basierten Weltsicht rechnen, haben wir unsere Probleme mit Erzählungen, die unser naturwissenschaftlich geprägtes Weltbild und unsere Kenntnis medizinischer Zusammenhänge gegen den Strich bürsten. Das trennt uns nicht nur um Lichtjahre von Menschen in Afrika, sondern auch von den Zeitgenossen Jesu und den ersten Christen in Jerusalem. Wir können vielleicht eine gewisse psychosomatische Wirkung beim Erfolg biblisch berichteter Heilungen konzedieren. Doch sind wir eher geneigt, Wundererzählungen ins Reich der frommen Legenden zu verweisen.
Nein, so wie vorhin aus der Bibel vorgelesen, sieht keine seriöse, wissenschaftlich nachvollziehbare Therapie aus! Ein Arzt der heute versuchte, mit Handberührung, etwas Spucke und dem Ausruf „Hephata“ einen Taubstummen zu behandeln, würde in Deutschland zu Recht von keiner Krankenkasse anerkannt werden. Und dass ein verständnisvoller Blick gepaart mit einem schwungvollen Zugriff einen von Kind auf gelähmten Mann ans Gehen bringt, und zwar ausdrücklich ohne, dass dabei Silber und Gold aufgewendet werden müssen, das würde unsere bundesdeutsche Gesundheitsministerin Nina Warken wohl mit einem Schlag vieler Probleme entheben. Wie sollen wir solche Erzählungen heute einordnen?
Zunächst einmal: So, wie Markus, die Geschichte von der Heilung des Taubstummen berichtet, wird sie von ihm ausdrücklich nicht zur Nachahmung empfohlen. Der Evangelist fordert niemanden auf: Geh hin und tue desgleichen! Im Gegenteil: Er legt Wert darauf zu berichten, dass im Grunde keiner gesehen hat, wie Jesus den Mann geheilt hatte. Denn er tat es ausdrücklich abseits der beobachtenden Menge. Die konnte nur das Ergebnis bezeugen, sich darüber wundern und Gott dafür loben, dass Jesus die Tauben hören macht und den Sprachlosen die Zunge löst.
Wenn der Rheydter Pfarrer Franz Balke im 19. Jahrhundert die heutige Evangelische Stiftung Hephata gründete, dann lehnte er sich zwar bewusst an diese biblische Heilungsgeschichte an. Aber er tat es nicht, um eine vorwissenschaftliche Heilungsmethode zu kopieren. Sondern weil er sich durch die Zuwendung Jesu zu einem Hilflosen persönlich herausgefordert sah. Er wollte sich Menschen zuwenden, die in seiner Zeit sonst keine Hilfe erwarten konnten: Kindern, die damals wegen ihrer geistigen Behinderung als nicht förderungsfähig galten und deshalb vor sich hinvegetierten und verwahrlosten.
Hier haben wir das erste Kriterium gefunden, was verantwortbares Heilungshandeln von der Scharlatanerie trennt: Es geht in vielen biblischen Heilungsgeschichten um die Zuwendung zu Menschen, die von der Mehrheitsgesellschaft vernachlässigt, gemieden oder abgeschrieben werden.
Und was ließe sich nun aus der Geschichte mit Petrus, Johannes und dem Gelähmten am der Schönen Tor des Jerusalemer Tempels mitnehmen? Zunächst: Sie haben vorhin nur die halbe Geschichte gehört. Sie endet nämlich keineswegs an dem Punkt, wo der vormals Gelähmte durch den Jerusalemer Tempelbezirk hüpft und die zusammenströmenden Schaulustigen sich entsetzen. Im Gegenteil, jetzt erst läuft Petrus zu großer Form auf: Er stellt sich vor die Menge und hält eine flammende Missionspredigt. Die hat den Effekt, dass die christliche Gemeinde einen sprunghaften Mitgliederzuwachs verzeichnet: von 2.000 auf 5.000 Personen.
Nun schreiten die Behörden ein. Petrus und Johannes werden vom Hohen Rat vorgeladen und mit Redeverbot belegt. Doch das scheint nicht viel zu nützen. Denn zuletzt heißt es von der ganzen christlichen Gemeinde: „Sie redeten das Wort Gottes mit Freimut“.
Darum geht es also in der Geschichte: um den freien Mut, das Wort Gottes auszurichten, durch Wort und Tat. Und während die Behördenvertreter um die Einhaltung der Ordnung bemüht sind, was ja ihre Aufgabe ist, lobt das Volk die erlebte Großtat und reagiert auf die deutenden Worte mit dem Wunsch zur Taufe.
„Wer heilt, hat recht“, sagen wir. „Richtig ist, was guttut.“ Und wer weiß, vielleicht hat es dem Gelähmten am „Schönen Tor“ ja gutgetan, dass ihn da jemand angeschaut und an der Hand genommen hatte. Vielleicht hatte sich auch der Taubstumme riesig gefreut, dass Jesus ihn beiseite genommen, ihn berührt, für ihn gebetet hatte. Manche Krankheiten sind psychosomatisch. Mag sein, dass sich etliche Wunder Jesu und der Apostel so erklären lassen.
Aber es geht hier nicht um Erklärungen. Für die biblischen Erzähler war jede erfolgreiche Heilung etwas nicht-Erklärbares. Sie konnten das Heilwerden eines Menschen nicht medizinisch herleiten; sie konnten es nur deuten: als eine Spur, die Gott im Leben von uns Menschen hinterlässt. Wer heilt, hat recht, weil in seinem Tun Gott erfahrbar wird.
Wer einem Menschen durch Nähe, durch Berührung, durch Blickkontakt, durch Gebet, durch Ansprache zeigt: du bist wertvoll, der öffnet ihm ein Fenster zum Himmel. Und alle Schriftsteller des Neuen Testaments sind sich einig: Ein offener Himmel – Spuren Gottes in unserem Leben, das hatten sie durch Jesus in unvergleichlicher Weise erfahren. In seiner Nähe konnten Menschen, egal was sie bedrückte, erleben, wie ihnen der Himmel aufgeht.
Hier haben wir das zweite wichtige Kriterium gefunden, um ernsthafte Sorge von Scharlatanerie zu unterscheiden: Heilwerden ist nicht gleichzusetzen mit der Wiederherstellung körperlicher Unversehrtheit. Ein Mensch, der sich im Gottesdienst die Hand auflegen oder mit Öl ein Kreuz auf die Stirn zeichnen lässt, erhält damit keine medizinische Wiederherstellungsgarantie. Christliche Gottesdienste wissen darum, dass Jesus in Gethsemane zu seinem himmlischen Vater betete: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“
Heilen ist etwas anderes, als reparieren. Es bedeutet nichts Geringeres, als leidenden Menschen den Himmel aufgehen lassen. Menschen wie der Rheydter Pfarrer Franz Balke haben genau das zu ihrer Lebensaufgabe gemacht: Menschen den Himmel zu öffnen. Und im Grunde genommen ist dies auch unsere Lebensaufgabe als Christen insgesamt: Menschen den Himmel öffnen, Spuren in ihrem Leben zu hinterlassen, die sie als Spuren Gottes erkennen. Ihnen zu zeigen, dass sie gewollt, dass sie erwünscht sind. Dafür braucht’s dann gelegentlich zur Tat auch das freimütig gesprochene deutende Wort.
Das, liebe Gemeinde, hatten sich Petrus und Johannes schon damals zu Herzen genommen. Und die anderen Apostel. Und die ganze Christengemeinde. Und bis heute gilt: Wir sollen es uns zu Herzen nehmen. Denn mit unserer Taufe gehören auch wir zu Jesus Christus. Und wie Petrus und Johannes sind wir von ihm ausgeschickt, in seinem Namen den Menschen den Himmel zu öffnen. Wenn wir es tun, dann kann mit einem Mal ganz viel heil werden: Ein einsames Herz, eine schuldzernagte Seele, eine zerbrochene Beziehung. Und, ja, auch ein gebrochenes Bein, das mit medizinischer Unterstützung wieder zusammenwächst. Oder ein Teil des Körpers, der vielleicht nur zum Spiegel einer kranken Seele geworden war. Wunder gibt es durchaus! Lassen wir uns von Jesus dazu aussenden, sie wirklich werden zu lassen!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
11.S.n.Tr., 31.08.2025, FamilienGD in der Tersteegenkirche, Dr. Petra Brunner
Die Predigt des heutigen Familien-Gottesdienstes von Pfarrerin Dr. Petra Brunner beginnt mit einem Planschbecken, das vor dem Altar steht - und einer Mutprobe. Und um Mut und mutig sein geht es dann auch. Wenn Sie erfahren möchten, was dieses Planschbecken und der Mut nun mit Josua zu tun haben, dann hören Sie doch einfach mal rein:
10.S.n.Tr., Israelsonntag, 24.08.2025, Mk 12,28-34, Mutterhauskirche, Ute Griessl
Liebe Gemeinde!
Wir haben den Predigttext bereits in der Lesung gehört.
Er handelt von der Liebe.
Die Liebe, die in unser aller Leben eine entscheidende Rolle spielt.
Die Liebe, ohne die kein Mensch leben kann.
Der so bekannte Text hat mir eine überraschende Erkenntnis gebracht, über die ich recht glücklich bin.
Unserem Text gehen mehrere Streitgespräche voraus, die Jesus mit Schriftgelehrten geführt hat. Ein Schriftgelehrter hat besonders aufmerksam zugehört.
Er ist beeindruckt von Jesus, von seinen tiefgründigen Antworten, die weiterführen.
Jesus zeigt eine Weisheit, die ihn fasziniert.
So stellt der Schriftgelehrte Jesus selbst eine Frage.
Es ist keine hinterlistige Fangfrage, sondern er ist an Jesus und seiner Antwort aufrichtig interessiert.
„Welches Gebot ist das erste von allen?“
Die Frage nach der Essenz der vielen Gebote ist berechtigt. Sie führt ins Zentrum der 613 Gebote, die alle Aspekte des Lebens umfassen.
Sind sie alle gleich wichtig? Was ist das Wichtigste? Was ist das Wesentliche?
Wenn ich das weiß, dann finde ich Orientierung.
Dann kann ich priorisieren, Entscheidungen treffen und handeln. Dann kann ich meinen Weg im Vertrauen gehen.
„Welches Gebot ist das erste von allen?“ Mit dieser Frage beginnt ein Gespräch auf Augenhöhe, geführt von zwei gebildeten Juden, die sich in der hebräischen Bibel auskennen.
Jesus antwortet dem Schriftgelehrten: Das erste ist: »Höre, Israel: Der Herr, unser Gott, ist Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und aus deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen Verstand und aus deiner ganzen Kraft!«
Mit diesem Zitat aus dem 5. Buch Mose stellt sich Jesus in die Tradition seines Volkes. Er greift das älteste Bekenntnis seines Volkes auf: Es beginnt mit „Höre Israel, „Sch(e)ma Jisrael“.
In diesem ältesten Bekenntnis geht es um Gottes Liebe zu seinem Volk und um Gottes Geschichte mit Israel.
Gott stellt sich seinem Volk vor,
er beginnt mit dem Gespräch, er beginnt mit der Liebe.
Gott wählt Israel und schließt einen Bund. Gott zeigt seine Liebe in der Befreiung des Volkes aus der Knechtschaft in Ägypten.
Gott bleibt bei seiner Liebe, auch in Zeiten, in denen sich sein Volk abgewendet hat.
Gott kann oder will nicht anders.
Gottes Liebe steckt auch in dem Gebot, das Jesus zitiert.
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und aus deiner ganzen Seele und aus deinem ganzen Verstand und aus deiner ganzen Kraft!“
Für Jesus besteht das zentrale, das wichtigste Gebot darin, Gottes große unverbrüchliche Liebe zu erwidern.
Die Antwort auf Gottes Liebe umfasst alle Facetten menschlichen Seins.
Die Antwort umfasst unser ganzes Leben.
Jesus fährt fort: ‚Das zweite ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!«.
Grösser als diese ist kein anderes Gebot.‘
Hier zitiert Jesus eine Stelle aus dem 3. Buch Mose.
Gott spricht mit Mose über das Leben in einer Gemeinschaft.
Da heißt es „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Ich bin der Herr.“
Hier geht es um das aufrichtige und faire Handeln und Behandeln: Du sollst deinen Nächsten nicht übervorteilen. Du sollst deinen Nächsten nicht ausnutzen und dich bereichern.
Mit welchem Maß soll ich meinen Nächsten lieben?
So wie ich mich liebe, nicht weniger, nicht mehr, –
das ist das Maß im Umgang mit dem Nächsten.
Der jüdische Philosoph Martin Buber übersetzt:
Liebe deinen Nächsten, (denn) er ist wie du.
Ich ergänze: Der andere ist auch Gottes Geschöpf. Und so will ich ihn behandeln.
Die andere ist auch Gottes Geschöpf, und so will ich sie behandeln.
Jesus schließt: „Größer als diese ist kein anderes Gebot“. Jesus bekennt sich zur Tradition seines Volkes und führt sie weiter.
Jesus entwickelt sie, in dem er zwei Gebote zu einem macht.
Die Liebe zu Gott und zum Nächsten gehören zusammen. – Das ist neu!
Jesus betont damit: Die Essenz ist die Liebe. Was für eine radikale Essenz! Jesus hat sie in Wort und Tat vorgelebt.
Der Schriftgelehrte ist beeindruckt und sagt zu Jesus:
„Du hast die Wahrheit gesagt, denn Gott ist einer, und es ist kein anderer außer ihm; und ihn zu lieben aus ganzem Herzen und mit ganzem Verstand, aus ganzer Seele und aus ganzer Kraft und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist viel mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer.“
Der Schriftgelehrte gibt Jesus recht.
Er fügt hinzu, dass die Liebe wichtiger ist als alle Opfer, die im Tempel erbracht werden.
Die innere Haltung, die Liebe ist wichtiger als der Kultus, die Riten.
Jesus nimmt seine Antwort an.
Er sagt zum Schriftgelehrten: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes.“ Ich verstehe es als Ermutigung:
Ja, bleib dran! Mach weiter! Du bist nah am Wesen Gottes, an seinem Reich, an der Liebe.
Damit ist alles gesagt. Schweigen.
„Und es wagte niemand mehr, ihn zu befragen.“
Soweit der Bibeltext.
Bei der Vorbereitung für diesen Gottesdienst ist mir bewusst geworden: Es ist Israelsonntag und wie sehr wir als Christen mit dem jüdischen Volk zusammengehören.
In Israels Geschichte liegen die Wurzeln unseres Glaubens.
Durch den Juden Jesus sind und bleiben wir mit dem jüdischen Volk verbunden.
Durch den Juden Jesus glauben wir an den Gott der Liebe.
Durch den Juden Jesus dürfen wir zu dem Bund gehören, den Gott mit allen Menschen schließt.
Durch den Juden Jesus gilt das doppelte Liebesgebot auch für uns Christen.
Soweit die Geschichte.
Wie geht das nun heute praktisch, das Liebesgebot zu leben?
Lange Zeit bin ich davon ausgegangen: Ich liebe Gott, wenn und indem ich meinen Nächsten liebe.
Ich lebe meinen Glauben, wenn und indem ich mich für die Schwesternschaft oder für diakonische Projekte engagiere.
Ich weise mit meinem Engagement indirekt auf Gott hin und gebe ihm die Ehre.
Eine Überraschung ist für mich die Erkenntnis/die Einsicht:
Die Liebe zu Gott ist mehr.
Mehr als „nur“ die Liebe zum Nächsten.
Die Liebe zu Gott zeigt sich in der Nächstenliebe, ja.
Aber die Liebe zur Nächsten ersetzt nicht die Liebe zu Gott.
Gott will selbst mit uns in Beziehung sein. Er will den Dialog mit uns.
Gott will uns hören und uns etwas sagen. Er will die Priorität sein.
Wir antworten auf seine Liebe, so gut wir können.
Wir lieben Gott, indem wir „Ja“ sagen zu ihm, dankbar, verbindlich und treu.
Wir lieben Gott, indem wir ihn loben, ihm Loblieder singen.
Wir lieben Gott, wenn wir ihn hören, ihn ernst nehmen und auf ihn hören.
Wir lieben Gott, wenn wir im Gespräch mit ihm sind, bitten und danken, und aus dem, was er sagt unser Handeln ableiten.
Wir lieben Gott, wenn wir ihm folgen.
Jesus möchte, dass wir Gott lieben - mit all unseren Fähigkeiten.
Jesus spricht sinngemäß von Herz und Seele, Verstand und Kraft.
An diesen vier Fähigkeiten möchte ich einmal entlang gehen.
- Wir sollen Gott lieben aus ganzem Herzen:
Im Herzen sitzen alle meine Emotionen und mein Wollen.
Wir können uns selbst befragen:
Was sagt mein Herz?
Welches Gefühl meldet sich bei mir?
Wie sieht meine Motivation aus?
Wie äußert sich mein Wollen?
Ich darf Gott mit allen meinen Emotionen lieben, sie ihm erzählen.
Ich kann ihm auch meine Emotionen überlassen, wenn ich überflutet werde oder Abstand benötige.
Und ich kann meine Gefühle einbringen in meine Arbeit.
Ich nenne ein Stichwort: Pflege mit Herz. Ich bin mit dem Herzen bei den Kranken, bei den Alten oder Hilfsbedürftigen. Ich nehme mit dem Herzen wahr, wie es ihnen geht…
Ich darf Gott auch wissen lassen, wie stark mein Wollen ist. An manchen Tagen bin ich voller Motivation und lege los, an anderen Tagen darf ich ihn um Stärkung bitten.
- Wir sollen Gott lieben aus ganzer Seele:
In der Seele sitzt der Kern meiner Person, meines Wesens.
Nun können wir uns die Frage stellen:
Was empfindet meine Seele?
Wie geht es ihr?
Wo und wie bin ich in meinem Wesenskern mit Gott verbunden?
Durch Gottes Atem sind wir eine lebendige Seele, so die Schöpfungsgeschichte.
Welch ein Geschenk ist allein unser Atem!
Ich erlebe es als ein Wunder, wenn Gott meine Seele berührt.
Ich erlebe es auch als Wunder, einem anderen Menschen von Seele zu Seele zu begegnen.
- Gott lieben mit meinem ganzen Verstand:
Hier sind meine Gehirnzellen gemeint, mein Denkvermögen, Logik und Klugheit, meine Bildung, Intelligenz und Urteilskraft.
Auch das ist eine Entdeckung für mich: Glauben und Denken ist kein Gegensatz, vielmehr soll und darf ich Gott lieben auch mit meinem Kopf!
Er hat uns mit dem Verstand ausgestattet. Er will, dass wir ihn nutzen!
Gott will, dass wir ihn nach seinen Gedanken fragen.
Er will, dass wir ihm unsere Ideen, Erkenntnisse und Fragen mitteilen.
Hier befragen wir unseren Verstand:
Woran arbeitet mein Geist gerade? Was interessiert ihn?
Mit welchem Thema setze ich mich auseinander?
Was will mein Verstand lernen?
Wie geht meine Entwicklung weiter?
Was sagt unser Verstand zur Entwicklung der Schwesternschaft, der Kirchengemeinde und der Kaiserswerther Diakonie?
Wir sollen uns mit Hirn engagieren,
mit unseren Ideen, Gedanken, Konzepten und Fürbitten.
Ich bin sicher, Gott wartet darauf.
Schließlich 4. und letztens: Gott lieben mit ganzer Kraft:
Hier geht es um die Tatkraft, die Energie, mein Handeln, meine Praxis. Hier fließt meine Liebe ins Tun!
Da lauten die zentralen Fragen für uns:
Gott, was ist meine Aufgabe?
Was willst du, dass ich tun soll?
Es ist soviel zu tun, hier in Kaiserswerth, in unserer Stadt und in der Welt.
Was ist das Wesentliche, mit dem ich beginne?
Alleine und Gemeinsam.
Die Liebe zu Gott zeigt sich auch und gerade in dem,
was wir tun.
Die Liebe zu Gott zeigt sich, indem wir ihm helfen.
Wir dürfen ihm helfen bei dem, was er vorhat.
Wir dürfen unsere Tatkraft einsetzen, um Gottes Reich der Liebe und des Friedens weiter zu bauen.
Amen.
Und der Friede Gottes, der allen Verstand überragt, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unserem Herrn.
>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>
Fürbitten am Israelsonntag, 24. August 2025
Beim Fürbittengebet bitten wir Sie, nach den einzelnen Bitten einzustimmen: „HERR, ERBARME DICH!“
Barmherziger Gott, wir danken dir für deine Liebe, von der wir leben. Wir möchten deine Liebe beantworten. Wir bitten dich: Zeige uns Wege, wie wir unsere Liebe zu dir ausdrücken können. Hilf uns, den Nächsten zu lieben, denn er ist genauso dein Kind wie wir.
Lass unsere Liebe gedeihen und reifen.
G: Herr, erbarme dich.
Lebendiger Gott, wir bitten dich für uns diakonisch Engagierte, dass wir zwischen Nächstenliebe und Gottesliebe die richtige Balance finden. Gib den Gestressten und Ausgebrannten die Gewissheit, dass sie nicht allein sind. Lege deinen Segen auf unser Tun und unser Beten, dass beides Frucht bringe.
Wir rufen zu dir:
G: Herr, erbarme dich.
Wir bitten dich für dein Volk Israel:
Gewähre ihm Frieden. Lass Juden überall auf der Welt in Ruhe und Sicherheit wohnen. Gib uns Mut, dem Judenhass im Alltag entgegenzutreten. Wehre dem Antisemitismus unter den Völkern.
Wir bitten dich: Bringe Bewegung in die verhärteten Fronten des Nahostkonflikts. Beende das Leid unzähliger Menschen im Gaza Streifen.
Hilf, faire Lösungen zu finden, mit denen alle Beteiligten leben können. Wir rufen zu dir:
G: Herr, erbarme dich.
Du, Gott Israels und der Kirche, du bist ein lebendiger Gott. Vergib (uns) alle Überheblichkeit. Wir bitten dich, lass uns einander so respektieren, annehmen und ehren, wie wir geworden sind. Hilf uns, gemeinsam für Frieden und Gerechtigkeit einzustehen. Lass uns zum Segen füreinander und für andere werden.
Wir rufen zu dir:
G: Herr, erbarme dich.
Wir beten für die Flüchtlinge, insbesondere im Nahen Osten, die Tod und Elend entgehen wollen.
Wir bitten dich, öffne ihnen Türen und Herzen, lass sie Aufnahme und ein Leben ohne Angst finden.
Wir bitten dich für die israelischen Geiseln und ihre Familien. Heile die traumatisierten Menschen. Lass alle Verschleppten und Entführten Freiheit finden.
Wir rufen zu dir:
G: Herr, erbarme dich.
Ewiger Gott, wir bitten dich für unsere Verstorbenen. Lass sie in deiner Liebe geborgen sein und schenke ihnen deinen Frieden.
Wir bitten dich für alle, die um sie trauern. Sei ihnen nahe mit deinem Trost, hilf ihnen, weiterzuleben im Vertrauen auf dich. Lass sie Menschen finden, die sie verstehen und begleiten.
Wir rufen zu dir:
G: Herr, erbarme dich.
Lebendiger Gott, wir bitten dich für die Menschen, die in unserer Gemeinde getauft worden sind, schütze und segne sie auf ihrem Weg ins Leben. Lass sie in den Paten und in der Gemeinde Ansprechpartner finden, mit denen sie über ihren Glauben sprechen können.
Wir rufen zu dir:
G: Herr, erbarme dich.
Lebendiger Gott, wir bitten dich für das Paar, das in unserer Gemeinde getraut wurde. Hilf ihnen, ihren Weg unter deinem Segen zu gehen. Lass sie immer wieder aufeinander zugehen, wenn sie sich entfernt haben.
Wir rufen zu dir:
G: Herr, erbarme dich.
(Dr. Katrin Stückrath und Ute Grießl)
7.S.n.Tr., 03.08.2025, Joh.6, 1-15, Tersteegenkirche, Dr. Petra Brunner
- Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für alle
Danach ging Jesus weg ans andere Ufer des Galiläischen Meeres, das auch See von Tiberias heißt. Und es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus aber ging hinauf auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern.
Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, dass viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus: „Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?“
Das sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er wusste wohl, was er tun wollte.
Philippus antwortete ihm: „Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder auch nur ein wenig bekomme.“
- Gibt es genug unter dem einen Himmel?
Ein Sonnenstrahl berührt Nihals Gesicht, sofort richtet sie ihre Augen auf ihr Herzgold Mirijam (9 Jahre) und ihren ganzer Stolz Shadi (11 Jahre).
Vor Glück schaut sie die beiden an; doch dann zieht sich ihr Herz zusammen Hussein ihr geliebter Mann und ihr großer Sohn Ali sind tot.
Neben dem Herzschmerz, spürt Nihal auch ein Stechen in der Magengrube- der Hunger ist wieder da; der Hunger, der sie und die Kinder schon so viele Wochen begleitet.
Der Hunger ist ein Räuber, der in der schwachen Stunde kommt und versucht, ihrer Familie alles zu nehmen. Der alte Räuber lässt die Kinder im Schlaf aufheulen und er nimmt Nihal die Fähigkeit, klar zu denken. Ihre einst starken Arme und Beine hat er schwach gemacht.
Nihal gibt ihren Kindern einen dicken Kuss auf die Stirn. Die beiden murmeln im Schlaf: „Bis später Mama…“
Und Nihal geht los. Sie muss es wieder versuchen: an etwas zu essen zu kommen.
Sie wird wieder zu der Lebensmittelverteilstelle gehen; vielleicht; vielleicht hat sie ja Glück…
Manchmal kommt ein LKW oder zwei und dann gibt es Mehl oder manchmal auch eine Dose mit fertigen Linsen. Damit könnte Nihal dann ein Brot backen und mit den Familien aus den Nachbarzelten teilen, das wäre ein Fest…
Nihal geht weiter. Die Straßen werden voller: viele Eltern auf der Suche nach Nahrung, einige Fahrzeuge, alles in Unordnung, da sind Uniformen und Gewehrläufe; es ist still; Spannung liegt in der Luft.
Jeden Tag warten sie hier auf LKWs und oft kommt keiner; doch es gibt LKWs. Nihal weiß es: die LKWs sind zum Bersten voll mit Essen, mit Nahrung, die den Hungerräuber vertreibt, sie stehen in Schlangen, nur wenige Kilometer hinter dem Grenzzaun von Nihal und den anderen Müttern entfernt.
Nihal träumt von Mehl und dem Geruch von frischem Brot.
Dann sticht es ihr wieder in der Magengrube;
„Weg da, geh zur Seite!“ ein Soldat schiebt sie weg. Sie ist ein eingesperrt, da sind Grenzzäune und sie ist allein mit dem Hungerräuber.
Nihal denkt an Mirijam und Shadi, die zu Hause auf sie warten. Nihal blickt in den Himmel, der ist einfach nur blau und die Sonne scheint;
Der Himmel hat keine Grenze, die Sonne, die hier auf sie scheint, die scheint auch auf die LKWs voller Mehl; der Himmel hat keine Grenze. „Vielleicht, vielleicht,“ denkt Nihal, „habe ich heute Glück“.
- Ein kleiner Junge mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischen – aber was ist das schon?
Jesus fragt: „Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?“
Sein Jünger Phillipus antwortete ihm: „Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder auch nur ein wenig bekomme.“
Der Jünger Andreas kam und sagte: „Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was ist das für so viele?“
Jesus aber sprach: „Lasst die Leute sich lagern. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer.“
Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, so viel sie wollten.
- Haben wir richtig gerechnet? Oder steht der Himmel vielleicht doch offen?
So viele Menschen sind da, sie sind Jesus gefolgt; sie wollen seine Geschichten hören. Sie wollen endlich satt werden in ihrer Seele und gesund in ihren Körpern.
Sie sind ihm gefolgt raus aufs Land, nach Galiläa, und Jesus hat erzählt davon, dass der Himmel offensteht; dass Gott sie liebt, dass sie Gottes Kinder sind. Jesus hat erzählt vom Himmelreich, das jetzt und hier schon alles neu macht.
Und die Menschen haben gesehen und gespürt, wenn Jesus da ist, dann wird alles neu.
Naja und dann, dann ist es Abend und die Jünger und die Menschen sind ausgehungert.
So viele schöne Geschichten, aber nun geht es um die harten Fakten: Wie werden die Menschen satt? So, so viele; die Bibel sagt „Tausende mit ihren Familien“, und alle sind hungrig.
Da rechnet Phillipus: „Wie viele Brote müssten gekauft werden?“
Jetzt wird kalkuliert: 200 Silbergroschen- 200 Denare. 1 Denar war ungefähr das Tagesgehalt eines Arbeiters- also genau berechnet wäre mehr als ein halbes Jahresgehalt nötig, um allen nur eine Kleinigkeit zu geben.
Die eiskalte Logik der Zahlen; kühn berechnet: es reicht hinten und vorne nicht aus. Es ist einfach nicht genug da.
Die Geschichten vom Himmel waren ja schön, doch jetzt geht es um den echten Hunger und die Logik dieser Welt.
Phillipus hat es ausgerechnet. „Das reicht nicht! Es gibt einfach nicht genug.“
Doch da kommt ein kleiner Junge an, er heißt Bar-Tolmai, seine Freunde nennen ihn Barto. Als Jesus erzählt hat, hat Barto zugehört, mit seinem Herzen zugehört.
Barto spürt, dass mit Jesus das Himmelreich jetzt schon anfängt. Barto hat gehört, dass sie diskutieren, was die vielen Menschen essen sollen.
Barto geht zu Jesus und schaut ihm fest in die Augen, dann streckt Barto ihm die Mahlzeit aus seiner Umhängetasche hin: zwei Fische und fünf Brote.
Barto, der kleine arme Junge, der kaum mehr hat als eine Mahlzeit für ein paar arme Leute. Barto hat Jesus gesehen, Barto hat den Himmel gesehen und schon von dem Himmelreich von Gott geschmeckt. All das ist wahr denkt Barto und voll Vertrauen streckt er Jesus sein Arme-Leute-Essen hin.
Barto weiß, wenn Jesus da ist, dann ist der Himmel offen und alle werden satt.
5. Jesus nimmt das Brot und den Fisch und alle werden satt
„Es ist ein Knabe hier, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische.“
Jesus aber nahm die Brote und Fische und gab allen davon, soviel sie wollten.
Als sie aber satt waren, spricht er zu seinen Jüngern: „Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt.“ Da sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit Brocken von den fünf Gerstenbroten, die denen übrig blieben, die gespeist worden waren.
- Wenn Jesus da ist, dann gibt es genug für uns alle
Wenn Jesus da ist, dann steht der Himmel schon offen. Dann gibt es nicht nur himmlische Geschichten, sondern dann gibt es auf einmal auch genug zu essen für alle.
Jesus erzählt vom Himmelreich. Das Himmelreich, das Reich Gottes ist nicht wie die Reiche, Königreiche und Empires dieser Welt. Die Logik dieser Welt, die wir so gut kennen, die aber auch schon den ägyptischen Pharao angetrieben hat, sind Gier und Angst.
Es gibt nie genug; wir brauchen mehr und mehr. Die Güter sind knapp; zu wenig Essen, zu wenig Liebe, zu wenig Sicherheit für uns alle ist da.
Manche von uns sind reich und manche warten auf einen LKW, um ein wenig Mehl zu ergattern.
Die Logik der Reiche dieser Welt, sowohl des kontemporären Kapitalismus als auch schon des ägyptischen Pharaos ist: „Es reicht nicht für alle! Jeder ist sich selbst der Nächste; macht sich die Taschen voll, denn es ist nicht genug für alle da. Und schließlich kann man nie genug haben.“
Doch dann ist da dieser kleiner Junge, Barto, der den Himmel gesehen hat. Barto, der spürt, dass er ein Gotteskind ist, und voll Vertrauen macht er seine Tasche auf und er teilt mit den anderen.
Und auf einmal machen alle ihre Taschen auf und sie teilen, was sie haben.
Der kleine Barto streckt seine Brote und Fische voll Vertrauen hin, und alle anderen merken auf einmal, dass der Kleine mit seinem Vertrauen richtig liegt.
Wenn Jesus da ist, wenn wir den Himmel sehen, dann merken wir auf einmal, dass Gott uns versorgt.
Wenn wir merken, dass wir Gottes Kinder sind, dann spüren wir, dass wir genug sind und wir genug haben. Wenn Jesus unseren Herzens Hunger stillt, dann hören wir auf Geld und Schätze und Essen zu horten.
Wenn Jesus da ist, dann stürzen die Grenzen zwischen Menschen ein, dann hört die Gier auf.
Wenn Jesus da ist, dann gibt es genug.
Das ist das Wunder von dem die Geschichte in Johannes 6 erzählt: Es gibt schon jetzt genug, und wir sind genug vor Gott.
Wenig später heißt es in Joh. 6, dass Jesus sagt: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“
Wenn Jesus da ist, dann wird dieser Lebenshunger in uns gestillt und dann können wir den Himmel offen sehen. Wenn Jesus da ist, dann werden unsere Angst und Geltungssucht still und wir spüren in welcher wunderbaren Welt wir leben, denn es gibt schon genug, und wir sind genug. Wenn der Himmel offen ist und wir Gotteskinder sind, dann fassen wir Mut und wir teilen von dem, was wir haben, dann haben wir genug.
Amen
6.S.n.Tr., 27.07.2025, 1. Petrus 2,2-10, Stadtkirche, Dr. Johannes Grashof
Liebe Gemeinde!
„Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein; hinter mir und vor mir gilt es nicht – ich komme!“ – Vielleicht kennen Sie ja diesen Kindervers. Vielleicht haben Sie selbst als Kind Verstecken gespielt, haben mit dem Gesicht zu einer Wand gestanden und laut gezählt, während Ihre Mitspielenden davonrannten und in der Umgebung ein gutes Versteck für sich suchten.
Zu Ende gezählt haben Sie dann den Ecksteinspruch gerufen, sich umgedreht und mit der Suche nach ihren Spielgefährtinnen und Spielgefährten begonnen. Und wenn Sie welche erspäht hatten, waren Sie zurückgelaufen zum Eckstein, an dem Sie gezählt hatten, haben mit der flachen Hand dagegen geschlagen und die Namen der Entdeckten gerufen. Vielleicht waren aber auch die Gefundenen schneller gelaufen, hatte mit ihrer Hand gegen den Eckstein geschlagen und „frei“ gerufen. Oder andere Kinder hatten ihre Chance ergriffen, während Sie suchend durch das Spielgelände gestreift sind, haben unbemerkt die Strecke von ihrem Versteck zum Eckstein zurückgelegt und sich dort freigeschlagen.
Wenn keine mehr in ihrem Versteck saßen, gab es eine neue Runde und jemand von den Gefundenen musste suchen. Wer sich am Eckstein freischlagen konnte, brauchte nicht zu suchen.
Wie es der Eckstein von der Baustelle in den Reimvers eines beliebten Kinderspiels geschafft hat, darüber lässt sich nur spekulieren. Vielleicht ist dies ja auf dem Umweg über die Bibel geschehen. Über viele Generationen hinweg war sie schließlich sprachprägend – auch in der Kindererziehung. Und einen Ansatzpunkt bietet unser heutiger Lesungstext aus dem 1. Petrusbrief. Gleich zweimal erwähnt Petrus darin den Eckstein explizit, drei weitere Male wird er mit anderen Begriffen umschrieben.
Als Gottesdienst-Profis wissen Sie natürlich sofort, wen Petrus damit meint: keinen anderen als unseren Herrn und Retter Jesus Christus. Wahrscheinlich fällt ihnen dabei sogar ein, dass Jesus selbst zu seinen Zuhörern vom Eckstein sprach – als Metapher für seine eigene Person. Und beide, Petrus wie vor ihm schon Jesus, zitieren dabei denselben Text aus der hebräischen Bibel. Oder, um es genauer zu sagen: eine Passage aus dem 118. Psalm. Da heißt es: „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Das ist vom HERRN geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen.“ (Ps. 118,22-23.)
Offenbar geht es in diesem Psalm um ein Stück Baumaterial, dass die Baufachleute zunächst als ungeeignet aussortiert haben, das aber letztlich sogar die tragende Funktion schlechthin erhält: als Eckstein oder Grundstein des ganzen Bauwerks.
Der 118. Psalm ist ein überschwängliches Danklied. Es preist Gottes dafür, dass er in seinem Tun an uns Menschen offenbar für jede Überraschung gut ist und sogar eine aussichtslose Lage in einen vollkommenen Triumph wendet.
Diesen Text hielt bereits Jesus denjenigen Schriftgelehrten seines Volkes entgegen, die ihm mit Ablehnung begegneten: Seid euch nicht so sicher mit eurem festgefügten, viel zu engen Bild von Gott! Denn Gott rettet wen er will und wie er will – und das ganz ohne eure theologische Expertise.
Wahrscheinlich denkt Petrus auch an diese Szene aus dem Leben Jesu, wenn er aus dem 118. Psalm zitiert. Und ich bin sicher, bei den Lesern seines Briefes knüpft der Apostel hier an Bekanntes an.
Ja, so war es mit Jesus selbst gewesen: von den Römern gekreuzigt, weggeworfen wie ein unnützes Stück Bauschutt, aber nach drei Tagen bereits lebendiger denn je. „Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.“ Und durch ihn lädt Gott plötzlich auch solche Menschen zu seinem Volk ein, an die vorher niemand jemals gedacht hätte. Leute, die nie dazu gehört haben, weil sie halt die falschen Vorfahren hatten. Nutzloses Geröll eben. Aber die nun dazukommen dürfen, die nun auch als lebendige Steine auferbaut werden, die mit allen anderen zusammen von dem lebendigen Eckstein Christus zusammengehalten werden – zu einem neuen und lebendigen Bauwerk.
Und das ist nicht irgendein Bauwerk. Petrus nimmt noch auf einem anderen Text der heiligen Schriften Bezug: Vor langer Zeit kündete der Prophet Jesaja von einem auserwählten, kostbaren Eckstein, den Gott selbst auf dem Zion legen würde (Jesaja 28,16). – Kein Zweifel: Jesus ist für den Apostel Petrus der Grundstein zum neuen Tempel Gottes. Dieser Tempel besteht nicht mehr aus mineralischen Steinen, sondern aus „lebendigen Steinen“ – den Christen. Die Kirche ist dieser neue, geistliche Tempel Gottes – gegründet auf einem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen wurde, aber bei Gott auserwählt und kostbar ist. Errichtet aus lebendigen Steinen, auch aus solchen, die, wie Petrus schreibt, einst nicht sein Volk waren, nun aber auch Gottes Volk sind.
Ihr seid das! – so schreibt es Petrus seinen Lesern, von denen viele offenbar nicht aus dem jüdischen Volk stammten, sondern weiß Gott woher kamen. Von Anfang an ist die Kirche das multinationale Projekt Gottes. Und allen, die kommen, versichert Petrus: Ihr dürft dazugehören, weil Gott euch genauso liebt, wie er schon damals unsere jüdischen Vorfahren liebte, die er gegen alle historische Wahrscheinlichkeit immer wieder gerettet und am Leben erhalten hatte: aus der Sklaverei in Ägypten, aus der babylonischen Gefangenschaft und unzählige Male dazwischen und danach. Und nun habt auch ihr, die ihr dazugekommen seid, von seiner unermesslichen Freundlichkeit kosten dürfen.
Diese Freundlichkeit Gottes, das ist, so schreibt Petrus, die vernünftige Milch, nach der wir alle gieren sollen, wie die Neugeborenen. Sie manifestiert sich für uns in Jesus Christus, dem Eckstein, der uns alle als lebendige Steine trägt. Auf ihn sind wir getauft. In ihm sind wir neu geboren.
Und das hat Folgen. Petrus nennt diese Folgen bereits in dem Satz, der unserem Textabschnitt vorausgeht: „So legt nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alle üble Nachrede“ (1.Petrus 2,1).
Wir sind getauft! Wo wir auf Christus als dem lebendigen Eckstein Stein ruhen, wo wir uns von diesem Stein zusammenhalten lassen, da werden wir zu einem geistlichen Bau, der diesen Namen auch verdient, weil er in jedem einzelnen seiner Steine die Freundlichkeit Gottes ausstrahlt. Das ist doch unsere einzige Aufgabe als Christen, als Kirchengemeinde: diese Freundlichkeit Gottes spürbar zu machen in allen unseren Lebensäußerungen. Und ohne Grenzziehungen. Gottes Liebe gilt nicht nur binären weißen Männern, sondern allen Menschen, sie gilt gleichermaßen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Wenn wir damit wirklich Ernst machen, dann braucht uns um den Bestand der Kirche nicht bange zu werden.
Die Kirche lebt ja nicht, weil wir Menschen ihre Zukunft planen – in Strukturdebatten und Fusionsbeschlüssen. Sondern sie lebt dort, wo und weil Gott sie auferbaut auf dem Eckstein, den er selbst gelegt hat – und das von Anfang an gegen alle menschlichen Zukunftsmodelle! Die Kirche lebt dort, wo sie sich von Gott aufbauen lässt zu einer geistlichen Alternative zur Katastrophenwirtschaft dieser Welt.
Wir sind getauft! Das ist die lebendige Basis für all unser Tun. Das darf uns zuversichtlich stimmen und gleichzeitig gelassen machen gegenüber allen menschlichen Planungsversuchen, wo sie den lebendigen Eckstein Jesus Christus zur Nebensache machen. Wir brauchen uns nicht zu verstecken.
Und hier möchte ich auf den anfänglich zitierten Kindervers zurückführen. „Eckstein, Eckstein, alles muss versteckt sein …“ Nein, es ist ja nicht wirklich das Ziel dieses alten Kinderspieles, sich zu verstecken. Ziel ist es vielmehr, sich nicht mehr verstecken zu müssen. Wenn irgend möglich, wenn sich im Verlauf des Spiels die Gelegenheit dazu bietet, will ich raus aus meinem Versteck, zum Eckstein gelangen und mich an ihm freischlagen. In jeder Spielrunde wieder neu.
Lassen wir uns hier von den Kindern und ihrem unschuldigen Spiel geistlich auf die Sprünge helfen: Ich bin getauft! Das ist der wichtigste Befreiungsschlag in meinem Leben. Ja, Christus ist für mich der Eckstein, bei dem ich wirklich frei bin. Frei von Sünde und Tod. Frei bei ihm, der von den Menschen verworfen und gekreuzigt wurde, aber von Gott auferweckt und zum Eckstein erwählt wurde. Er ist so für mich die fleischgewordene Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes. Auf ihn mein Leben zu bauen, das schenkt mir Leben in Ewigkeit.
Liebe Gemeinde! Wenn Martin Luther depressiv wurde, nahm er ein Stück Kreide und schrieb damit vor sich auf die Oberfläche seines Schreibtischs: Ich bin getauft! Dann wusste er: Es ist Gott, der mich in seiner großen Menschenfreundlichkeit als sein Kind angenommen hat. Es ist Christus, der Eck- oder Grundstein, auf dem mein ganzes Leben ruht. Das gilt. Das lässt mich frei sein. Weil ich getauft bin. In alle Ewigkeit. Was kann mir passieren?
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
5.S.n.Tr., 20.07.2025, Matth. 9,35-38;10,1.5-10, Stadt- und Tersteegenkirche, Dr. Petra Brunner
Predigt Matthäus 9,35-38; 10,1.5-10.
Die Ernte ist reif
Es ist heiß, in den letzten Tagen hat es nicht mehr geregnet und auch in den nächsten Tagen soll es trocken sein.
Gerade ist Claudia über ihren großen Hof mit dem Fahrrad zum Feldrand gefahren.
Mit der Hand prüft sie nochmal die Ähren, sie sind groß und fest und trocken.
Sie lässt ihren Blick über das weite Feld schweifen, sie hört die Grillen zirpen, in der Ferne flirrt Staub in der Sommerhitze.
„Perfekt… morgen geht es los...“ sagt sie vor sich hin.
Während sie auf ihr Rad steigt, geht sie im Kopf nochmal ihre Checkliste für die Ernte durch:
Der Mähdrescher ist gewartet, die Erntewagen sind vorbereitet, es gibt genug Ersatzteile wie Messer für das Schneidwerk, denn wenn der Mähdrescher während der Ernte ausfällt, dann bedeutet eine Minute Pause mindestens 10€ Verlust für den Betrieb.
Ihre Vorratskammer ist voll mit Essen und Snacks für die Arbeiter.
Es kommen Freunde zum Helfen und den Mähdrescher fahren ihr Mann und ihr Sohn.
Es ist alles bereit.
Claudia ist schon zurück auf dem Hof, sie öffnet die Haustür, da kommt ihr ihr Mann entgegen; er sagt: Mir geht’s gar nicht gut. Wir haben etwas nicht vertragen….“ Dann rennt der Mann zur Toilette und Claudia hört nur noch ein Würgen.
Hier ist eine große Ernte aber nur wenige Erntearbeiter
Matthäus 9,35-38; 10,1
Jesus zog durch alle Städte und Dörfer des Landes.
Er lehrte in ihren Synagogen
und verkündete die Gute Nachricht vom Himmelreich.
Dazu heilte er jede Krankheit und jedes Leiden.
Jesus sah die große Volksmenge
und bekam Mitleid mit den Menschen.
Denn sie waren erschöpft und hilflos –
wie Schafe, die keinen Hirten haben.
Deshalb sagte er zu seinen Jüngern:
»Hier ist eine große Ernte,
aber es gibt nur wenige Erntearbeiter.
Bittet also den Herrn dieser Ernte,
dass er Arbeiter auf sein Erntefeld schickt!«
Jesus rief seine zwölf Jünger zu sich
Er gab ihnen die Vollmacht, böse Geister auszutreiben
und jede Krankheit und jedes Leiden zu heilen.
Korrupt und mit sich selbst beschäftigt
Korrupt und mit sich selbst beschäftigt sind die Hirten, die Mächtigen, die Leiter und die Einflussreichen, die die eigentlich das Volk in Weisheit führen sollen.
Wie schlimm die Situation ist, das hat Jesus erfahren. Jesus war unterwegs im ganzen Land, er war bei den Menschen und hörte ihre Geschichten. Jesus wusste von ihren Albträumen und von ihren Zwängen; von den Ängsten, die sie nachts auf der Matte wach liegen ließen. Er sah, wie erschöpft die Menschen waren.
Jesus erzählte Ihnen vom Himmelreich, er erzählte die gute Nachricht, dass Gott die Menschen liebt.
Korrupt und mit sich selbst beschäftigt sind die Hirten, die Mächtigen, die Leiter und die Einflussreichen, die die eigentlich das Volk in Weisheit führen sollen.
Jesus sieht die Menschen; Jesus hört die Menschen und er sieht sie wirklich an. Jesus dreht es alles um; seine Gedärme ziehen sich zusammen; es ist dieser tiefe und dumpfe Schmerz, der ihn so ganz tief in seinem Inneren bewegt. Jesus ist tief und emotional bewegt. Und diese tiefe emotionale Bewegung treibt ihn an.
Und Jesus tritt auf, als der wahre Hirte;
Er sagt: Die Hirten des Volkes Israels führen das Volk nicht gut!
Hier geht es jetzt nicht, um eine antijudaistische Pointe;
es geht aber um den Konflikt im Matthäus-Evangelium, der schließlich auch beim Tod Jesu eine Rolle spielt. Nämlich wer sind- wer ist der wahre Hirte? Sind es die geistlich-politischen Führer des Volkes Israel zur Zeit der Zeitenwende oder ist es Jesus, der das Volk recht führt? Dieser Konflikt um Führungsanspruch führt im Matthäus-Evangelium zum Showdown vor dem Hohen Rat mit der Frage ob Jesus der Messias sei. Und dann vor Pilatus zu der Frage ob Jesus der König der Juden sei? Die Mächtigen bringen ihn ans Kreuz, weil sie es nicht ertragen, dass er ihre korrumpierte, verlogene Macht demaskiert.
Die Aufgaben der politischen, der geistlichen Führungselite ist es die Menschen wohl und weise zu leiten. Doch sie sind getrieben von eigenen Interessen, sie wollen mächtig sein, Kontrolle und Geld haben. Sie sind korrumpiert.
Oh wie gut kennen wir das, wenn wir auf Politiker, auf Konzernchefs und auch auf Mächtige Menschen in der Kirche schauen: Machtgier und Korruption.
Und Jesus dreht es seine Eingeweide um, sein Gedärm verdreht sich, wenn er es das sieht. Jesus reagiert ganz emotional auf die erschöpften, orientierungslosen Menschen vor ihm. Auf die Menschen vor denen so viele falsche und verlogene und korrupte Leiter, Führer und Hirten stehen.
Jesus sieht das im Matthäus-Evangelium und auch heute.
Und Jesus sagt: Ich bin der gute Hirte, ich setze mein Leben für euch Gotteskinder ein. Ich bin der gute Hirte ich achte auf euch.
Jesus ist der Hirte, der der allein die Menschen und die Welt in Weisheit führen kann.
Doch es gibt soviel zu tun. Die Ernte ist groß und wenn die Ernte reif ist, dann braucht es Arbeiter: innen.
Jesus beruft seine Jünger, Jesus beruft uns Menschen dazu Anteil zu haben an seinem Hirtenamt. Jesus stattet uns aus, damit wir Teil haben können an seinem Hirtenamt.
Jesus macht das nicht alleine. Jesu Verkündigung und das was Jesus macht und was die Jünger, was seine Gemeinde tun die sind ganz eng verbunden.
Matthäus 9,35-38; 10,1, 5-10
Jesus beruft Jünger und Jesus stattet seine Jünger aus
Jesus rief seine zwölf Jünger zu sich.
Er gab ihnen die Vollmacht, böse Geister auszutreiben
und jede Krankheit und jedes Leiden zu heilen.
Die zwölf Jünger sandte Jesus aus.
Er forderte sie auf:
»Nehmt keinen Weg, der zu den Heiden führt!
Und geht in keine Stadt, die den Samaritern gehört!
Geht stattdessen zu den verlorenen Schafen:
den Menschen, die zum Volk Israel gehören!
Geht zu ihnen und verkündet ihnen:
›Das Himmelreich kommt jetzt den Menschen nahe!‹
Macht Kranke gesund, weckt Tote auf,
befreit Menschen vom Aussatz, treibt Dämonen aus!
Als Geschenk habt ihr alles bekommen –
als Geschenk sollt ihr es weitergeben!
Steckt auch kein Geld in eure Gürtel –
weder Gold noch Silber noch Kupfermünzen!
Nehmt keine Vorratstasche für unterwegs mit,
kein zusätzliches Hemd, keine Sandalen
und keinen Wanderstock!
Denn wer arbeitet, hat ein Anrecht darauf,
versorgt zu werden.
Ist alles vorbereitet? Ausgestattet mit allem was wir brauchen
Vorbereitet sein ist alles. Für den Sommerurlaub gibt es oft noch viel zu erledigen. Eine lange Liste mit Kleinigkeiten, die vorher noch in der Drogerie gekauft werden müssen. Kleidung für die Freizeit, zum Schick-essen-Gehen, Sonnenmilch oder Regenschutz. Gut vorbereitet sein, ist beim Sommerurlaub eigentlich immer eine gute Idee.
Jesus sagt seinen Jüngern so ziemlich das Gegenteil. Eure Tasche soll nicht zu schwer werden.
Kein Geld, kein Gold, keine Münzen, keine extra Unterhosen, Schuhe oder extra Brotzeit.
Kontra-Intuitiv, nicht gut ausgerüstet, schickt Gott seine Jünger los.
Für den Urlaub bereiten wir uns vor, weil wir manchmal noch nicht genau wissen, wo wir hinkommen und wie das sein wird.
Jesus schickt seine Jünger, Jesus schickt uns los, um von seinem Himmelreich, von der guten Botschaft zu erzählen. Jesus sagt, ihr werdet alles bekommen was ihr braucht: Jesus schickt sie los in eine Welt, in der es immer genug von allem gibt. Ich schicke euch, daher könnt ihr mit leichtem Gepäck gehen, denn ihr wisst, der große Hirte Jesus schickt euch; er wird euch genug in dieser Welt vorbereitet haben.
Und Jesus, der große und gerechte Hirte, der wahre Hirte, der stattet seine Jünger, seine Gemeinde aus: mit der Vollmacht, für Kranke zu beten und sie gesund zu machen. Er stattet uns aus mit Kraft, Menschen von ihren Leiden zu befreien. Er stattet uns aus, mit den richtigen Worten, Gedichten und Liedern von Himmelreich zu erzählen. Er stattet uns aus mit Mut, die frohe Botschaft zu sagen, da wo sie noch keiner kennt.
Das zu tun, was Jesus getan hat, das ist der Auftrag der Jünger, das ist der Auftrag der Gemeinde und wir sind gut ausgestattet.
Im Matthäus- Evangelium schickt Jesus die Jünger erstmal zum Volk Israel. Dann später in Kapitel 28 steht der sog. Taufbefehl: Geht hin zu allen Völkern.
Jesus schickt die Jünger, schickt uns los. Er gibt uns Anteil an seiner Vollmacht, an seiner Hirtenaufgabe, er gibt uns seine Kraft und dann sagt er:
Ihr könnt ohne Packliste gehen, ohne Extra, denn ich schicke euch in meine Welt, da gibt es schon alles, was es braucht. Ihr seid ausgestattet mit allem, was ihr braucht. Erzählt den Menschen von Gott, von dem was ihr geschenkt bekommen habt und schenkt es so weiter.
Denn auch, wenn wir immer wieder von Kirchenschrumpfung hören. Jesus sagt: Ich schick‘ euch los und ich brauche euch. Erzählt von dem, was ihr geschenkt bekommen habt.
Amen
Veranstaltungskalender

Gemeindebüros

Adresse
Fliednerstr. 6
40489 Düsseldorf
Tel.: 0211 40 12 54
Adresse
Tersteegenplatz 1
40474 Düsseldorf
Tel.: 0211 43 41 66
Öffnungszeiten
Mo - Fr | 09:00 - 15:00 Uhr |
Di | 09:00 - 18:00 Uhr |
Öffnungszeiten
Di | 09:00 - 16:00 Uhr |
Mi u. Fr | 09:00 - 12:00 Uhr |
Spendenkonto
Ev. Kirchengemeinde Kaiserswerth-Tersteegen
DE38 3506 0190 1088 5230 39
.