Ewigkeitssonntag, 26.11.2023, Stadtkirche, Kantate BWV 106 und Offenbarung 22,20, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Ewigkeitssonntag - 26.XI.2023
„Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit“ (BWV 106 - sog. „Actus tragicus“) - Offenbarung 22,20
Liebe Gemeinde!
Seit ausdrücklich die Ewigkeit zum letzten Mal über einem Sonntag stand, ist nun ein Jahr, ein „Kirchenjahr“ vergangen.
Ein Jahr: Eine bestimmte, messbare Größe aus unseren Begriffen und Einheiten für das, was wir „Zeit“ nennen, … Einheiten und Begriffe, die am ehesten planetarisch, an der Bahn und Drehung der Erde um die Sonne und um ihre eigene Achse zu bestimmen sind. Von dort gewinnen wir die Einheiten der Monate und Tage, so wie der Schöpfungsbericht es schon einsetzt: „Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht. Sie seien Zeichen für Zeiten, Tage und Jahre“ (1.Mose1,14). Und von Gottes Ruhe nach dem Ersten in der Zeit Vollbrachten, vom Sabbattag her gewinnt die ganze un- und anti-religiöse Welt bis heute den Rhythmus der Woche.
12 Monate Zeit also, … 52 Wochen, … genau 371 Tage sind vergangen, seit wir zuletzt Ewigkeits-Sonntag gefeiert haben. Und von dieser Zeit, der rätselhaft Selbstverständlichen gilt, was Augustinus in nüchternster Wahrhaftigkeit formuliert hat: „Was ist also Zeit? Wenn mich niemand danach fragt, weiß ich es; will ich einem Fragenden es erklären, weiß ich es nicht.“[i]
Wir wissen nicht, was die Zeit ist.
Aber eines wissen Viele von uns heute. … Das vergangene Jahr, … ein Monat darin, … ein einziger Tag, … ja ein Sekundenbruchteil hat es sie gelehrt: Das Vergehen oder die Ausdehnung oder das kontinuierliche Bestehen der Zeit erschließt sich uns nicht bewusst. Aber wenn sie endet, dann zerreißt es unsere Gedankenlosigkeit! Der Moment, in dem das aufhört, was wir die Lebenszeit nennen, teilt unser Denken und Fühlen, unser Wahrnehmen und Verstehen in ein kristallklares Vorher und Danach.
Von den Jahren und Jahrzehnten, die uns verbanden, können wir nicht näher sagen, wie wir sie als solche, wie wir sie als „Zeit“ erlebt haben. Die Sekunde aber, die uns trennt, schafft scharf und deutlich eine Tatsache, die alles bestimmt, weil sie alles verändert.
Die Zeit wird für uns also am direktesten spürbar, sie wird sachlich fassbar und teilbar und wirksam durch eine Abwesenheit. Nicht angehäufte Zeit, nicht Zeit im Überfluss, sondern ihr Verlust macht sie kostbar.
… Zeit ist demnach keine Größe und sie hat keinen Wert an sich … und wenn sie noch so planetarisch, noch so kosmisch, noch so wissenschaftlich exakt bestimmt wäre. Zeit ist wirklich wertvoll erst dadurch, dass wir sie mit anderen teilen dürfen. … Zutiefst also, … zuerst und zuletzt ist Zeit eine menschliche, eine zwischenmenschliche, eine soziale Kategorie.
Die Felsen und Gesteine dieser Erde - die Geologie - , … die für uns gar nicht mehr vorstellbaren Kreisläufe einer vom Menschen unberührten Natur - die Biologie -, … das Knospen, Aufleuchten und Verblühen von Sternbildern und Himmelskörpern - die Astronomie -, und die takt- und gesetzgebenden Prozesse der Chemie und der Physik in alledem entfalten sich zwar und verlaufen in Jahrmillionen-Einheiten. … Doch diese Zeiträume berühren uns nicht. … Sie sind abstrakt.
Erst das kleine, vorübergehende, hinfällige Menschlein, das am Fuß der uralten Berge und im Licht der wiederkehrenden Konstellationen am Firmament und unter all den zyklischen Figuren des „Stirb und Werde“ sein einzigartiges, unwiederholbares, ganz persönliches Dasein fristet, … erst das siebzig- oder achtzig- oder gar neunzigjährige Menschenleben macht also, dass die Zeit real wird und teuer und wundervoll.
Das hat sich an allen von uns wiederholt, für die das letzte Kirchenjahr aus lauter gewöhnlichen Tagen ein ganz herausragendes Datum gebracht hat, … ein Todesdatum. Seit diesem Tag spüren wir, dass nicht die bloße allgemeine Dauer, sondern der bestimmte einzelne Mensch, … ein Mensch, um den wir heute trauern, für uns eine wirkliche Maß- und Sinneinheit des Daseins bedeutet.
Zeit ist Miteinander.
Das ist eine ganz zentrale Wahrheit: Zeit ist Miteinander.
Um diese Wahrheit in ihrer Tragweite ermessen zu können, müssen wir uns von Gott, vom biblisch bezeugten Gott erzählen lassen und davon wie Er es mit der Zeit hält.
Obwohl heute „Ewigkeitssonntag“ ist, müssen wir dabei aber als Erstes festhalten, dass der wahre, der lebendige Gott, Der, Den wir anbeten, weil Er die Geschichte Israels zu Seiner Geschichte und in Jesus Christus die Menschheit zu Seiner Natur gemacht hat, … Den wir also anbeten, weil Er uns in der Geschichte und in unserem eigenen Wesen nahekommt … wir müssen festhalten, dass dieser unser Gott nicht etwa nur der Ewige ist, … ein Wesen oberhalb und außerhalb der Zeit, wie der Gott der Philosophen.
… Nein. Gerade, wo Er der Ewige genannt wird, zeigt sich, dass Er Gemeinschaft mit denen sucht und stiftet und schenkt, die in der Zeit leben:
Zum ersten Mal wird Er „der ewige Gott“ genannt, als sein völlig einsamer erster Anhänger Abraham ein zwischenmenschliches Bündnis schließt: Als Abraham und der König Abimelech einander Frieden und Gemeinschaft schworen, da „rief Abraham den Namen des HERRN, des ewigen Gottes an“ (1.Mose21,33). Und bei Mose – wo Er am Ende von dessen Leben wieder als ewiger Gott begegnet – heißt es „Zuflucht ist bei dem alten Gott und unter den ewigen Armen“ (5.Mose 33,27): Gerade der Ewige ist also Schutz und Ziel der Sterblichen, weshalb wir im Psalm des Mose, den wir auf dem Friedhof sprechen, bekennen, dass Er, Der von Ewigkeit zu Ewigkeit ist die Sterbenden geradezu zärtlich zu sich ruft „Kommt wieder, Menschenkinder“ (vgl. Ps.90,2f)! Bei Jesaja dann wird in diesem Geist die abstrakte Ewigkeit tatsächlich in den elementar menschlichen Zusammenhang des Familiären gezogen: „Du, HERR, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von Ewigkeit her dein Name“ (Jes.63,16); und gekrönt wird diese innigste Verbindung des Überzeitlichen mit den Gegebenheiten der menschlichen Lebenszeit schließlich in der Weihnachtsverheißung des Propheten Micha (5,1f): Aus „Bethlehem …… soll mir der kommen, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist, … (wenn) die geboren hat, die gebären soll“.
Die Ewigkeit Gottes verhindert also nicht, dass Er der Gott des Miteinanders – des Miteinanders unter den Menschen und des Miteinanders zwischen Sich und den Menschen – ist.
Genau wie Jahrhundertmillionen und Sekundenmyriarden wird nämlich auch Gott erst wirklich und greifbar durch das Miteinander in der Zeit, … durch Erfahrungen des Zusammenhangs und der Zusammengehörigkeit von Ewigem und Sterblichen.
Zeit an sich ist demnach eine leere Vorstellung.
Und Gott an sich ist eine leere Behauptung.
Beide sind nur wirklich und wirksam in ihrer Gestalt als lebendiges Miteinander.
Von daher aber verstehen wir vielleicht auch richtig, was Sünde und Tod sind: Sie negieren jeweils das Entscheidende, … das Miteinander.
Der Tod zerreißt das Miteinander, in dem wir leben.
Die Sünde zerreißt das Miteinander, durch das und für das wir leben. ——————
… Und da kommt nun Der, Der unser einziger Trost im Leben und im Sterben ist, ins Spiel: Jesus, Der das Miteinander in Person ist.
Jesus, Der die Zeit erfüllt, indem Er den Ewigen in sie brachte.
Jesus, der die Sünde entmachtet hat, weil Er die Menschheit zurück zu Gott zieht.
Jesus, in dessen einzigartigem Tod der ganze Tod, … aller Tod am Leben scheiterte.
Jesus, in Dem Gott vom Menschen unzertrennlich ist.
Jesus, in Dem der immer-seiende und immer-bleibende Gott Geburt und Sterben erlebte, ohne dass das eine da erst die Anwesenheit und das andere schließlich die Abwesenheit brachte, weil die unlösliche Verbindung durch beides durchhielt, die unlösliche Verbindung Dessen, was im Ursprung war – des Wortes, das im Anfang war (vgl. Joh.1,1) – mit Dem, was unendlich bleiben wird – dem Wort Gottes, das da bleibt in Ewigkeit (vgl. Jes.40,8).
Sterbliches Geborenwerden und der Tod der Sterblichen: In Jesus sind sie nicht bloß die Eckdaten der Lebenszeit, sondern Sein Anfang erfüllt alle Zeit mit dem entscheidenden Miteinander und Sein Ausgang durchbricht die Grenze, um allem Miteinander die Endlosigkeit zu eröffnen. ———
Das also ist die „beste Zeit“, die Bachs Kantate besingt[ii]: Das in Jesus uns erreichende, durch nichts je endgültig aufzulösende Miteinander von Gott und Mensch, von Gegenwart und Ewigkeit, in dem wir leben … und in dem wir auch sterben.
An das Sterben darum zu denken, … an die alte Bestimmung[iii] zu denken, dass wir hier nicht Zeit an sich und auch nicht endlos Zeit haben, sondern bloß einstweilen begrenzte Dauer, die nur geteilt auch wertvoll ist, macht klug: So sahen wir am Anfang.
Denn nur, wenn wir in der endlichen Zeit schon das Geschenk zu schätzen vermögen, das in Gestalt lebendiger Verbundenheit von Verschiedenem – allem voran von Irdischem und Himmlischen – besteht, … nur dann können wir unser Haus bestellen – also versöhnt leben – und uns am Schluss auch Gott befehlen – also erlöst sterben –.
Tragisch ist dieser Akt des Glaubens also nicht, … dieser Akt unseres Glaubens: Jenes Glaubens, der über die Zeit hinausweist, gerade wenn uns ein Todestag in diesem Jahr gezeigt hat, wie wir durch unsere Verluste zu verstehen lernen, was wirklich unvergänglich ist.
Wenn der Tod eines geliebten Menschen seine teilende Wirkung entfaltet und das Davor vom Danach so schmerzlich unterscheidet, dann erfahren wir Christen ja eben nicht bloß dass Zeit wahrhaftig nur als eine Form von Gemeinschaft zu bestimmen ist, sondern dann geht uns tatsächlich fast unmittelbar und ohne dass wir es in Worte fassen könnten Gott auf, … dann geht uns Gott plötzlich ganz unmittelbar an:
Er, Der in Seiner Dreieinigkeit unlösliche Verbindung ist, Er kann und wird ja nicht zulassen, dass wir einander mit der Zeit und aus der Zeit verlieren. Gott kann nicht zulassen, dass wir endgültig von Abwesenheit bestimmt werden, dass Trennung und Vereinsamung das sind, was uns „schlußendlich“ - wie es so trostlos heißt - erwartet.
… Gott ist doch Gemeinschaft. Gemeinschaft auch mit uns zeitlichen, mit uns vergänglichen Menschen. Und darum will Er die Vergänglichkeit, die uns täuschenderweise das Wesen aller Zeit auszumachen scheint, durch deren tatsächliches Wesen - die Gemeinschaftlichkeit - überwinden.
Die Zeit der Abschiede, die Zeit als Scheidung geht also tatsächlich ihrem Ende entgegen, um das zu erreichen, um das durchzusetzen, was Gott selber war und ist und bleibt: Endloses Zusammensein.
Aus dieser doppelten Zielrichtung nun – dass das Zerbrechen vergeht und das Verbinden kommt, … dass die Spaltung aufhören und die Heilung bleiben soll, … dass das Leiden an der Sterblichkeit sich verflüchtigen wird, um die Freude des Lebens zu verewigen – … aus dieser doppelten Zielrichtung erklärt sich auch das christliche Doppelverhältnis zur Zeit: Es ist Bejahen ihres unaufhaltsamen Verfließens und gleichzeitig Vertrauen auf unerschütterliche Dauer.
Kurz ist die Spanne, die für das Erste bleibt; grenzenlos ist die Hoffnung auf das Andere.
Die Traurigen unter uns, … die Leidtragenden, … die Hinterbliebenen, … diejenigen, die sich nach Frieden sehnen in den Tagen brutaler Gewalt, … diejenigen, die an jeder Zukunft zweifeln oder verzweifeln in unserm Zeitalter unaufhaltsam wirkender Weltvernichtung: … Sie alle sollen das biblische Zeugnis von der Kürze und vom Verfliegen der Zeit hören, … die Verheißung, dass das Jetzige nicht bleibt.
Doch noch wichtiger ist die andere Botschaft: … Dass schon jetzt das Ewige begonnen hat. … Dass es nicht mehr fern und nicht mehr weit ist, sondern dass es in dem großen Wort vom „Heute im Paradies sein“ (vgl. Lk.23, 43) schon die offene Tür, schon die Verbindung mit dem gibt, was Gottes Wesen ist und was uns darum von allen Seiten umfängt und also auch bevorsteht und erwartet: Das Miteinander, … das ewige und damit also das kommende Leben. ——
Allen denen, die in diesem Jahr einen Todestag und seither das Fehlen des Miteianders und darum die Hoffnung darauf erfahren haben, will ich - „schlußendlich“ - nur ein ganz einfaches Wort dazu sagen.
Es ist das Wort, das unserer diesseitigen, rein physikalisch von der Zeit denkenden Zeit am schwersten … und am rettendsten zu hören ist.
Und weil es so schwer zu hören ist, ist es immer auch der schwerste Augenblick für mich auf dem Friedhof.
Ich könnte das Wort mit geschlossenen Augen ohne allen Zweifel, ohne jedes Zögern sprechen, … weil ich aber doch hinsehen will, weil ich doch sehenden Auges und darum eben auch überprüfbar und ansprechbar und also fraglich bleiben will für die, die mir dabei wiederum ins Gesicht blicken können, …. darum weiß ich genau, in welche Tiefen des Nichthören- und Nichtverstehen- und Nichtfassen- und Nichternstnehmen-Könnens ich oft dabei schaue und auf welche traurige Fremdheit ich stoße. …
… Das ist der eigentliche actus tragius, der mit dem Glauben bei unsern christlichen Beerdigungen verbunden ist, … dass das einfache liturgische Wort so schwer zu sagen und zu hören fällt, das in seiner Wahrheit und Klarheit doch so unvergleichlich, so einzigartig tröstet.
„Wir befehlen unseren Verstorbenen der Gnade Gottes und legen seinen Leib in Gottes Acker – Erde zur Erde, Asche zur Asche, Staub zum Staube – in der Hoffnung der Auferstehung zum ewigen Leben durch Christus Jesus, unsern Herrn.“ …………
Das ist das allesentscheidende Wort, in dem das Vergängliche und das, was war und kommt zueinander finden.
Die Hoffnung der Auferstehung zum ewigen Leben: Sie verknüpft die Zeit als Miteinander mit Gott als Miteinander in größter Einfachheit.
… Darauf warten wir, darauf trauen wir.
… Dass ist gewisslich wahr.
Und wenn es uns noch so schwer fällt, es so einfach zu sagen, zu hören, zu glauben.
Das ist die Erfüllung der Zeit, das ist die beste Zeit: Dass alles im Miteinander bestehen soll, weil Jesus Christus das Miteinander ebenso geschichtlich wie ewig verkörpert und dieses unser Ziel darum wirklich und ganz nahe ist.
Es ist gewisslich wahr.
Und wir brauchen und können nichts tun, als in dieser Gegenwart und Zukunft des Ewigen einfach einzustimmen: Amen, ja komm Herr Jesu!
Komm mit Deiner Fülle in die Zeit! Komm mit dem Leben Gottes in unseren Tod!
Komm mit Deiner Ewigkeit jetzt zu uns!
Amen.
[i] Augustinus, Confessiones – Bekenntnisse, Elftes Buch (14,17), lat. und dt, Eingel., übers. u. erläutert von Joseph Bernhart, München 41980, S.629.
[ii] Die beiden nächsten Abschnitte fassen die Sätze der Bach-Kantate zusammen, die in Teilen im Gottesdienst erklang.
[iii] In Anlehnung an die heute sinnvollerweise gebrauchte, weil weitaus weniger antijudaistisch stereotyp missverständliche Übersetzung der Stelle in Jesus Sirach 14,17 auf die sich Bachs Text vom „alten Bund: Mensch, du musst sterben“ bezieht: „Es gilt der ewige Beschluss: Du musst sterben“. Jesus Sirach kommt hier dem Prediger Salomo nahe in seiner das ewige Leben betreffenden Skepsis, die zu einer hedonistischen Schlußfolgerung – „Carpe diem!“ – führt.
Ewigkeitssonntag, 26.11.2023, Dan. 12,1-3, Mutterhauskirche, Ulrike Heimann
Liebe Schwestern und Brüder,
der heutige Sonntag ist der letzte Sonntag in diesem Kirchenjahr. Mit ihm schließt ein Jahr ab, das für viele persönlich schwierige und traurige Zeiten gebracht hat, Abschiede und Trennungen, Verluste, die schmerzen. Mancher Tod mag wie eine Erlösung gekommen sein. Aber mancher kam viel zu früh. Und alle führen sie Dunkelheit mit sich. Wie mit dem Tod umgehen, wohin mit der Trauer, mit der Erfahrung von Ohnmacht angesichts des Todes eines lieben Menschen? Ja, und nicht nur angesichts des Todes uns nahestehender Menschen, sondern auch – gerade in diesem Jahr - angesichts des vielfachen gewaltsamen und unzeitigen Todes in Israel, im Gazastreifen, in der Ukraine? Haben Tod und Gewalt das Heft des Handelns in der Hand? Ist das die „Zeitenwende“, die im Februar 2022 im Bundestag konstatiert wurde?
Ich bin in diesem Jahr dankbar dafür, dass der heutige Sonntag drei Namen hat, uns unter drei Vorzeichen einlädt, über das Leben und den Tod und unsere Zeit nachzudenken: Totensonntag, Ewigkeitssonntag und Sonntag vom Jüngsten Gericht. Es gibt nämlich keine einfache Antwort auf die uns bedrängenden Fragen, sei es im persönlichen Leben und Erleben oder mit Blick auf die gesellschaftliche und weltpolitische Lage.
Totensonntag – Ewigkeitssonntag – Sonntag vom Jüngsten Gericht.
Der Predigttext, der für heute vorgeschlagen ist, nimmt uns für diesen Drei-Schritt an die Hand. Ein Text aus dem Ersten Testament, aus dem Buch des Sehers Daniel, das eine große Nähe hat zu dem Buch der Offenbarung des Johannes.
Ich lese Dan.12,1-3 aus einer jüdischen Übersetzung:
„Und in dieser Zeit wird auftreten Michael, der große Engelfürst, der für dein Volk dasteht. Und es wird eine Zeit der Not sein, wie es sie nicht gab, seit es Völker gibt, bis zu jener Zeit. In jener Zeit wird dein Volk gerettet werden, alle, die ins Buch eingetragen gefunden werden.
Und viele, die im Erdboden schlafen, werden erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schande, zu ewigem Abscheu.
Aber die Verständigen werden glänzen wie der Glanz des Himmels, und die, welche viele zur Gerechtigkeit führten, wie die Sterne, immer und ewig.“
Das Buch Daniel markiert für die jüdische Religion in gewisser Hinsicht eine Zeitenwende. Bis dahin war der Glaube Israels rein diesseitsbezogen. Israels Gott war ein Gott der Lebenden; darin unterschied sich die jüdische Religion fundamental von der ägyptischen Religion, für die der Glaube an ein Leben nach dem Tod bestimmend war. Als Beispiel für diese Diesseitigkeit mag der folgende Vers aus Jes. 38,18f stehen: „Die Toten loben dich nicht, und der Tod rühmt dich nicht, die in die Grube fahren, warten nicht auf deine Treue, sondern allein, die da leben, loben dich so wie ich heute.“
Man stand mit Gott in der Zeitspanne zwischen Geburt und Tod in Beziehung; wenn man starb, versammelte man sich im Totenreich, in der Scheol, ein Reich ewigen Schweigens.
Im zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung änderte sich dieser Glaube, er weitete sich. Israel erkannte: Gott ist größer. Er umfasst nicht nur Himmel und Erde, nicht nur die Lebenden stehen zu ihm in Beziehung, sondern auch die Verstorbenen, sein Wille ist verbindlich für alle Zeit. Himmel und Erde, Zeit und Ewigkeit, Lebende und Verstorbene – alles ist vor ihm gegenwärtig.
Wenn nun das Leben nicht einfach mit dem Tod aus ist, sondern wenn Gott und sein Wille über den Tod hinaus Geltung haben, dann hat das Folgen für das Leben vor dem Tod und nach dem Tod.
Diese Glaubensweitung erfolgte im 2. Jahrhundert v.u.Z. in einer Zeit großer Not für das jüdische Volk. Damals herrschte in der Levante Antiochos IV. Epiphanes. Dieser Machthaber will dem jüdischen Volk seine griechisch geprägte Denkweise aufzwingen. Er greift die frommen Jüdinnen und Juden im Herz ihres Glaubens an. Er betritt als Nichtjude den Tempel in Jerusalem. Und er treibt es noch ärger: Er weiht den Tempel dem griechischen Gott Zeus Olympios. Und er verbietet bei Todesstrafe die Beschneidung. Für viele Jüdinnen und Juden ist das Verrat an dem einen Gott Israels. Sie wehren sich, ein Aufstand bricht aus. Die Folge ist voraussehbar: viele Tote. Das Ende vom Lied: Tote und Fragen.
Gibt es keine Hoffnung auf ein Leben und Glauben in Freiheit, ohne Angst vor Gewalt? Was ist mit denen, die treu zu ihrem Glauben an den Gott Israels gestanden und dafür mit ihrem Leben bezahlt haben: zählt ihre Treue für Gott nicht? Ist ihr Tod umsonst? Viele sind verzweifelt, andere enttäuscht. Es sieht aus, als ob Gott alles kalt lässt.
Habe ich über die Zeit damals bei Daniel oder über unsere Zeit gesprochen?
Liebe Gemeinde, mich hat die Aktualität unseres Predigttextes wirklich elektrisiert. Es ist so: mein Glaube wird durch die gegenwärtigen Ereignisse – sei es in der Ukraine, sei es in Israel – und durch die ganzen Begleiterscheinungen weltweit – auf den Straßen, in den Medien, auf den politischen Foren - durchgeschüttelt. Bis dahin für mich unbezweifelbare Richtigkeiten wie die Slogans „Nie wieder Krieg“ und „Frieden schaffen ohne Waffen“ – sie haben sich für mich in Worthülsen ohne Überzeugungskraft verwandelt. Das schiere Ausmaß an Gewalt und Hass, an Lüge und Intrige, macht mich ratlos und ohnmächtig. So viele Tote, so viel Leiden auf allen Seiten und kein Ende in Sicht. Was soll werden? Es sind so wenige, die bei Verstand sind und das Sagen haben, die ein Gewissen haben und Menschlichkeit zeigen und dann auf entsprechende Resonanz stoßen.
„Es wird eine Zeit der Not sein, wie es sie nicht gab, seit es Völker gibt, bis zu jener Zeit.“
Daniels Gegenwartsanalyse könnte treffender nicht sein.
Gewaltherrschaft, Diktaturen, Propaganda, Hass und Lüge: sie haben immer Tote zur Folge, sie gehen über Leichen, wenn ihnen die Menschen nicht willfährig sind, sondern sich widersetzen. Eine Zeit der Not.
In diese Situation hinein spricht der Seher Daniel sein Zukunftswort. Er sieht weit hinaus, sieht, dass diese Zeit an ihr Ende kommt. Er setzt ein großes „Aber“ dagegen in Gestalt von Hoffnungsbildern, die den Blick weiten helfen, aus der Angststarre herausführen, der Verzweiflung Einhalt gebieten.
Die Zeit der Not, es ist nicht eine Zeit, in der Gott abwesend ist. Es ist vielmehr die Zeit, in der er sich neu als derjenige erweist, der sein Volk in die Freiheit führt, wie es bei Jesaja heißt: „Ich will heben und tragen und erretten.“ (Jes.46,4), Gott als Streiter für sein Volk. „In dieser Zeit wird auftreten Michael, der große Engelfürst, der für dein Volk dasteht.“ Daniel nimmt hier die in seiner Zeit gewachsene Vorstellung auf, dass jedes Volk einen Engel hat, der für es eintritt vor Gott und der es gegen Angreifer verteidigt. Die Konflikte sind niemals nur rein zwischenmenschlicher Art, sondern betreffen die ganze Wirklichkeit im Himmel wie auf Erden. Es ist ein Trostbild, das Daniel zeichnet: der Engelfürst Michael steht an Israels Seite. Der Seher Johannes hat dieses Trostbild knapp dreihundert Jahre später erweitert: da ist Michael der Streiter an der Seite all derer, die in der Nachfolge Jesu Verfolgung und Unterdrückung durch den römischen Staat erleiden. Woraus sich dann die Vorstellung entwickelte, dass jeder Mensch in seiner individuellen Not von seinem Schutzengel begleitet wird – „Ich will heben und tragen und erretten.“ Mögen Engel dich geleiten, heißt es in den Liedern der Totenmesse.
Das zweite Trost- und Hoffnungsbild ist das Vertrauen darauf, im Buch eingetragen zu sein, im Buch des Lebens. Eingetragen mit allem, was das Leben ausgemacht hat, alles Lieben und alles Leiden, alles Tun und Lassen, nichts fällt bei Gott unter den Tisch. Nach dem Tod herrscht nicht das große Schweigen, sondern alles kommt im Licht Gottes zur Sprache. Die furchtbare Not seines Volkes vor Augen kann Daniel nicht anders, als dieses Zur-Sprache-bringen im klaren Schwarz-Weiß-Schema aufzuzeigen: die einen, die Opfer der Gewalt, erwachen zum ewigen Leben, die anderen, die Gewalttäter, zur ewigen Schande. Am Ende steht das Gericht. Ich kann nach den Bildern, die im letzten Jahr aus Butscha kamen und in diesem Jahr aus Israel, aus den von der Hamas heimgesuchten Kibbuzim nur zu gut verstehen, dass Menschen in ihrer Verzweiflung Trost suchen in dem Gedanken, dass die Täter, die Mörder dafür bestraft werden, wenigstens am Ende der Zeit.
Ich glaube aber, dass Gottes Gedanken da andere sind als unsere, sein Gericht beurteilt sicher alles Tun und Lassen, alle Guttaten und alles böse Tun und auch alle Versäumnisse. Alles kommt zur Sprache, was in seinem Buch steht. Alles kommt ans Licht. Und dann, das ist meine Hoffnung, wird er zurechtbringen, zurechtweisen, heilen, was wir Menschen verbockt haben, wissentlich und unwissentlich. Sein Licht wird alles Dunkle hellmachen, seine Liebe alles heilmachen, läutern, verwandeln. Kein Mensch kommt an diesem Prozess am Ende der Zeiten, im Moment des Sterbens, des Todes, vorbei. Ein heilsamer und bestimmt auch in mancher Hinsicht schmerzhafter Prozess. Das kennen wir ja schon in diesem Leben: Selbsterkenntnis kann weh tun. Natürlich sollten wir es Gott durch unser Tun und Lassen in diesem Leben damit nicht unnötig schwer machen. Er hat uns diese Zeit geschenkt, um seinem Wesen gemäß zu leben und zu wirken:
Und sein Wesen ist Gerechtigkeit, Barmherzigkeit, Güte und Wahrheit. Diese göttlichen Werte hochzuhalten und ihnen nachzuleben, darauf kommt es an. So kann jeder Mensch zu einem Hoffnungszeichen in dieser notvollen Zeit und Welt werden, Orientierung schenken in den Sprachgewittern voller Hass und Lüge, die die Gehirne und Herzen der Menschen fluten und immer mehr Leid und Tod bringen. Lebendige Hoffnungszeichen über unseren leiblichen Tod hinaus können wir werden, die daran erinnern, dass es sich lohnt, auf die Liebe zu setzen und nicht auf den Hass, der Gerechtigkeit zu dienen und nicht die eigenen Interessen durchzudrücken, auf Ausgleich und Freundlichkeit zu setzen und allen Gutes zu gönnen. Das ist das, was wir tun können, das meint der Seher Daniel, wenn er schreibt:
„Aber die Verständigen werden glänzen wie der Glanz des Himmels, und die, welche viele zur Gerechtigkeit führten, wie die Sterne, immer und ewig.“
Das zeigen uns auch alle diejenigen, an deren Gräber wir in diesen Tagen stehen und die wir schmerzlich vermissen. In unseren Erinnerungen leuchten sie wie helle Sterne in der Dunkelheit aller Trauer gerade da auf, wo sie uns in ihrer Lebenszeit Liebe und Güte erwiesen haben; und wo sie uns Beispiele gegeben haben, wie wir selbst Liebe und Güte leben können.
„Aber die Verständigen werden glänzen wie der Glanz des Himmels, und die, welche viele zur Gerechtigkeit führten, wie die Sterne, immer und ewig.“
Mögen uns immer wieder solche Sternenlichter am Himmel der Erinnerungen aufleuchten und uns in der Dunkelheit unserer Traurigkeit trösten.
Amen.
22.So. n. Trin., 05.11.2023, Stadtkirche, 1.Johannes 2, 12 - 14, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth 22.n.Trin. – 5XI.2023
1.Johannes 2, 12-14
Ein Zettel:
Liebe Kinder, Ich habe euch Kindern geschrieben;
ich schreibe euch, denn ihr habt den Vater erkannt.
dass euch die Sünden vergeben sind
um seines Namens willen.
Ich schreibe euch Vätern; Ich habe euch Vätern geschrieben;
denn ihr habt den erkannt, denn ihr habt den erkannt,
der von Anfang an ist. der von Anfang an ist.
Ich schreibe euch Ich habe euch jungen Männern
jungen Männern; geschrieben; denn ihr seid stark,
denn ihr habt den Bösen überwunden. und das Wort Gottes bleibt in euch,
und ihr habt den Bösen überwunden.
(1.Johannes 2,12f) (1.Johannes 2,14)
Liebe Gemeinde!
Ausgerechnet in den grausamen Auflösungserscheinungen dieser Zeit, in der die Welt, die wir kennen, zerfällt und die Werte, deren Sicherheit wir zu teilen meinten, verfallen und alles Plan- und Lenkbare dem unbeherrschbaren Zucken und Wetterleuchten des Zufalls weicht, … ausgerechnet in diesem Pandämonium und Wirrwarr fliegt uns ein rätselhaftes Zettelchen zu:
Ein Zettelchen, das wie eine Stilübung wirkt, als habe ein Dichter mit Thema und Variation gespielt.
Oder als sei einer in einer Nervenheilanstalt eingesperrt und müsse sich was von der Seele schreiben und finde den genauen Ausdruck nicht.
Oder womöglich ist es nur ein roher Entwurf, eine Notiz dessen, was auf die eine oder andere Weise formuliert werden müsste.
Wie ein klassisch strenges Schema oder wie eine kranke Qual oder wie einen kreativen Versuch kann man diese kuriosen drei Verse aus dem 1. Johannesbrief ja wirklich lesen: Sie äffen einander so auffällig nach, … sie entsprechen einander so identisch/nicht-identisch wie Körper und Schatten, … sie spielen so unlogisch mit einer Wiederholung, die keinen direkt erkennbaren Gedankenfortschritt bringt, dass man das Zettelchen beiseitelegen möchte.
… Uns beschäftigt Schwereres und Schlimmeres als so ein Stückchen Schmierpapier oder eine solche unausgereifte Gedankenzelle, die ein gemütskranker Robert Schumann, ein zwischen Wahnsinn und Prophetie schwankender Hölderlin zu Papier gebracht haben könnten. …….
Hören wir lieber den kompromisslos klaren und inzwischen mutig zu nennenden Worten Robert Habecks zu[i], dessen Videoansprache aus der letzten Woche die FAZ, die einem grünen Wirtschaftsministers keine reflexhaften Jubelovationen schuldet, rhetorisch und moralisch in eine Reihe mit der „I have a dream“-Rede von Martin Luther King stellte[ii].
Oder lesen wir die reizvolle, spielerische Dankesrede von Salman Rushdie bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels … das Märchen vom „Mann, der den Frieden als Preis erhielt“[iii].
Oder versuchen wir selber, unsere widersprüchlichen und ambivalenten Gedanken zu ordnen, in einer Zeit, in der jeder Mensch, der biblische Muttermilch getrunken hat, um Israel physisch leidet wie um einen geliebten Angehörigen in Todesgefahr … und in der gleichzeitig jeder Mensch, der biblisches Schwarzbrot kaut, fast erstickt an der Härte, an der Schuld, die Israels Überlebenskampf begleiten.
Warum soll uns der beinah sinnlos erscheinende Briefabschnitt beschäftigen, der heute hereingeflattert kam: … Zeugnis einer Monomanie … oder einer beginnenden Demenz … oder eines poetischen Verdichtungsverfahrens, das uns nichts sagt? …….
… Gut möglich, dass die Frage schon die Antwort enthält:
Ja, der kleine da-capo-Abschnitt im Brief des Apostels und Evangelisten Johannes ist tatsächlich kunstvoll geformt wie Poesie, die ja auch von Motiven klanglicher Wiederkehr und vom bildlichen Umkreisen lebt. Der Apostel, der hier den 3 Lebensaltern - Kindheit, Jugend, Reife - eine Art konzentriertesten Vermächtnisses seiner lebenslangen Jüngerschaft und Verkündigung schreibt, hat sich künstlerisch gemüht. Das Motiv, das am meisten aufhorchen lässt und die beinah gleichlautenden Kurzsätze am klarsten gliedert, ist die zeitliche Form des entscheidenden Verbs: γράφω, γράφω, γράφω / ἔγραψα, ἔγραψα, ἔγραψα … „ich schreibe, schreibe, schreibe / und schrieb, schrieb, schrieb“.
Hier zieht tatsächlich einer das Fazit.
Einer, der sich immer noch im Hier und Jetzt, im Präsens weiß, dessen Heute aber mit seinem Gestern so stimmig, so übereinstimmend verknüpft ist, dass die gestrige und die gegenwärtige Botschaft zu einem reinen Zusammen-klang verschmelzen, zu völliger Harmonie.
Wenn Welt uns also chaotisch, misstönend, dissonant im Ohr liegt mit ihrem Pandämonium von Hassgebrüll und Hilfeschreien, von Blutgeheul und Opfertränen, von Waffenlärm und Friedhofsklage, … ist’s dann nicht gerade wunderbar, ein Briefchen von Jesu liebstem Freund zu empfangen, das nicht schärfsten Wahrnehmungsschmerz auslöst, sondern trotz allem, was uns verstören kann, uns hören lässt, was stimmt?!
Dass es stimmt, wie es von Anfang an, seit der Fleischwerdung des Wortes und der Offenbarung des Vaters in ihm und der Erhöhung des Gekreuzigten in die Einheit mit Gott stimmte: Es gibt in Jesus Christus Vergebung aller Schuld und Sieg über alles Böse!
Das stimmt, und Johannes hat es in seinem schönen, gefällig variierten, in sich aber bruchlos geschlossenen Lied vom Immergültigen schlicht und unvergesslich ausgedrückt: Ich schreibe und ich schrieb, dass ihr Kleinen und Jungen und Alten leben könnt, … wirklich leben könnt in der Kraft der Erkenntnis und der Wirklichkeit Gottes durch Sein Wort.
Tatsächlich also ist’s ein Kleinod, dieses kleine Gedicht des Evangelisten, dessen überirdisch großer Hymnus anfängt (Joh.1,1): „Im Anfang war das Wort.“
… Er schrieb’s und schreibt’s. Und wie wir’s hörten, dürfen wir’s hören, abermals und abermals, immer, immer wieder. Denn es stimmt. ——
Und auch das stimmt, dass hier eine Monomanie, eine völlige und ausschließliche Leidenschaft für ein einziges Kernthema vorherrscht: Johannes, der Zeuge und Dolmetscher der Selbstoffenbarung Jesu als des höchsten Botschafters und reinsten Beispiels des göttlichen Liebesgebotes (vgl. Joh.3,16 / 13,1+34f / 15,9f / 17,23 u.a.) ist von nichts anderem erfüllt, bewegt und überfließend, als dass sich die vollbrachte göttliche Liebe im Geliebt-Sein und Lieben-Können der Menschen ausbreite.
Von dieser tiefsten, höchsten Erfahrung der Übereinstimmung – der völligen Einheit das Vaters und des Sohnes, der völligen Einigkeit der Gemeinschaft Jesu und der Seinen in der Welt (vgl.Joh.17, 21!) – ist alles gefärbt und getönt, was Johannes sagt. … Nichts als diese Harmonie spricht aus seinem Ansatz, das gleiche Einfache gleich zweifach zu sagen:
Dass alle, alle als Kinder mit dem Vater versöhnt sind, … dass alle, alle als erwachsene Menschen im göttlichen Ursprung gegründet sind … und dass sie alle in den Zerrissenheiten der je eigenen Entwicklung den spaltenden Feind, den Bösen doch durch ihren Frieden mit Gott und untereinander überwunden haben.
Sein Grundthema menschlichen Gleichklangs mit Gott in sämtlichen Lagen des Lebens entfaltet Johannes aber nicht zufällig zwiefach.
Im Gegenteil: Die Form wird hier zum Träger des Inhalts. Das im Präsens Gesagte haftet in dem, was in der Vergangenheitsform gesagt wurde. Im jetzt Gegenwärtigen spiegelt sich das früher Festgehaltene. Das Eine und das Andere ergeben im sie verbindenden Zusammenlaut das Ganze.
Diese bestärkende und bestätigende Doppelungsfigur ist dabei keinesfalls eine Erfindung des Johannes, sondern eins der ehrwürdigsten und charakteristischsten Gesetze des gehobenen, des schönen Sprechens, der Dichtung, des Gesanges, des Gebetes in der hebräischen Sprache. Sie liebt, ja sie atmet solche Wiederholungen. Das Stilmittel heißt Parallelimus membrorum - Gleichführung der Glieder also - und wird überall, im Kleinen wie im Großen gebraucht, um einen Gedanken, eine Aussage, eine Erkenntnis auf zwei Beine zu stellen. Um unter Tausenden nur ein tief vertrautes Beispiel zu wählen, erinnern wir uns an Psalm 103:
„Lobe den HERRN meine Seele und was in mir ist Seinen heiligen Namen;
// lobe den HERRN meine Seele und vergiß nicht, was Er dir Gutes getan hat. …¶
Der dir alle deine Sünden vergibt
// und heilet alle deine Gebrechen. …¶
Barmherzig und gnädig ist der HERR,
// geduldig und von großer Güte. …¶
Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden
// und vergilt uns nicht nach unsrer Missetat.
So hoch der Himmel ist über der Erde, läßt Er Seine Gnade walten über denen, die Ihn fürchten,
// und so ferne der Morgen ist vom Abend lässt er unsere Übertretungen von uns sein. …¶
Lobet den HERRN, alle Seine Heerscharen, Seine Diener, die ihr Seinen Willen tut!
// Lobet den HERRN alle Seine Werke an allen Orten Seiner Herrschaft! ¶“
Die überall begegnende, ganz biblische Neigung zum Sagen und Wiederholen ist ihrerseits aber doch wohl eine Gestalt der Menschenfreundlichkeit des Wortes Gottes. Nicht nur, weil doppelt besser hält, sondern weil der Mensch ein paarig angelegtes Wesen ist: Seine rechte und seine linke Hand füllt Gott mit Seinen Gnaden, … die eine wie die andere Herzkammer durchspült der Strom Seiner Mitteilung, … in beiden Hälften des Hirns flammt die Leuchtschrift der Geistesblitze, … wird der eine seiner Füße von der Weisung des Heils auf den Weg des Friedens gelenkt, so auch der andere, Schritt für Schritt.
Gott spricht uns ganzheitlich an und darum zwiefach.
Nun mag die Welt für uns zu wirr und undurchdringlich sein in ihrer Überlagerung von Bedrohlichem und Schreckensnachrichten, die wir darum nicht mehr an uns kommen lassen und zu Herzen nehmen wollen. … Doch diese Verwirrung durch das multiple, pluriforme, polyzentrische Unheil wird gerade von der einfach zweimal gesagten Heilsbotschaft in ihrer konzentrierten Kürze mehr als aufgewogen. Das eine Anliegen des Johannes – dass Mensch und Gott nicht in ihrer Feindschaft, sondern in ihrer Einheit verwirklicht sind, …. dieses eine Anliegen wird auf dem zweiteiligen Zettelchen greifbar: Zwei sind eins!
Nicht mehr, nicht weniger. ———
Kämen wir also noch zum dritten möglichen Einwand gegen die magere kleine Notiz, die uns heute hier auf der Kanzel liegt. Dieser Einwand ist wirklich „der Letzte“ im umgangssprachlichen Sinn, aber auch ihn greifen wir auf. In der boshaft als fahrig zu deutenden Art dieses repetitiven Gestammels könnte sich schließlich ja die Hilflosigkeit eines Entwurfes zeigen, der nicht vom Fleck kommt. … Womöglich hat er schlicht den roten Faden verloren, wenn er sich so unmittelbar wiederholt, der tatterige Apostel? … Womöglich fällt dem Johannes einfach nicht mehr ein, worauf er hinauswollte? Ist das also bloß senile Gedankenführung … oder vielmehr der Verlust der Gedankenbeherrschung? Ist das ein neutestamentliches Präludium des bitteren Endes, das so viele von uns heut erwartet, … ein antikes Zeugnis der Demenz?
… Warum in aller Welt denn nicht? Wenn das Wort Fleisch wurde und in Brot und Wein und Geist und Glaube auch in Fleisch und Blut der Seinen übergeht, wer sagt uns dann, dass der Logos Gottes nicht auch in’s Reich der Vergesslichen, in die Bruderschaft und Schwesternschaft der langsam nicht mehr Orientierten hineinreichen könne? Wer sagt uns, dass der Logos Gottes - Sein Licht und Seine Wahrheit – nicht gerade auch ins Dunkel und die Rätselhaftigkeit des Alters einkehren kann? Wer sagt, dass das Land Alzheimer nicht ebenso den Stall, die Krippe und die Windeln des menschgewordenen Gottes bietet, wie das Reich der wonnigen Kindheit?
Gott ist – trotz seines brutal verkürzten irdischen Lebens vor der Auferstehung – nicht exklusiv nur Säugling oder Jüngling geworden, sondern genauso in die Wirklichkeit des langzeiterkrankten, des querschnittsgelähmten, des multimorbiden Menschenkindes gekommen, in die Qual der ALS-, der locked-in- und Wachkoma-Patientin und in das Dämmerlicht der Greisin und des Greises an ihrem Lebensabend.
Den Kindern, den jungen Leuten und den patriarchalen Jahrgängen schreibt der Apostel ja ganz ausdrücklich und bewusst sein sprödes, nicht weiter mehr zu reduzierendes Extrakt des Evangeliums. Gleichzeitig also wendet er sich an die putzmunteren, die kraftstrotzenden und die verantwortungsgebeutelten Lebensphasen.
… Und selber ist er einer der Ältesten, ein vielfach geprüfter Augen- und Ohren- und Leidens- und Glaubenszeuge dessen, was am Anfang war, des Wunders, das in einem Wort, in einem Namen zusammenzufassen ist. „Fragst du, wer der ist?“ (vgl. EG 362) … „Ein Wörtlein“ …. „Das Wort sie sollen lassen stahn“ …….
Wie alt er ist, der Zeuge, der Märtyrer Johannes am Ende seines jahrzehntelangen Dienstes für „Jesus Christus, den Herrn Zebaoth“ (ebd.) … durch Predigt und Mission, durch Verurteilung und Verbannung, durch apokalyptische und evangelistische und epistolarische Schreibarbeit. … Alt ist er und müde.
… Und tatsächlich! Die kirchliche Tradition weiß von ihm, dass er wahrhaftig den Faden verlor, die herrlichen, geheimnisvollen und hymnischen Möglichkeiten seines lebenslangen Werbens für Jesus Christus einbüßte und am Ende bloß einfältig und monoton wieder und wieder und wieder das Gleiche ausrief, wie wir es bei vielen Menschen erleben, deren Geist die Bedingungen und Konventionen unserer Ratio hinter sich gelassen hat.
Zuletzt soll er altersschwach auf einer Liege unter die Gläubigen von Ephesus hineingetragen und bestaunt worden sein wie ein Relikt, .., ein Relikt aus dem Morgenrot der Erlösung, das unermüdlich – mechanisch? inspiriert? - immer nur den einen Satz wiederholte: „Meine teuren Kinder, liebt euch untereinander!“[iv]
Irgendwann bevor es so weit war, hat er den kleinen Zettel für uns verfasst, … das schlicht wirkende und dabei so unüberbietbare Lied vom Bleibenden, … das zweiteilige Bild der zu Einem versöhnten Wirklichkeit: Wenn wir Gott kennen und Ihm verbunden sind und aus Seiner Vergebung leben, dann werden wir den Bösen überwinden. Dann wird alles gut sein.
Und das stimmt.
Das ist das Ganze.
Nichts anderes und gar nichts mehr brauchen wir im Verfall und im Zerfall und im Zufall dieser Zeit.
Nur dieses, … kurz, … eindringlich, … immer und ewig gültig. ——
Darum gebe Gott, dass wir das - und nur das - halten und behalten, was immer sonst wir auch vergessen und aufgeben werden.
Gott mache in solchem einfachen Glauben unser Ende wie unsern Anfang, … Er mache in Seiner Gnade aus diesem Glauben unsere Schwäche wie unsere Kraft.
Er lasse uns hellwach und todmüde bei diesem Einen bleiben. Von Kindesbeinen bis ins Alter: Ihn zu erkennen und in Ihm den Frieden zu haben, der das Leben ist.
Amen.
[i] https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Videos/2023-some/231101-israel-und-antisemitismus/video.html
[ii] So Jürgen Kaube unter der Überschrift „Kein Mitgefühl mit den Tätern“ in der FAZ vom 02.11.2023 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/robert-habeck-warum-seine-videobotschaft-neue-massstaebe-setzt-19286643.html
[iii] https://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/alle-preistraeger-seit-1950/2020-2029/salman-rushdie
[iv] Diese im Galater-Kommentar des Hieronymus bezeugte Erinnerung an den altersschwachen Lieblingsjünger ist im katholischen Stundenbuch sogar die sechste der liturgischen Lesungen zur Matutin am Tag des Evangelisten, dem 27.Dezember … sie hat also offizielle Dignität als Gegenstand der Meditation. Der entsprechende Passus lautet im Original (zitiert nach Breviarium Romanum ex decreto SS.Conciliii Tridentini restitutum usw.– Pars Hiemalis, Regensburg 1954, S.352): „Beatus Joannes Evangelista … nec posset in plura vocem verba contexere; nihil aliud per singulas solebat proferre collectas, nisi hoc: Filioli, diligite alterutrum.“ Und als es den Hörenden schlicht zu viel wurde, beharrte er trotzdem darauf: „Tandem discipuli et fratres, qui aderant, tædio affecti quod eadem semper audirent, dixerunt: Magister, quare semper hoc loqueris? Qui respondit Joanne sententiam: Quia præceptum Domini est; et, si solum fiat, sufficit.”
Reformationstag, 31.10.2023, Stadtkirche, Matthäus 5, 1 - 12, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Reformationstag[i] - 31.X.2023
Matthäus 5, 1-12
Liebe Gemeinde!
Zwei Buchstaben will ich heute abklopfen ……., nicht mehr als nur zwei Buchstaben: Aber solche, die es schwer haben und wirklich nicht in die Zeit passen.
Unsere Zeit war sich vor Kurzem noch sicher, sie sei eine Zeit „post“: „Postmodern“ nannte sie sich ja mit Vorliebe vor einem Vierteljahrhundert, denn der Postkommunismus war doch eingetreten und die westliche Welt dachte postnational und die glitzernden Möglichkeiten der Digitalisierung ließen postindustrielle Wirtschaftsmodelle ahnen und man stellte sich auf eine vielleicht sogar postmaterialistische Kultur ein, in der vieles virtuell und manches auch einfach überflüssig werden würde.
Der große Traum von all diesem befreienden Danach ist geplatzt. Übriggeblieben ist dabei eigentlich bloß eine posttraumatische Zeit, die viele Schocks und viel Vergiftung ihrer Vergangenheit erst jetzt bemerkt und von therapeutisch bis brachial auf jeden Fall loswerden will. Manches von diesem Abschütteln und Abtun der Vergangenheit(en) schmückt sich zwar noch mit der einst verheißungsvollen Vorsilbe – besonders der „Postkolonialismus“ und die post-patriarchale Welt der unzähligen Rollen-, Geschlechts- und Lebensentwürfe –, aber im Wesentlichen ist alles Alte und Gewesene so in Acht und Bann getan, dass man seiner kaum noch bewusst gedenkt, ihm nichts dankt und dieses alles – die Welt, aus der wir kommen, die Wurzeln, die uns tragen – schlicht mit Schweigen und von Jahr zu Jahr zunehmender Ignoranz dem Orkus überantwortet.
Wenn irgendetwas uns Heutige noch ausmacht, dann jedenfalls nicht das, was früher war – wir sehen uns nicht mehr als „post“! –, sondern etwas, das wir so tief abgestoßen, so vergraben haben, dass es völlig unter uns und unserer Würde ist: Wir sind weit darüber…. Wir sind also „meta“: „Willkommen im Metaversum.“ … Das ist die Welt, in der nichts wirklich Gewesenes mehr gilt und in der nichts als das Künstliche noch intelligent sein wird.
Wir spüren vielleicht, dass wir selbst dann also nur noch leer und unbefestigt sein können: Kein Woher, kein Wozu macht in der Welt über der wirklichen Geschichte und den menschlichen Grenzen dann ja noch den Menschen aus: Vielmehr wird er zur eindimensionalen Fläche, in der sich nichts ansammeln kann und nichts entsteht, weil sie bloß wie ein Bildschirm wiedergeben kann, was eine andere Instanz codiert und transmittiert. ——
Und da komme ich, … nein, da kommt dieser Tag, der auf einen kleinen Abendgottesdienst zusammengeschrumpft ist, mit den zwei Buchstaben daher, die ein ganzes provokantes Programm enthalten: Es handelt sich um die Vorsilbe, die den Ereignissen vor fünfhundert Jahren und den nach diesen Ereignissen benannten Kirchen ihre eigentliche Prägung gibt … auch wenn das kaum noch bedacht und noch seltener bejaht wird. Ich rede vom „R“ und vom „E“ – nicht als Bezeichnung der bummeligsten und reizlosesten Form der Fortbewegung, sondern als der klaren Absichtsvorgabe der wahrhaftig dynamischen Bewegung zur Wiederherstellung der Kirche vor fünfhundert Jahren.
Re-Formation sollte es sein: Eine Wieder-Formung, eine Wiederannäherung, eine Wiederherstellung, eine Wiederinstandsetzung der Kirche und ihres liturgischen und praktischen Lebens, ihres gemeinschaftlichen Ethos und v.a. ihres biblisch fundierten, christozentrischen und aus Herzens- und Gewissensfreiheit angenommenen Glaubens und Bekenntnisses.
Es sollte wieder gewollt und wieder gelebt, wieder verstanden und wieder gefeiert werden, was Gott in aller Frische und allem Ernst nicht nur einst, sondern immer zu sagen, zu verheißen, zu gebieten hat in Seinem Wort, das lebendig und scharf ist (vgl. Heb.4,12) und gnädig und menschennah (vgl.5.Mose 30,14), ja, das selber für uns Mensch geworden ist (vgl. Joh1,14). Und das Hören aufs Wort, das Hängen am Wort, das Trauen aufs teuerwerte Wort (vgl. 1.Tim1,15), das Festmachen daran, das Trotzen darauf und das Leben und Sterben in die Ewigkeit dieses Gotteswortes, dieses Jesus Christus hinein (vgl. Jes.40,8) … das sollte wieder tragender Grund und heilige Mitte, sakramentale Fülle und eschatologisches Ziel des Lebens der Kirche sein.
Die Idee, dass seit 1517 die Kirche andauernd beliebig anders gestaltet, ständig zeitgemäß, immer auf der nächsten Aufholjagd hinter Trend und Wahn her sein müsse, … dieses Zerrbild, dass mit Luther und Melanchthon, mit Bucer, Zwingli und Calvin ein unaufhaltsamer Neuerungsimperativ das Wesen des Protestantismus ausmache, ist ein fataler Irrtum.
Denn die zwei Buchstaben - „E“ und „R“ - funktionieren auch auf Deutsch: Eine ER-Neuerung ist nicht das Gleiche wie zwanghafte „Neuerungs“-Sucht. Er-Halten, Er-Holen, Er-Innern, Er-Klären und Er-Kennen bedeuten sämtlich eine Rückbeziehung, eine Re-Flektion. Sie haben alle mit der gemeinsamen Vorsilbe von Re-Formation und Re-Ligion zu tun: Rückbindung und Rückbesinnung sind es also, was wir heute feiern – nicht aus gewohnheitsseliger Nostalgie oder ewiggestrigem Traditionalismus, sondern weil niemand einen anderen Grund legen kann und darf, außer dem, der gelegt ist: Jesus Christus (1.Kor.3,11)!
Und damit sind wir nun wirklich am Grund, am Ursprung angekommen.
… Der uns heute ganz nah ist.
Es ist der heutige Predigttext, den wir bereits miteinander rezitiert haben, weil er kein bloßer Text, sondern eine Komposition ist – eine bewusst eindringliche Schöpfung fürs Gehör, fürs Gehirn und fürs Gefühl – … und das obendrein nach Art einer Deklaration, einer feierlich-öffentlichen Bekräftigung.
Dieser zu Sprache gewordene Akt, in dem sich eine Lebensgemeinschaft und deren Lebensform konstituieren, ist im doppelten Sinne Grund und Ursprung dessen, was wir heute feiern: Die Seligpreisungen sind seit mehr als einem Jahrtausend das Evangelium des Allerheiligentages, als dessen Vorabendfeier der Reformationstag historisch entstand und inhaltlich zu verstehen ist. Seit mehr als dreißig Generationen werden die Seligpreisungen also wirklich verstanden als Grund und Ursprung der „Gemeinschaft der Heiligen“, … der einen und ewigen Kirche, als deren lebendige Glieder hier und heute wir uns bekennen (vgl. Heidelberger Katechismus Fr.54 [EG S.1339]!).
Und zugleich sind die Seligpreisungen der unüberhörbar betonte und unvergesslich geformte Anfangsakkord der Botschaft Jesu im Neuen Testament, die biblische, die christologische Gründungsurkunde aller Jüngerschaft, allen evangeliumsgemäßen, allen evangelischen Lebens also.
Mit diesen drei mal drei Rufen der Ermutigung, des Zuspruchs, des Trostes, der klaren Maßstäbe, die in einem zehnten Jubelruf - dem Ruf des Himmelreiches - gipfeln, haben Jesus selbst und dann der Evangelist Matthäus und dann die Kirche, als sie das Neue Testament abschließend ordnete, eine ergreifende Parallele und bestärkende Echo-szene zum Ursprung des Volkes Israel und zu seinem Bund mit Gott geschaffen: Die Zehn Weisungen vom Sinai werden in ihrer prägnanten und universalen Gültigkeit ebenso prägnant und strahlend gespiegelt in den insgesamt zehn Lockrufen und Leitsätzen des nahegekommenen Himmelreiches, die auf dem Berg in Galiläa ergingen. ——
Wie aber ist die absichtliche und notwendige Parallele von Torah und Bergpredigt zu verstehen?
Die Zehn Worte der Heiligkeit, gegeben in Galiläa durch Christus, entsprechen den Zehn Worten der Gerechtigkeit, vermittelt durch Mose auf Sinai fundamental: Beide - Seligpreisungen und Dekalog - setzen von Gott her die Reflexe und Instinkte des Brutalismus und Egoismus außer Kraft, damit aber auch die Erfahrungen und Reaktionen der gottlosen, der widergöttlichen Menschennatur.
Das Menschentier ans sich will alles selber sehen, selber für sich sorgen, nach eigenem Gutdünken zum eigenen Nutzen handeln, es will sich selbst behaupten und verteidigen, es will seine eigenen Regeln und Ausnahmen davon bestimmen und es will nicht mehr oder weniger als das Eigene seiner Wünsche und Bedürfnisse durchsetzen.
Doch gegen die fixe Idee vom eigenen Urteil in Fragen von Gut und Böse stehen im Dekalog der heilige Name Gottes als Maßstab und in den Seligpreisungen die Reinheit des Herzens als Voraussetzung aller Erkenntnis.
Gegen die ängstliche Selbstsucht stehen der Segen der passiven Sabbatheiligung und die gepriesene Fähigkeit zum geistlichen Hunger nach der Gerechtigkeit Gottes.
Gegen die Beschränkung auf das Meinige heißt es am Sinai, dass uns der Neid seelisch mehr schadet, als materielle Güter uns je nützen können, und auf dem Berg hat der Herr die Menschen gerufen, sich selbst notfalls zu verlieren, wenn die Gerechtigkeit auf dem Spiel steht.
Gegen die Hybris der autonomen Gewalt steht auf den von Gott beschriebenen steinernen Tafeln die Einbindung jedes Menschen in eine väterliche und mütterliche Ordnung und die Lehre der Friedfertigen.
Gegen die Rache stehen das Tötungsverbot und die Seligpreisung der Opfer, die Leid tragen müssen und können.
Gegen die ungezügelte Ökonomie der Begierde und Befriedigung stehen der Schutz der Ehe und die Ethik der Barmherzigkeit.
Gegen die Schamlosigkeit der teuflischen Lügentendenz richtet sich das Verbot des falschen Zeugnisses und wirkt die Verheißung unserer Gemeinschaft mit dem Geschick der Propheten und aller anderen Wahrheitszeugen.
Gegen all unsere Verführbarkeit stärken das Bilderverbot und der Jubelruf über die unvorstellbare Erwartung des Himmelreichs, die wir uns nicht verdienen müssen, die uns aber auch niemand nehmen kann.
Gegen die menschliche Perversion, alles wie selbstverständlich bloß auf sich zu beziehen, richtet sich das Raubverbot und der Glückwunsch an die Sanftmütigen, die Demütigen, die sich nicht zwanghaft stets an erster oder zweiter Stelle wähnen, weil sie in gelassener Niedrigkeit die Nähe und Treue des wirklichen Segens erfahren.
Und allen Götzendienst – am Ich, an der Macht, an der Angst – macht das strahlende Erste Gebot überflüssig: Dass Er, der Lebendige unser Gott ist, Der Israel und allen Versklavten Freiheit eröffnet. … Wer braucht da noch die vielen, die fremden, die selbstgemachten Götzen oder die Selbstvergötzung? - „Selig sind, die da geistlich arm sind, denn ihrer ist das Himmelreich“! ——
Das ist die Magna Charta, das Grundrecht, die Lebensordnung im Bund mit Gott, die am Sinai und in der Bergpredigt der Welt verkündet werden.
Dieses Gottesrecht, diese Heiligkeitsethik sind nun aber wahrhaftig weder unerfüllbar und abstrakt, noch Ausdruck einer übersteigerten, elitären Werkgerechtigkeit – wie ein höchst problematisches, geradezu verhängnisvolles Interpretationsmuster der Reformatoren es zu verstehen gab –, sondern sie sind lebensfördernd, ja lebensnotwendig!
… Das zeigt der Blick auf unsere Zeit schmerzhaft direkt:
Wenn wir die Gebote Gottes, wenn wir die in seiner Nachfolge uns aufgetragene heilige und heilende Gerechtigkeit der Königsherrschaft Jesu Christi nicht üben, dann vergeht die Kirche und mit ihr die Welt in den Kämpfen, in den sadistischen Strudeln der Sünde, die so urwüchsig und allgegenwärtig gerade einen Dammbruch nach dem andern anrichten und wie eine Sintflut aus Kriegen, Naturzerstörung, sozialer Triebtäterei und unkontrollierbaren Katastrophen unsere Gegenwart durcheinanderwirbeln.
Wir müssen und wir dürfen also wirklich wieder zurück … zurück, zurück zum Wort, zum Gebot und zur Verheißung Gottes!
Das ist die Re-Formation, die Wieder-Herstellung, die Er-Neuerung, die damals gewollt und heute geboten ist und die nie abgeschlossen, nie beendet sein wird.
Revitalisierung der Ethik aus dem Glauben, Reorientierung unseres gesamten Lebens, Rekonvaleszenz für die bedrohten Abwehrkräfte der Menschlichkeit, Rehabilitierung der Heiligung, Rekonstruktion des konturlosen Christentums, Resozialisierung im Zeitalter der individualistischen Atomisierung: Das ist das Wesen des Reformationstags, wenn wir ihn auf dem Grund der Lehre Christi und aus dem Heiligen Gründungsgeist seiner Bergpredigt für die, die ihm nachfolgen wollen, verstehen und begehen.
Und darum – weil wir diesen Bund vom Sinai, diesen Bund der Seligpreisungen erneuern und wieder bekräftigen dürfen und sollten – , schlage ich vor, dass wir an diesem Reformationstag die sinnvolle Sitte der Methodisten aufgreifen:
Deren Gründer, John Wesley sah vor, dass alle Getauften einmal im Jahr in feierlicher Gemeinschaft ihren Bund des Glaubens mit Gott neuerlich bestätigen, ihn reaffirmieren sollten.
…….
Wer von uns das als den Weg und die Sendung seines evangelischen Glaubens innerhalb der heiligen christlichen Kirche erkennt und sich dabei den überlieferten Worten der methodistischen Glaubenserneuerung[ii] anschließen kann, den bitte ich, mit mir am Fest unserer Rückbindung an Gottes Wort in Jesus Christus diese – mit Reflektion – zu sprechen:
Ich gehöre nicht mehr mir, sondern dir.
Stelle mich, wohin du willst.
Geselle mich, zu wem du willst.
Lass mich wirken, lass mich dulden.
Brauche mich für dich, oder stelle mich für dich beiseite.
Erhöhe mich für dich, erniedrige mich für dich.
Lass mich erfüllt sein, lass mich leer sein.
Lass mich alles haben, lass mich nichts haben.
In freier Entscheidung und von ganzem Herzen überlasse ich alles deinem Willen und Wohlgefallen.
Herrlicher und erhabener Gott,
Vater, Sohn und Heiliger Geist:
Du bist mein, und ich bin dein.
So soll es sein.
Bestätige im Himmel den Bund,
den ich jetzt auf Erden erneuert habe.
Amen.
[i] Die Überschrift vom „Bundeserneuerungsfest“ spielt auf eine in Deutschland seit dem 19.Jhdt. beliebte, aber nie endgültig belgebare Hypothese in der alttestamentlichen Wissenschaft an. Viele Forscher waren überzeugt, ganz unterschiedlichen alttestamentlichen Texten als sinnigsten und schlüssigsten Sitz im Leben ein „Bundeserneuerungsfest“ der altisraelitischen Kultusgemeinde zuordnen zu sollen … für das leider biblische Beweise fehlen. Dass die Hypothese einem echten menschlichen Bedürfnis und einer liturgischen Leerstelle entspricht, zeigen die unterschiedliche, aber fest etablierten und teilweise ehrwürdigen Riten, die es zumal in den Kirchen gibt, die feierliche Taufgedächtnisse, Jubiläen von Weihen, Ordinationen, Konfirmationen und andere Feste der Vergewisserung und Bekräftigung eines Bekenntnisses oder einer Beauftragung hervorgebracht hat. Eines davon wird im Laufe der Predigt noch zur Geltung kommen.
[ii] https://emk-gottesdienst.org/besondere-zeiten/2023/01/04/bundeserneuerung/
21.Sonntag n.Trinitatis, 29.10.2023, Stadtkirche, 1.Mose 13, 1 -1 2, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth 21.n.Trin. - 29.X.2023
1.Mose 13, 1 - 12
Liebe Gemeinde!
Was steht uns noch bevor in diesem mörderischen 2023? In diesem Jahr, in dem Grauen auf Grauen folgt, …Grauen mit Grauen beantwortet wird. …
Was kommt noch? …
Nur zweierlei wissen wir gewiss: Der Jüngste Tag kommt bald, … und der Messias …….
Denn beides bringen uns die letzten Wochen dieses Jahres noch: Den Ewigkeitssonntag und das Weihnachtsfest.
… Und beide braucht die Welt so sehr: Das Gericht …, … das Heil.
Das Böse wütet; das Unheil ist beherrschend.
… Es ist keine Floskel mehr, kein Spiel mit staubigen alten Worten, wenn wir tatsächlich sagen müssen: Das Ende und die Erlösung sind unsre ganze Hoffnung.
Würde alles nur weiter so gehen - so sehr das Gewohnheitstier in uns sich das auch wünscht -, würde Grauen immer weiter auf Grauen folgen, wäre die Menschheit verloren.
Das ist älteste christliche Verkündigung. Es ist die täuferische Johannesstimme am Anfang des Neuen Testaments – „Tut Buße vor dem kommenden Zorn!“ (vgl. Matth.3) –, und es ist die prophetische Johannesstimme an seinem Schluss, in der Apokalypse: „Amen! Komm’, … komm’ doch endlich, Herr Jesus!“ (Offenb.22, 20)
Ohne den Richter, der da kommt, … ohne den Heiland, der da kommt, sind wir alle verloren.
Und nun sind sie uns beide so nah, … noch in diesem Jahr: Der Sonntag vom Endgericht und der Sonntag der Heiligen Nacht, in der der Erlöser kommen wird.
Aber wie lang sind diese vier, diese acht Wochen auch noch!
So lang wie die zwei, die dreieinhalb Jahrtausende seit wir warten. Seit die Kinder Abrahams warten auf den Messias; seit die Juden- und die Heidenchristen warten auf die Wiederkehr des Herrn, dessen Weltgericht in der Krippe anfing, am Kreuz vollstreckt wurde und an dem Tag bestätigt wird, wenn die einen nach links und die andern nach rechts gehen … je nachdem, ob sie einfach und ohne Einschränkung lieben konnten oder ob sie nur nach ihren eigenen, besonderen Vorstellungen vom Guten leben und lieben wollten (vgl. Matth.25). ——
Wir warten obwohl und wir warten, weil die Erde zittert … zittert vor Empörung über den Terror, zittert unter dem horrenden Beschuss der Gegenwehr….
Unter Abrahams Füßen zittert sie.
Die Erde zittert unter den Füßen Abrahams auf dem ersten seiner vielen Umwege zum Verheißenen, auf dem ersten der vielen Rückwege dieses Erzvaters und seiner unzähligen späteren Nachkommen aus dem Land Ägypten, … unter Abrahams Füßen in der Richtung des späteren Exodus zittert die Erde.
Der Weg führt ihn ja durch den Gaza-Streifen, den der Bericht in unserm Predigttext „das Südland“ nennt. Durch die unvorstellbaren Bilder der trost- und ausweglosen Not, die die Gefangenen und Eingekesselten erleiden.
Abraham – der Tag Jesu vorhersah und sich freute (vgl. Joh.8,56!) – … Abraham mag wohl auch die Tage von Gaza in 2023 vorhergesehen haben. … Und gezittert.
… Unter seinen Füßen mag er die Tunnel gespürt haben, in denen die Auslöschung seiner Kinder, der Kinder Israel geplant wurde wie einst am Wannsee in Berlin. Er mag die Beklemmung und Todesangst seiner Nachkommen aus den unterirdischen Gängen und Verstecken heraufsteigen gespürt haben: Der Geiseln der Hamas, die da seit drei Wochen im Reich des Todes Faustpfänder der Mörder sind.
Wer will es ausschließen, dass Abraham damals schon mit Segens- und mit Todesahnungen jenen Weg ging?
Wer will es ausschließen, dass er zitterte, weil er auch den Hass und die Gnadenlosigkeit spürte, die seinen anderen Nachkommen, denen von Ismael, den arabischen Opfern des Würgegriffs und der Tücke der Hamas zum Verhängnis werden würde?
Wer kann es ausschließen, dass er heute zittert, in der Herrlichkeit, … und in seinem Schoß zittert der arme Lazarus (vgl. Lk.16, 23) und alle, die dorthin gelangt sind, zittern mit …
Und Rahel weint um ihre Kinder (vgl. Jer. 31,15 / Matth.2,18) – deren Schicksal sie ja auch zu Lebzeiten nicht verfolgen konnte –, und Maria, die Tochter Zions und Trösterin im Leid aller Menschen zittert mit, wenn so viele Kinder, so viele Menschenkinder das Grauen erleben, das sie als fliehende Mutter und Zeugin von Golgatha in ihren Knochen, in ihrem Leib und ihrer Seele in Ewigkeit nicht abschütteln kann. …….
Zittern und Zagen wie in der Endzeit, … Zittern und Zagen wie heute …, Zittern und Zagen womöglich auch schon in der Frühzeit, als der Vater der Gläubigen, der Vater der unruhigen Suche nach dem verheißenen Erbteil der Ruhe, die noch vorhanden ist dem Volk Gottes (vgl. Hebr. 4,9 [+11,8ff]), aufbrach.
Auch auf dem weiteren Weg Abrahams hinauf zum Altar zwischen Bethel und Ai führt die Strecke durch Orte, die heute schrecklich sind:
… Wohl denkbar, dass auch da sein Schritt zögert und zittert, wo einst mehr als dreitausend Jahre später hunderte junge Leute nach einer heißen Nacht unbeschwerten Tanzes kalt massakriert wurden. Denkbar, dass Abraham stockte in der Gegend von Dörfern, wo man in diesem Monat des Jahres 2023 Eltern unter den irren Blicken der Kinder geschlachtet und geschändet hat und tapfere Friedensaktivisten verstümmelte und verschleppte; …. Denkbar, dass Abraham bebte in den Gebieten, in denen man Kleine, deren Urgroßeltern in Auschwitz vergast und verbrannt wurden, in ihren eigenen Kinderbettchen anzündete und ferne Familien durch einen Anruf, eine Nachricht in den sozialen Medien zu Augenzeugen in Echtzeit machte, wie die Großmutter in ihren eigenen vier Wänden gefoltert, gequält und bestialisch ermordet wurde.
… O, das Zittern Abrahams!
… O, die Angst, das Bangen Sarahs!
… O, die Schauder, die jedem kommen, der heute im Geist den Weg durch Gaza und die Wüste Negev nachvollzieht: Durch den am dichtesten besiedelten und grauenvoll ausweglosen Streifen des palästinensischen Leidens und durch die Kibbutzim, in denen die israelischen, die jüdischen, die biblisch-en Hoffnungsträume vom sicheren Überleben und von der Möglichkeit, die eigene Zukunft mit der Versöhnung mit anderen zu verbinden, blutrünstig durch die Hamas vernichtet werden sollten.
…. Zittern und Zagen vor dem Gericht. … Und vorm Heil. Die uns beide bevorstehen. ——
Aber vielleicht zittert Abraham auch gar nicht.
Vielleicht erkennt er bloß etwas auf dem Weg in die Zukunft. Erkennt etwas … nüchtern und enttäuscht vielleicht, aber auch realistisch. …
… Vielleicht erkennt er auch im Blick auf das Furchtbare, das sich leibhaftig vor unseren, nicht seinen Augen abspielt, realistisch nüchtern und gläubig enttäuscht schlicht das, was der biblische Bericht von den engzusammengehörigen Bluts- und Schicksalsverwandten Abram und Lot[i] ganz nüchtern festhält: „Das Land konnte es nicht ertragen, dass sie beieinander wohnten.“
Was für ein sonderbarer Weg in die Verheißung ist das: Ein Weg, der eben nicht glatt wie in der Legende und mühelos wie in der Phantasie verläuft, sondern an dessen Beginn schon Konflikt steht, … Konflikt, so wie Albert Schweitzer alles natürliche Dasein beschrieb und die Bibel auch die Geschichte des Glaubens, der Verheißung und des Heils: Was in dieser Welt existiert und seinen Ort sucht, seine Bestimmung, sein Ziel, das ist alles „Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will“.
Wenn aber auch nur eine dieser Lebensäußerungen verneint wird, …. wenn einer der Lebenshirten der Herde des andern ihre grüne Aue, ihr frisches Wasser verwehrt, wenn nur einer aus der einen Herde Mangel für die Herde des anderen Hirten herbeiführt, dann ist die Stunde des Richtens gekommen, … die Stunde, in der die Richtungen sich ändern müssen.
Denn das ist das Gericht: Dass Wege, die unversöhnlich sind, auseinandergehen und Bahnen klar getrennt werden, die sich im parallelen Verlauf nur gegenseitig Hindernisse bereiten. …
Im Fall von Abram und Lot – der beiden ersten Siedler, die auf Gottes Geheiß hin in das durchaus bewohnte, durchaus konfliktträchtige Land der Kanaaniter und Perisiter zogen – ist dieses ernüchternde, dieses menschlich enttäuschende, aber auch lebenskluge Gericht zum ersten Mal vollzogen worden: Richtungen, die sich nicht vereinbaren lassen, müssen so gelenkt werden, dass sie einen Abstand voneinander gewinnen, der ihrem jeweiligen Verlauf Freiheit gewährt.
Trennung, Scheidung, Teilung sind also Zugeständnisse an das, was die Reformatoren den „alten Adam“, den in der unerlösten Welt vorfindlichen Menschen nannten, der von Natur aus nicht – wie wir’s im Evangelium hörten (vgl. Matth.5,38ff) – die linke Wange darbieten kann und wird, wenn er auf die rechte schon geschlagen wurde.
Nun leben wir in Tagen, in denen die schreckliche Not dieses alten, dieses realen Adam vor aller Augen steht: Zeiten, in denen das passive Erdulden und wehrlose Hinnehmen von Unrecht und Gewalt Dritten nicht gepredigt werden kann, ohne dass die Predigenden, die nicht zur Praxis ihrer eigenen Predigt gezwungen werden, sich schuldig machten. … 2023 ist wahrhaftig kein Jahr der Bergpredigt, sondern ein Jahr des Gerichtes. ———
Nun ist aber also der erste Landkonflikt der Bibel, das erste Gericht über Wege und Ziele, die unvereinbar sind, durch und durch von der großen menschlichen Nüchternheit geprägt, die Abraham nach seiner Wanderung nordwärts durch den Gazastreifen überkam: Wenn denn das Land das Zusammenwohnen nicht verträgt, weil die Menschen es nicht vertragen, dann hilft’s nur, dass sich die Wege teilen – zur Linken der eine, der andere zur Rechten.
Diese Realpolitik aber setzt voraus, dass es eine Wahl zwischen rechts und links gibt (vgl. Jona 4,11). Da Israel indes keine Wahl hat, zu verschwinden und seine Zelte jenseits des Horizontes aufzuschlagen - weil die Welt ihm mehr als zweitausend Jahre lang bewiesen hat, dass es nirgends sonst Schutz und Heimat finden kann –, müssen wir die großmütige und zugleich gelassen-resignative Geste Abrahams bei der Weideteilung mit seinem Neffen Lot ohne Zweifel heute als einen Wink verstehen, dass sich - realpolitisch gesprochen - schon in der Weisheit der stocknüchternen Erzvätergeschichte so etwas wie der Segen einer Zwei-Staaten-Lösung andeutet.
Der angesichts der Greuel von Gaza zitternde Abraham steht uns daher nun als der seufzende Vater einer verzichtbereiten, einer nachgebenden und sich begnügenden Verheißungstreue vor Augen: Er wird das Verheißene nicht durch seinen festgehaltenen Anspruch darauf, sondern durch seine heilige Haltung des Hergebens erlangen.
Möge dieser Geist des Vaters heute nicht das durch tödliche Bedrohung herausgeforderte Volk seiner Kinder verlassen! ——
Mehr als so zu beten – mit letztem Ernst, mit dem Ernst der letzten Zeit! –, können wir in diesen Tagen für Israel, das Volk der Verheißung nicht tun. ——
Uns bleibt nun aber nur noch Eines in unserm Warten auf das große heilbringende Richten und das richtige Heilen der Welt.
Als Abraham zwischen Bethel und Ai stand und Lot zur Linken oder zur Rechten wählen ließ, streifte sein Blick auch die Bergzüge südlich seines Standortes. Dort auf dem Gebirge lag vor ihm die Stadt Salem, deren geheimnisvollen Priester Melchisedek Abraham bald kennen lernen würde, als der ihn mit Brot und Wein und Segen versah (vgl. 1.Mose14,18f).
Und dorthin – in die Stadt von Brot und Wein, in der einst der Sohn Abrahams (vgl. Mtth.1,1) für mich und für Dich gekreuzigt wurde, der in der Bergpredigt den Gewalt- und Besitz- und Rechtsverzicht des Urvaters Israels uns bis zur Feindesliebe aufgetragen hat, wie er sie für die ganze Menschheit übte – … dorthin, nach Salem, nach Jerusalem müssen wir jetzt noch blicken!
Denn da entscheidet sich unser Rechts oder Links.
Die Kinder Abrahams erwarten ja alle das Gericht und die Vollendung: Juden wie Christen, … aber auch die Muslime.
Nun sind die Kinder der Verheißung, Abrahams Nachkommen durch Isaak und Jakob - das jüdische Volk - und die Kinder Abrahams durch Ismael - muslimische und christliche Araber - in einem grauenvollen Albtraum verstrickt.
Und was können wir da jetzt tun?
Wie können wir rechts oder links wählen?
- Unmöglich können wir Israel, das mit fürchterlicher Gewalt ums nackte Überleben kämpft, verurteilen oder verlassen.
- Unmöglich aber auch, dass wir die, die begeistert den Mord an so vielen Unschuldigen in Israel feierten und die nun selber zu Opfern der grausamen Reaktion auf die grausame Aktion werden, vergessen oder verleugnen.
Wir können die Liebe zu Israel und das Mitleid mit den Menschen von Gaza also nicht in einer Alternative fassen!
Wir können unter den Augen Abrahams – des Zitterenden und Enttäuschten, des Mitleidenden und Opfernden – nur nach Jerusalem schauen, wo Der liebte und litt, wo Der starb und auferweckt wurde, Der von Jerusalem aus zu Gott zurückkehrte, um einst zu dieser Welt zurückzukehren und allen Völkern der Erde endlich den Frieden zu bringen.
Wie am Anfang des Evangeliums können wir mit Simeon und Hanna nur auf den Trost Israels (vgl. Lk.2,25) und die Erlösung Jerusalems (vgl. Lk.2,38) warten, und wie am Schluß des Evangeliums (vgl. Lk.24,53) können wir Dem, Der allein Richter und Heiland sein wird, nur nach- und also Seiner Zukunft entgegenschauen und dann „mit großer Freude nach Jerusalem zurückkehren“.
Nicht rechts oder links, sondern die Verheißung wählen wir: Dass seit grauer Vorzeit dort im Gebirge Juda eine Stadt liegt - und auch im Himmel ist (vgl. Offb. 21!) - , die „Frieden“ heißt und ist, und in der man zusammenkommen soll (vgl. Ps.122,3), weil der HERR in ihr ist (vgl.Ps.46,6)!
Amen.
[i] Die im biblischen Text an dieser Stelle noch defektive Schreibweise des Namens ist im Gesamt der Predigt überwiegend zugunsten der vertrauten Langform (die dann ja „Vater der Barmherzigkeit“ und nicht mehr „erhabener Vater“ bedeutet) zurückgestellt worden: An dieser Stelle aber geht es sozusagen um den „historischen“ Ursprung der Überlieferung, weshalb hier die textgemäße Namensform Verwendung findet.
20.S.n.Tr., 22.10.2023, Predigtmeditationen "Mystikerinnen", Mutterhauskirche, Ulrike Heimann
"Mystikerinnen in Vergangenheit und Gegenwart – Ermutigung und Inspiration für uns heute“
Meditation Teil 1
Liebe Schwestern und Brüder, gestern haben wir hier den Mirjamsonntag nachgefeiert – mit Begegnung, Austausch und einem Gottesdienst. Das Thema in diesem Jahr lautete „Visionärinnen gestern und heute“.
Ein spannendes, wenn auch nicht leichtes Thema, dem wir uns in unserem ökumenischen Weltgebetstagsteam gestellt haben. Visionärinnen, Frauen mit Visionen, Frauen, die Visionen haben. Allein schon das Wort „Vision“ löst bei manchen Unbehagen aus. Helmut Schmidt, der nüchtern-pragmatische Hanseat, empfahl Menschen mit Visionen den Aufenthalt in der Psychiatrie. Vielleicht lag das auch an seinen protestantischen Genen. Gerade in den Kirchen der Reformation tut man sich bis heute schwer mit Visionärinnen und Visionären und verortet sie lieber in der katholischen Kirche: wie Hildegard von Bingen, Theresa von Avila, Mechthild von Magdeburg.
Dabei gibt es in der Bibel gar nicht wenige Erzählungen, Berichte von Visionen; allerdings sind es dort Männer, die Visionen haben, die Propheten wie Jesaja, Hesekiel und Daniel in der hebräischen Bibel und die Apostel Paulus und Petrus und der Seher Johannes in der griechischen Bibel. Sie schauen Dinge, die das physische Auge gar nicht sehen kann.
Sie haben weder Cannabis konsumiert, noch sind sie auf einem LSD-Trip oder haben zu tief ins Glas geschaut. Auslöser ihrer Visionen ist vielmehr der Geist Gottes, der Ruach Elohim. Petrus zitiert den Propheten Joel, um das Geschehen am Pfingsttag den irritierten Jerusalemer Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln, und der Apostel Paulus beschreibt das Wirken des Geistes in seinem Brief an die Korinther.
Hören wir die Lesungen aus Joel und dem 1.Korintherbrief: Lesung Joel 3,1-3a und 1.Kor.12,6-11
Schola „Schaue hindurch“
1.Schaue hindurch, was immer du siehst,
schaue hindurch mit deinem Herzensauge.
2.Lausche hindurch, was immer du hörst,
lausche hindurch mit deinem Herzensohr.
Meditation Teil 2
Hindurchschauen und hindurch hören, mit dem Herzensauge und dem Herzensohr wahrnehmen, was uns begegnet. Was der Geist uns schauen lässt, lässt sich nicht digitalisiert festhalten. Es geht vielmehr um die „Festplatte“ unseres Herzens. In ihm soll gespeichert und weiterverarbeitet werden, was wahrgenommen wurde.
Menschen, die vom Geist Gottes berührt werden, sich haben berühren lassen, das sind die Mystikerinnen und Mystiker. Sie sind Menschen, die nicht einfach etwas über Gott gelernt haben, sondern sie haben Gott erfahren, haben mit ihm eine Erfahrung gemacht, haben ihn erlebt – als Kraft und Wirklichkeit, die sie auf ganz unterschiedliche Weise berührt und inspiriert hat. Prophetinnen und Propheten sind alle Mystikerinnen und Mystiker. Sie sagen nicht die Zukunft voraus, sondern sie schauen und hören hindurch, der Geist Gottes macht sie hellsichtig für die Konsequenzen, die sich aus dem gegenwärtigen Tun und Lassen ergeben.
Visionärinnen und Visionäre sind keine Spinnerinnen und Phantasten, sondern ihnen leuchten Bilder auf, die Hoffnung vermitteln wollen. Die ermutigen wollen, sich den Herausforderungen der Zeit zu stellen, Widerstand zu leisten, wo es um des Lebens willen nötig ist und keine Schwierigkeiten zu scheuen. Die ermutigen wollen, umzukehren, einen besseren Weg einzuschlagen, einen Weg, der dem Lebenswillen Gottes für seine ganze Schöpfung entspricht. Dabei sind sie selbstverständlich an die Vorstellungswelten ihrer Zeit gebunden. Die klassischen Fortbewegungsmittel der biblischen Zeiten waren Pferd und Wagen – und so sieht ein Hesekiel Gottes Thronwagen aus Jerusalem fortrollen und dem Seher Johannes erscheinen Reiter mit Schwertern und Lanzen.
Was allen Mystikerinnen und Mystikern durch die Zeiten gemeinsam ist: sie sind Menschen, die nicht nur mit beiden Beinen auf der Erde stehen, sie sind nicht nur Kinder der Erde, sondern auch Kinder Gottes. Sie haben einen Draht nach oben. Sie wissen: das Leben ist oft schwer, er verlangt einem oft viel ab. Erschöpfung droht. Wie gut, dass man da seinen seelischen Akku immer wieder aufladen kann – an der Quelle des Lebens, die Gott ist; dass man sich ausruhen kann - in Gottes Liebe.
Schola „Höre den Herzschlag des Himmels“
„Höre den Herzschlag des Himmels klingen in deinem Herzen. Spüre den Herzschlag der Erde pochen in deinem Sein.“
Meditation Teil 3
Es sind gerade Frauen gewesen, die im Mittelalter eigene lebendige Erfahrungen mit Gott gemacht haben. Ihr Glaube war nicht darauf beschränkt, die von der Kirche verkündeten Dogmen und Lehren nachzusprechen. Sie fielen in mancherlei Hinsicht aus der Rolle, die Frauen damals zugewiesen war: sie schwiegen nicht, sondern ergriffen das Wort, sie beugten sich nicht unter die Vorherrschaft des Mannes, sondern sie bewegten sich frei und aufrecht auf ihren eigenen Wegen. Dazu brauchte es damals sehr viel Mut. In vielen Ländern und Regionen braucht es das heute leider immer noch.
Ich denke, es war die Sehnsucht nach einem selbständigen, eigenverantwortlichen Leben, die diese Frauen dazu brachte, in sich hineinzuhören und sie ermutigte, sich von Gott im Innern berühren zu lassen. Mehr auf ihn zu hören als auf die Reden der Kirchenmänner ihrer Zeit. Und Mut brauchten sie dazu, denn die offizielle Kirche witterte überall den Angriff teuflischer Mächte. Die Inquisition war immer auf dem Sprung, gerade wenn Frauen es wagten, ihre Stimme in Sachen Glauben zu erheben. Wer von seinen visionären Erlebnissen erzählte oder gar deutlich machte, was in der Kirche nicht dem Willen Gottes entsprach, der stand immer schon mit einem Bein auf dem Scheiterhaufen. Männer und vor allen Dingen auch Frauen. Vor allen Dingen Frauen aus dem Kreis der Beginen, jener mittelalterlichen Lebensform, wo Frauen in Gemeinschaften zusammenlebten und -arbeiteten ohne männlichen Vormund – unverheiratet und auch nicht unter einer geistlichen männlichen Vormundschaft, wie es damals Nonnen in ihren Ordensgemeinschaften waren.
Mutig und konfliktbereit mussten Mystikerinnen immer sein, ob Begine, Ordensfrau oder Witwen aus dem Adel; genannt seien Clara von Assisi, Hildegard von Bingen, Elisabeth von Thüringen, Birgitta von Schweden, Mechthild von Magdeburg, Juliane von Norwich. Alle machten sie Erfahrungen mit Gott, erlebten seine Nähe, die ihnen Kraft und Mut gab, ihren ganz eigenen Lebensweg zu gehen, mit Konventionen zu brechen, prophetisch-kritisch die Stimme zu erheben und in neuer, bis dahin unerhörter Weise von Gott zu sprechen – auch da nicht losgelöst von den Sprachbildern ihrer Zeit.
Das Mittelalter war die Zeit der Troubadoure, der Minnesänger, die nicht nur mit ihren Liedern das höfische Leben prägten, sondern über die Bänkelsänger auch die Landbevölkerung. Die Troubadoure besangen die Liebe zu einer schönen Dame, eine Liebe, die unerfüllbar blieb.
Die Mystikerinnen, allen voran Mechthild von Magdeburg, besangen in ihren Dichtungen die Liebe zwischen Gott und der Seele, oder zwischen Jesus und der Seele. Eine Liebe, die sich für die Mystikerinnen erfüllte. In seiner Liebe, das war ihre Erkenntnis, ist Gott der nahe, seine Sehnsucht nach dem Menschen ist genauso groß wie die Sehnsucht des Menschen nach ihm.
Es ist interessant, dass in späteren Jahrhunderten Männer, Mystiker die Gedanken und Sprachbilder der Gottesminne aufnahmen und an die Überlegungen der mittelalterlichen Mystikerinnen anknüpften. Zum Beispiel Johann Scheffler, geb. 1624 in Breslau, der 1653 zur katholischen Kirche übertrat und unter dem Namen Angelus Silesius großen Einfluss auf die Lyrik und christliche Mystik im 17.Jahrhundert hatte. Dass wahre Mystik konfessionell nicht gebunden ist, das zeigt sich an einem seiner bedeutendsten Lieder, welches in unserem Gesangbuch unter der Nummer 400 zu finden ist und dessen 7.Strophe uns hier immer vor Augen ist – Gottesminne pur: „Ich will dich lieben, meine Krone, ich will dich lieben, meinen Gott, ich will dich lieben sonder Lohne auch in der allergrößten Not; ich will dich lieben, schönstes Licht, bis mir das Herze bricht.“
Neu von Gott gesprochen, das hat auch Juliane von Norwich, deren Texte Jean Janzen in dem Lied „Mothering God“ verarbeitet hat und das die Schola nun zum Klingen bringt.
Schola „Mothering God“
1.Gott, du bist wie eine Mutter.
Du hast mich geboren ins Licht der Welt.
Jedem Geschöpf gibst du den Atem.
Du bist mein Regen, mein Wind, meine Sonne.
2.Christus, du bist wie eine Mutter; du bist mir ähnlich.
Du nährst mich mit deinem Licht.
Du Brot des Lebens, du Saft und Kraft für meine Liebe.
Du gibst alles für meinen Frieden.
3.Heilige Geistkraft, du Mutter, du kümmerst dich um mich.
Du hältst mich fest in deinen Armen,
dass ich im Glauben Wurzeln schlage und wachse,
blühe und Gewissheit habe.
(Text: Jean Janzen, nach Texten der Juliane von Norwich 1343 – 1416)
Meditation Teil 4
Um Gottes Liebe und Zuwendung geht es den Mystikerinnen, um die Erfahrung seiner Nähe – und damit auch um die Erfahrung von Verbundensein und Einssein: Du in mir und ich in dir. So hat es auch Gerhard Tersteegen in seinem Lied „Gott ist gegenwärtig“ formuliert. Lukas lässt in seiner Apostelgeschichte den Apostel Paulus auf dem Areopag in Athen diesen zutiefst mystischen Satz sagen: „In ihm leben, weben und sind wir.“ Ein Satz übrigens, der auf einen nichtchristlicher Mystiker zurückgeht. Wahre Mystik ist auch nicht religionsgebunden. Der Geist Gottes weht nämlich, wo er will, nicht nur in christlichen Kontexten. Er sucht und fördert die Verbindung und das Einssein und Einswerden alles Geschaffenen mit seinem Schöpfer. Er sucht auch heute noch Menschen, die offen sind für ihn, die sich berühren lassen – in ihren Herzen, in ihrer Seele. Die bereit sind, von innen her ihr ganzes Leben neu auszurichten.
Ein Weg, berührbarer zu werden, ist, mit offenen Augen und Ohren die Schöpfung wahrzunehmen, sich für diese Begegnung Zeit und Ruhe zu nehmen (ohne Handy in der Hand, ohne Lautsprecherknöpfe in den Ohren). Einfach allein zu sein mit Gott in seiner Schöpfung, die nichts anderes als seine erste Offenbarung ist, seine erste Anrede an uns.
Ein beredtes und berührendes Zeugnis von solch mystischer Erfahrung findet sich in der Autobiographie der weltbekannten Verhaltensforscherin Jane Goodall, die eine der Visionärinnen war, mit der wir uns gestern beschäftigt haben.
Hören wir, was sie erlebt hat.
Es muss eine Stunde gedauert haben, bis das Zentrum des Gewitters nach Süden abzog und der Regen endlich nachließ. Um halb fünf kamen die Schimpansen herabgeklettert, und wir wanderten durch das triefnasse, tropfende Grün zum Berghang zurück. … Ich postierte mich an einer Stelle, von der aus ich zuschauen konnte, wie sie ihre letzte Tagesmahlzeit genossen. Der See unten in der Tiefe war noch immer dunkel und aufgewühlt, und da, wo sich die Wellen brachen, trug er weiße Schaumkronen; schwarze Regenwolken hingen im Süden. Gegen Norden war der Himmel schon klar, und nur ein paar graue Wolkenfetzen waren noch zu sehen. Der Anblick war atemberaubend schön. …In ehrfürchtiges Staunen über die Schönheit um mich herum versunken, muss ich in einen gesteigerten Bewusstseinszustand geraten sein. Es ist schwer – wenn nicht gar unmöglich - , den Augenblick der Wahrheit, den ich plötzlich erlebte, mit Worten zu beschreiben. Selbst die Mystiker finden keine Worte für die kurzen Momente spiritueller Verzückung. So kam es mir vor, als ich mir hinterher das Erlebnis noch einmal zu vergegenwärtigen versuchte: Mein Ich war nicht mehr da; die Schimpansen und ich, Erde, Bäume und Himmel schienen miteinander zu verschmelzen und eins zu werden mit der geistigen Kraft des Lebens selbst. Die Luft war erfüllt von einer Symphonie von Vogelstimmen, vom Abendgesang der gefiederten Schar. Ich nahm neue Klänge in ihrer Musik wahr. … Noch nie waren mir Form und Farbe der einzelnen Blätter so intensiv bewusst geworden. … Auch die Düfte waren deutlich zu unterscheiden: gärende, überreife Früchte; wasserdurchtränkte Erde … Der aromatische Duft junger zerdrückter Blätter war fast überwältigend stark. … Mir waren keine Engel erschienen oder andere himmlische Wesen, wie sie die Visionen großer Mystiker auszeichnen, aber dennoch glaube ich, dass es sich um eine wahre mystische Erfahrung gehandelt hat. …
Später, als ich an meinem kleinen Feuer saß und mir eine Mahlzeit zubereitete, war ich immer noch von Staunen über mein Erlebnis erfüllt. Ja, dachte ich, es gibt viele Fenster, durch die wir Menschen auf unserer Suche nach einem Sinn in der Welt hinausblicken können. Die Fenster, die die westliche Wissenschaft aufgeschlagen hat und deren Scheiben von einer Abfolge brillanter Köpfe blank geputzt worden sind. … Durch ein solches wissenschaftliches Fenster hatte ich gelernt, die Schimpansen zu beobachten. Über 25 Jahre lang habe ich mich bemüht, mir durch sorgfältige Aufzeichnungen und kritische Analysen Stück für Stück ein Bild ihres komplexen Sozialverhaltens zu machen und ihre Denkweise zu verstehen. … Aber es gibt noch andere Fenster, durch die wir Menschen unsere Umwelt betrachten können, Fenster, hinter denen die Mystiker und Heiligen des Ostens und die Begründer der großen Weltreligionen nach dem Sinn und Zweck unseres Erdenlebens suchten, in dieser Welt voll wundersamer Schönheit, voll Dunkelheit und Hässlichkeit. Diese Meister gaben sich der Kontemplation über die Wahrheit hin, die sie nicht nur mit ihrem Geist erfassten, sondern auch mit Herz und Seele. … An jenem Nachmittag war es so gewesen, als hätte eine unsichtbare Hand einen Vorhang beiseite gezogen, so dass ich für den Bruchteil eines Augenblicks durch ein solches Fenster schauen konnte. Durch einen blitzartigen „Ausblick“ hatte ich Zeitlosigkeit und stille Verzückung kennengelernt und eine Wahrheit gespürt, von der die akademische Wissenschaft nur ein winziger Splitter ist. Und ich wusste, dass mir diese Offenbarung mein Leben lang im tiefsten Innern erhalten bleiben würde, auch wenn ich sie nur unvollkommen in Erinnerung behielt, eine Kraftquelle, aus der ich schöpfen konnte, wenn das Leben mir einmal hart, grausam und ausweglos erschien.
Aus: Jane Goodall, Grund unserer Hoffnung. Autobiographie; 1999; S.222-226 i.A.
Jane Goodall ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass alle mystischen Erfahrungen und Gottesbegegnungen nicht Selbstzweck sind, sondern als Geschenk und Gabe begriffen und ergriffen werden wollen, die uns beauftragen, in die Welt hinein tätig zu werden, Nöte nicht nur zu sehen, sondern zu wenden und mit am Reich Gottes zu bauen und zu arbeiten – ohne Scheu, geduldig, gelassen und unbeirrt.
Amen.
16.So.n.Trin., 24.09.2023, Stadtkirche, Hebräer 10, 35f..39, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth 16.n.Trin. - 24.IX.2023
Hebräer 10, 35 -39
Liebe Gemeinde!
Wer eine kräftige Holzkiste hat – so ’ne derbe alte Box fürs Schuhputzzeug, vielleicht auch eine schwere Kiste, in der man mit Stroh dazwischen, wie früher, ein Dutzend Flaschen Burgunder- oder Moselwein transportieren kann –, … wer also so ein richtiges Podest für den Einsatz direkt hinter Marbel Arch, in Speaker’s corner hat, der soll es nutzen: Draufsteigen, sich sammeln und räuspern oder einfach drauflos wettern. Mal ungefiltert vom Leder zieh’n! … Klartext, keine Schnörkel; Schnabel wie gewachsen, ohne Blatt vorm Mund: Das wäre dann gebetet! … Gott einmal die Meinung geigen. Alles ungeschminkt rauslassen. Sich keinen Zwang antun, weder für klug gelten wollen, noch das Missverstanden-Werden fürchten. … Das wäre Beten! Die ganze Liste der Fragen, den Frust, das Brennende und das eigentlich Unaussprechliche ausspucken, … keinen Besinnungsaufsatz verfassen, kein künstliches Gesumms und Geseier, sondern einfach ins Unreine gesprochene Unmittelbarkeit: Das hieße Gebet!
Schonungslose Direktheit.
… Bei John Henry Newman, dem anglikanischen Pfarrer, der zum verschrobensten und doch auch modernsten katholischen Kardinal wurde, den England je gehabt hat, ist diese Möglichkeit eines unmittelbaren, offenen Austauschs in seinem Wahlspruch immerhin dezent angedeutet: „cor ad cor loquitur“. „Das Herz spricht zum Herzen“: So erfuhr Newman die existentielle Kommunikation zwischen den Glaubenden und Gott. Eine ähnliche Gesprächsnähe bei Mose klingt noch deutlich handfester: „Der HERR aber redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freunde redet“ (2.Mose33,11). Und bei Hiob gar, da nimmt der Redewechsel zwischen Gott und Mensch schlicht die Form eines Boxkampfes an: „Siehe, ich bin zum Rechtsstreit gerüstet; … rufe, dann will ich dir antworten, oder ich will reden, dann antworte du mir!“ (Hiob13,18+22)
Rückhaltlose, hierarchiefreie Aussprache also. Was ein wenig wie der Seminarbetrieb der 60er Jahre anmutet, ist in Wirklichkeit ein Fundament, auf dem wir stehen … und mit dem wir gerade große Teile unserer Welt untergehen sehen.
In der griechischen Antike hieß diese Offenheit fürs Wort und im Wort: „Parrhesie“[i] – „Das Wort für alle; das Reden über alles“. In der athenischen Demokratie bedeutete die „Parrhesie“ das Recht jedes Vollbürgers auf Wortmeldung und Meinungsäußerung in der Ekklesia, der politischen Versammlung; in der Rhetorik bezeichnete „Parrhesie“ das Stilmittel der Offenherzigkeit und gewagten Zuspitzung; in der Komödie erlaubte sie die Schonungslosigkeit; in der Philosophie der Stoiker führte die „Parrhesie“ zur seelischen Schmerzlosigkeit durch Gewöhnung an unverblümte Kritik. Das Sprechen über alles, das allgemeine Recht aufs Wort ist also ein Grundpfeiler jener Freiheit – jener Rede- und Denk-, jener Gewissens- und politischen Freiheit, auf der das Abendland beruht.
Und dass es im Hyde Park in Speaker’s corner immer weniger kleine Trittleitern mit großen Oratoren gibt, ist kein Gewinn für eine Welt, in der die Wahrheit schwindet und mit ihr die Freiheit, weil das Lügen so wohlfeil geworden ist, seit man den Anderen beim Reden nicht mehr ins Gesicht blicken muss.
Trolle in ihren Fabriken, Hassende in ihrem Netz, Faktengaukler in ihren parallelen Universen können zwar alles Mögliche und Unmögliche behaupten, aber die „Parrhesie“ – die Rede, die es mit dem freien Fragen und Wagen und dem ehrlichen Sagen und Ertragen der Wahrheit vor dem offenen Forum aller versucht – … die „Parrhesie“ schmilzt wie die Polkappen dahin, während Fluten von trüber, fauler, verderbnisträchtiger Wortbrühe anschwellen und es immer unmöglicher werden lassen, dass das Herz zum Herzen, dass Menschen miteinander und mit Gott offen, unverstellt und ungeschützt reden können. ———
…. Hat er sich nicht im Predigttext vertan?, werden Sie sich inzwischen fragen. … Wie kommen wir auf die Redefreiheit, wenn es sich doch nach dem Gehörten aus dem Hebräerbrief um geduldige Zuversicht handeln müsste?
Das liegt daran, dass im Griechischen des Neuen Testaments der grundlegende und gewaltig produktive παρρησία-Begriff eine weitere, entscheidende Wandlung durchlaufen hat: Immer wieder hören wir, dass Jesus und nach ihm die Apostel öffentlich in „παρρησία“ sprechen, lehren, predigen (vgl. z.B. Mark.8,32; Joh.11,14 [im Evangelium dieses Sonntags!]; Apg.2,29; 4,13 u.ö.). Sie kennen keine Menschenfurcht, sondern ergreifen freimütig vor allen Hörenden das Wort; sie nehmen sich das Recht - und haben es! -, alles zu sagen, was zu sagen ist. Und in dieser angstfreien, öffentlichen, ungeschützten Vollmacht zur Botschaft und zum Gehört-Werden sind sie sie selber, wachsen sie über sich selbst hinaus und erfahren und bezeugen sie die reine Verbundenheit, die völlige Vereinigung mit Gott.
Aus diesem Grund – weil sie frei sind für das und frei werden durch das Wort – nimmt der politische Kommunikations-Begriff der παρρησία im Neuen Testament bei Jesus, dem Logos und bei seinen Aposteln die Bedeutung des vollkommensten „Vertrauens“ in sich auf: Wer in der Freiheit zum Wort der Wahrheit lebt, lebt in wahrhaftiger Freiheit, selbst da, wo Zwang und Lüge sich immer noch breitmachen.
Christen sind Reich-Gottes-Leute durch die Gabe, ja durch das Recht der „Parrhesie“: Sie können und sollen in allen Dingen und vor aller Welt mit Gott kommunizieren, Ihn beim Wort nehmen, Ihn ins Gespräch bringen, Ihn klipp und klar wissen lassen, was sie bewegt, ihr Herz vor Ihm ausschütten und darauf zählen, dass ihre Stimme Gehör findet, dass sie mitreden dürfen in Seiner heiligen Sache der Bewahrung, der Erlösung, der Heilung der Welt.
Und darum schreibt der Apostel im Hebräerbrief eben wörtlich von der „παρρησία“, dass wir sie nicht schleifen lassen und vernachlässigen, dass wir sie nicht geringschätzen oder aufgeben sollen. Kloppt eure Redefreiheit, euer Recht auf Mitsprache, euer garantiertes Ernstgenommen-Werden nicht einfach in die Tonne, sondern mischt weiter mit, … bleibt weiter an Gott, der Euch Rede und Antwort stehen wird, … verstummt und verbittert nicht, sondern haltet an am Gebet, … seid beharrlich und hofft und lasst nicht locker, … verschafft der christlichen Stimme des Gewissens und der Versöhnung hartnäckig und freimütig immer weiter Gehör in irdischen und himmlischen Ohren! ——
Das war schon am Anfang der Christenheit erkennbar mühsam und ist es heute wieder.
Wie viele mögen damals aufgegeben haben, – … wie viele tun es heute!
Dass es nicht lohnt und nicht sinnvoll ist, eine Sprache zu sprechen, die der Welt fremd ist.
Dass es nicht lohnt und nicht sinnvoll ist, eine Sache zu verteidigen, die wenig gilt.
Dass es nicht lohnt und nicht sinnvoll ist, Einen zum Hören zu bringen, Den man nicht sieht.
Dass es nicht lohnt und nicht sinnvoll ist, die Liebe, den Frieden, den Himmel zu predigen, wenn der Mensch doch die Hölle, den Krieg und den Hass viel klarer wählt und also auch will.
Dass es nicht lohnt und nicht sinnvoll ist, den einen Gekreuzigten, der lebt, den vielen Sterblichen vorzuordnen, die noch kreuzigen können.
Dass es nicht lohnt und nicht sinnvoll ist, festzuhalten in Bekenntnis und Erwartung an etwas, das erkennbar nicht da ist und das auch nicht unmittelbar verspricht zu erscheinen.
Das alles haben Menschen stets empfunden. Mal peinigend als Anfechtung. Mal achselzuckend als entleerte, bedeutungslose Überreste vergangener Wahrheiten. ………… ——
Was es aber für eine Verheißung hat, was für einen Sinn, … welche Horizonte sich öffnen und welche herrlichen Überraschungen sich zeigen werden, wo man nicht einfach aufhört, von Gott zu reden und Seinen Willen zu tun und auf Sein Reich zu warten, das alles geht verloren, es versickert einfach, wenn die Christen verstummen und ihr Vertrauen, ihr freimütiges Verlangen, ihr unverblümtes wirklich Wissen-, Sehen- und Erleben-Wollen, dass Gott Wort hält, nicht mehr hören lassen.
So wahr Gott also doch hört, sollen auch wir von uns hören lassen!
Gott wirkt ja nur taub, wenn wir vor Ihm stumm werden und Ihn verschweigen.
Wenn wir unsere Erinnerungen an Ihn nicht äußern - auch als Mahnung! - , wenn von unserer Hoffnung auf Ihn nichts mehr verlautet - und sei es als Klage! -, dann hat die Welt ihre Ruhe und die Lüge beherrscht das Feld. So wie heute an jeder Ecke. So wie heute in Politik und Kommerz, in der Banalität der Unterhaltung und der Brutalität der Auseinandersetzungen der Menschen.
Reden wir darum – vertrauensvoll, ausdauernd, hemmungslos – von Gott und mit Gott!
Steigen wir auf die Kiste oder die Trittleiter und machen wir den Mund auf!
Es lohnt sich! ——
In meiner Speaker’s corner hier will ich Ihm heute nur eines – in der „Parrhesie“, die mir (wie uns allen!) das Recht dazu gibt und in diesem Recht auch die Zuversicht, nicht ins Leere zu reden – entgegenhalten … mit leeren Händen, wie wir’s eben gesungen haben (EG 382):
Gott, ich höre das Evangelium, … das wunderbare Evangelium (Joh.11) dieses 16.Sonntags nach Trinitatis, der ein herbstliches Osterfest ist, weil man in der kommenden Woche den Erzengel Michael, den Kämpfer gegen alle Todesmächte und Todesbündnisse und Todestriebe feiert.
Ich höre das Evangelium und ich weiß, dass Du Lazarus auferweckt hast und ich glaube wie Martha, dass ein Tag kommt, an dem alle endgültig auferstehen und leben werden, die heute sterben und leiden und den Tod einatmen und sich den Tod einfangen und mit dem Tod spielen und mit dem Tod liebäugeln und dem Tod unterworfen und ausgeliefert sind.
– Evangelium: Ja!
– Michaels und aller himmlischen Heerscharen und irdischen Lebensgeister Kampf gegen den Tod: Ja!
– Auferweckung: Ja!
Aber wo bist Du dazwischen?
Wo bist Du jetzt gerade, während kein Krieg der Engel gegen Satan und die Hölle, sondern Kriege der Menschen gegen die Menschen stattfinden?
Wo bist Du in diesem Augenblick, in dem auf den Schlachtfeldern der Ukraine gerade jetzt Menschen zerrissen werden?
Wo bist Du gerade jetzt im Alltagselend der Hungernden, der Kranken, der Ausgelaugten, die schweigen, weil sie nichts von Deinem Hören wissen oder glauben?
Wo bist Du, wenn Du so gebraucht wirst?
… „Herr, wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben.“
Das ist’s, was mich umtreibt, weshalb ich rüttele und Krawall schlage und meinen Glauben und meine Hoffnung in ihrer Bedrohung trotzdem nicht einfach aufgeben und wegwerfen kann, sondern hinter Dir her und vermutlich mitten in Dein weites, zerrissenes Herz hinein schreie.
Wo bist Du?
… Wo warst Du, als sie Dich nach Bethanien riefen, wo Du erst eintriffst, nachdem Dein Freund schon den vierten Tag im Grab liegt?
… Was hast Du in den drei Tagen gemacht, in denen sie auf Dich warten mussten?
… In den drei Tagen Deiner Verborgenheit, den drei Tagen Deiner Entzogenheit, den drei Tagen Deines Fehlens? … … …
Ach, … diese drei Tage! … … …
Herr, ich weiß ja, was Du gemacht hast in den drei Tagen, in denen Du nicht zu sehen, zu hören, zu greifen und halten warst!!! … … …
… Wir wissen’s ja alle! Und wenn wir zu Dir schreien, dann geht’s uns in unserm Fragen und Zweifeln, in unserm schonungslosen Nicht-locker-Lassen nur noch viel klarer auf: Du, nach dem wir laut und ohne Filter verlangen … Du bist in den drei Tagen bei den Toten gewesen, … bei Lazarus, Deinem Freund, … bei dem, der gerade in diesem Augenblick in der Ukraine getroffen worden ist, … bei denen, um die wir weinen und trauern.
Die drei Tage, in denen wir frustriert und qualvoll beunruhigt und hoffentlich wenigstens in reiner „Parrhesie“ – in Ehrlichkeit, Offenheit, dringender Anhänglichkeit – auf Dich warten: Das sind die Tage, die Dich ganz und total und für immer mit denen verbunden und vereinigt haben, die uns auf der Seele liegen. … … …
Diese drei Tage sind auch jetzt und werden sein, bis ans Ende der Zeit.
Und dann werden wir Dich alle sehen und erleben.
Und werden alle leben mit Dir! ——
Was für einen Lohn unser Mit-Dir-Reden, was für einen Lohn diese Freiheit des Denkens und Sprechens, des Zweifelns und Hoffens auf Dich nun doch wirklich hat!
Tatsächlich: Was für einen Lohn das Vertrauen hat!
Amen.
[i] Eine bündige Übersicht über die Bedeutungsgeschichte des Begriffs bietet Hans-Christoph Hahn unter: https://jochenteuffel.com/2019/11/05/hans-christoph-hahn-uber-freimut-und-zuversicht-im-neuen-testament-da-die-verwirklichung-der-redefreiheit-bisweilen-auf-widerstande-stosst-erklart-sich-unerschrockenheit-freimutigkeit-als-weiterer-bed/
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40489 Düsseldorf
Tel.: 0211 40 12 54
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Dienstag | 9:00 - 18:00 Uhr |
Kirchengemeinde Kaiserswerth
DE40 3506 0190 1088 4672 28
Kaiserswerth: 0159-038 591 89
Lohausen: 0211 43 29 20
Tageslosungen
Psalm 31,10
Die Jünger weckten Jesus auf und sprachen: Herr, hilf, wir verderben! Da sagt er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?, und stand auf und bedrohte den Wind und das Meer, und es ward eine große Stille.
Matthäus 8,25-26