3.ltzt.S.im Ki.jahr, 09.11.2025, Spr.24,10-12 + 31,8-9, Mutterhauskirche, Ulrike Heimann
Was für ein Datum, was für eine Zeit, liebe Gemeinde!
Der 9. November birgt mehr Erfahrungen, als alle anderen Tage im Jahr. Er wird oft der „deutsche Tag“ genannt, aber die Erinnerungen und Erfahrungen, die sich mit ihm verbinden, sind für Menschen aller Nationen und Völker relevant.
Und dann beginnt mit dem heutigen Sonntag auch noch die ökumenische Friedensdekade, die uns jedes Jahr im November einlädt, innezuhalten und uns neu darauf auszurichten, Boten des Friedens zu werden. Sie will uns motivieren, nicht einfach „für den Frieden zu sein“ – wer ist das nicht? - , auch nicht einfach nur für den Frieden zu beten, sondern sich für den Frieden einzusetzen und aufzustehen – und dazu gehört auch: Widerstand zu leisten, wo Menschen um ihre Würde und ihre Lebensmöglichkeit gebracht werden, wo sie unter die Räder von Hass, Gewalt und Unrecht geraten.
„Zukunft braucht Erinnerung, Wahrheit und Klarheit“ - so lautet das Thema der Predigt-Meditation in Verbindung mit Versen aus dem Buch der Sprüche. Wir haben sie gerade in der Lesung gehört. Es geht um eine lebenswerte Zukunft, in der die Menschheitsfamilie ihr Zusammenleben in Freiheit solidarisch und friedlich gestaltet.
Da wir nun einmal nicht nur Kinder unserer Zeit sind, sondern auch von dem geprägt sind, was in der Vergangenheit geschehen ist, müssen wir uns erinnern, um uns selbst zu verstehen. Nur dann können wir erkennen, was zu tun ist, um besser, lebensdienlicher mit Problemen unserer Tage umgehen zu können.
Am 9. November erinnern wir uns an drei Ereignisse: an die Ausrufung der ersten deutschen Demokratie 1918, die einherging mit dem Ende des Kaiserreiches, das Deutschland 1914 in den ersten Weltkrieg geführt hatte. Eine Zeitenwende damals, fürwahr, aber sie hatte keinen glücklichen Verlauf; die Weimarer Republik überlebte gerade 14 Jahre. Der Demokratie fehlten die Demokraten, lautet ein bekanntes Urteil über diese Zeit. Und vor allen Dingen weigerten sich allzu viele, sich zu erinnern, und das heißt: genau hinzusehen, was zu dem furchtbaren Gemetzel auf den Schlachtfeldern nicht nur Europas geführt hat. Man weigerte sich, über die Sünden des Kolonialismus nachzudenken, über den Rassismus, mit dem er alle Gesellschaften vergiftet hatte, was dem christlich beförderten Antisemitismus neue Nahrung gab.
Das führt uns direkt zum zweiten denkwürdigen Ereignis dieses 9. November: dem Pogrom, das die Nazis 1938 organisiert und angestoßen hatten, und das zu unserer Scham und Schande viele zum Mittun motivierte, noch mehr zum passiven Gaffen. Hätte es damals Smartphones gegeben, dann wären sicher Selfies mit brennenden Synagogen viral gegangen. Nach 1945 wollte nicht nur keiner dabei gewesen sein, nein, man hat es nicht gewusst. Man hat auch nicht nachgefragt oder selbst nachgedacht. Man hat sich nicht erinnern wollen.
Der Text aus Sprüche 24 bringt es auf den Punkt: „Sag nicht: Wir haben das nicht gewusst! Denn Gott prüft die Herzen und durchschaut sie. Er wacht über dein Leben und weiß Bescheid. Jeden Menschen zieht er zur Verantwortung für das, was er getan (oder zu tun versäumt) hat.“
Wenn heute an den 9. November 1938 in Gedenkveranstaltungen erinnert wird und darüber geklagt wird, dass der Antisemitismus in unserer Gesellschaft wieder auf dem Vormarsch ist, ohne gleichzeitig den Rassismus und andere Formen der Menschenfeindlichkeit mit anzusprechen, dann zeigt das, dass wir noch nicht umfassend und tief genug nachgedacht und uns erinnert haben, dass eben noch lange kein Schlussstrich zu ziehen ist. Vergessen wir nicht: der erste Genozid, für den Deutsche verantwortlich waren, war der Genozid an den Herero und Nama in Namibia Anfang des 20.Jahrhunderts. Das Kaiserreich war zwar erst spät Kolonialmacht geworden, aber es hatte sich in gleicher Weise in Menschenfeindlichkeit ausgewiesen, wie die anderen Kolonialmächte seit der „Entdeckung“ Amerikas 1492. Ohne Erinnerung an diese Zeiten, ohne Aufarbeitung dessen, was da geschehen ist, kann es für die Menschheitsfamilie keine gute Zukunft geben. Wir Menschen im Jahr 2025 sind zwar nicht dabei gewesen, aber bis heute sind wir von diesen Ereignissen geprägt – die einen – auch wir - haben von den Geschehnissen in ihrer Folge profitiert, die anderen – die kolonisierten Völker - sind zurückgeworfen worden. „Sag nicht: Wir haben das nicht gewusst! Denn Gott prüft die Herzen und durchschaut sie. Er wacht über dein Leben und weiß Bescheid. Jeden Menschen zieht er zur Verantwortung für das, was er getan (oder zu tun versäumt) hat.“ Jede Zeit hat ihre Verantwortung; sich ihr zu entziehen, sich ihr nicht zu stellen, verbaut einen guten Weg in die Zukunft.
Schola „Bin ich des Bruders Hüter“ DHuT 355
Dass die ökum. Friedensdekade in diesem Jahr mit dem 9.November beginnt, macht eindringlich darauf aufmerksam, dass Frieden ohne Erinnerung und Aufarbeitung der Vergangenheit nicht möglich ist, dass Achtung der Menschenwürde, von Recht und Gerechtigkeit schlicht Voraussetzungen sind für ein gedeihliches Zusammenleben der Menschheitsfamilie.
Seit dem endgültigen Aufflammen des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine im Februar 2022, können wir dem Thema „Krieg“ nicht mehr ausweichen. Dass dieser Krieg seit 2014 im Gange war, haben wir als Gesellschaft nicht gesehen, nicht sehen wollen. Mir ist das auch so gegangen. Inwieweit diese Haltung Putin erst dazu ermutig hat, am 24.2.2022 die letzten Hemmungen fallen zu lassen und ganz unverblümt die Auslöschung der Ukraine ins Werk zu setzen, mag dahingestellt sein. Es ist jedenfalls klar: Frieden ist einseitig nicht zu schaffen. Beide Seiten müssen ihn wollen. Und die Voraussetzung ist, dass das Recht Vorrang haben muss vor der Gewalt. Und das haben viele Friedensbewegte in unserem Land, die geprägt wurden von den Ostermärschen der 60er und 70er Jahre und von den Großdemonstrationen der 80er Jahre gegen den NATO -Doppelbeschluss, schmerzvoll lernen müssen und für sehr viele steht dieser Lernprozess noch an: für den Frieden zu sein kann die Bereitschaft einschließen, sich mit Waffen einem Aggressor entgegenzustellen. Es gilt, wie es Dietrich Bonhoeffer sagte, dem Rad in die Speichen zu greifen, um zu verhindern, dass immer mehr unschuldige Zivilisten unter die Räder der Putinschen Soldateska geraten.
Auch bei der Friedensfrage kommen wir nicht daran vorbei, uns darüber Rechenschaft abzulegen, welchen Blick wir auf andere Nationen haben. Was verbinden wir mit ihnen, was prägt unser Verhältnis zu ihnen? Was wollen wir sehen und wovor haben wir die Augen verschlossen? Als Putin vor etwa 20 Jahren die Tschetschenische Hauptstadt Grosny in eine Trümmerwüste bomben ließ wie 2022 Mariopul, hieß es in vielen Medien auch bei uns, dass es gegen islamistische Terroristen ginge. Nach Nine Eleven 2001 war es einfach, um damit durchzukommen. Was ist in solchen Situationen für uns zu tun, um sich für Frieden einzusetzen? Auf jeden Fall sich nicht mit einfachen Antworten abzufinden. Besonders aufmerksam zu sein, wo eigene Ängste und Vorurteile getriggert werden: Islamisten ~ Muslime. Wir müssen genau hinsehen und uns selbst kundig machen. Noch können wir das in unserem Land. Wer sich auf den Weg macht, kann die Wahrheit entdecken und lernt, zwischen Fakten und Propaganda, die es immer auf beiden Seiten gibt, zu unterscheiden.
Genau das fordert unser Glaube: sich darum zu bemühen, die Geister zu unterscheiden. Damit sind nicht theologische Spitzfindigkeiten gemeint, sondern es geht um unser reales Leben mit all seinen Anfechtungen in der Gegenwart.
Schaut genau hin und fragt euch: Was würde Jesus dazu sagen?
Lied „Es ist Krieg, wieder Krieg“
Sich erinnern, was war, in den Spiegel der Vergangenheit zu blicken und zu erkennen, was alles nicht so gut gelaufen ist – im eigenen Leben, im Leben der Familie, der Gesellschaft – das kann schmerzen. Wie kann es da eine gute Zukunft geben? Wäre es nicht viel besser, all die alten Geschichten ad acta zu legen? Wie kann es gelingen, neu anzufangen, neue Wege zu gehen, die hoffen lassen auf ein friedlicheres, gerechteres, lebenswertes Leben für uns und die ganze Menschheitsfamilie?
Wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, das erzählt Johannes in einer österlichen Geschichte seines Evangeliums.
Jesus, gezeichnet mit den Wundmalen von Karfreitag, sitzt mit seinen Jüngern zusammen am See Genezareth. Eigentlich ist jetzt doch alles gut. Eigentlich könnte doch jetzt unter die alte Geschichte des Karfreitags mit ihren unerfreulichen und beschämenden Erfahrungen ein Schlussstrich gezogen werden. Jesus ist doch auferstanden. Alles ist gut. Basta.
Doch da ergreift Jesus das Wort und fragt Simon Petrus: Hast du mich lieb? Wie ein Messerstich trifft es den Jünger. Warum fragt Jesus ausgerechnet ihn? Ist es wegen der Sache im Garten Gethsemane, wo er eingeschlafen ist? Aber ja doch, Jesus, ich habe dich lieb! Dann weide meine Schafe, antwortet Jesus – was so viel meint: dann geh ans Werk, an die Arbeit, führe fort, was ich angefangen habe. Petrus atmet auf. Alles gut.
Nach einer Weile fragt Jesus wieder: Simon, hast du mich lieb?
Wieder ist da dieser Stich in der Brust, schlimmer als beim ersten Mal. Ja, er hat Jesus verleugnet. Er hat ihn im Stich gelassen. Etwas leiser antwortet er: Ja, ich habe dich lieb.
Dann weide meine Schafe, antwortet Jesus wieder.
Und noch ein drittes Mal ergeht die Frage: Simon, hast du mich lieb? Petrus schließt die Augen, er sieht sich, wie er voller Panik aus dem Hof des Hauses des Hohenpriesters weggelaufen ist – weg aus Jerusalem, bloß weg. Er sieht in den Spiegel, den Jesus ihm mit dieser einfachen Frage hingehalten hat, erschrocken, beschämt, schuldbewusst. Er macht sich nichts mehr vor. „Herr, du weißt alles, du kennst mich durch und durch; du weißt, was schlecht gelaufen ist, wo ich schuldig geworden bin; aber du weißt dann doch auch, dass ich dich liebhabe.“ Jetzt ist es raus. Jetzt ist er durch den Schmerz durch. Und Jesus sagt: Dann mach dich an die Arbeit, führe fort, was ich angefangen habe. Jetzt kannst du das, weil du dir über dich selbst im Klaren bist. Du wirst deinen Weg in meiner Spur mutig weitergehen.
Eine Erzählung, die ermutigt und uns hoffnungsfroh macht. Wir können das, was war, überwinden und verwandeln.
Wir sind nicht ohnmächtig.
Wir sind beschenkt mit dem Geist, der Jesus erfüllt hat.
In Verbindung mit ihm können und sollen wir dafür einstehen, was er uns ans Herz gelegt hat – furchtlos und voller Vertrauen, dass unsere Guttaten Früchte tragen werden.
Das Lied, das wir gerade gesungen haben, weist darauf hin, dass wir eine ganze Menge bewirken können, um dem Frieden auf Erden den Weg zu bereiten.
Der Glaube geht Hand in Hand mit der Tat,
er befreit uns zu neuen Gedanken.
Eine gute Zukunft braucht unseren Einsatz,
unsere Bereitschaft zur Erinnerung,
braucht Wahrheit im Blick auf Vergangenheit und Gegenwart, auf die Geschichte der Menschheit lokal und global; braucht Klarheit, Ehrlichkeit im Umgang mit sich selbst und mit den Mitmenschen.
Eine gute Zukunft braucht uns als hoffnungsfrohe, mutige Freundinnen und Freunde des Auferstandenen.
Machen wir uns auf den Weg, wir gehen ihn nicht allein, sondern in Gemeinschaft mit vielen Menschen weltweit und begleitet von Gottes Geist und seinem Segen.
Lassen sie uns zusammen das Lied 371 singen „We shall overcome“.
Es ist das Lied der Bürgerrechtsbewegung der 50er und 60er Jahre in den Vereinigten Staaten von Amerika, die ihre Kraft zu zivilem Ungehorsam und Widerstand gegen den allgegenwärtigen Rassismus aus den Gottesdiensten der schwarzen Kirchen bezog, die sich ermutigen ließ von den biblischen Geschichten von Befreiung aus Sklaverei und Unterdrückung. Ein Lied, mit dem wir uns verbunden wissen können mit allen, die heute weltweit aufstehen gegen Hass, Gewalt und Menschenfeindlichkeit.
Wir singen die Strophen 1+3+4+7.
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