15.So.n.Trin., 17.09.2023, Stadtkirche, 1.Mose 15, 1 - 6, Jonas Marquardt

Predigt Kaiserswerth 17.IX.2023 - 15.n.Trin.                                                                                                        

             1.Mose 15, 1-6

Liebe Gemeinde!

Ein älterer Mann - wohnungslos -, … enttäuscht, aber noch nicht mutlos, … mit verschwiegenen Hoffnungen und müden Augen blickt zum Himmel empor. —

 

Nacht für Nacht wiederholt sich das weltweit.

In der zerstörten libyschen Stadt Darna - übrigens in der Nachbarschaft von Kyrene, wo der Mann herstammte, der das Kreuz Christi nach Golgatha trug -… in der libyschen Stadt Darna, die vor einer Woche einen Klimakarfreitag erleiden musste, sitzen solche verwaisten, verwitweten Männer, die überlebt haben und nicht wissen, wozu, und starren in die Dunkelheit überm Meer. Auf den Straßen von New York blicken hunderte Augenpaare aus den Gesichtern der mittelamerikanischen Migranten, die in Hoffnung wie Abraham ausgewandert sind und in Obdachlosigkeit landeten, perspektivlos in die Nacht, die vor lauter Neon keine Sterne zeigt. Und dreieinhalb Kilometer von uns entfernt, auf dem Nordfriedhof, auf den abends die Leute mit den unförmigen Plastiktüten zotteln, weil sie in den schicken Mausoleen für die Toten übernachten werden, da richten sich in den Stunden unseres bürgerlichen Schlafes auch viele Blicke durch die Äste der Baumkronen zwischen den selbstgedrehten Zigaretten nach oben und fragen: „Wie weiter? Oder war’s das?“ … Und in den schwarz-verdunkelten Stunden der Ukraine und in der erstickenden Enge der Lampedusa-Lager auch: Lauter abrahamische, … abrahämische, … abraheimliche Blicke nach Gott.   ——        

 

Ein müdegewanderter Mann - wohnungslos -, … elend enttäuscht, aber noch nicht vollends mutlos, … mit verstummenden Wünschen und alten Augen blickt ins Schwarze empor. …

… Mehr nicht.

 

Aber es ist die Sternstunde: Der Welt. …

… Es ist die Stunde, in der unsere Seligkeit anfängt.

Weil ein heimatloser Mann - zukunftsleer -, frierend ernüchtert und kinder-, wenn auch nicht gottlos, mit enttäuschten Erwartungen, aber noch ungeschlossenen Augen vor den Himmel tritt.

 

„Ich gehe dahin …“. Darna versunken. Lampedusa, New York, Europa nicht mehr aufnahmefähig. Unser schönes Düsseldorf, marmorglänzend bis in die Totentempel seiner Penner.

„Ich gehe dahin …“, stellt der Nachtmensch Abraham fest. Und mit etwas wie bitterer Ironie fügt der nichtsesshafte Jäger der verbogenen Verheißung, der Nomade ohne Immobilien hinzu: „Und mein Knecht wird mein Haus besitzen“ …?!

… Willkommen in der versunkenen Stadt.

… Richtet euch ein auf dem Times Square: Wir bieten Festbeleuchtung.

… Familien Henkel und Poensgen, Heynen und Grillo bitten - in unser aller Namen! -, in ihren Gruften noch Schlafplätze auszuwählen.

Ein bitterwahres Theaterstück von Lebenswegen ohne Ziel und Zukunft.

Das Drama unserer Erde. ———

 

Doch worin besteht denn nun die alle irdische Düsternis durchbrechende Sternstunde, die seit dreitausendsiebenhundert Jahren leuchtet und leuchtet und leuchtet und tröstet und hell macht und retten kann?

…. In der herzergreifend schlichten Ahnung, die Matthias Claudius seiner simplen Sternseherin Lise[i] in den Mund legt? – „Ich sehe oft um Mitternacht, / Wenn ich mein Werk getan / Und niemand mehr im Hause wacht, / Die Stern' am Himmel an. …Dann saget, unterm Himmels-zelt, / Mein Herz mir in der Brust: / "Es gibt noch Bess'res in der Welt /Als all ihr Schmerz und Lust."“?

… Oder hat Abrahams astronomische Meditation nur das Schiller’sche Gefühl „Brüder, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen“[ii] entfacht und befördert es bis heute?

Was ist da geschehen, in dieser von den Nazis so vergewaltigten „hohen Nacht der klaren Sterne“[iii]?

Etwas, das bei Paulus (vgl.Rö.4,3ff; Gal.3,6ff) und bei Luther zur Erkenntnis und Verkündigung der Grundlage und Grundhaltung des Christentums geführt hat: In der Sternstunde Abrahams ist der Glaube gleichzeitig als des Menschen Tat aller Taten und als Gottes Gabe aller Gaben aufgeleuchtet. —

Warum ist der Glaube eine Tat?

Weil er nicht irgendein Kleinbeigeben, irgend ein Einknicken, Abnicken, Annehmen oder bloßes Zustimmen ist.

Glauben ist nicht Vermuten, sondern wirklicher Mut. - Der Mut, nicht nur das Unsichtbare, das Unbewiesene, das Verheißene, das, was jenseits aller Griffe und Begriffe des Menschen ist, ernst zu nehmen, sondern dabei auch noch genau das auszuhalten: Dass es unbegreiflich ist, worauf man da vertraut, … rein gesprochenes und versprochenes Wort, … unbelegt, … nicht vorzeigbar und nicht ersichtlich.

Und als wäre das nicht schon genug – dass man die Bequemlichkeit und Sicherheit des Zweifels und der Verzweiflung aufgibt (denn beide legen sich uns ja so nah und liegen so klar zutage, dass man sich nach ihnen wirklich nicht strecken muss!) –, … als wäre also das Wagnis des ernsten und doch weder wissenschaftlich noch juristisch erhärtbaren Glaubens nicht genug, bedeutet der Glaube Abrahams obendrein auch noch, dass man das, was man fürchtet und verabscheut, das, was einem Angst und Schrecken einjagt, plötzlich lernen muss, positiv zu sehen.           

Denn gerade diese Umkehrung aller Vorzeichen, diese Umwertung dessen, was er weiß und fühlt, wird Abraham in der Stunde unter den Sternen ja zugemutet.

Abram aus Ur in Chaldäa ist doch ausgewandert aus dem astrologischen Weltbild seiner Herkunft: Der alte Orient wusste sich ja völlig abhängig von den Himmelskörpern. Man spürte im lebensregelnden Monats-Rhythmus des Weiblichen die Magie der Mondgöttin; man lebte überwältigt und ausgeliefert an die Blendung und Allmacht des zum Wachstum nötigen und doch so oft auch tödlichen Gottes des Sonnenballs; man las die Orakel, die Schiedssprüche und Zwänge, die die Sterne ans Firmament schrieben, wo Zeit und Schicksale bis ins Einzelne gelenkt und determiniert wurden!

Schrecklich ist es, unter dem Himmel der Alten zu stehen: Fremde Mächte, unentrinnbare Gesetze und überirdische Willkür herrschen da. Wer diesen Himmel über sich weiß, muss zittern und in den Staub sinken! …

Und Abraham, der dieses furchteinflößende Welt- und Himmelsbild der kosmischen Religion hinter sich gelassen hat, weil ein Gott ohne Leuchtkörper und Erscheinungsbild ihn noch unsicherer als später die Magier und sternkundigen Bethlehems-Pilger, die immerhin einem Kometen folgen konnten, einfach in die weglose Weite gerufen hat, … Abraham soll nun ausgerechnet zu jenem Überwachungsnetz am Himmel sehen und Vertrauen fassen?!

Da oben funkelt ein Heer von tausendundeinem gekränkten Dämonen, vor denen sich alle anderen Chaldäer demütig neigen; da oben spotten unzählige Geheimzeichen jeder Zählung und Entschlüsselung, weshalb man ihnen ohnmächtig Opfer schuldet; da oben herrschen sichtbar die Gewalten, denen der Flüchtling des verborgenen Gottes sich sinnlos entzogen zu haben hoffte.

Und jetzt soll er hinschauen?!

Und soll nicht die Angst, die ihn da unwillkürlich heiß und kalt überläuft, ausbrechen lassen, sondern in dem, was er mit grauenhaftem Bangen zurückließ, soll er seelenruhig die Zukunft schauen, … seine Zukunft und die Zukunft all jener zahllosen Kinder, die sein Glaube hervorbringen wird?!

Die Sterne keine Götter mehr, sondern seine Kinder?!

Was für eine Zumutung!

Und was für ein Mut, wenn einer diese Zumutung annimmt!

Stellen wir uns einmal selber unter die Mächte und Mysterien, denen wir ausgeliefert sind:

Die unheimlichen und die offensichtlichen Geister, die uns die Luft abschnüren, … oft deshalb, weil wir - die Zauberlehrlinge - sie riefen, aufweckten und beherrschen zu können meinten. Jene abgründige Zerstörungskraft, die ein Film uns im Westen und Putins Finger im Osten uns gerade wieder zu fürchten lehren! … Die unkontrollierbar entfesselten, bösen Folgen unserer guten Zeiten in der Erfindung, Erzeugung und Ausnutzung des materiellen Fortschritts. … Die zwischen Staunen und Terror schwankende Erfahrung, dass wir Maschinen gebastelt haben, die zwar nur rechnen und durchmischen können, deren Gründlichkeit dabei aber über unser Vermögen so eiskalt erhaben ist, dass wir sie als „intelligent“ empfinden und ihr künstliches Wiederkäuen und Hochwürgen als eine womöglich endgültige Absage an das göttlich und menschlich Schöpferische erleben. … Lauter uns überlegene Gebilde, unzählige zweideutige Vorzeichen und aus der Ratio ausgerissene Gefahren schweben da über unseren Tagen und Nächten.

Wenn wir aber mit zu Abrahams Samen zählen, zu den unzähligen Erben der Verheißung, die sein Vertrauensmut geboren hat, dann ruft sein ruhiger Blick zu den Sternen, der ihn nicht verzweifeln, sondern glauben ließ, auch uns zu:

„Seht klar hin auf das, wovor Euch mit endzeitlicher Wucht graut … und dann fürchtet euch nicht, nehmt nichts anderes mehr wahr als die Zukunft. Seht klar hin auf das, was Untergang, Fluch und Ende zu bedeuten scheint, … und erkennt die Verheißung des Lebens eurer Kinder. Denn nur, wenn ihr so auf die rohen Kräfte und bedrohlichen Mächte hinschaut und nicht in Illusionen ausweicht, dürft und werdet ihr die unglaubliche Glaubensgabe tatsächlicher Zukunft empfangen.“

Denn das ist Glaube ja: Die Gottesgabe, …Seine Gnadengabe, dass Menschen trotz allem, was über ihnen schwebt, erkennen dürfen, wer, wie und wo die Zukunft ist.

… Gott ist die Zukunft.

… Nur Gott!

Und das ist ja das Unbegreifliche schlechthin.

Abraham hatte verinnerlicht, die Zukunft werde beschlossen und verhängt durch die Sterne.

Wir haben verinnerlicht, dass die chaotischen und differenzierten Prozesse, die wir begonnen haben und die sich unerbittlich entfalten, die Zukunft unweigerlich und unabänderlich bestimmen werden.

Glauben aber bedeutet den Mut und die Gnade, in solchen Gewissheiten, solchen astrologischen oder kausalen Determinationen, in solchem abergläubischen oder atheistischen Fatalismus nicht gefangen zu bleiben, sondern sich ruhig auf das einzulassen, was ausgeschlossen scheint, es sei denn, wir würden unvoreingenommen zukunftsoffen wie die Kinder (vgl. Matth.18,3).

Der abrahamitische Erzväter- und Kinderglaube ist darum aber nicht Naivität, sondern das Geschenk einer Zuversicht, die frei ist von der Sklaverei des ererbten Vorurteils, frei vom Zwang des Nichts-Anderes-Erwarten-Könnens als das Verhängnis.  

Der alte Mann - dreitausendsiebenhundert Jahre alt -, der in nüchternem Mut, … in der Offenheit unerfüllter Hoffnung, … mit scharfen Frage nach dem, was kommt, aber auch in der Freiheit, sich vor nichts dabei zu fürchten, emporblickt, zieht auch unsere Zuversicht, unsere Fragen, unsere Lebensaussichten mit in die Höhe:

Und siehe, da sind nicht beherrschende Sterne oder eherne Gesetze.

Sondern die lebendige Zukunft aller Menschen, … die göttliche Gerechtigkeit, die der Zuversichtsmut Abrahams für sie alle eröffnet, … das unwiderrufliche Recht auf Leben, das denen zugesagt wird, die mit Abraham, nach, durch und wie Abraham frei auf Gott blicken.

In der Sternstunde Abrahams erfüllt sich also nichts, aber alles öffnet sich.

Und solche Offenheit zur Zukunft Gottes hin ist die Gerechtigkeit des Glaubens, seine Tragfähigkeit und Belastbarkeit in Angst, in Schuld und in Geduld.

Es ist kein Zufall, dass diese furchtlose Offenheit des alten Mannes Abraham für Gott in einer zweiten Sternstunde des Zukunftsmutes, in einer zweiten Gründungsstunde unserer Berufung zum Glauben wiederkehrt.

Da hat sie weibliche Gestalt.

Ein junges Mädchen - ehelos und ohne Bevormundung -, … unschuldig und darum nicht mit Angst vertraut, … überrascht, aber mit klarem Blick wird in ihrer Niedrigkeit vom Himmel angesehen und angerufen.

Und sie erfasst, dass da die Abrahamsstunde, die Stunde, in der wir nichts fürchten, sondern Gott als die Zukunft kennenlernen sollen, schlägt.

Wir haben ihren Lobgesang am Anfang gebetet und werden ihn am Ende noch einmal singend aufgreifen. Sie, die Tochter Abrahams und Mutter des Zukünftigen jubelt mit Abrahams Samen und in Abrahams Namen: „Es geschehe, wie Du gesagt hast … wie du geredet hast zu unseren Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit!“ (vgl. Lk.1,38+55)

Das ist Glaube! „Fiat! Lass mich voll und ganz Deine Zukunft sein, Gott, und sei Du ganz und gar die unsrige … was immer auch kommt!“ ——

Dieses vollständige Eingehen auf und Aufgehen in Gottes Zukunftszusage, das wir Glauben nennen, ist aber nun tatsächlich die Sternstunde der Welt.

Sie leuchtet und leuchtet und leuchtet und tröstet und macht hell und kann retten.

 

Herr, ermutige und stärke auch uns den Glauben, die wir mit Abraham und Maria auf Dich trauen in Jesus Christus. Stärke diesen Glauben in uns gerade auch für die Hoffnungslosen von Darna und im Atlasgebirge, für die auf der Flucht und im Krieg, für die Unsichtbaren und Vergessenen, die doch alle Deine Abrahamskinder sind: Schenke ihnen das Lebens- und das Zukunftsrecht bei Dir, die - wie Paulus am Schluss seiner Abrahamsmeditation (Rö.4,24f) sagt - allen „zugerechnet werden sollen, wenn wir glauben an den, der unsern Herrn Jesus Christus auferweckt hat von den Toten, welcher ist um unserer Sünden willen dahingegeben und um unsrer Rechtfertigung willen auferweckt“!

Amen  

 

[i] Dieses populäre volkstümliche Gedicht von Claudius wird hier zitiert nach: Matthias Claudius’ Werke, chronolog. geordnet usw. usw. hgg. v. Georg Behrmann, Leipzig (o.J. – ca. 1880), wo es im Hauptteil vergessen wurde und sich daher eigens im Vorwort findet auf S. LXXVI.

[ii] Aus der Ode „An die Freude“, in: Friedrich v. Schiller, Sämtliche Werke (Lizenzausgabe WBG) Darmstadt 19878, Bd.I: Gedichte. Dramen I, S.133.

[iii] Ein Nachweis des Nazi-Weihnachtsliedes erübrigt sich. Möge es vergessen werden.

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