14. So. n. Trinitatis, 21.09.2025, Mutterhauskirche, 1.Mose 28, 10ff, Jonas Marquardt
Predigt Mutterhauskirche 14.n.Trin. - 21.09.2025
1.Mose 28, 10-22
Liebe Gemeinde!
Hätten wird doch nur Jakobs Kopfschmerzen!
… Er ist zwar ein Weichling und Betrüger, ein Flüchtling vorm eigenen Gewissen und dem linsengesättigten Zorn seines übervorteilten Bruders Esau. Jakobs von Mama einigermaßen verwöhnter, vom raschen Abhauen aber umso strapazierterer Lieblingssöhnchen-Körper ist klebrig vor Angstschweiß und schmierig vom Steppenstaub. Durst und Angst und Erschöpfung hämmern in seinen Schläfen. Und unterm müden Haupt hat er heutabend nur einen Stein. …
… Und dennoch hätten wir wohl gerne Jakobs Kopfschmerzen: Denn auch wenn er verloren ist, ist es die Welt um ihn herum doch nicht. Auch wenn er nicht weiß, was ihn erwartet, ist doch die Erde noch jung und wird der Tau dieser Nacht für einen frischen Morgen voll neuer Ziele im Land der Lebendigen sorgen. Auch wenn Jakob also ein Lump sein mag und sein Nachtlager traurig, ist das doch harmlos im Vergleich zu unsern alten Tagen beinah 40 Jahrhunderte später, auf welker Lebensgrundlage einer verbrauchten Welt, in der wir alle vor unserem Gewissen wohl nur Reißaus nehmen und die verhätschelten Madensäcke unseres Wohlstands am besten irgendwo in eine unbekannte Sicherheit schleppen müssten.
Jakobs Pfusch zum Segen ist eine Anfangsgeschichte gewesen, während bei uns ein Endpunkt an verpfuschtem und verwirktem Segen greifbar werden zu wollen scheint.
Darum betteten wir uns vielleicht also wirklich lieber an Jakobs Stelle auf dem vom Tag warmstrahlenden Stein, der später den Namen Beth-El tragen wird. Darum wären wir vielleicht tatsächlich lieber Teil der konfliktträchtigen Jugendgeschichte von den neidischen Rebekka-Zwillingen, als dass wir unsere Rolle im verfilzten Alte-Männer-Drama einer Menschenfamilie übernehmen müssten, in der im 21. Jahrhundert lauter Ewiggestrige die Träume der Großmächte, der Ideologien und Industrien des 20.Jahrhunderts noch einmal rücksichtslos erzwingen wollen. …
Vielleicht lägen wir also wirklich lieber mit Jakob damals buchstäblich am Boden, als uns auf der vermeintlichen Höhe der menschheitlichen Entwicklung nach so langer Zeit … und doch in keiner angenehmeren Lage zu finden? ……
Müßig zu fragen.
Denn wo immer wir stehen oder liegen, wo immer uns der Platz auf unserer derzeitigen Wanderung - hochhinausfahrend oder niedergestreckt in den Staub - zugefallen sein mag in der Geschichte von Abrahams Samen nach dem Fleisch und nach dem Geist, die uns letztlich sogar nahtlos mit Jakob verknüpft: … Wenn wir jetzt mit Jakob oder ohne Jakob, mit Kopfschmerzen oder betäubt oder vielleicht auch völlig sorgenfrei zur Ruhe kämen und dadurch unsere Sinne überhaupt erst wahrnehmungsfähig würden, wie damals in jener finsteren Nacht der Einsamkeit, ja der Verlassenheit beim künftigen Patriarchen der 3.Generation, … dann, … nun, dann würde uns etwas begegnen, das allen Kopfschmerz nimmt, auch wenn es unser Gewissen nicht entlastet und unsere Wanderung hier nicht beendet.
Wir sehen’s zwar nicht. – Oder siehst Du sie doch? Erinnerst Du Dich, sie einst bemerkt, wenigstens geahnt zu haben? Könnte es sein, dass Du Dich ihrer dunkel entsinnst? …
Wir hören nichts. – Oder kommt Dir ein Hauch davon bekannt vor? Hast Du das unerklärliche Hintergrundrauschen der dunkelsten Stunden jemals bis zu seinem Ursprung verfolgen können? Haben Dich leise Schwingungen in der völligen Leere gestreift? Wurdest Du bewegt, obwohl nichts mehr ging und keiner mehr da war? …
Wir nehmen auch geistig, intellektuell nicht das Geringste wahr. – Oder geht’s Dir trotz aller Vernagelung und Verblendung gelegentlich auf? Öffnet sich eine Höhe, offenbart sich eine Nähe, leuchtet eine Tiefe auf, die eben nicht unbevölkertes Vakuum, nackt-abstrakte Ausdehnung eines leblosen „All“-Begriffs sind, sondern uns Schicht um Schicht, Stufe für Stufe etwas Anwesendes, eine Gegenwart entdecken lassen?! …
Das ist die Jakobs-Nacht der Seele: Eine aufklarende Sternstunde des Geistes, der unterm Kopf den harten Stein der materiellen Wirklichkeit braucht, um sich gerade da und dort, im Niemandsland der Mitternacht überzeugen zu dürfen, dass Himmel und Erde nicht geschieden und dass beide auch nicht tot oder verlassen sind.
Der alte Walt-Disney-Dokumentarfilm, der als einer der ersten Farbfilme der Gattung das Publikum von 1953 in dessen Nachkriegsnot und -müdigkeit begeisterte, hat Recht: „Die Wüste lebt“ (vgl. Jes.41,18 / 43,19)!
… Man könnte auch sagen: „Die Nacht leuchtet wie der Tag“ (vgl. Ps.139,12) oder „Deine Toten werden leben, … denn ein Tau der Lichter ist dein Tau …“ (Jes.26,19).
Dieses trost- und kissenlose K.o. des verlorenen Sohnes irgendwo in Transjordanien auf dem Rückweg ins Mutterland, in den Stunden des dramatischen Nachspiels zum erschlichenen Sterbesegens seines Vaters - der womöglich in ebendieser Nacht den Geist aufgibt -, öffnet ein biblisches Tor, das nie wieder geschlossen wird … und anders als die Pforten Edens auch niemals geschlossen war: Es ist der Himmel Gottes, das Reich der Herrlichkeit, die Realität der Transzendenz, das durch und durch lebendige und lebensvolle Jenseits, das in Wahrheit doch die korrespondierende andere Röhre, die zweite Herzkammer, das unverzichtbare Pendant zu dem ist, was wir hier die „Welt“ nennen.
Das Reich Gottes macht hoch die Tür und seine Tore weit über dem läppischen, tapsigen Sünderlein Jakob.
Das Licht scheint in der Finsternis.
Die Gnade baut ihr Haus - ihr Beth-El - in der menschenleeren Wüste, damit auch nicht ein einziger Streuner durch die Einöde irrt und meint, es gebe tote Winkel oder Landschaften, in denen Mangel an Gottes Gegenwart herrsche, so wie wir Heutigen allen Halt verlieren, sobald das Telefonnetz wegbricht.
Die Wüste lebt.
Totale Verlassenheit wird von lebendigster Gegenwart umfangen und durchdrungen.
Dort, wo Menschen nichts erwarten, erwartet sie alles.
Die Finsternis der Hölle vergeht nämlich, sobald wir nur merken, dass der Himmel da ist, … immer da ist, …. immer schon war, ….. und für immer auch bleibt! —
… Wie schön!
… Hätten wir doch nur Jakobs steinernes Kopfkissen! … Er ist zwar ein Obdachloser und Landflüchtiger, ein Mensch im Nirgendwo, doch er ist aufs „Überall“ und „Immer“ gestoßen!
… Zum Träumen schön! …….
Allerdings ist die Bibel gerade darin die Bibel, dass sie hier zwar die größte aller Wahrheiten in einem Traum schildert, aber weil sie hier zugleich ja die echteste aller Wirklichkeiten aufdeckt, geht’s eben nicht zu wie im Traum.
Der menschliche Traum wäre: Überall auf dieser einsamen, mühsamen, grausamen Erde kann der Himmel sich auftun und uns mit Licht und Duft und warm-weich-wolkigem Wohl aus seiner jenseitigen Wunderkammer überströmen.
Aber Jakob muss sich weiterhin an einen rauhen Stein schmiegen, statt an Muttis Schürze, und um ihn legt sich kalt die Nacht der Wildnis, in der die Schakale wittern.
Und die biblische Wirklichkeit dabei ist: Der Himmel ist nicht irgendeine Watte für die Welt, sondern die Welt ist es, die den Himmel berührt und bewegt, … die Welt lässt den Himmel nicht kalt, weil sie bis zu ihm reicht und weil der Ansturm ihrer Anliegen und Verlegenheiten, der Ansturm der Welt-Lage und aller Niederlagen in der Welt sich allemal dort Zugang verschafft …; ja, die Welt durchbohrt den Himmel sogar buchstäblich, wie wir auf Golgatha sehen, wo eine viel kleiner Leiter als die von Jakobs Nachtgesicht in Bethel ausreicht, um den aufgehängten Himmel mit der aufgerissenen Herzflanke vom Kreuz herunter zu pflücken und der Erde zurück in den Schoß zu legen. ——
Die Himmelsleiter also. Die Leiter zwischen den Folterknechten dieser Erde, ja, der ganzen Welt der Trauernden und Leidenden und dem mitleidenden Himmel.
Da reiben wir uns vielleicht die Augen oder schlackern mit den Ohren, dass die beliebte Kindergottesdienst-Geschichte heute in Passionsfarben ausgemalt wird. Diese wunderbare Verbindung zwischen oben und unten sieht in den Kinderbibeln oder auf den Emporenmalereien der Dorfkirchen so fröhlich aus: Weißwallende, strahlenumflossene Scharen von Engeln tummeln sich am Reck, es geht entweder zu wie auf einer Rutschbahn oder es sind feierliche Auftritte auf einer Freitreppe zu beobachten, auf der der himmlische Hofstaat sich huldvoll sehen lässt und niederschwebt.
Doch weder ein spielerisches Abwärtssausen, noch hoheitliche Herablassung der himmlischen Heerscharen zeigt uns die Bibel anhand der Bethel-Leiter, die sich über Jakobs harter Flüchtlings-Nacht erhebt. Vielmehr will sie uns doch die umgekehrte Richtung weisen, … mit dem Blick auf Golgatha muss man bewusst von der „Stoßrichtung“ sprechen, die in der Beschreibung der Verbindungslinie zwischen dieser und der Welt Gottes so unmissverständlich betont wird: „Eine Leiter stand auf der Erde, die rührte mit der Spitze an den Himmel.“
Es ist ein Von-unten-nach-oben-Drängen, für das uns hier die Sinne geschärft werden und ganz eindeutig nicht das umgekehrte Gefälle!
So dass wir schon hier, an der ersten Stelle der Bibel, an der vom offenen Himmelreich die Rede ist, erkennen können, wie’s in Gottes Welt niemals „von oben herab“ zugeht. „Und siehe, die Engel Gottes stiegen auf und nieder …“ heißt es ja von der verbindenden Leiter!
Wenn uns das aber vor Augen steht – dass der Himmel eine einzige Offenheit ist, um die Signale der Erde zu empfangen, um Boten und Botschaften aus der Tiefe aufzunehmen – , dann stellt sich uns – der um den auf seinem Stein schlafenden Jakob versammelten Gemeinde – nicht mehr die Frage, ob wir uns nun die Sorgen oder die Träume dieses Menschen wünschen sollen. Vielmehr werden wir dann doch begreifen, wie sehr und wie unverändert und wie unveränderbar wir Teil seiner Welt sind, über der die Offenheit Gottes steht: Sorgen, Träume, Lügen, Schwächen, Konflikte, Feigheiten Weglaufen, Erschöpfungen, … sämtliche Kalamitäten, Absurditäten und Tragödien der Jakobsgeschichte sind Teil dieser Welt unterm Himmel. Sie sind und wir sind Teil dieser Welt, aus der die Engel, die Träger aller Gebete und die stille Post unserer inneren Wünsche, die Sammler unserer Tränen und die unerschrockenen Vermittler unserer verheimlichten Schuld das alles nicht nur an die Ober-fläche, sondern wirklich nach oben bringen, … hinauf, … hinaus übers Tageslicht, das auch über Bethel dämmert, und hinein in die Herrlichkeit der Höhe, wo all’ das, was sie auf-decken und dem sie auf-helfen, … all’ das, was sie auf-arbeiten und auf-heben´, in Gottes weit geöffnete Gerichts- und Gnadenhänden gelegt wird.
Die Engel, die Jakob aus seiner Tiefe, aus seiner Torheit und Traurigkeit, von seinem Kopfschmerzkissen auf ihrem Weg zu Gott erblicken durfte, sind die wichtigste Wirklichkeit der Welt: Sie steigen von jedem Nachtlager und jedem Alltagsflecken auf; sie verbinden die Einsamsten und Abseitigsten, die Heuchler und die Heiligen, die Sünder und die Kinder ununterbrochen und unzerreißbar mit dem Himmel; sie springen aus jeder Falle und schweben aus jeder Freiheit immer und überall in Richtung Gottes, um das arme Unten mit dem Seligen, das über ihm offensteht, zu verbinden.
Die Engel wuchten den tonnenschweren Schmerz der Welt hinauf an das Herz, das ihn heilen wird. Sie tragen das Leid, sie heben die Sorgen, sie lüften die Geheimnisse, sie nehmen die Schreie mit und werfen alle Anliegen der ganzen Erde auf den lebendigen HERRn, Der allein das alles wirklich kennt und wirklich wenden wird.
Wir sollen also wissen – mit Furcht und Zittern und zugleich mit einer buchstäblich unvorstellbaren Hoffnung –, dass aus dem Horror, dem namenlosen, abgründigen Horror von Gaza und über den immer schlimmer von Drohnen und Kampfflugzeugen zerrissenen Luftraum der Ukraine und des Baltikums und durch die Betondecken und Stacheldrahtwälle und Todesstreifen aller Foltergefängnisse und Flüchtlingslager und Elendsviertel der Menschheit hindurch die Engel von dort zu Gott aufsteigen und Ihm bringen, was sie wissen und tragen und Ihn bestürmen und Ihm das Herz durchbohren und von Ihm mitnehmen, was in den dunkelsten Stunden, den tiefsten Nachterfahrungen und leersten Wüsten des Lebens eben doch zu ahnen, zu spüren und manchmal klar zu erkennen ist: Das Himmlische, … das Rettende, … die Gotteskraft.
So – von jedem Kissen und Stein, von jedem Ruheort und jedem Grab, von allen furcht- und wunderbaren Punkten der Erde – ist also zu sagen: „Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte!“
Und umgekehrt sollen wir an der ersten Stelle, an der diese Gegenwart Gottes im Elend des Irdischen offenbar wird, begreifen, was wir Christen lange ja auch wussten und heute wieder lernen werden:
Die Erde will zum Himmel.
Die wirkliche Hoffnung liegt nicht hier, sondern sie öffnet sich über uns.
Das Leid - alles Leid! - und das Leben - alles Leben! - muss den Weg der Engel ziehen und endlich Gott erreichen, um gestillt zu werden und als Trost und Kraft und morgendliches Lob eine Fortsetzung zu finden.
Was können wir also tun? Was sollen wir hoffen?
Alles in den Himmel hinauf zu geben.
Und ihm näher zu kommen. Immer näher.
Bis wir durch Nacht und Schuld und Verwirrung hindurch sagen können: „Beth-El“ – das Haus, das zuhause ist.
Für Jakob.
Und Esau.
Und alle.
Amen.
Lied: „Näher,mein Gott zu Dir …“
Veranstaltungskalender

Gemeindebüros

Adresse
Fliednerstr. 6
40489 Düsseldorf
Tel.: 0211 40 12 54
Adresse
Tersteegenplatz 1
40474 Düsseldorf
Tel.: 0211 43 41 66
Öffnungszeiten
Mo - Fr | 09:00 - 15:00 Uhr |
Di | 09:00 - 18:00 Uhr |
Öffnungszeiten
Di | 09:00 - 16:00 Uhr |
Mi u. Fr | 09:00 - 12:00 Uhr |
Spendenkonto
Ev. Kirchengemeinde Kaiserswerth-Tersteegen
DE38 3506 0190 1088 5230 39
.