Rogate, 05.05.2024, 1.Tim.2,1-6a, Stadtkirche, Horst Gieseler

Predigt zu 1. Timotheus 2, 1 – 6a 

„Ich sage dir: Sei mutig und entschlossen. Hab keine Angst und lass dich durch nichts erschrecken; denn ich, dein Gott, bin bei dir, wohin du auch gehst.“ Amen.

Rogate ist der Name dieses Sonntags, liebe Gemeinde, also: Betet! Diese Aufforderung lässt keine Wahlmöglichkeiten. Das ist eine klare Anweisung. Also gut – los dann. Dann lasst uns also beten. Ich schlage vor, jeder und jede betet für sich. Jetzt. In aller Stille. Oder auch laut. (…)

Was ist in Ihnen vorgegangen? War es Ihnen komisch laut zu beten? {Ich habe nichts gehört.} Oder fiel Ihnen gerade nichts ein? War es schwierig, so auf Aufforderung zu beten? Vielleicht haben Sie auch gedacht, jetzt ist aber Zeit für die Predigt.

Ja, was sind denn das jetzt auch für Aufforderungen! Beten, das machen wir am Anfang des Gottesdienstes und nach der Predigt, in den Fürbitten und im Vaterunser.

Ja, wir haben verschiedene Orte im Gottesdienst, an denen wir beten. Mal im Wechsel beim Psalmgebet, mal bete ich stellvertretend für uns, mal beten wir still, mal für andere, mal gemeinsam das Vaterunser und das Bekenntnis unseres Glaubens.

Und an diese Stelle im Gottesdienst gehört jetzt kein Gebet, (warum eigentlich nicht) sondern eine Auslegung des Predigttextes. Der steht heute im ersten Timotheusbrief im zweiten Kapitel und es geht – Sie haben es sicher schon vermutet – um das Beten. Aus der Nummer entlasse ich Sie heute Morgen nicht.

Das gemeinsame Beten im Gottesdienst, so wie wir es heute noch machen, geht zurück bis in die Anfänge der christlichen Gemeinden. Schon damals wurden die Leiter der Gemeinden dazu aufgefordert, in den Versammlungen mit den Menschen zu beten. Der biblische Text für den heutigen Sonntag ist eine solche Anweisung, wie man das Gebet gestalten soll:

Hören wir den Predigttext des heutigen Sonntags Rogate. Er steht im 1. Timotheus 2, die Verse 1 – 6a. (Gute Nachricht)

Lektorin:

(1) Das Erste und Wichtigste, wozu ich die Gemeinde aufrufe, ist das Gebet, und zwar für alle Menschen. Bringt Bitten und Fürbitten und Dank für sie alle vor Gott! (2) Betet für die Regierenden und für alle, die Gewalt haben, damit wir in Ruhe und Frieden leben können, in Ehrfurcht vor Gott und in Rechtschaffenheit. (3) So ist es gut und gefällt Gott, unserem Retter. (4) Er will, dass alle Menschen zur Erkenntnis der Wahrheit kommen und gerettet werden. (5) Denn dies ist ja unser Bekenntnis: Nur einer ist Gott, und nur einer ist auch der Vermittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Jesus Christus. (6) Er gab sein Leben, um die ganze Menschheit von ihrer Schuld loszukaufen. Amen

         

Beten ist Pflicht in der Gemeinde. Alle sind freundlich, aber bestimmt aufgefordert zu beten, so wie ich es eben eingangs hier von der Kanzel aus getan habe.

Im Text heißt es, liebe Gemeinde: Ich ermahne euch, und das ist kein unverbindliches Erinnern, sondern es handelt sich um etwas Wichtiges. Und zwar soll nicht nur einer für alle beten, sondern alle für alle! Es geht um Bitte, Gebet, Fürbitte und Dankgebet für alle Menschen.

Wie geht das?

Wenn ich mir dabei die Menschen vorstelle, die mir nahe sind, dann ist das einfach. Oft weiß ich ja, welches die Nöte und Sorgen meiner Liebsten sind und kann gut für sie bitten. Was mir selbst fehlt, weiß ich auch, besonders im Vergleich mit anderen. Der Dank für das, was mir an Gutem im Leben geschenkt ist, fällt mir da schon weniger schnell ein. Aber wenn ich mir vor Augen führe, wie gut es mir geht, trotz meiner Krankheiten, dann gelingt auch das. Fürbitten fallen mir immer ein, spätestens, wenn ich abends die Tagesschau schaue oder morgens die Zeitung lese. Ganz besonders in diesen Zeit der Gewalt, unserer Frevel gegen die Natur, der Not und der Schrecken von Kriegen.

Aber es geht hier noch um etwas mehr als meinen eigenen Horizont und um die, die mir nahe sind. Es geht darum, für alle Menschen zu beten.

Das ist radikal. Denn es bedeutet ja, auch für die zu beten, die ich nicht leiden kann; für die, mit denen ich Streit habe, liebe Gemeinde. Und auch für die, die mich verletzt haben.

Von meiner persönlichen Situation einmal abgesehen, heißt für alle beten, auch für Menschen zu beten, die Fehler gemacht haben, die verantwortlich sind für das Leid anderer, für die Kriegstreiber, für Putin, für die Schleuser von Flüchtlingen, für die, die andere quälen und foltern.

Das ist ganz schön viel und sehr schwierig, was da von uns verlangt wird, liebe Gemeinde. Es erfordert die Fähigkeit, beim Beten von meinen eigenen Befindlichkeiten und Bedürfnissen absehen und weitersehen zu können. Für alle Menschen – da ist die ganze Welt eingeschlossen, Arme, Reiche, Verbrecher, Schlaue, Dumme, Kinder, Erwachsene, Christen, Muslime, Juden und Atheisten – einfach alle. Ausnahmen gibt es nicht.

Eine Gruppe von Menschen wird dann in unserem Predigttext noch besonders erwähnt. Es zeigt, dass es auch für die Christen damals nicht selbstverständlich war, diese Menschen einzubeziehen in ihre Gebete, hatten sie doch auch immer wieder unter ihnen zu leiden. Man soll für alle beten und insbesondere auch für die Obrigkeit, für die da oben, für die, die an der Macht sind, für die, die das Sagen haben.

Das ist jetzt aber wirklich zu viel verlangt, könnte der ein oder andere damals gedacht haben. Da ist eine Grenze erreicht, könnte der ein oder andere heute sagen. Und viele von uns können das auch heute nicht! Ich verstehe das! Ich zweifle ja an mir, ob ich es kann.

Aber: Was auf den ersten Blick aussieht, als sollte man kriecherisch und anbiedernd sein, ist auf den zweiten zutiefst demokratisch gedacht:

Wir sollen beten für die Obrigkeit, die Politiker, denn sie sind auch nur Menschen. Sie stehen nicht über den anderen, sondern daneben, sind so Teil von uns. Wir dürfen sie nicht vergessen, denn sie sind im besonderen Maße verantwortlich. Auch sie haben es nötig, denn sie müssen Entscheidungen treffen, die unser alle Leben betreffen. Und wir hängen von diesen Entscheidungen mit ab. Ob wir ein freies und selbstbestimmtes Leben führen können, oder wie es in der Sprache des Neuen Testaments heißt: ein ruhiges und stilles Leben, kommt stark auf die Regierenden in unserem Land an. Also gibt es guten Grund, auch für die Regierenden unserer Zeit zu beten. So weit, so gut. Die Anweisungen zum Beten sind klar formuliert. Aber bringt das denn was, das Beten, liebe Gemeinde?

Bringt es etwas, dafür zu beten, dass meine Eltern sich nicht trennen, fragen sich Jugendliche?

Bringt es etwas, dafür zu beten, dass es Frieden gibt auf der Welt, wenn doch immer neue Krisenherde dazu kommen, fragen wir uns?

Bringt es etwas, dafür zu beten, dass wir endlich Maßnahmen zur Rettung des Klimas ergreifen, z.B. nicht nach Mallorca zu fliegen, fragen sich unsere Kinder?

Bringt es etwas, dafür zu beten, endlich schwanger zu werden, fragen sich manche Frauen?

Bringt es etwas, dafür zu beten, dass ich meinen Job nicht verliere, fragen sich Angestellte großer Firmen?

Bringt es etwas, dafür zu beten, dass ich wieder gesund werde, fragen sich Ältere?

Die Fragen lassen sich schwer beantworten. Manche Menschen sind fest davon überzeugt, dass ihnen das Beten etwas gebracht hat. Es gab in ihrem Leben eine Wende, es gab einen Strohhalm, nach dem sie greifen konnten, einen Menschen, der an ihrer Seite war.

Eine allgemeingültige Antwort lässt sich aber nicht finden. Aber um diese, für uns so wichtige Frage, geht es im heutigen Predigttext gar nicht. Denn es heißt schlicht und ergreifend: Das Beten ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserem Heiland.

Beten ist einfach unsere Art, uns gegenüber Gott zu verhalten, so sieht es der Verfasser des Textes. Und es ist deshalb wichtig, weil es uns an etwas Entscheidendes erinnert: Wir verdanken unser Leben nicht uns selbst, sondern Gott. Beten, vor allem das Beten für andere, für alle anderen, verhindert Egoismus, liebe Gemeinde.

Denn es macht deutlich: Ich bin nicht allein auf dieser Welt. Auch andere Menschen haben Probleme und Sorgen und Bedürfnisse. Das rückt mich in einen größeren Zusammenhang, manchmal sehe ich meine eigenen Probleme und Sorgen in einem anderen Licht, auf alle Fälle verbindet es mich mit anderen Menschen und macht mir deutlich, dass ich für andere Verantwortung übernehme, diese im Gebet aber auch gleichzeitig für mich.

Denn Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen; und zwar dadurch, dass sie füreinander beten. Betet in meinem Namen, sagt Jesus und fordert dazu auf: Sucht im Gebet Kontakt zu Gott. Fragt und fragt nach, lasst euch nicht alles vorsetzen. Singt – Schreit – Glaubt! Aber glaubt nicht alles. Zweifelt und habt Mut. Setzt euch ein und setzt etwas dagegen, ruft laut, riskiert etwas – es ist manches Mal scheinbar umsonst, aber es wird nie vergeblich sein. Beten ist unsere Aufgabe. Und das kann durchaus laut sein. Muss es sogar!

Die Theologin Dorothee Sölle hat es so ausgedrückt: Beten ist Revolte. Wer betet, sagt nicht: „So ist es und Amen!“ Wer betet, der sagt: „So ist es! Und so soll es nicht sein!“ Und das und das soll geändert werden! Beten ist so eine intensive Vorbereitung auf das Leben.

Und in der Bibel lesen wir immer wieder von Menschen, die beten. Sie beten auch um das vollkommen Unmögliche. Josef betet im ägyptischen Gefängnis um Befreiung. Mose, der einen Mann erschlagen hat, betet am Dornbusch um Vergebung. Hanna betet um ein Kind, obwohl es eigentlich schon längst zu spät ist. Der Ehebrecher David bittet Gott um Erbarmen. Hiob kämpft betend mit Gott, der zugelassen hat, dass ihm alles genommen ist. Der Prophet Jeremiah betet, weil er sein Amt nicht mehr erträgt. Jona betet im Walfisch und Daniel betet in der Löwengrube. Maria betet, als sie schwanger ist mit Jesus, und Lydia betet, als sie als erste Frau in Europa eine christliche Gemeinde gründet.

Alle diese verschiedenen Gebete sind nicht vergeblich gewesen und gingen nicht verloren. Auch unsere Gebete werden nicht vergeblich sein und nicht verloren gehen, davon bin ich zutiefst überzeugt.

Denn Jesus selbst hat uns gesagt: Bittet, so wird euch gegeben. Er ist der Weg, der uns mit Gott verbindet. Gott hat sich in Jesus selbst gegeben und so Himmel und Erde verbunden. Das haben wir an Ostern erfahren. Über ihn, über Jesus, der selbst dem Tod die Macht abgenommen hat, erreichen unsere Gebete Gott, liebe Gemeinde.

Selbst wenn wir einmal nicht mehr wissen, was wir beten sollen – selbst dann gibt es eine Möglichkeit. Für diesen Fall hat Jesus uns ein Gebet gegeben, das wir immer beten können, das Vaterunser. Wir haben vor der Predigt einen Teil des Vaterunsers im Lutherlied gesungen. Und gleich werden wir die Fürbitten mit dem Vaterunser schließen. Im Gebet des Herrn werden wir alles das zusammenfassen, was heute noch nicht gesagt oder gebetet wurde, ob laut oder stumm. Es bleibt dann nichts übrig. Und das befreit mich auch.

Ja, in das Vaterunser hinein kann ich abgeben, was ich beten will und in Gottes Hände legen, was ich allein nicht ändern kann. Beten ist unsere Art, mit Gott zu sprechen und ihn zu bitten für alle Menschen, in Lob und Dank, in Bitte und Klage.

Sie kennen vermutlich das Bild der „Betenden Hände“ von Albrecht Dürer (1471–1528), dem mittelalterlichen Maler aus Nürnberg zu Beginn der Reformationszeit. Auf seinem Bild sehen wir nur Hände, ältere Hände, die nicht gefaltet, sondern aneinander- oder aufeinandergelegt sind zum Gebet. Dieses schlichte Bild hängt in vielen Wohnzimmern oder Küchen sowie in vielen Krankenzimmern oder Pflegezimmern in Altenheimen. Warum nur ist dieses Bild von den „Betenden Händen“ so beliebt? Was machte aus diesem doch unscheinbaren Bild für viele Menschen, zum Beispiel für meine Mutter, ein Lebensbild, das ihr buchstäblich auch lebenswichtig war?

Gebet. „Betende Hände“. Ein ganz alltägliches Wunder ist das. Das Wunder des Betens ist nämlich: Es bringt mich ins Gleichgewicht. Wer zum Übermut neigt, kann durch ein Gebet wieder ein wenig auf den Boden geholt werden. Wer am Verzweifeln ist, wird durch ein Gebet ein wenig daran gehindert. Beten will mich ins Gleichgewicht bringen, darum ist es so wertvoll – und so dringend nötig für alle Menschen, die ja ein Leben lang immer wieder und zu allen Zeiten nach dem richtigen Platz im Leben und in der Welt suchen müssen.

Jedes Gebet macht uns zu Menschen, liebe Gemeinde; zugleich bedürftig und geliebt. Und jedes Gebet hilft uns, andere Menschen zu achten. Sie sind Gottes Kinder wie Sie und ich, liebe Gemeinde. Und … wer sein Leben lieb hat, macht es zum Gebet. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

Alle anzeigen

Gemeindebüro

Image
Adresse
Fliednerstr. 6
40489 Düsseldorf

Tel.: 0211 40 12 54
Fax: 0211 408 98 16
Öffnungszeiten
Mo - Fr 9:00 - 15:00 Uhr
Dienstag 9:00 - 18:00 Uhr

Spendenkonto
Kirchengemeinde Kaiserswerth
DE40 3506 0190 1088 4672 28

Flüchtlingshilfe
Kaiserswerth: 0159-038 591 89
Lohausen: 0211 43 29 20


Cookies auf dieser Website
Um unsere Internetseite optimal für Sie zu gestalten und fortlaufend zu optimieren verwendet diese Website Cookies
Benötigt:
+
Funktional:
+
+