Miserikordias Domini - Feier der Goldkonfirmation, 14.04.2024, Stadtkirche, Johannes 10,14, Jonas Marquardt

Predigt Kaiserswerth Miserikordias Domini - Goldkonfirmation 14.IV.2024                                                     

                                     Johannes 10,14

Liebe Gemeinde!

Jubiläen sind missverständliche Anlässe: Entweder sie versetzen uns gezielt rückwärts in eine Vergangenheit, die doch nicht heute ist, oder sie zelebrieren die sog. Jubilare, die doch nicht wegen des gegenwärtigen Moments, sondern aufgrund eines ganz anderen Augenblicks ihrer Geschichte im Mittelpunkts stehen.

Es geht also entweder um eine Zeit, die war, aber jetzt nicht ist, oder um die Erfahrung oder Leistung eines Menschen, der wir jetzt nicht sind, aber einst waren.

Die Brücke zwischen dem beiden, aber … die Zeit, die aus dem Gestern das Heute, aus den Kindern die Leute gemacht hat, … die ist doch das eigentliche Wunder und der wirkliche Grund fürs Staunen, für Rührung, für Dankbarkeit oder Trauer.

Die Zeit, die zwischen damals und heute liegt, ist so voller winziger, unmerklicher Schübe und Verschiebungen, so voller unauffälliger kleinster Zusätze und Verluste, dass man sich kopfschüttelnd fragen würde, wie das 50 Jahre, wie das sechs oder gar sieben Jahrzehnte sein sollen, die da plötzlich vergangen sind, wenn nicht auch die großen Sprünge, die unmissverständlichen Einschnitte und Etappen das Ganze gegliedert, beschleunigt und unwiderruflich verändert hätten.

Es gab ja nicht nur das leise Ticken der Zeit, sondern auch ihre Paukenschläge. Es gab den Blitz, der uns traf: Mal als Liebe, mal als Schrecken. Es gab die unvergesslichen Dammbrüche, mit denen sich der Fluß in eine ganz andere Richtung wendete: Schleusen, die sich öffneten, nachdem alles sich vor türmenden Problemen gestaut hatte, oder plötzlich sprudelnde Lebendigkeit nach endlos-ödem Austrocknen. Es gab Glocken, die haben das Schönste eingeläutet, was wir an Festen kennen – Feste der Liebe und des Lebens –, und es gab dumpfes Dröhnen in Schädel und Brust, wenn das Leid, wenn der Tod uns trafen und alle Uhren stillstanden, ja selbst der Puls und der Atem einfach wegbleiben wollten.

Diese Wechsel, diese Ereignisse, die wir Schicksal nennen, weil sie fügungsreich oder fatal für uns waren … die lassen uns eher verstehen, dass wirklich Zeit, viel Zeit, viel Neues, viel Veränderung, viel Verlust und viele Gnaden, viel ganz Gewöhnliches und viel Einmaliges eingetreten ist, so dass was früher war, nicht auch jetzt noch ist, und dass, wie wir uns einst selber vorkamen, ganz anders ist, als wir geworden sind.

Das gilt vermutlich allgemein, wo immer wir ein halbes Jahrhundert oder noch mehr bedenken; und es gilt auch dann, wenn wir ganz nah am Innersten dieser seltsamen Zeitmaschine, die der Mensch ist, … die wir selber sind, auf etwas noch Erstaunlicheres stoßen:

Ganz im Innersten stoßen wir nämlich auf das Sonderbare, dass die rasende Raumkapsel oder die leicht und leise über alle Hindernisse hinweggleitende Gondel, in der unsere Lebensreise bisher verlief, wohl einen Passagier befördert hat, der nicht so völlig ausgewechselt, nicht so radikal verändert ist, wie die Landschaft, wie die Welt, durch die die Reise ging.

Gewiss: Es ist eine vollkommen andere Realität – unsere lichtgeschwinde, raumlose, allvernetzte digitale Sofort-Welt –, als es die viel langsamere, aber auch viel körperlichere Welt war, in die man vor fünfzig Jahren hineinwuchs.

Das liegt am Lebensalter: Dass man damals in vieler Hinsicht so viel mehr ausprobieren, so viel hemmungsloser experimentieren, wütender protestieren und hier und da auch sehr viel braver schlicht parieren musste als heute, wo alles virtuell zugänglich und selbstverständlich und deshalb auch schlicht als unbestreitbarer Anspruch wahrgenommen wird.

… Ich rede hier ja als älterer „Leut“ zu älteren Leuten und deshalb ist es wohl unvermeidlich, dass wir jetzt behaupten, wie man damals länger warten, weniger fordern, härter rackern und alles besser machen musste, als heute.

… Nun, es ist eben anders geworden: Vieles - das Meiste wohl - zu unser aller Vorteil, und die technischen und gesellschaftlichen Sensationen von einst sind für uns sämtlich längst vertrautester Horizont, unsere Sicherheit und unsere Gewohnheit geworden, von denen wir nicht weniger abhängen als die, die nie etwas anderes kannten.

Vergessen wir aber auch nicht, wie heil und hell uns manches in unseren jungen Jahren vorkam, obwohl die Schatten und Drohungen ja deutlich genug das vergangene halbe Jahrhundert schon prägten. Aber dass völlige Einschränkung uns in Isolation und Stillstand zwängen könnte, wie es die heute Jungen in den Pandemie-Jahren erlebten, dass noch viel größere und unabwendbare Verzichte und Rücksichten zwingend werden und dass wirklich Krieg und Grauen aus den Geschichtsbüchern wieder in die Zukunftsszenarien wechseln würden, … das alles hätten wir uns als Heranwachsende und in die Eigenverantwortlichkeit Aufbrechende wohl kaum vorstellen können. …….

Welt und Leben haben sich wahrhaftig tief und positiv und gleichzeitig verstörend geändert, seit einmal der Segen Gottes auf vierzehnjährige Häupter herabgerufen und in die Teenager-Ohren, die vielleicht wenig davon wissen mochten und in die jungen Herzen, die das alles doch genau verstanden, versprochen wurde.

Wahrhaftig, Leben und Welt haben sich verändert seit jenem Segen. ———

Aber hieß es nicht gerade eben, dass die, die genau durch diese Veränderungen der Welt und Entwicklungen des Lebens gereist sind, doch nicht so völlig ausgewechselt, nicht so radikal verändert seien, wie man beim Blick in die Gegenwartsgeschichte meinen sollte?

Wurde nicht gerade behauptet, dass im tiefsten Inneren der seltsamen Zeitmaschine, die der Mensch ist, sich erstaunlicherweise die irrwitzigen, herrlichen, hässlichen Wandlungen gar nicht alle so auswirkten, so niederschlugen, dass sie dort gar nicht so folgenreich eintraten, wie im großen, globalen Drumherum?

Doch.

Das habe ich gesagt.

Ich habe behauptet – obwohl fünfzig, sechzig, siebzig Jahre echte Metamorphosen, Brüche und Fortschritte bringen –, dass etwas sonderbar bei sich selbst und in sich ähnlich geblieben sei.

Das ist aber tatsächlich eine Behauptung und keine Feststellung.

Es ist ein Satz aus bloßem - man kann auch sagen: reinem - Glauben und keine Demonstration eines Beweises.

Das Einzige, was auch äußerlich dafürspricht, dass trotz weltgeschichtlicher und biographischer Purzelbäume, Katastrophen und Wunder etwas von damals auch heute noch ist, wie es war und bleiben kann, wie es ist … das Einzige, was dafürspricht, das sind Sie: Die heute Jubiläum-Feiernden.

Es ist ja alles andere als selbstverständlich, dass Sie heute bereit sind – skeptisch vielleicht, oder herzlich geneigt – etwas zu bedenken, das Sie lernten, als die Zeit eine ganz andere war.

Es ist alles andere als selbstverständlich, dass Sie bereit sind, etwas zu feiern, das Ihnen als Jugendlichen vielleicht sicher schien und inzwischen rätselhaft wurde, oder das Sie damals für abwegig und absurd abständig hielten und das Sie dann doch nie völlig verlassen haben, weil es Sie nicht einfach ganz kalt gelassen hat, wie so viel anderes Überflüssige und Vergessene, sondern Sie heute wieder versammelt, zusammenführt und in diese Stille - vielleicht sogar eine andächtige? - versetzt.

Es ist alles andere als selbstverständlich, dass Sie heute nun ausgerechnet auch noch in der Kirche, der man doch das vollkommene Verblassen und Verschwinden nahelegt und nachsagt, sitzen und sich erinnern, wie Sie einst bejahten, dazuzugehören und dafür gehalten werden zu wollen – für Christinnen und Christen nämlich –, … und dass Sie nun also immer noch und irgendwie – mit allen Pausen, mit allem Abstand, mit allen Zweifeln und aller Kritik – dabei sind: So, wie Sie es einst versprachen!  

Ihr Kommen, Ihr Dasein, Ihr jenseits von Gewohnheit und Entfremdung einfach ganz heutiges Sich-Rufen-Lassen und darin Ihre Treue zu dem Versprechen von damals, zu dem Segens-Tag damals, zu dem Mädchen, zu dem Jungen, die damals hörten, sagten, taten und empfingen, was sie doch nicht abschließend ermessen konnten, …. das alles zusammen also ist jenes Einzige, das dafürspricht, dass etwas geblieben ist.

Sie selber sind die Fürsprecher für das, was war und ist und bleibt. ——

Und dafür danke ich Ihnen!

Ich danke Ihnen mitten in den Turbulenzen und Ängsten und Erfolgen der Zeit und Ihres Lebens, dass Sie nicht nur mit den atemberaubenden Veränderungen Ihrer Tage und Jahre, dass Sie nicht nur mit den bis zur Unkenntlichkeit führenden Prozessen des Älterwerdens und der Erneuerung befasst, belastet und belohnt sind, sondern dass Sie zum Gleichbleibenden stehen, dass Sie dafür heute jenen Moment – diese Gottesdienststunde, diesen Vormittag, diesen jubilarischen Sonntag – einräumen, in dem Ihnen und uns allen, das Unverwandelte, das Selbige, das Stetige, das Dauerhafte …. sagen wir’s ruhig: das Ewige vor Augen steht.

Was aber ist dieses Bleibende denn, für das Sie sprechen … als Einzige?!

Es ist – im Innersten der lernfähigen und entwicklungsfreudigen und robust fortschrittlichen und irgendwann dann hinfällig werdenden, sterblichen Wesen, die wir sind – das Allereinfachste: Man kann es die Urzelle nennen, den Kern, das Gemüt, die Herzkammer, das bleibende Menschenkind. Dasjenige, das in allen spektakulären, befreienden und schmerzhaften Umkrempelungen, Lossagungen, Auflösungen und Schwerpunktverlagerungen einfach bleibt.

Ich meine es buchstäblich:

Das, das einfach bleibt.

Das nicht kompliziert werden oder tun muss. Das - je reifer es wird, desto schlichter – begreifen und bekennen kann: Ich bin noch immer, was ich war. … Ein Menschenkind, das vollkommene Freiheit hat, weil es – wann immer es möchte – einen vollkommenen Halt findet.

Ich, der Erwachsene, bin ein Menschenkind, das zu Gott „Mein Vater im Himmel“ sagen kann.

Ein Menschenkind, das in dem Gottessohn-Menschenkind Jesus einen Bruder hat; und weil ich, das Menschenkind höre und manchmal nicht fassen und dann auch wieder nicht bezweifeln kann, dass mein menschlicher Bruder Jesus extra für mich durch alle Wachstums- und alles Todesschmerzen gegangen ist und wirklich das Sterben und die letzte, schrecklichste Trennung vom Leben und vom Lebendigsein und sogar vom lebendigen Gott vorweggenommen hat, nur damit ich darin nicht allein sein werde und untergehe, … darum kann ich in diesem Bruder sogar meinen Hirten sehen und mich Ihm anvertrauen, wo sonst nichts, gar nichts Vertrautes mehr sein wird.

Ein solches Menschenkind bin ich – im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, meiner bürgerlichen Rechte, meiner verfassungsmäßigen Freiheit und Würde – … ein solches Menschenkind bin ich in alledem, das rational und intellektuell vollkommen unabhängig ist, und das doch spürt: Im Innersten bin ich noch anders … und mehr. … Ich bin eine Seele, ein Ebenbild Gottes, des Vaters und des Sohnes, Der mir durch Seinen Heiligen Geist ungeahnt, aber eben auch unmittelbar gegenwärtig ist und war und bleibt.

Und das – das Innerste des Menschen, der Gottes Kind ist, und ein durch Jesus Erlöster und darum in seiner Seele den Heiligen Geist unlöschbar tragen darf - … dieses Innerste ist das, was nicht vergeht, was sich nicht verliert und was nicht verloren werden kann.

Das allerdings – dass wir im Tiefsten, im Letzten und im Ewigen so Gott-verbunden, so Gott-gemäß, so Gott-gehörend sind und sein dürfen – … das haben nicht wir als Konfirmandinnen und Konfirmanden beschlossen, verantwortet oder gemacht.

Und insofern feiern wir jetzt auch gar nicht die Wiederkehr jenes weit in die Vergangenheit entrückten Tages oder die naive Tat, das ahnungslose Wort des Kindes, das man damals war und längst nun nicht mehr ist, sondern was wir feiern, ist tatsächlich Gegenwart.

Es ist die Gegenwart Gottes: Das, was Gott getan hat und zu tun nicht aufhört.

Was Er an unserer Seele in allen Phasen und Gestalten, allen Schichten und Geschichten unseres Lebens tut.

Das Tun Gottes, das endlos ist.

Ewig.

Es steht im Wort des guten Hirten vor uns und über uns.

Es steht auch in uns, die wir die einzigen Zeugen dafür sind, … das Einzige, was dafürspricht.

Es ist das einfache und niemals vergehende Wort Christi:

„ICH KENNE DIE MEINEN UND BIN BELKANNT DEN MEINEN.“

Das feiern wir.

Heute.

Und in Ewigkeit.

Amen.

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