Karfreitag, 29.03.2024, Stadtkirche, Matthäus 27, 33 - 54, Jonas Marquardt

Predigt Kaiserswerth Karfreitag - 29.III.2024                                                                                                       

             Matthäus 27, 33 – 54

Liebe Gemeinde!

Dies also – Finsternis, Erdbeben, unterm Schutt zu Trümmern gewordene Gräber, wandelnde Tote, Apokalypse – … dies also ist beinah das Ende des Anfangs. Beinah der Schluss des ersten Evangeliums, desjenigen nach Matthäus, das anhebt mit der Formel (Mtth.1,1) „Βιβλός γενέσεως Biblos Geneseos“ – Genesis-Buch, Schrift vom Werdenden.

Dies also ist aus ihm geworden: Ein durstiger Schatten … während im Anfang Sein Heiliger Geist fruchtbar über den Wassern schwebte (vgl.Gen.1,2).

Ein Qualkörper, der durch sauren Essig noch von Innen verätzt werden soll … während die Pflanzen des Ursprungs und alle Wesen, denen Er zu leben bestimmte, ihrer jeweiligen Natur nach doch „sehr gut, sehr schön“ erschaffen waren (vgl. Gen.1,12+31).

Ein letzter Verlassenheitsschrei ist geworden … aus dem Mund, der einst durch das Wort die Fülle herbeigerufen hatte (vgl. Gen.1,3ff).

Tod ist geworden. … Von einer Leiche bekennt ein römischer Vollstrecker posthum die Gottessohnschaft.

Dies also ist – so scheint’s – das Ende jenes Anfangs.

Das selbe Evangelium, dessen Lehre sich durch das wundervolle Portal der Bergpredigt (vgl. Mtth.5-7) auftut, endet mit der vollständigen Zerstörung der einladenden Architektur seiner Seligpreisungen (vgl. Mtth. 5,3ff):

„Selig sind die da Leid tragen“, denn sie schleppen’s, bis sie drunter zusammenbrechen auf ihrer via dolorosa.

„Selig sind die Sanftmütigen“, denn wenn man sie bespuckt, foltert und schindet, dann ertragen’s sie’s willig und stumm, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird (vgl. Jes.53,7).

„Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit“, denn man kann ihnen auf den unstillbar nüchternen Magen zur Gaudi und zum Brechreiz Wein und Galle einflößen.

„Selig sind die Barmherzigen“, denn als Opfer sind sie unersetzlich ideal.

„Selig sind die Friedfertigen“, denn sinnlose Gegenwehr verdirbt den Würfelspielern bloß die Pause.

„Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden“, denn bei den Schuldigen muss man legale Urteilsbegründungen formulieren, aber bei ihnen reicht’s, wenn man sie König der Narren nennt.

Der felsige Hügel Golgatha ist das Ende jenes Anfangs auf dem grünen galiläischen Bergrücken. ——

Die Wucht des vorletzten Kapitels in den Aufzeichnungen des Matthäus, die das Neue Testament eröffnen, ist von buchstäblich biblischem Ausmaß.

Wenn wir gelegentlich in unserer Gegenwart wieder erinnert werden, welche Totalauslöschungskraft an Weltzerstörung der Krieg noch am heutigen Tage entfalten könnte und welche Weltzerstörungskräfte auch in unserm einfach ungebremsten Weiter-so uns morgen oder übermorgen bevorstehen, dann ahnen wir die Dimension der Destruktion, die der Karfreitag darstellt:

Das, was die Welt ausmacht, das Geheimnis des Lebens, der Grund und die Verheißung aller Wirklichkeit werden hier wohl vernichtet. -------

… Natürlich nicht auf den ersten Blick.

Für einen neutralen Zeugen passierte dort nichts, das statistisch irgendeine Relevanz hat.

Dass ein Mensch brutal misshandelt und sadistisch zu Tod gebracht wurde, ergibt weder eine Fußnote der Weltgeschichte noch eine Kommastelle in der Datenmenge der Erdbevölkerung. Es ist historische Alltäglichkeit und durchschnittlichste Wahrscheinlichkeit, dass ein junger Mann aus der Armut eines kolonialistisch besetzten Landstrichs nicht alt und lebenssatt aushaucht, sondern früh, grausam und trotzdem schlicht als Einer unter Vielen gemeuchelt wird. Wenn überall, wo Willkürjustiz, Gruppenkonflikte oder gescheiterte Utopien wieder ein Opfer forderten, die Erde bebte, die Sonne sich versteckte, die Unterwelt in Aufruhr käme … man ist gotteslästerlicher Weise geneigt, mit Heinz Erhardt zu sagen: „Das würde spritzen!“

Schon an jenem Karfreitag, als der dreiunddreißigjährige Sohn Gottes in einer reinen Durchgangsprovinz des römischen Reiches hingerichtet wurde, belief sich sein Schicksal an Ort und Stelle ja bloß auf 33% der zur Einschüchterung und Lähmung effizienten Tagesquote der lokalen Kapitalgerichtsbarkeit. … Andere Mütter hatten an jenem Frühlingsfreitag auch gekreuzigte Söhne!

Was also soll die Aufregung? … Schluss mit dem albernen Tanzverbot aus Anlass eines solchen – wage ich es, Gott ein zweites Mal zu lästern? – „Fliegenschisses“!

So redet die Vernunft. Die informierte, neutrale, reflektierte, analytische Vernunft: Es mag schlimm gewesen sein, aber das ist es immer und überall. … Und also außer für die unmittelbar Betroffenen fast nie und nirgends. Besonders nicht bei uns, die mörderische Schlachten vor der Haustür, reale apokalyptische Szenen in jedem unserer vielen Guckkästen zur Welt vor Augen und eine völlig ignorierte Garantie des eigenen, unabwendbaren Sterbenmüssens als wirkungslose Verschlusssache im Bewusstsein haben und doch mit alledem hervorragend unbeschwert vor uns hin leben, als "wär’ die Welt voll Teufel und wollt’ uns gar verschlingen, doch fürchten wir uns nicht so sehr," denn uns kann das alles mal kreuzweise …….

… Und da habe jetzt nicht ich ein drittes Mal Gott gelästert, sondern wir alle jeden Tag und jede Stunde, die wir doch auch ohne Glauben und Gottesfurcht wissen, dass es eine goldene, den Heiden schon vertraute Regel gibt, nach der, wer nicht helfen und retten will, rettungslos und ohne Helfer bleiben wird.

Zurück aber zur Aufregung der Christenheit an diesem Tag, an dem geschehen ist, was immer schon Alltag war und bleiben wird, bis der Karfreitag endlich die gesamte Menschheit durchdrungen und verwandelt haben wird.

Zurück zur Erschütterung, die einen Matthäus ganz am Anfang gepackt, gerüttelt und gerettet haben muss, der doch das Werden der neuen Wirklichkeit des Reiches Gottes schilderte. Und der vom ersten Wort seines Werde-Buches an, seines Buchs voller Seligkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit und Lebendigmachen wusste, dass er den Rabbi und Richter, den Heiland, den Menschensohn und Messias bis dahin schreibend würde begleiten müssen, wo aus dem himmlischen Wohltäter und Lehrer der wahren Weisheit ein ohnmächtig zugerichtetes, wundgeprügeltes Stück Hilflosigkeit am Galgen werden würde.

Der gleiche Federkiel, der von der Pilgerschaft der morgenländischen Sterndeuter zum neugeborenen König der Juden schrieb (vgl. Mtth.2,) und damit den Anbruch des Reiches aus allen Völkern schilderte, … der gleiche Federkiel musste die antijudaistische Hohn- und Hetztafel nachzeichnen, die Pilatus, der Römer als finale Kränkung des von ihm gedemütigten Friedefürsten in Zion (vgl. Mtth.21,5-9) diktiert hatte.

Matthäus, der die väterliche Stimme Gottes im Lichtglanz des Heiligen Geistes ausgegossen über und strahlend aus dem Sohn bei dessen Taufe und Verklärung (vgl. Mtth.3,16f + 17,5) voll tiefster Ergriffenheit festhalten durfte, musste auch die schwarze Nacht des Endes auf den so hell begonnenen Seiten schildern.

Matthäus, der gewürdigt wurde, das für Menschen doch unaussprechliche, intime Geheimnis zwischen Jesus und Gott selbst in den Worten des Jubelrufes (Mtth.11,26f) zu bezeugen „Ja, Vater; so hat es dir wohlgefallen. Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn“ … dieser Matthäus, der das Heilsgeheimnis der innersten Kommunikation der zwei Naturen so überliefern durfte, dass ihm die Hand gezittert haben muss, musste auch den Atemstillstandsschrei der Gottverlassenheit des mit Gott einigen Sohnes im Tod dem Papyrus anvertrauen.

Die Liebe, die der Himmel ist und die grauenvolle Furcht, die die Hölle ist: Matthäus kam es zu, sie beide im Bericht von einem einzigen wahren, ungeteilten Menschen fest-zuhalten!

Doch nur so wird aus dem, was bei der Todesstrafe an einem frommen, für Gott freien und befreienden Nazarener Handwerker in Judäa geschah, während der Kaiser Tiberius auf Capri seinen mehr als menschenverachtenden Lastern frönte, der Bericht vom Karfreitag:

Nur, wenn man weiß, dass dieses grauenvolle, unumkehrbar eingerichtete Verhängnis von Golgatha unter den von Matthäus beurkundeten Vorzeichen geschah.

… Der tatsächliche König Israels, der Sohn Davids, … nein, der über alles geliebte Sohn Gottes und Stellvertreter der Menschheit, in dem der Hunger, der Durst, das Elend und die Einsamkeit, die Verlassenheit und der Schmerz aller Geringen, aller Armen, aller Verachteten und Verstoßenen eine unauflösliche Einheit bilden (vgl. Mtth.25,31-46!), der ist dort umgebracht worden! …………

O Gott!

O Jesus!

O Geist des Lebens!

… Es ist also nicht nur die zum Gotterbarmen alltägliche Allerweltgeschichte von Unrecht, Leid und Tod, sondern es ist die direkte, bewusste, hilflose und darin vollständige Verwicklung des erbarmenden Gottes selbst in diese furchtbaren Verhältnisse, die Matthäus hier beschrieb, obwohl sich ihm Herz und Hirn und Hand und Feder und Tinte in ihr gesträubt haben müssen.

Doch eben weil er den Stern kannte, der mit Jesus über allen Menschen aufging (vgl. Mtth.2,2+9f), war es nötig, dass er auch die Sonnenfinsternis nicht verschwieg, die das Leiden Jesu kosmisch darstellt. Weil er wusste, wie Jesus die galiläischen Narzissen auf dem Feld in ihrer mehr als königlichen Schönheit betrachtete (vgl.Mtth.6,28f), bewegte ihn buchstäblich auch das seismische Beben, das eintrat, als der Freund der blühenden Erde an seiner eigenen Lungenflüssigkeit erstickt war und die Unterwelt keine Blüten, sondern nur noch Leichen ans Licht brachte.

Von allen diesen Furchtbarkeiten, von diesen Zeichen der zerstörten Natur, der zerrissenen Ordnungen, der Entblößung und Entweihung bis ins Heiligtum musste Matthäus Zeugnis geben, weil er nur so das abgründig schreckliche und zugleich rettende Geheimnis von Golgatha bis in die letzte Tiefe und Höhe nachbuchstabieren konnte:

Es ist das Ende schönster Hoffnung, strahlendster Wundertaten, unvergleichlich wärmender Liebe, überirdisch zündender Weisheit. Es ist das Ende.  …

Aber es ist Gott, Der hier auch bis ins Letzte, an den Schluss, in den Untergang auf dem Weg der Weisheit, der Wunder, der Hoffnung, der Liebe treu bleibt!

O Gott!

Jesus!

Geist!

Dich hat man misshandelt, Dich zerbrochen, Dich zum Verlöschen gebracht: Das, was die Welt ausmacht, das Geheimnis des Lebens, den Grund und die Verheißung aller Wirklichkeit

Darum müssen solche wie Matthäus, solche Freunde Jesu - Christen nennt man sie - ……. darum müssen wir Christen also mitten in aller Betrübnis, allem Mitgefühl, aller Teilnahme am Leid unserer Geschwister auf der ganzen Welt das Karfreitagsleid so unvergleichlich empfinden und erfahren: Der Geist, der Sohn, der Schöpfer selber leidet da das ganze Leid und alles Leid ganz und zuende!

Es ist die Summe, die Totalität aller Schmerzen und Tränen, aller Krankheit, Gewalt und Menschenschuld, die sich da ballt. Es ist tatsächlich von Anfang an und bis zum Abend aller Tage der Tiefpunkt, der Untergang, das Ende allen Lebens da an diesem Kreuz zusammengefasst. Eine unvorstellbar, unergründlich, unerträglich bittere und finstere Querschnitts- und Kreuzeswirklichkeit des Fatalen.

Aber Matthäus hat es aufgeschrieben und sein Bericht steht am Beginn des Neuen Testaments als Eröffnung aller Evangelien, weil diese erdrückende Summe nicht das endgültige Fazit ist!

Der von seiner römischen Zolleinnahme-Stelle aus dem Dienst des Schinderkaisers Tiberius durch Jesus einfach weggerufene Evangelist Matthäus (vgl. Mtth.9,9) weiß zwar, wie atemberaubend groß die Summe des Leids ist, das er da in der apokalyptischen Karfreitagsszene zusammenzählt mit ihren Naturkatastrophen und dem Kollaps der Zeit … wenn der Tag kein Licht mehr kennt und die Toten keine Ruhe mehr.

Doch diese gesamte Unheilsbilanz ist tatsächlich nur der Zähler.

Der Nenner jenes unglaublichen Bruchs – jenes Welt- und Geschichtsbruchs Golgatha –, den der ehemalige Zöllner da festhält, ist ein anderer. Das gesamte Elend, die gesamte Misere aller jemals lebenden Sterblichen, aller je gestorbenen Lebendigen trägt ja ein anderer. Das Ganze liegt auf Einem, Der es wirklich, ungemindert und vollständig erleidet.

Matthäus aber schreibt das Evangelium ja nur, weil dieser Eine – der Nenner dieses Bruchs mit dem unzähligen Zähler – eben trotz der grausamen Wirklichkeit Seines Todes darin nicht zersplittert.

Der Bruch geht auf, weil Der, Der das alles auf sich nimmt, Der ist, von Dem Matthäus von Anfang erzählt hat.

Und wir haben nichts anderes umkreist als dieses unergründliche Wunder, dass man von Diesem auch solches erzählen muss.

Matthäus jedoch, der längst nicht mehr in römischem Sold steht, überlässt das allesentscheidende Wort – das endgültige Nennen des Nenners des unglaublichen Bruches – ausgerechnet einem Söldner der Weltmacht, die auf Golgatha scheitert. So großzügig ist der erste Evangelist in seinem erschütternden Buch des Werdens geworden, dass er den Mörderhauptmann aus der Garnison von Jerusalem die letzte Wahrheit feststellen lässt: Der, auf dem alles Grauen der Welt zusammenkommt, ist Gottes Sohn gewesen!

Weil aber Gott, Jesus, der Geist der Lebendigkeit da am Kreuz der Nenner unter der Summe allen Unheils, allen Leidens, allen Sterbens ist: Deshalb geht der Bruch auf!

Es ist nicht das Ende des Anfangs, sondern der Anfang des Endes!

Es ist nicht gescheitert, was der Schöpfer und Erlöser wollte, sondern es hat die Zerstörung und Vernichtung hinter sich gelassen!

Weil Er starb, aber nicht tot blieb, hebt das Evangelium des Matthäus also eigentlich wahrhaftig erst mit seinem Schlußsatz an, dem sprichwörtlichen „Matthäi am Letzten“, wo wir allerdings das allerletzte Wort anders übersetzen und verstehen müssen, als wir es gewohnt sind.

Der gekreuzigte Sohn Gottes, dessen Tod der Welt und Menschheit Leben ohne Bruch und Abbruch schenkt, spricht (Mtth.28,20): „Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt … ------ eben nicht »Ende«, sondern »Vollendung«, … bis alles geworden ist, wie es sein und bleiben soll!“

Amen.               

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