Heiligabend, 24.12.2025, Joh.3,16 u. d. Legende v. d. 3 Schwestern, Christvesper Mutterhauskirche, Ulrike Heimann

 

„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für sie gab. Jeder, der an ihn glaubt, soll nicht verloren gehen, sondern ewiges Leben haben.” 

 

An Weihnachten, liebe Gemeinde, wird uns die schönste Liebesgeschichte aller Zeiten erzählt, eine Geschichte, denn über die Liebe kann man nicht wissenschaftlich dozieren oder philosophisch spekulieren, Liebe kann man nur erfahren, erleben, man kann sich nur von ihr an die Hand nehmen lassen, sich in ein buchstäblich anderes, neues Land führen lassen. Die Evangelisten Lukas und Matthäus haben das gewusst und jeweils eine ganz persönliche Weihnachtsgeschichte erzählt. Jeder geprägt von seiner Zeit und Umwelt, mit seinem eigenen Akzent: bei Lukas stehen die Hirten als Adressaten des Evangeliums im Scheinwerferlicht der Engel; bei Matthäus leuchtet der Stern den Weisen aus dem Osten den Weg; das gemeinsame Ziel: das neugeborene Kind, der Heiland der Welt. Obwohl der Evangelist Johannes uns keine Weihnachtsgeschichte hinterlassen hat, weiß er doch darum, dass die Geschichte mit Jesus im tiefsten eine Liebesgeschichte ist –– die Liebesgeschichte Gottes mit der Welt.

„So sehr hat Gott die Welt geliebt.“

Und recht besehen, fängt diese Liebesgeschichte lange vor Bethlehem und vor Jesu Geburt an. Deshalb beginnt heute auch meine Weihnachtspredigt ganz vorne – und zwar mit einer alten Geschichte, einer alten jüdischen Legende:

 

Am sechsten Schöpfungstag, als Gott Himmel und Erde, Pflanzen und Tiere erschaffen hatte, da ging er mit sich selbst zu Rate, ob er nun auch den Menschen und wie er ihn erschaffen sollte. Und während Gott noch überlegte, traten seine drei liebsten Töchter vor ihn: die Gerechtigkeit und die Weisheit und die Liebe.

Zuerst erschien die Weisheit und sagte: „Vater, tu es nicht. Lass deine Schöpfung so, wie sie jetzt ist. Sieh doch, sie ist so schön. Durch den Menschen würde sie nur verdorben. Denn die Menschen folgen nicht der himmlischen Weisheit, sondern den verworrenen Einfällen ihres eigenen Herzens. Menschen machen sich selbst und einander zu Narren. Und was du durch mich, deine Weisheit, so gut geordnet hast, das würden sie zerstören. Bitte, gib diese schöne Welt doch nicht dem Wahnsinn der Menschen preis!“ – Gott aber schwieg.

Da trat die andere Tochter, die Gerechtigkeit, vor und rief: „Vater, auch ich bitte dich: Erschaffe den Menschen nicht. Er wird deine Gerechtigkeit nur verachten. Die Menschenschwestern werden einander verleumden, ein Bruder wird den anderen unterdrücken und hassen. Weil sie keine Grenzen kennen, werden sie versuchen, ihren Mitgeschöpfen das Leben zur Hölle zu machen. Wenige werden alles an sich reißen. Und viele Arme werden nichts, nicht einmal das Nötigste zum Leben haben. Das kannst du doch nicht zulassen! Also bitte, lass den Menschen weg – und deine Welt wird in ungestörter, paradiesischer Schönheit bestehen.“ – Und Gott schwieg.

Schließlich trat auch die dritte Tochter Gottes, die Liebe, vor und sprach: „Ach Vater, es ist ja manches wahr von dem, was meine Schwestern sagen. Und doch bitte ich dich: Erschaffe den Menschen. Und gib ihm, was du keinem anderen Geschöpf gegeben hast: die Freiheit und die Liebe. Zwar kann er seine Freiheit missbrauchen, er kann die Liebe verletzen und verraten. Aber doch machen beide die Würde des Menschen erst aus. Erlaube mir, Vater, zu ihm hinzugehen. Ich will ihn auf seinem Weg begleiten, was es auch kosten mag. Nur dann wird deine Schöpfung vollendet sein.“

Es heißt, Gott habe, als sie so sprach, diese seine Tochter in die Arme genommen und auf die Stirne geküsst. Und dann schuf er den Menschen. Das Wagnis Gottes.

 

Das ist eine tiefsinnige Legende. Mich hat sie angeregt, die Weihnachtsgeschichte neu zu erzählen. Ich lasse diese drei geheimnisvollen Töchter Gottes noch einmal auftreten und reden. Lange Zeit nach der Schöpfung. In jener Nacht von Bethlehem.

Sie treten ein in den Stall, als es dort ganz still geworden ist. Die Hirten sind schon wieder weg. Die Weisen sind noch unterwegs. Und Josef, nachdem er Mutter und Kind versorgt hat, schläft ein wenig.

Da geht also leise die Stalltür auf – und die drei treten ein. Nicht so laut und selbstverständlich, wie wir hier einzutreten pflegen. Auch nicht mit einem schönen Weihnachtslied auf den Lippen. Eher so, wie wir vielleicht als Kinder das Weihnachtszimmer betraten: zögernd, staunend. Maria, die zuerst ein bisschen erschrocken ist über den mitternächtlichen Besuch, winkt den drei Schwestern freundlich, näher zu kommen. Und so treten sie zur Krippe. Nacheinander.

Die erste steht lange schweigend. Sie schaut das Kind im ärmlichen Futtertrog. Sie blickt sich um und schüttelt den Kopf: „O welch eine Tiefe der Weisheit“, sagt sie langsam. „Wer soll das denn verstehen im Himmel und auf Erden – außer IHM, dem Unbegreiflichen selbst? Glaubt ihr Schwestern denn, dass Menschen je fassen können, was in dieser Nacht geschieht? Solch eine Nähe Gottes! Soll wirklich mit diesem Kind ein neues Zeitalter beginnen? Wird in dieser Nacht und aus ihr heraus wirklich eine neue Menschheit geschaffen? – Ich habe den Vater damals am Anfang gebeten, er solle doch die schöne Welt nicht durch die Schöpfung des Menschen gefährden. Und seitdem frage ich mich wieder und wieder, ob er es nicht bereut hat, die Menschen gegen meinen Rat erschaffen zu haben. Diese Kreaturen, die sich für die Krone der Schöpfung halten, um sie doch nur zu verderben, die jede Grenze überschreiten in ihrem Drang nach Wissen, nach Fortschritt, die dem Götzen der Machbarkeit huldigen. Wie oft habe ich sie in mein Haus eingeladen! Aber immer vergeblich. Sie sind meinem Rufen nicht gefolgt. An Weisheit und Demut hatten sie kein Interesse. Und nun dies: ein Kind! Wie kann ein Kind die Lösung sein? Was kann dieses Kind den Menschen sagen, was ich ihnen nicht schon gesagt habe?“

Inzwischen ist die zweite der Schwestern, die Gerechtigkeit, zur Krippe getreten. „Das weiß ich auch nicht“, sagt sie langsam, „Was sich Gott Vater dabei gedacht hat, nein, das kann nicht gut ausgehen. Bei dem, was den Menschen recht und heilig ist, können sie ja gar nicht erkennen, dass ER sich in diesem Kind bekannt macht: bei ihnen gelten Macht und Einfluss, Geld und Prestige, Titel und Ehrungen. Jeder hält seine eigene Kultur und Religion für das Maß aller Dinge. Und jeder sieht zu, besser dazustehen als andere, andere unter sich zu wissen. Nach oben wollen sie, das ist nicht anders geworden seit damals, seit den Tagen der Schöpfung, nach oben wollen sie, und treten dabei zu Boden, was ihnen vor die Füße kommt, und der Nächste ist ihnen nicht Bruder und Schwester, sondern Konkurrent. Nach oben wollen sie, sein wie Gott. Und nun dieses Kind – arm, ohnmächtig, ohne Beziehungen. Glaubt Gott Vater denn wirklich, dass dieses Kind gehört wird, wo doch schon die Propheten vergeblich riefen, glaubt er wirklich, dass die Menschen in sich gehen und sich ändern? Armes Kind, du wirst schon bald merken, dass die Gerechtigkeit auf dieser Welt heimatlos ist.“

Um die Stimme der dritten, der stillen Schwester zu vernehmen, muss man genau hinhören. Ich stelle mir vor, wie Gottes leise Tochter zur Krippe tritt. Sie streicht der sie mit großen Augen ansehenden Maria leicht übers Haar, dann kniet sie sich an der Krippe nieder und legt ihre Hand auf die Stirn des Kindes: „Ich segne dich“, sagt sie, „ich segne dich, du gesegneter des Herrn, damit du ein Segen wirst für viele. – Dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. „Du bist wirklich ein bemerkenswerter Einfall Gottes. Während die Menschen alle nach oben wollen, weil sie meinen, dass Gott da sei oder aber Geld, Macht, Erfolg und Glück, wie sie das heute nennen, ist Gott ganz hier unten. Nun haben sie nicht einen guten Grund mehr, andere auf ihrem Weg nach oben niederzutreten. Die große Versuchung des Menschen, sein zu wollen wie Gott – Gott Vater hat ihr die Grundlage genommen: Gott wurde Mensch. Und warum? Aus Liebe – aus Liebe zur Welt. Denn die Welt braucht Menschen, die sie bewahren und pflegen. Und damit die Menschen sich endlich darauf besinnen, dass ihr Glück, ihre Erfüllung im Menschsein begründet ist, lockt Gott sie zu sich selbst hin. Gott wird Mensch, damit der Mensch endlich ganz Mensch wird.“ Bei diesem Gedanken lacht die Liebe laut auf. „Still, das Kind“, ihre beiden Schwestern sind ziemlich irritiert. „Wie kannst du da lachen“, wirft die Gerechtigkeit ein, „dieser Einfall Gottes wird für dieses Kind wenig zum Lachen mit sich bringen. Er wird seligpreisen, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, er wird sich zu denen halten, die im Abseits stehen, er wird denen neue Zukunft schenken, die sich selbst abgeschrieben haben. Er wird Hungrige speisen und Menschen, die unter den Lasten ihrer Taten und Versäumnisse leiden, Vergebung und Neuanfang schenken. Er wird die Menschen einladen in Gottes Reich, in ein neues Leben – so wie es Gott gedacht hat. All das wird er tun. Aber was wird es ihm einbringen? Unverständnis, Ablehnung, ja Hass. Es wird ihn das Leben kosten, der neue, der ganze Mensch zu sein, Bild Gottes. Wie kannst du da lachen?“

„Warte einmal, liebe Schwester Gerechtigkeit“, lässt sich die Weisheit vernehmen, „da ist doch etwas ganz entscheidend anderes und Neues jetzt mit im Spiel. Nämlich Gott selbst. Er ist nicht mehr Zuschauer, der darauf wartet, dass die Menschen in Gerechtigkeit miteinander leben, der eins ums andere Mal mit ansehen muss, wie Unrecht, Gewalt und Unverstand triumphieren. Von dieser Nacht an, mit diesem Kind macht Gott die Fragen und alle Mühen um Gerechtigkeit und Menschenliebe, um Freiheit und Frieden zur Chefsache. Die Zeit des Wartens auf das neue Leben für die Menschen ist vorbei: es ist da, hier, mit diesem Kind. Göttliches Leben im menschlichen Leben. Und darum unzerstörbar. Man kann das Kind hassen, man kann Gott hassen; man kann, man wird das Kind, wenn es ein Mann geworden ist, töten – aber nicht das Leben vernichten, das in ihm ist. Unsere Schwester, die Liebe, hat recht: es darf hier an der Krippe gelacht werden, das Ostergelächter. Der Einfall Gottes ist kein billiger Witz, sondern hier und heute feiern wir in der Geburt dieses einen Kindes die Neuschöpfung jedes einzelnen Menschen zu ganzem, erfülltem Menschsein – in Gerechtigkeit, in Freundlichkeit, in Freiheit ...“  „und in Liebe.“, ergänzt die dritte Schwester, „mit diesem Kind lockt uns Gott zur Liebe – zur Liebe zu allen Kindern – und zum Kind in uns selbst; zur Liebe zu allen Schwachen und Hilfsbedürftigen – und zur Versöhnung mit unseren eigenen Schwächen. Wenn Gott es sich erlaubt, schwach zu sein, dann darf jeder Mensch es auch sein. Mit diesem Kind lockt uns Gott zur Liebe und macht uns stark – fähig zu lieben und zu helfen, zu tragen und so die Welt zu verändern. Denn um die ganze Welt ist es ihm zu tun: „So sehr hat Gott die Welt geliebt.“

„Wenn ich an die Tage der Schöpfung denke“, lässt sich die Weisheit vernehmen, „dann ist das schon eine erstaunliche Entwicklung – wie aus dem Gegenüber von Gott und Mensch ein Miteinander geworden ist: der Mensch als Bild Gottes und Gott mit dem Antlitz des Menschen – untrennbar da, wo sie lieben ...“  „und sich um Gerechtigkeit und Frieden auf Erden bemühen“, ergänzt die Gerechtigkeit.

Dann schweigen sie und ihre Gesichter leuchten vor Freude. Und Maria, die dem Gespräch ganz aufmerksam gefolgt ist, beugt sich über ihr Kind und sagt zu ihm: „Jesus, ich verspreche dir, alles in meinen Kräften Stehende zu tun, dass du zunimmst nicht nur an Leibeskraft, sondern an Weisheit und Liebe und dabei voller Sehnsucht bist nach Gerechtigkeit, ein Mensch, so wie Gott ihn sich gedacht hat, ein wahres Kind unseres Vaters im Himmel.“

Amen.

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