Ewigkeitssonntag / Gedenktag der Entschlafenen, 23.11.2025, Mutterhauskirche, Johannes 5, 24 - 29, Jonas Marquardt

Predigt Mutterhauskirche Gedenktag der Entschlafenen - 23.XI.2025                                                                

                              Johannes 5, 24 - 29

Liebe Gemeinde!

Mit wem haben wir es zu tun?...  Heut, an diesem Tag, der im altehrwürdigen, völlig aus der Zeit gefallenen kirchlichen Sprachgebrauch „Gedenktag der Entschlafenen“ genannt wird?

Es ist schon befremdlich zu erklären, dass Christen ihre Toten nicht als abgeschlossene Fälle des Gewesenen, nicht als nunmehr ewig Gestrige betrachten und darum auch nicht nur in der Vergangenheitsform von ihnen sprechen können. Dass man in der Kirche nicht von den Nie-mehr-Beteiligten ausgeht, die der Tod ausgelöscht hat, sondern von denen, die zur Ruhe gekommen sind, die schlafen und im Schlaf durchträumen, verarbeiten und loslassen, was war, um dann bereit zu sein zum Aufstehen, … das ist draußen in der Welt der Gegenwart, aber ja auch in unsern Reihen hier eine immer seltener geäußerte Überzeugung.

Die Christenheit unserer Tage ist selbst unsicher geworden, mit wem wir es zu tun haben, wenn es um unsere Toten geht: Dass sie die bereits „triumphierende“ und wir die noch „streitende“ Kirche sind, dass sie also schon die Freude haben und wir noch den Stress, wie man es mit der jahrhundertealten Ausdrucksweise sagt, … dass sie als die „obere Schar“ mit uns, der „unteren Schar“ - wie die Herrnhuter es sagen - gemeinsam die eine Gemeinde des lebendigen Gottes sind, … dass also auf die eine oder andere behelfsmäßige Weise ausgedrückt werden sollte, dass wir jedenfalls keine endgültige Entfremdung und Entzweiung zwischen ihnen und uns erkennen können, sondern eine Gemeinsamkeit, die alle Geschiedenheit überbrückt, bleibt dennoch zentral. —

Aber mit wem haben wir es denn nun zu tun? Heute, wenn wir auf die Sterbefälle dieses Jahres der Kirche zurückblicken? Heute, wenn uns die Verstorbenen der eigenen Familie, der Gemeinde, der Häuser und Einrichtungen unserer Diakonie vor Augen stehen?

Haben wir es mit unseren jüngst Verstorbenen mit immerhin noch etwas Lebendigeren zu tun als bei denen, an die wir uns mit der Zeit schwächer und schwächer erinnern können? Hat also der Todesanzeigenspruch Recht, der so häufig begegnet und uns so irre verantwortlich macht: „Tot ist nur, wer vergessen ist“? Wenn das stimmte, dann wären wir in unserer Epoche alle einerseits ein Geschlecht der Untoten und andrerseits wäre unsere Lebenserwartung fürchterlich geschrumpft: Zwar vergisst das Internet sprichwörtlich nichts, aber es hat die Konzentrations- und Gedächtniskraft der Lebenden doch grauenerregend verkürzt. … Wehe uns, wenn wir nur im stählernen Speicher der Maschine fortleben und in den lauen Herzen und Hirnen der apparateverdummten Menschheit verflackern wie ein eben vorbeigehuschtes Filmchen. Wehe auch unseren Verstorbenen, wenn nur wir sie noch festhalten könnten, ehe sie unwiderruflich versinken. ……. —

Mit wem haben wir es also heute, hier zu tun, wenn unser eigenes Gedächtnis und unsere eigenen Toten so unsicher sind?

– Mit Jesus!

… Mit wem denn sonst?

Der allerdings hat eine Eigentümlichkeit, um die man wissen muss, gerade heute, am Tag des bewussten Gedenkens und erhofften Festhaltens und allmählichen Entgleitens unsrer Entschlafenen:

Die, die Jesus betrachtet und begleitet hatten, die ihm zuhörten und anhin-gen, die ihn umgaben, ehrten und liebten, … die konnten sich an ihn nicht erinnern!?!

Wie das? Ist das Neue Testament nicht das Buch seiner Zeugen und Zeuginnen? Sind seine Evangelien und Episteln nicht die Erinnerungen und Erfahrungen von Jesu Aposteln und Blutsverwandten … sei’s durch Geburt oder Martyrium? – Gewiss: Es sind deren Worte! Aber sie schrieben sie nicht aus der Erinnerung!

– Wie bitte?

– In der Tat! Das Neue Testament ist kein Buch des Gedenkens! Das müssen wir zugeben, das können wir zugeben, … das wollen wir aber v.a. zugeben! Wenn man auch die, die ganz dicht dran waren – und Johannes, der Evangelist, den wir heute hören, war ein solcher – wenn man also jene, die ganz dicht dran waren, fragen würde: „Wie war Jesus?“, dann würden sie uns anblicken, den Kopf schütteln, mit den Achseln zucken und sagen:

„Was meint Ihr denn bloß? Warum sucht ihr den Lebendigen immer wieder bei den Toten? Wir leben doch nicht von der Erinnerung, wir pflegen doch kein Denkmal, wir wiederholen doch nicht die Vergangenheit! Jesus ist doch … jetzt! Er ist gegenwärtig, er ist Gegenwart. Seit seiner Auferstehung ist er aus allem Gewesenen in das immerwährende Sein getreten, und darum ist jede unserer Erinnerungen, jeder Bericht von damals, alles Erzählen von der Zeit, die wir mit ihm hatten, erfüllt und durchdrungen von seiner lebendigen und unvergänglichen Wirklichkeit. Fragt bei uns also nicht nach dem Früher, denn wir kennen nur das Heute, in dem schon das ewige Morgen sich zeigt!“ ——

Diese ganz andere, diese ganze neue Wirklichkeit müssen - und dürfen! - wir also vor Augen haben, wenn wir heute überlegen, mit wem wir Christen es zu tun haben, wenn wir unsere Verstorbenen - als Christen! - bedenken.

Wir haben es als Christen mit einem zu tun, der die Vergangenheit wirklich hinter sich hat. Es ist also von diesem Jesus Christus unmöglich zu sagen, was wir von unseren Noch-Begrabenen sagen: „Sie waren einmal. Sie sind vergangen.“ … Womit wir ja eigentlich das nicht nur sprachlich ziemlich Verworrene sagen: Die Gegenwart unserer Toten ist ihr Vergangen-Sein.

Gegen solches einen Menschen Ins-Abseits-Stellen, gegen dieses Verdrängen von Menschen aus dem Raum, den Gottes Name selbst eröffnet – Der dem Mose ja offenbart hat, dass Er „Ich bin, der Ich bin! Ich werde sein, der Ich sein werde!“ (vgl. 2.Mose3,14) heißt – tritt nun aber auf der ganzen Linie Jesus auf. … Jesus, von dem kein Evangelist auch nur ein einziges Wort so bedenken konnte, als lebe man noch in der Welt vor Ostern: Alles, was sie von Jesus erfahren hatten und weiterhin erfuhren, strahlte, leuchtete, tönte und bebte ja im Licht und Schwung der Auferstehung und bebt, tönt, leuchtet und strahlt so nachösterlich auch jetzt. —

Jesus also hat jetzt das Wort. Und schon wie er zu reden anfängt, macht unmissverständlich, dass wir hier etwas ganz anderes zu hören kriegen, als alle sonstige Redeweise auf Erden.

Denn Jesus fängt an mit dem Wort, das wir gewöhnt sind ans Ende unserer ernstesten und heiligsten Aussagen zu setzen.

Wir schließen mit „Amen!“, … Jesus aber beginnt damit!

So dass schon vom eröffnenden „Amen, Amen“ her deutlich wird, dass wir hier die Stimme hören, die schon hinter sich hat, was wir uns als Letztes denken.

Und dann sagt er uns auch genau das. Er sagt es uns jetzt, weil der, mit dem wir es zu tun haben, obwohl er genau diese Worte vor zweitausend Jahren sprach, sie doch immer nur im Jetzt spricht.

Als er sie – wenn wir überhaupt zurückblicken wollen – zum ersten Mal sagte, hat niemand ihn verstanden: … Dass man anders als vom Sein zum Nichtsein, dass man anders als vom Leben zum Tod denken, blicken und gehen könne, war allen unvorstellbar. … Aus heute wird gestern, aus Präsens wird Präteritum, aus Atmen wird Verwesen, aus Hier! wird Weg!.

So viel war klar.

Doch die Worte, die Jesus ursprünglich am Sabbat sprach, als er den Gelähmten am Teich Bethesda heilte und auf die wütende Belehrung, dass Sabbat Ruhe bedeute, antwortete: „Mein Vater wirkt bis auf diesen Tag und ich wirke auch“ (Joh.5,17), … diese Worte waren schon das Ostern, das immer ist und immer war und immer sein wird.

Mit diesen Worten zeigt Jesus den Sabbat nicht als das Ende der Woche, als den Schlusspunkt der Zeit, sondern als Quelle und Gipfel zugleich. Alles Leben läuft auf den Sabbat zu und strömt in ihm zusammen, weil der Tag des HERRN nichts Finales, sondern etwas Ewiges ist: Der Tag des Lebens in all seiner vom Schöpfer gegebenen und erhaltenen Fülle. Gerade der Sabbat, an dem keine Macht der verschiedenen Macher, sondern nur die Lebensmacht Gottes herrscht, ist das große, unzerstörbare, beständige Werk Gottes, das kein Ende haben kann, weil es endlos gilt.

Gott ist die Quelle des Lebens. Sein Sein und Sein Tun sind lebenserschaffend und lebens-erhaltend. Er ist das, weil ER das ist. Er wird es sein, so wahr Er das Sein ist, das nie zuendegehen wird.

Und nun – „Mit wem haben wir es zu tun?“ – nun ist den Zeugen Jesu, die nicht verstanden, was er am Sabbat von Bethesda sagte, durch Ostern gezeigt worden, wer er ist: Er - Jesus - ist Der, Der nicht unter der Vergangenheitsmacht des Todes bleiben kann, weil in Ihm die ewige Lebenskraft Gottes tatsächlich erschienen und verkörpert und gegenwärtig ist und am Kreuz vernichtet werden und im Grab für immer verdrängt werden sollte, aber eben nicht verdrängt und vernichtet werden kann, sondern das Vergangenheitsgefälle aller Zeit zerbricht. Aus dem Grab ist in Jesus das ewige Leben hervorgebrochen.

Und da – als sie Ostern erfuhren – da verstanden sie Ihn plötzlich und merkten, dass Er am Teich Bethesda nicht zu den dortigen Kritikern seines Lebensschenkens am Tag der Lebensfülle gesprochen hatte, sondern dass es ewige Worte sind, die damals zu hören waren, so wie jetzt und jetzt wie damals: „Der Vater hat das Leben in sich selber und so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in sich selber.“   

Johannes hörte diese Worte, so wie wir sie jetzt hören, als er das Evangelium lange Jahre nach Ostern aufschrieb: Es waren aber nicht gestrige, sondern jetzige Worte, … Worte und eine Stimme, deren Wahrheit und Gegenwart den Tod außer Kraft setzen – den Tod Dessen, Der sie spricht, … den Tod des Johannes, der sie aufschrieb, … den Tod derer, die diese Worte lasen und lesen, die diese Stimme hörten und hören – weil der Tod an dieser Stimme und an diesem Sprechenden gescheitert war.

Er lebt ewig, Der diese Worte spricht, ……. und der sie hört auch!!!

Noch einmal: Weder Johannes damals, noch wir heute würden diese am Teich Bethesda gesprochenen und wie alle Worte schnell verplätscherten und vergessenen Laute wieder gehört haben und jetzt hören, wenn der Tod noch wäre, wenn also Ostern nicht wäre, wenn demnach Jesus nicht lebte.

Er lebt aber und es ist Ostern – auch dieser letzte Sonntag des Kirchenjahres ist Ostersonntag! –, und Vergangenheit ist einzig und allein der Tod!

Und darum haben wir es mit Demjenigen zu tun und es geschieht dasjenige an uns, was jetzt schon, hier schon, immer schon ewig ist.

Jesu Worte hier in der Bibel, hier in einem menschlichen Mund des Jahres 2025, hier in so vielen menschlichen Ohren, Köpfen und Herzen sind also aktuelle Ewigkeit. Sie sind die Wirkung dessen und der Beweis dafür, dass es kein Vergehen und kein Ende gibt, wo Jesus, der Ewiglebendige spricht und gehört wird. Und darum sind diese unvergleichlichen Worte, die vom Ende herkommen und im Jetzt das Ewige eröffnen, nicht nur die unterschiedensten Worte, die es gibt – anders als alle anderen –, sondern auch die unterscheidensten: Es sind Worte, die den endgültigen und ewigen Unterschied machen.

Wem sie Geplätscher und Gurgeln sind wie das, was sonst so geschwallert wird und wie die manchmal lebhaften, meistens aber trüb stehenden Gewässer von Bethesda, der wird sie vergessen und wird mit ihnen ins Vergessen eingehen.

Wer sie aber hört und glaubt, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.

Denn das ist ja immer an diesem einen und selben Sonntag am Ende des Kirchenjahres, an dem wir uns fragen, mit wem wir’s zu tun haben, die Botschaft: Es ist der ewige Ostertag der hier Entschlafenen, die doch leben und als dieser Ostertag ist es zugleich der Tag des Gerichts.

Jesus als den österlich Auferstandenen zu kennen, ihn zu hören als den, der das Leben ist und hat und schenkt, entscheidet über alles! —

Früher hat man in der Landeskirche gespöttelt über die Traktätchenverteiler und die frommen Plakatkleber und die einfachen Treuen, die mit der Überschrift „Jesus lebt!“ und der Aussicht, dass er wiederkehrt und dass sich an ihm die Ewigkeit entscheidet, das Bergische Land und das Erzgebirge und die württembergischen Hochburgen des Pietismus und Chrischona bei Basel und manche Kaiserswerther Köpfe und Herzen erfüllten.

Heute ist dieser Spott - wie so vieles andere - in einer an die Grenze gestoßenen evangelischen Wirklichkeit verklungen.

Heute ist eine Botschaft, die - einfach indem sie sie eröffnet - über die Ewigkeit entscheidet, fremd geworden innerhalb der bröckelnden Kirche, und es müssen Außenstehende wie jüngst der alte, wahrhaftig säkular-kritische Philosoph Jürgen Habermas aufstehen und daran erinnern, dass Christen entweder über das Leben, das den Tod hinter sich hat, ein Zeugnis geben oder schweigen sollten[i].

Und so richtet sich die Frage, mit wem wir es zu tun haben, am Schluss an uns selber.

Wenn uns die Stimme Jesu sagt, dass alle, die in den Gräbern sind, sie hören werden, dann wissen wir, wer unsere Entschlafenen sind: Die Gerufenen, die hören werden, dass denen, die das Gute taten und wollten, das Gute wie im Anfang so auch jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit aufgetan ist und sie aus den Gräbern hervor- und in dieses unendliche Gute eingehen sollen.

Und wir wissen dann auch, wer Jesus ist: Der Menschensohn, der die Vollmacht der Ewigkeit hat und sie teilt mit denen, die sie von ihm annehmen.

Und mit wem haben wir es bei uns selbst zu tun? …….

Amen, Amen, sagt Jesus, das Leben: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.       

Das sind also wir: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass wir – die ohne sie tot sind! – diese Stimme des Sohnes Gottes hören … und die sie hören, die werden leben!

Damit haben wir es zu tun.

Dem ewigen Leben, das Jesus ist.

Jetzt!

Amen.

 

[i] Zum Habermas’schen Weckruf an eine Kirche in der babylonischen Gefangenschaft der Immanenz vgl. https://theoblog.de/philosoph-juergen-habermas-warnt-vor-verflachung-der-christlichen-glaubensgehalte/46580/

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