12.S.n.Tr., 07.09.2025, Apg.3,1-10 und Mar.7,31-37, Stadtkirche, Dr. Johannes Grashof
Liebe Gemeinde!
Zwei Heilungswunder in einem Gottesdienst! Das ist schon ziemlich viel Wunder auf einmal. Die Bibel erzählt ja jede Menge solcher Geschichten. Und heute stehen gleich zwei davon auf dem Leseplan: Da schildert uns der Evangelist Markus, wie Jesus einem Taubstummen die Ohren öffnet und seine Zunge löst – und das mit einer Therapie, die uns in unserer nüchtern aufgeklärten Kultur eher befremdlich, vielleicht sogar etwas ekelig anmutet. Und in unserem Predigttext aus der Apostelgeschichte des Lukas, der für diesen Sonntag vorgesehen ist, stellen die Apostel Petrus und Johannes einen von Kind auf gelähmten Mann auf seine eigenen Füße – im Namen Jesu, durch Blickkontakt und mit einem beherzten Griff.
Es gibt Kirchengemeinden, die an dieses Genre aus dem Neuen Testament direkt anknüpfen. Aus der Heilungspraxis Jesu und der ersten Apostel leiten sie ihre Berechtigung und auch ihre Befähigung ab, durch Gebet und sichtbare Zeichen wie Handauflegung oder Salbung Menschen von ihren Gebrechen zu befreien. Wir kennen dies besonders aus charismatischen und pfingstlichen Gemeinden rund um den Globus aber auch in unserem Land. Selbst in unsere landeskirchlichen Frömmigkeitspraxis hat die liturgische Heilung längst Einzug gehalten. Auch hier gibt es Gottesdienste, in denen das persönliche Gebet für einen Kranken, Handauflegung oder Salbung eine zentrale Rolle spielen.
Natürlich kann hier die kritische Frage gestellt werden: Wie weit darf verantwortbare Sorge für Menschen gehen und wo beginnt die Scharlatanerie? Und wo leisten möglicherweise unsere biblischen Glaubensquellen letzterem noch Vorschub?
In Afrika ist es durchaus vorstellbar, dass kranke Menschen nicht den Arzt aufsuchen, sondern den Gottesdienst, um Heilung zu erfahren. Gut, dort ist die medizinische Versorgung nicht so hervorragend wie bei uns in Kaiserswerth. Sicher spielt aber der Umstand eine Rolle, dass in afrikanischen Kulturen Gesundheit und Krankheit immer eine spirituelle Komponente haben. Und kaum eine Person ist dort nicht Teil einer religiösen Gemeinschaft, in der sie sich in Leben und Tod, in Gesundheit und Krankheit beheimatet und getragen weiß.
Das ist bei uns in Europa sicher anders. Wir sind deutlich individualistischer, deutlich säkularer. Und soweit wir uns nicht zu den Querdenkern oder anderen Skeptikern gegenüber einer Fakten-basierten Weltsicht rechnen, haben wir unsere Probleme mit Erzählungen, die unser naturwissenschaftlich geprägtes Weltbild und unsere Kenntnis medizinischer Zusammenhänge gegen den Strich bürsten. Das trennt uns nicht nur um Lichtjahre von Menschen in Afrika, sondern auch von den Zeitgenossen Jesu und den ersten Christen in Jerusalem. Wir können vielleicht eine gewisse psychosomatische Wirkung beim Erfolg biblisch berichteter Heilungen konzedieren. Doch sind wir eher geneigt, Wundererzählungen ins Reich der frommen Legenden zu verweisen.
Nein, so wie vorhin aus der Bibel vorgelesen, sieht keine seriöse, wissenschaftlich nachvollziehbare Therapie aus! Ein Arzt der heute versuchte, mit Handberührung, etwas Spucke und dem Ausruf „Hephata“ einen Taubstummen zu behandeln, würde in Deutschland zu Recht von keiner Krankenkasse anerkannt werden. Und dass ein verständnisvoller Blick gepaart mit einem schwungvollen Zugriff einen von Kind auf gelähmten Mann ans Gehen bringt, und zwar ausdrücklich ohne, dass dabei Silber und Gold aufgewendet werden müssen, das würde unsere bundesdeutsche Gesundheitsministerin Nina Warken wohl mit einem Schlag vieler Probleme entheben. Wie sollen wir solche Erzählungen heute einordnen?
Zunächst einmal: So, wie Markus, die Geschichte von der Heilung des Taubstummen berichtet, wird sie von ihm ausdrücklich nicht zur Nachahmung empfohlen. Der Evangelist fordert niemanden auf: Geh hin und tue desgleichen! Im Gegenteil: Er legt Wert darauf zu berichten, dass im Grunde keiner gesehen hat, wie Jesus den Mann geheilt hatte. Denn er tat es ausdrücklich abseits der beobachtenden Menge. Die konnte nur das Ergebnis bezeugen, sich darüber wundern und Gott dafür loben, dass Jesus die Tauben hören macht und den Sprachlosen die Zunge löst.
Wenn der Rheydter Pfarrer Franz Balke im 19. Jahrhundert die heutige Evangelische Stiftung Hephata gründete, dann lehnte er sich zwar bewusst an diese biblische Heilungsgeschichte an. Aber er tat es nicht, um eine vorwissenschaftliche Heilungsmethode zu kopieren. Sondern weil er sich durch die Zuwendung Jesu zu einem Hilflosen persönlich herausgefordert sah. Er wollte sich Menschen zuwenden, die in seiner Zeit sonst keine Hilfe erwarten konnten: Kindern, die damals wegen ihrer geistigen Behinderung als nicht förderungsfähig galten und deshalb vor sich hinvegetierten und verwahrlosten.
Hier haben wir das erste Kriterium gefunden, was verantwortbares Heilungshandeln von der Scharlatanerie trennt: Es geht in vielen biblischen Heilungsgeschichten um die Zuwendung zu Menschen, die von der Mehrheitsgesellschaft vernachlässigt, gemieden oder abgeschrieben werden.
Und was ließe sich nun aus der Geschichte mit Petrus, Johannes und dem Gelähmten am der Schönen Tor des Jerusalemer Tempels mitnehmen? Zunächst: Sie haben vorhin nur die halbe Geschichte gehört. Sie endet nämlich keineswegs an dem Punkt, wo der vormals Gelähmte durch den Jerusalemer Tempelbezirk hüpft und die zusammenströmenden Schaulustigen sich entsetzen. Im Gegenteil, jetzt erst läuft Petrus zu großer Form auf: Er stellt sich vor die Menge und hält eine flammende Missionspredigt. Die hat den Effekt, dass die christliche Gemeinde einen sprunghaften Mitgliederzuwachs verzeichnet: von 2.000 auf 5.000 Personen.
Nun schreiten die Behörden ein. Petrus und Johannes werden vom Hohen Rat vorgeladen und mit Redeverbot belegt. Doch das scheint nicht viel zu nützen. Denn zuletzt heißt es von der ganzen christlichen Gemeinde: „Sie redeten das Wort Gottes mit Freimut“.
Darum geht es also in der Geschichte: um den freien Mut, das Wort Gottes auszurichten, durch Wort und Tat. Und während die Behördenvertreter um die Einhaltung der Ordnung bemüht sind, was ja ihre Aufgabe ist, lobt das Volk die erlebte Großtat und reagiert auf die deutenden Worte mit dem Wunsch zur Taufe.
„Wer heilt, hat recht“, sagen wir. „Richtig ist, was guttut.“ Und wer weiß, vielleicht hat es dem Gelähmten am „Schönen Tor“ ja gutgetan, dass ihn da jemand angeschaut und an der Hand genommen hatte. Vielleicht hatte sich auch der Taubstumme riesig gefreut, dass Jesus ihn beiseite genommen, ihn berührt, für ihn gebetet hatte. Manche Krankheiten sind psychosomatisch. Mag sein, dass sich etliche Wunder Jesu und der Apostel so erklären lassen.
Aber es geht hier nicht um Erklärungen. Für die biblischen Erzähler war jede erfolgreiche Heilung etwas nicht-Erklärbares. Sie konnten das Heilwerden eines Menschen nicht medizinisch herleiten; sie konnten es nur deuten: als eine Spur, die Gott im Leben von uns Menschen hinterlässt. Wer heilt, hat recht, weil in seinem Tun Gott erfahrbar wird.
Wer einem Menschen durch Nähe, durch Berührung, durch Blickkontakt, durch Gebet, durch Ansprache zeigt: du bist wertvoll, der öffnet ihm ein Fenster zum Himmel. Und alle Schriftsteller des Neuen Testaments sind sich einig: Ein offener Himmel – Spuren Gottes in unserem Leben, das hatten sie durch Jesus in unvergleichlicher Weise erfahren. In seiner Nähe konnten Menschen, egal was sie bedrückte, erleben, wie ihnen der Himmel aufgeht.
Hier haben wir das zweite wichtige Kriterium gefunden, um ernsthafte Sorge von Scharlatanerie zu unterscheiden: Heilwerden ist nicht gleichzusetzen mit der Wiederherstellung körperlicher Unversehrtheit. Ein Mensch, der sich im Gottesdienst die Hand auflegen oder mit Öl ein Kreuz auf die Stirn zeichnen lässt, erhält damit keine medizinische Wiederherstellungsgarantie. Christliche Gottesdienste wissen darum, dass Jesus in Gethsemane zu seinem himmlischen Vater betete: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“
Heilen ist etwas anderes, als reparieren. Es bedeutet nichts Geringeres, als leidenden Menschen den Himmel aufgehen lassen. Menschen wie der Rheydter Pfarrer Franz Balke haben genau das zu ihrer Lebensaufgabe gemacht: Menschen den Himmel zu öffnen. Und im Grunde genommen ist dies auch unsere Lebensaufgabe als Christen insgesamt: Menschen den Himmel öffnen, Spuren in ihrem Leben zu hinterlassen, die sie als Spuren Gottes erkennen. Ihnen zu zeigen, dass sie gewollt, dass sie erwünscht sind. Dafür braucht’s dann gelegentlich zur Tat auch das freimütig gesprochene deutende Wort.
Das, liebe Gemeinde, hatten sich Petrus und Johannes schon damals zu Herzen genommen. Und die anderen Apostel. Und die ganze Christengemeinde. Und bis heute gilt: Wir sollen es uns zu Herzen nehmen. Denn mit unserer Taufe gehören auch wir zu Jesus Christus. Und wie Petrus und Johannes sind wir von ihm ausgeschickt, in seinem Namen den Menschen den Himmel zu öffnen. Wenn wir es tun, dann kann mit einem Mal ganz viel heil werden: Ein einsames Herz, eine schuldzernagte Seele, eine zerbrochene Beziehung. Und, ja, auch ein gebrochenes Bein, das mit medizinischer Unterstützung wieder zusammenwächst. Oder ein Teil des Körpers, der vielleicht nur zum Spiegel einer kranken Seele geworden war. Wunder gibt es durchaus! Lassen wir uns von Jesus dazu aussenden, sie wirklich werden zu lassen!
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Veranstaltungskalender

Gemeindebüros

Adresse
Fliednerstr. 6
40489 Düsseldorf
Tel.: 0211 40 12 54
Adresse
Tersteegenplatz 1
40474 Düsseldorf
Tel.: 0211 43 41 66
Öffnungszeiten
Mo - Fr | 09:00 - 15:00 Uhr |
Di | 09:00 - 18:00 Uhr |
Öffnungszeiten
Di | 09:00 - 16:00 Uhr |
Mi u. Fr | 09:00 - 12:00 Uhr |
Spendenkonto
Ev. Kirchengemeinde Kaiserswerth-Tersteegen
DE38 3506 0190 1088 5230 39
.