4.S.n.Tr., 13.07.2025, 1.Thess.5,21, Mutterhauskirche, Ulrike Heimann
Text: „Prüft alles, und behaltet das Gute.“ (1.Thess.5,21)
Liebe Gemeinde,
wohl keiner hier unter uns hat nicht schon wenigstens eine hinter sich gebracht: eine Prüfung. Und wahrscheinlich erinnern sich die allermeisten auch an das Gefühl, mit dem sie dabei umgehen mussten: Prüfungsangst.
Ob es die Abi-Klausuren waren oder die Examensprüfung zum Abschluss der Berufsausbildung oder die Führerscheinprüfung: dieses Gefühl, jetzt geht es um Alles oder Nichts – das ist nicht angenehm. Von anderen geprüft zu werden, darauf können wohl viele gut verzichten.
Ums Prüfen geht es in der Jahreslosung aus dem 1. Thessalonicherbrief: „Prüft alles, und behaltet das Gute.“
Hier geht es nicht darum, dass wir geprüft werden, sondern wir sind aufgefordert, selbst zu prüfen.
Doch: Wen oder was sollen wir prüfen? Und was sind die Kriterien, nach denen wir prüfen sollen? Und zu welchem Zweck und Ziel? Geht es um den richtigen Glauben? Oder um das richtige Leben?
Prüft alles!
Eine ziemliche Herausforderung – gerichtet nicht an die Spezialisten, an die Fachleute, sondern an jede und jeden einzelnen. Der Glaubens- und Lebens-TÜV kann nicht an eine KI delegiert werden, sondern erfordert eigenes Nachdenken und Entscheiden, eigene Verantwortung.
Doch - nach welchen Kriterien sollen wir denn alles prüfen?
Dazu geben uns der Epheserbrief und der 1. Johannesbrief folgendes an die Hand:
„Prüft bei allem, was ihr tut, ob es dem Herrn gefällt!“
(Eph.5,10)
„Prüft die Geister, ob sie von Gott sind.“ (1.Joh.4,1)
Der Maßstab, die Kriterien sind also nicht irgendwelche, sondern sie müssen in Einklang stehen mit dem, was Gottes Wille ist. Mit dem, was Gott für alle seine Menschenkinder will, für unser Leben hier auf dieser Erde.
Es geht nicht darum, irgendwelche Glaubenssätze oder persönliche Überzeugungen für gut zu halten, sondern sie müssen daraufhin geprüft werden, wie sie sich auswirken auf unser eigenes Leben und auf unser Zusammenleben. Es gibt hier keine Trennung zwischen Glaube und Leben, zwischen Religion und Politik.
Unseren Mitmenschen gegenüber kritisch zu sein, festzustellen, wo sie falsch liegen mit ihren Ansichten, wo sie falsche Entscheidungen getroffen haben, das fällt uns im Allgemeinen leicht. Viel leichter jedenfalls, als den Blick zuerst einmal auf uns selbst zu richten, uns selbst zu prüfen und uns kritisch zu hinterfragen. Doch genau darum geht es zuerst. Wie es Jesus in der Bergpredigt auf den Punkt gebracht hat: „Was siehst du den Splitter im Auge deines Nächsten und den Balken in deinem eigenen Auge siehst du nicht?“
Der Apostel Paulus fordert deshalb in seinen Briefen an die Korinther und Galater alle Gemeindeglieder auf: „Jeder soll sich selbst prüfen.“ (1.Kor.11,28; 2.Kor.13,5) und „Jeder prüfe sein eigenes Werk.“ – sein eigenes Tun und Verhalten (Gal.6,4). Schaut zuerst in den Spiegel, ermahnt uns Paulus, bevor ihr euren kritischen Blick auf andere richtet. Zuallererst ist jeder für sich selbst verantwortlich. Macht euch erst einmal klar, weshalb ihr etwas tut, wie ihr es tut und genauso: macht euch klar, warum ihr etwas nicht tut. Und dann schaut, ob euer Tun wirklich Gutes hervorbringt – für euch und für andere. Und genauso: ob eure Tatenlosigkeit gut war oder nicht.
Und ebenso gilt es, eigene Einstellungen und Haltungen kritisch zu hinterfragen. Wo sitze ich Vorurteilen auf, wo sind Befürchtungen im Spiel, etwas zu verlieren?
Gerade in unseren Zeiten ist die Bereitschaft, sich selbstkritisch zu hinterfragen, unerlässlich. Denn von überall prasseln Meinungen auf uns ein, die uns auf ihre Seite ziehen wollen, die medialen Influencer in den social Media (Instagram, tiktok, X) und auch die Meinungsmacher in Parteien und Vereinigungen. Alle wissen, dass man Triggerpunkte ansprechen muss, um Follower zu gewinnen. Die AfD hat ausgesprochen erfolgreich die Triggerpunkte „Angst vor Fremden“ und „Angst vor Wohlstandsverlust“ eingesetzt. Aber Angst ist ein schlechter Berater. Genau hinzusehen und hinzuhören und sich der Mühe des eigenen Nachdenkens unterziehen, aus den Fehlern und Versäumnissen unserer Vorgängerinnen und Vorgänger, aus der Geschichte zu lernen, das braucht es, um verantwortlich entscheiden zu können – mit Blick auf sich selbst und auf die Gesellschaft.
Kommen wir nun zu der zweiten Satzhälfte unserer Jahreslosung: „behaltet das Gute.“
Da steht nicht: behaltet das, was euch lieb ist;
auch nicht: behaltet alles, was ihr habt;
und nicht: behaltet, was für euch von Vorteil ist.
Das mit dem Behalten ist ja so eine Sache.
Da geht es um Materielles genauso wie um Spirituelles.
Um Gewohnheiten, Traditionen, um Überzeugungen.
Das betrifft jeden Menschen in unterschiedlicher Intensität. Was das Materielle angeht, so war der Homo Sapiens über Jahrhunderttausende Sammler und Jäger. Das hat uns bis heute genetisch geprägt. Aber anders als unsere Vorfahren, die sammelten und jagten, was sie zum Leben, ja mehr zum Überleben brauchten und selbstverständlich alles miteinander teilten (die Archäologie und Paläontologie hat dafür viele Beweise gefunden), sammeln wir heute in unseren konsumorientierten Gesellschaften individuell jede und jeder für sich so viel, dass wir, dass unsere Erde daran zu ersticken droht.
In spiritueller Hinsicht sieht es etwas anders aus, aber damit nicht viel besser: die einen halten einfach an den religiösen Traditionen und Vorstellungen fest, in denen sie großgeworden sind – „das war schon immer so, das haben wir schon immer so geglaubt“ – und sind unfähig und unwillig, einzusehen, dass es Kennzeichen eines lebendigen Glaubens, einer lebendigen Religion ist, dass sie sich verändert, verwandelt, wie alles Lebendige, dass Altes abgelegt werden muss, damit Neues wachsen kann. Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die zu ihren eigenen Wurzeln keinen Kontakt mehr haben und die jedes echte oder vermeintlich echte spirituelle Angebot begierig aufsaugen und sich ihren eigenen Glaubenskosmos daraus zusammenstellen. Während es für die „Traditionalisten“ heißt: prüft alles und legt ab, was euch am Wachsen hindert, - heißt es für die anderen: prüft alles, und schaut, was euch wirklich erdet und mit anderen verbindet, verliert euch nicht im Überangebot.
„Behaltet das Gute.“
Das Gute ist das, was gut für mich und gut für dich ist,
was der Gemeinschaft guttut.
Das Gute ist, was dem Leben aller dient.
Das Gute ist unteilbar, es gilt global.
Das Gute ist, was die Schwachen und die Starken zusammenhält.
„Prüft alles, und behaltet das Gute.“
Liebe Gemeinde, vielleicht haben Sie schon gemerkt, dass es um etwas grundlegend anderes geht, als darum, den Inhalt eines online bestellten Pakets zu sichten, um dann alles, was nicht gefällt, zurückzuschicken.
„Prüft alles, und behaltet das Gute.“
Das kann sich als eine dramatische Herausforderung erweisen, die das ganze Leben betrifft und es mitunter auf den Kopf stellt.
Dann nämlich, wenn Erkenntnisse, die man gewonnen hat, einen nicht mehr einfach weiter so machen lassen. Wenn man erkennen muss, dass das Gute einen aus der Komfortzone herausruft, hinein in Konflikte, einen richtig in Schwierigkeiten bringen kann. Wenn man mit dem Glauben ernst macht, der einen in die Verantwortung ruft.
Im letzten Monat ist mir ein Dokument zugänglich geworden, das genau davon Zeugnis ablegt: dass Christenmenschen diese Verantwortung übernommen haben – obwohl sie sich damit persönlich in große Gefahr gebracht haben.
Unter der Überschrift „Christus und dem Evangelium treu bleiben“ haben Geistliche und Laien der Russischen Orthodoxen Kirche, die in Russland leben, aber den Angriffskrieg Putins ablehnen ein Glaubensbekenntnis verfasst und am 7. Januar dieses Jahres veröffentlicht, dem für die russische Orthodoxie meines Erachtens eine ähnlich hohe Bedeutung zukommt, wie 1934 der Barmer Theologischen Erklärung für die evangelische Kirche in Deutschland. Da die Verfasser allen Grund haben, sich damit der Verfolgung seitens der Obrigkeiten sowohl des Staates als auch ihrer Kirche auszusetzen, sahen sie sich genötigt, auf jegliche Hinweise auf die Autorenschaft zu verzichten.
„Wir, Kleriker und Laien, Kinder der Russischen Orthodoxen Kirche … glauben und bekennen, dass wir alle, unabhängig von den irdischen Umständen und den Forderungen irdischer Machthabender, aufgerufen sind, vor der Welt Zeugnis für die Lehre Jesu Christi abzulegen, und immer abzulehnen, was mit dem Evangelium unvereinbar ist. Keine irdischen Ziele oder Werte können von Christen über die oder anstelle der Wahrheit gesetzt werden, die in der Lehre, dem Leben und der Person Jesu Christi offenbart wurde.“ heißt es in der Präambel. Dann folgen 8 Artikel, bestehend aus einer Überschrift und Erläuterungen:
- ÜBER GOTT: Über das Gebot „Du sollst nicht den Namen des Herrn, deines Gottes missbrauchen“
- ÜBER DAS REICH GOTTES: Über die Unzulässigkeit der Vermischung dessen, was „Gottes“ und „des Kaisers“ ist, sowie die Unzulässigkeit der Verwandlung der Kirche in ein Instrument irdischer Machthabender
- ÜBER DIE MENSCHENWÜRDE: Über die vorgebliche „Häresie der Menschenverehrung“ und die Unzulässigkeit, den Menschen als Verbrauchsmaterial zu missbrauchen
- ÜBER DIE GLEICHHEIT DER VÖLKER VOR GOTT und die Unzulässigkeit der nationalen Selbstverherrlichung
- ÜBER DAS LEBEN NACH DEN GEBOTEN CHRISTI und dessen Ersatz durch den „Kampf für traditionelle Werte“
- ÜBER DIE CHRISTLICHE NÄCHSTENLIEBE und deren Ersatz durch die Predigt von Gewalt und „Heiligem Krieg“
- ÜBER DIE KIRCHE CHRISTI: Über die „Vertikale der Macht“ und das Vergessen des Synodalprinzips als Entstellung des kirchlichen Lebens
- ÜBER DEN VERSÖHNUNGSDIENST als die wahre soziale und politische Sendung der Kirche
Da die Artikel viel zu umfänglich sind, um sie im Rahmen einer Predigt zu verlesen, habe ich sie vervielfältigt und bitte
Sie darum, sie sich am Ausgang mitzunehmen. Sie erinnern uns daran, dass auch für uns sich angesichts der gesellschaftspolitischen Entwicklungen schneller als gedacht eine Situation ergeben kann – im Gespräch mit Nachbarn, in der Straßenbahn, im Verein, im beruflichen Leben, auch im Freundeskreis und in der Familie – wo wir „Farbe bekennen müssen“. Und deshalb sollten wir uns der Herausforderung der Jahreslosung stellen:
„Prüft alles, und behaltet das Gute.“
Wer alles prüft und das Gute behält, der kann eben zum Bösen, zu Unrecht und Hass nicht schweigen. Das Gute ist nicht teilbar in weltlich und geistlich. Es ist nicht aufteilbar auf wir hier – und die anderen dort.
Das Gute ist das, was gut für mich und gut für dich ist,
was der Gemeinschaft guttut.
Das Gute ist, was dem Leben aller dient. Lokal und global.
Dafür steht Gottes Wille und sein Reich.
Und um sich dafür einzusetzen, hat er uns mit Christi Geist ausgerüstet.
Vertrauen wir ihm – und trauen wir uns, verantwortlich zu reden und zu handeln.
Amen.
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