3.So. n. Trinitatis /Heimsuchung Mariae, 06.07.2025, Stadtkirche, Kantatengottesdienst zu BWV 147: "Herz und Mund und Tat und Leben" mit Lukas 1, 39 - 56 & 1.Timotheus 3,16, Jonas Marquardt

Predigt Kaiserswerth 6.VII.2025 - 3.n.Trin. / Mariæ Heimsuchung                                                                     

  Kantatengottesdienst[i] BWV 147 / Lk.1, 39 – 56 / 1.Tim. 3,16

Liebe Gemeinde!

Wann fangen „Herz und Mund und Tat und Leben“ an? 

Fragen wir ruhig medizin-ethisch.

Und schon sind wir mitten in der aktuellen politischen Debatte, ausgelöst durch eine Nominierung zum Bundesverfassungsgericht, die die AFD und ihresgleichen ablehnen. Eine Debatte, in der sich das furchtbare und zugleich lächerliche Dilemma unserer Tage wie folgt auftut: Weil Idioten, Schurken oder Demagogen etwas sagen, kann kein redlich denkender und moralisch urteilender Mensch mehr die von solchen Seiten aufgegriffenen Positionen teilen.

In diese Schachmatt-Falle gerät nur, wer die Spielregel akzeptiert, dass das Gute nicht auch von Bösen und die Wahrheit nicht auch von Lügnern genutzt und geäußert werden können.

Wer diesen Kurzschluss als die ohnmächtige Torheit, die er ist, erkennt, kann seelenruhig nur sagen, was nach meinem Dafürhalten glasklar sein dürfte: Christlich betrachtet ist die säkulare, von der vorgeschlagenen Juristin vertretene Position, die Menschenwürde beginne ab Geburt, bestürzend falsch.

Sonst müssten wir mit der Kantate im Ohr, die so eindringlich vertont, was zwei Schwangere und zwei Ungeborene bewegt, und deren Bewegung bis zu uns überträgt, … sonst also müssten wir spätestens ab dem Rezitativ, in dem es heißt: „Johannes muss mit Geist erfüllet wer-den, / ihn zieht der Liebe Band / bereits in seiner Mutter Leibe, / dass er den Heiland kennt, / ob er ihn gleich noch nicht / mit seinem Munde nennt, / er wird bewegt, er hüpft und springet …“ – spätestens ab diesem Sprechgesang, in dem eine heutige, gegenwärtige Stimme dem embryonalen oder fœtalen Zeugnis des ungeborenen Täufers Ausdruck verschafft, … spätestens hier müssten wir diese Kantate wohl abbrechen und in jener vorsäkularisierten Welt belassen, die dann für uns versunken und verstummt wäre.

… Dann hören wir das „Jesu bleibet meine Freude“ eben nicht und summen es nicht innerlich mit und erleben nicht, wie es den Nachmittag und auch die kommende Nacht durchziehen wird, weil alle organischen und psychischen Wirkungen der umfassenden Lebensbeziehung zu Jesus, die die Kantate beschreibt und alle in der letzten Strophe ganz und gar in uns selbst berührten Stoffe und Wirkungen dieser Lebensbeziehung – Herzenssaft und Lebenskraft und Seelenwonne und finaler, endgültiger Jesus-Anblick – dann halt ewig nichtig wären.

Was erst mit der Geburt beginnt, endet selbstredend auch mit dem Tod.

Und die Jesus-Freude, die Jesus-Bindung, die Jesus-Vitalisierung von Leib und Seele, von Herz und Mund und Tat und Leben, die in ihrer Grenzenlosigkeit nach christlichem Verständnis pränatal und postmortal real wirken … die sind dann eben auch gestrichen.

Herz und Mund und Tat und Leben, wie das Fest der Heimsuchung Mariæ sie uns zu sehen lehrt, sind keine Privilegien der Geborenen oder der Erwachsenen oder der Vernunftbegabten. Vielmehr haben wir sie gemeinsam mit einer weitaus größeren Schar, als das exklusiv verengte Menschenbild der Moderne uns weismacht!

Denn die säkularisierte Anschauung vom Menschen ist in Wirklichkeit eine der engsten Kategorien, die es gibt. Wo das Leben als Mensch nur durch „Partus“ und „Exitus“, wie die Medizin Geburt und Sterben nennt – wobei beides ja „Trennung“ und „Ausgang“ bedeutet – … wo menschliches Leben also bloß als biologischer Stoffwechselvorgang mit Bewusstseinsbeimischung zwischen diesen beiden Trennstrichen definiert wird, da fallen Unzählige raus: Wer noch nicht atmet, wer nicht mehr atmet, gehört nicht dazu. Nur die Heutigen zählen voll. Das erklärt unsere Geschichtsvergessenheit. Und erst recht jene Gleichgültigkeit, mit der heute die Lebensgrundlage der kommenden Geschlechter veruntreut wird.

Nicht zufällig ist ja auch das juristisch umstritten und vermutlich säkular auch unlösbar: Die Frage, ob Noch-nicht-Geborene Subjekte des Rechtes sein können, gegenüber denen Pflichten bestehen und Schuld entstehen kann.

Wenn wir aber biblisch-christlich gerade von den beiden werdenden Müttern, Maria und Elisabeth und ihren noch nicht gewordenen Kindern, Jesus und Johannes uns das Wunder und die Weite des Menschenlebens zeigen lassen, dann verstehen wir es plötzlich ganz anders: Partus und Exitus sind die beiden Gedankenstriche, die – wenn Gott will und wir Ihn lassen – die biologisch-stoffwechselhafte Phase unseres Lebens wie eine Parenthese, wie einen sinnvollen, aber nicht in sich vollständigen Einschub zwischen die weit größeren Bereiche des gottgewirkten und gottgeschenkten Daseins rücken: „Es war Dir mein Gebein nicht verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde, … (ja), Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war …“ (Ps.139,15f) – Ist Er doch nicht der Toten, sondern der Lebendigen Gott, denn sie leben Ihm alle (vgl.Lk.20,38).

Leben als ursprünglich vorzeitliches und endloses Einbezogen-Sein in Gottes Gegenwart, … Leben also nicht als das auf das Abnabeln-bis-Abnippeln verkürzte Fragment, auf das man es heute beschränkt, … Leben nicht im immanent verengten, sondern im wirklich inklusiven Sinn ist also vorgeburtlich und jenseits des Todes das, was uns mit Unzähligen verbindet.

Weil es die Verbundenheit aller Lebewesen und über sie hinaus auch aller Geisteswesen und alles Nicht-Beseelten mit Gott bedeutet: Die Himmel erzählen die Ehre Gottes (Ps.19,2), alle physischen und physikalischen Mächte und Gewalten sind im Himmel und auf Erden Träger Seiner Herrlichkeit (vgl. Jes,6,3), denn von Ihm, durch Ihn und zu Ihm sind ja alle Dinge (Rö.11,36).

Das ist biblisches Bekenntnis, das in der ökologischen Schöpfungsgeschichte von den sieben Tagesstufen bis zur paradiesischen Welt wurzelt und dann von dort aus heranwächst (vgl. Kol.1,6.11) bis es kosmische Fülle erreicht (vgl. Eph.3,19; 4,13) und in Christus den Erstling, das Haupt und die Beständigkeit sämtlicher atomkleiner Elemente und überirdischer Schönheiten und der psychisch-somatischen Segensenergie des gesamten Universums bekennt: Alles ist und alle leben aus Einem.

Aus Gott allein.

Ewig.

Keine zweite Potenz. Keine Anti-Kraft. Kein Zerfallsgesetz.

„Wie es war im Anfang, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit“: Gott alles in allem (vgl.1.Kor.15,28).

Und diese Grundeinheit, diese bleibende Einheit, die weder der Tod als Möchtegern-Beender, noch die Sünde als deren versuchte interne Aushöhlung, noch der Satan als der überall Totalverwirrung anstrebende Widersprecher lösen können, … dieser, dem Ursprung in Gott geschuldete Vorrang des Lebens in allem - noch vor der Zeit!, … dieser, dem Ursprung in Gott geschuldete Vorrang des Lebens in uns allen - noch vor der Geburt!, … dieser, dem Ursprung in Gott geschuldete Vorrang des Lebens nach allem - auch nach der Sterblichkeit! … diese Unlösbarkeit der Lebensverbindung zu Gott: Sie ist das gottselige Geheimnis, das nach dem alten Hymnus im Fleisch offenbart ist und sich dann durch alle anderen Bereiche und Sphären und Räume des Kosmos – durch das Reich des Spirituellen und der intellektuellen Kommunikation und der Menschheit und der Materie hindurch – fortsetzt bis zurück zum Ursprung in Gott.

Kündlich groß ist das gottselige Geheimnis – des Lebens, das in Gott wurzelt – offenbart im Fleisch, gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln, gepredigt unter den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit.  ———

Nun klingt das aber trotz der Miniaturform dieses erstaunlichen frühen Hymnus wahrhaftig nach Giga-Theologie.

Es hat immer etwas Überdimensionales, am Ende gar etwas Absolutes oder Totales, wenn wir das Wunderbare am unverlierbaren Leben und an der unzerstörbaren Gottesbeziehung, in der alles steht, gedanklich so stringent zu entwickeln und logisch zu entfalten suchen.

Deshalb ist es ein solches Wagnis und ein solches Glück, dass die Bibel und die Kirche es nicht für nötig halten, die Gotteswirklichkeit auf allen Stufen und in allen Stadien dessen, was existiert, zu demonstrieren, sondern dass sie schlicht und unbekümmert erzählen und bekennen und dann auch besingen und darüber musizieren, dass der allgegenwärtige und unendliche Gott auch im Kleinen ist und dass Er trotz oder wegen Seiner Allgegenwart dennoch auch wächst und sich entfaltet.

Genau das ist ja das Festgeheimnis der Heimsuchung Mariæ, dieser Wanderschaft einer blutjungen Schwangeren – außerhalb aller grenzsetzenden Naturgesetze – in die Nähe und die Obhut ihrer alten, von allen menschlichen Erwartungen längst befreiten und kurierten Base Elisabeth, die trotzdem „in der Hoffnung“ ist.

Dieses Fest und seine Geschichte von Zweien, die das logisch nicht dürften und biologisch nicht können können und dennoch im Werden erblühen, … dieses Fest und seine vollendet schöne und doch nur - wenn auch mit letztem Ernst - Babysachen vertonende Bach-Kantate, … dieses Fest ist ein Wunderwagnis des biblisch-christlichen Glaubens an das Lebensgeheimnis Gottes und sein Wachstum.  

Denn es sagt mit seiner Erzählung von den sich begrüßenden Müttern und den sich einander mitteilenden Ungeborenen drei unvergessliche und weltbewegende und glaubensgründende Dinge.

Es sagt erstens, dass Christus Christus schon als Embryo ist. Er ist so kurz nach seiner Empfängnis durch den Heiligen Geist schon der, dessen verborgene Ankunft auch Elisabeth mit Geist erfüllt macht, so dass sie das „Ave Maria“ anstimmt, das als Gruß an die Mutter seither neben dem „Vater-unser“ das Grundgebet der weltweiten Christenheit geworden ist.

Zweitens sagt die Erzählung von der, die den embryonalen Christus in ihrem Leib und in ihrer Liebe über das Gebirge trägt und in Gesang ausbricht, als der künftige Vorläufer ihres Kindes seinen Hinweisdienst auf Christus ekstatisch schon im Mutterschoß antritt, … zweitens also sagt diese Marienerzählung, dass sie - die kleine Magd - sich offenkundig doch gewiss sein darf, dass selbst der große Gott durch sie noch wachsen wird. So selbstverständlich klingt es in ihrem Mund – und ist auch uns so selbstverständlich geworden, ohne es je gewesen zu sein –, dass ein Mädchen voller Freude „MAGNIFICAT!“ jauchzt: „Ich mach’ Dich groß! Du kannst durch mich zunehmen und gestärkt und erhoben werden, … Du Heiliger und Starker und Gerechter! Ich, die Nazarenerin, … ich, Deine Maria der Freiwilligkeit und des Vertrauens, … ich, die Jungfrau bin es, durch die Deine uralte, ewige, einst Abraham und immer alle Armen rettende Macht genährt und gemehrt und in allen Generationen verehrt wird. Magnificat: Wachse, Gott!“

Und dann findet sich in der kleinen Erzählung von den beiden weiblichen Wachstums- und Weisheitsträgerinnen, in deren Innerem sich so unendlich Großes vollzieht, noch eine atemberaubende Anrede, in der tatsächlich alle Theologie und Christologie wurzeln, … eine Anrede, die knapp dreihundert Jahre später die etwas mehr als dreihundert Väter von Nicäa in jenem Bekenntnis formulierten, das sie zuerst der alten Elisabeth verdanken, die sämtliche Patriarchen und Propheten und Priester und Popen und Päpste und Pfaffen an Hellsicht und an bekennerischer Inspiration überragt.

… Elisabeth ruft: „Gebenedeit bist du unter den Weibern und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, … du, die Mutter meines Herrn!“

Das Mädchen vor ihr – so wagt Elisabeth sich hören zu lassen – ist „die Mutter meines Herrn“. Hebräisch: „Adonai“. Das Wort, das aus Ehr- und Gottesfurcht gelesen und gesprochen wird, wo der unaussprechliche Name Gottes in der Bibel Israels steht.

„Du bist die Mutter Adonais! … Du bist die Mutter des Gottes, der als Vater, Sohn und Geist nur Einer ist!“

Hier fängt in der Tat alles an, was an Theologie und Christologie sich im Fleisch geoffenbart hat, weil es im Heiligen Geist und aus Heiligem Geist gerecht empfangen wurde, … alles, was den Engeln und von Engeln verkündet und Hirten und Heiden gepredigt wurde in dieser Welt, … alles, was im Namen Jesu Christi den Menschen an Trost und Heil und Seligkeit gegeben ist und sie wie ihn zurück in das herrliche Reich des Vaters führt!

 

Hier fängt es an!

Bei der Jungfrau, die Gott wachsen lässt.

In dem Embryo, der Christus ist.

In dem noch Ungeborenen, der „Adonai“, mein Herr ist.

„Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt - nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater!“

Hier fängt es an.

 

Und wie sollte „Herz und Mund und Tat und Leben“ je aufhören, davon „Zeugnis zu geben“?

 

Hier fängt es an.

Wahrhaftig! … Wie sollte es nun jemals aufhören?

 

„Darum lass ich Jesum nicht / aus dem Herzen und Gesicht.“   

 

Amen.  

 

[i] Durch die im Mittelpunkt seiner Feier stehende Kantate BWV 147 floß das Proprium des Festtages vom 2.Juli – der „Heimsuchung Mariæ“ – mit dem dafür vorgesehenen Lesungs- und Predigttext in die Gestaltung dieses Gottesdienstes ein. Darum wird aus den Rezitativen Salomon Francks und den Choralstrophen Martin Jahns ebenso zitiert wie aus Evangelium und Epistel des Heimsuchungs-Festes.

Alle anzeigen

Gemeindebüros

Image

Adresse

Fliednerstr. 6
40489 Düsseldorf
Tel.: 0211 40 12 54

Adresse

Tersteegenplatz 1
40474 Düsseldorf
Tel.: 0211 43 41 66

Öffnungszeiten

Mo - Fr 10:00 - 15:00 Uhr
Di 10:00 - 15:00 Uhr

 

Öffnungszeiten

Di 09:00 - 16:00 Uhr
Mi u. Fr 09:00 - 12:00 Uhr

 

Spendenkonto
Ev. Kirchengemeinde Kaiserswerth-Tersteegen
DE38 3506 0190 1088 5230 39

.

Cookies auf dieser Website
Um unsere Internetseite optimal für Sie zu gestalten und fortlaufend zu optimieren verwendet diese Website Cookies
Benötigt:
+
Funktional:
+
+