Rogate, 25.05.2025, Joh 16, 23b-33, Mutterhauskirche, Dr. Katrin Stückrath

Rogate! – Bittet, betet! Der Name des heutigen Sonntags enthält eine Aufforderung. Jesus richtet sie an uns: „Bittet, so wird euch gegeben!“ (Lk 11,9 Luther 2017) sagt er. Das ist eine Aufforderung, aber gleichzeitig auch eine Ermutigung.

 

Eine Ermutigung enthalten auch die Worte, die das Johannesevangelium in einer Abschiedsrede von Jesus an seine Jüngerinnen und Jünger überliefert. Es ist eine Situation kurz vor der Kreuzigung, schon überschattet von den Ereignissen, die kommen werden. Angst und Frust liegen in der Luft. Aber Jesus ermutigt gerade in dieser Situation zum Vertrauen ins Gebet:

 

„23b Amen, amen, ich sage euch, was ihr Gott in meinem Namen bitten werdet, das wird er euch geben. 24Bis jetzt habt ihr nichts in meinem Namen erbeten. Bittet und ihr werdet empfangen, so dass eure Freude vollkommen wird. 25Dies habe ich verschlüsselt zu euch gesprochen. Es kommt aber die Zeit, dass ich nicht mehr verschlüsselt zu euch sprechen werde, sondern euch offen von Gott, meinem Ursprung, verkünden werde. 26An jenem Tag werdet ihr in meinem Namen bitten. Ich sage euch nicht, dass ich Gott für euch bitten werde. 27Denn Gott liebt euch selbst, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. 28Ich bin von Gott ausgegangen und in die Welt gekommen. Ich verlasse die Welt wieder und gehe zu Gott, meinem Ursprung. (…)

33 Dies habe ich euch gesagt, damit ihr in mir Frieden findet. In der Welt leidet ihr Qualen, aber seid zuversichtlich, ich habe die Welt besiegt.“ (Joh 16, 23b-33 BigS 2011)

 

Wenn wir Jesus Glauben schenken, scheint das mit dem Gebet eine ganz einfache und klare Sache zu sein: „Bittet und ihr werdet empfangen, so dass eure Freude vollkommen wird.“ (Joh 16,24b BigS 2011) Auf das Gebet folgt die Erfüllung und daraus folgt Freude. Ich wünsche mir, dass es so einfach wäre. Dann gäbe es nie die Frage: Nützt Beten überhaupt? Diese Frage habe ich mir schon oft gestellt. Auch andere haben mir diese Frage gestellt: Verändert Beten wirklich etwas?

 

Eine klare Sache ist es, zu sagen, Beten verändert natürlich zuerst die Beterin. Beim Beten werde ich mir klar über meine Hoffnungen und Wünsche, meine Prioritäten und Ziele. Das kann mich in meinem Handeln stärken. Beten verändert dann nicht die Welt, aber zumindest mich. Das ist schon ein guter Grund zum regelmäßigen Beten, besonders für Frauen, an die oft vielfältige Ansprüche herangetragen werden. Manchmal verlieren sie über den Erwartungen, was frau zu leisten hat, sich selber aus den Augen. Beten kann helfen, sich treu zu bleiben.

 

Wenn ich Jesus reden höre, habe ich aber den Eindruck, es geht um noch mehr. Es geht um einen Sieg über die Welt, darum, am Ende Frieden für alle zu erhalten. Oder ist das alles zu verschlüsselt, um es wirklich zu verstehen? Es gibt tatsächlich einen Schlüssel in dem Text, den die Jüngerinnen und Jünger in der geschilderten Situation noch nicht haben. Jesus verheißt ihnen den Schlüssel für einen bestimmten Zeitpunkt, nämlich: „an jenem Tag“. „An jenem Tag werdet ihr in meinem Namen bitten.“ (Joh 16,26a BigS 2011) Mit diesem Tag ist Ostern gemeint, der dritte Tag, der Tag der Auferstehung Jesu. Ab diesem Tag können wir in Jesu Namen bitten.

 

Ich frage mich: Wie verändert die Auferstehung unser Gebet? Nun, sie hat ja etwas Neues in die Welt gebracht. Der Tod bleibt nicht mehr der Tod, Gewalt hat nicht gesiegt. Gott hat sich an seinem Gesandten als treu erwiesen. Er lebt und mit ihm alles, was er gesagt und geliebt hat. Jesus wird nicht vergessen, sondern bleibt. Sein Name bekommt eine neue Qualität. So wie Gott, der „Ich bin für euch da“ ist, weil er Israel aus Ägypten geführt hat, so ist Jesus der „Ich bin für euch da“ durch die Auferstehung.

 

Ich überlege: Wenn Auferstehung möglich war, dann kann noch viel mehr möglich sein! Menschlichkeit kann siegen, Leben gefördert und bewahrt werden. Beten kann der Ort sein, sich das vorzustellen. Mit der Auferstehung in Kopf und Herz zu beten, ist eine Ermutigung, das Neue, scheinbar Unmögliche zu erbitten. Dann öffnet sich der Horizont und es kann viel geschehen.

 

Jesus will vermitteln, dass die Auferstehung unserem Gebet radikal Kraft, ja Vollmacht verleiht. Trotzdem fällt es mir oft so schwer, voller Hoffnung zu beten. Der nordamerikanische Befreiungstheologe Walter Wink meint, das liegt am vorherrschenden Weltbild. Es ist materialistisch, das heißt, es zählt nur, was wir sehen und messen können. Dieses Weltbild beherrscht die westliche Welt und lässt keinen Platz für das Gebet oder gesteht ihm nur einen kleinen Platz in der menschlichen Psyche zu. Auch gläubige Menschen haben dieses Weltbild verinnerlicht und zu ihrem eigenen gemacht. Sie glauben noch an Gott und eine spirituelle Welt, aber diese ist von der materiellen Welt abgetrennt. Sie finden keine Verbindung zwischen beiden. Hingegen durchdringen sich im sogenannten integrierten Weltbild Spirituelles und Materie in unserem Universum fortwährend. Walter Wink beschreibt es so: „… wir sind von Anfang an mit allem verbunden. Jeder Tropfen Wasser in mir ist während der Milliarden Jahre, in denen die Erde existiert, bereits Teil jeder Quelle, jeden Baches, jeden Flusses, jedes Sees oder Meeres der Welt gewesen. Wir sind mit allen anderen Wesen des Universums verbunden. In einer solchen Welt kennen wir die Grenzen des Möglichen nicht. Deswegen beten wir um das, was wir für richtig halten, und überlassen Gott das Ergebnis. Wir leben in der Erwartung von Wundern, in einer durch das Staunen neu verzauberten Welt. Die Fürbitte ist eine völlig rationale Antwort auf eine solche Welt.“ (Walter Wink, Verwandlung der Mächte. Eine Theologie der Gewaltfreiheit, Regensburg 2014, 3. Aufl. 2023, 156.)

 

Für oder um etwas zu bitten, verändert also nicht nur das Denken, sondern auch die Wirklichkeit. Wenn Beten Raum für Gottes Wirken schafft, hat Gott mehr Möglichkeiten zu handeln. Wenn wir uns mit der Auferstehung in Kopf und Herz an Unmöglichem festhalten, gibt das Gott Möglichkeiten für Wunder. Mir leuchtet ein, dass Gott für Wunder Leute braucht, die für die Hoffnung offen sind. Ohne das Spirituelle wird sich auch das Materielle nicht verändern.

 

Jesus hatte auch ein solches integriertes Weltbild, indem Spirituelles und Materie sich durchdringen. Auf dieser Grundlage kann Jesus davon wie in unserem Predigttext sprechen, dass Gott ihn liebt und alle seine Freundinnen und Freunde liebt. Gott ist der Ursprung von allem, davon ist Jesus überzeugt. Gott ist auch sein Ursprung und Jesus kann wieder dorthin zurückgehen. Spirituelles und Materie sind nicht getrennt, denn sie haben den gleichen Ursprung. Mit diesem Weltbild und dem Glauben an eine Gottheit, die sich als „Ich bin für euch da“ erwiesen hat, konnte Jesus schon vor der Auferstehung an die Auferstehung glauben. Das bringt ihn dazu, auch uns Frieden zu verheißen. „Dies habe ich euch gesagt, damit ihr in mir Frieden findet. In der Welt leidet ihr Qualen, aber seid zuversichtlich, ich habe die Welt besiegt.“ (Joh 16,33 BigS 2011)

 

„In der Welt leidet ihr Qualen“ (Joh 16,33 BigS 2011) wird in der Lutherbibel übersetzt mit „In der Welt habt ihr Angst“ (Joh 16,33 Luther 2017). Das Wort für „Angst“ verweist auf eine Situation des Eingeschnürt-seins oder dass man keinen Ausweg sieht (vgl. Ton Veerkamp, Das Evangelium nach Johannes in kolometrischer Übersetzung, Texte & Kontexte Nr. 106-107, 2005, S. 88, Fußnote 71). Es ist eine Situation der realen Bedrohung, die Qualen bereitet. Menschen in Verfolgung leiden auf diese Weise, auch Menschen, die sich einer schweren Krankheit ausgesetzt sehen. Sie fühlen sich eingeschnürt in die Umstände, sehen keinen Ausweg.

 

Das Gebet kann aber einen Ausweg weisen. Nicht zufällig spricht Jesus hier im Zusammenhang mit dem Gebet davon, dass er die Welt besiegt habe. Wenn das Gebet das Unmögliche für möglich hält und Gott Raum zum Handeln eröffnet, dann kann es viel verändern. Eine Frau aus meinem Bekanntenkreis erzählte: „Als ich die Krebserkrankung bekam, haben viele für mich gebetet, ja - auf der ganzen Welt haben Menschen für mich gebetet. Das hat mir ungeheuer viel Kraft gegeben. Ich fühle mich davon getragen und habe viel Mut bekommen, mich mit der Krankheit auseinander zu setzen.“ Diese Frau fühlt sich nicht mehr vereinzelt. Sie hat durch die Gebete von Menschen auf der ganzen Welt eine Ahnung davon bekommen, dass es Gemeinschaft gibt, dass alles mit allem zusammenhängt. Das integrierte Weltbild hat sich hier manifestiert. Wir haben alle einen Ursprung, Gott, die Quelle der Liebe. Deshalb hängen wir alle zusammen und wenn ein Teil Qualen leidet, fühlen die anderen mit. Dieses Beispiel zeigt aber noch mehr: Die anderen halten für diese Frau an der Hoffnung fest. Heilung ist möglich, sagen sie mit ihren Gebeten. Sie schaffen den Heilungskräften einen Raum, in dem die Frau und Gott handeln können.

 

Wenn das Gebet dies bewirken kann, sollten wir der Aufforderung „Rogate! – Bittet, betet!“ viel mehr Gewicht schenken. Mit der Auferstehung in Kopf und Herzen kann unser Beten spiritueller Widerstand gegen Unfrieden und Qualen aller Art sein. Es setzt die Kräfte der Hoffnung frei und schafft Räume für Wunder. Hier kann die Frage auftauchen: Braucht Gott unser Gebet? Ich würde nicht sagen, Gott ist darauf angewiesen. Aber ich denke, Gott wartet auf unsere Gebete, weil sie mithelfen. Ich bin nur ein ganz kleiner Teil des Universums, aber im Beten kann ich zu einem spirituellen Kraftzentrum werden. Daraus kann dann etwas völlig Neues entstehen. Beten ist so etwas wie ein gemeinsamer Schöpfungsakt mit Gott.

 

Bleibt am Ende noch die Frage: Welche Form ist eines solchen Gebetes angemessen? Walter Wink meint, es sollte ruhig energisch, ja sogar aggressiv sein. „Wir werden Gott ehren, indem wir die volle Bandbreite unserer Gefühle zulassen, von Frustration über Empörung bis zur Freude und alles, was dazwischen liegt.“ (Walter Wink, Verwandlung der Mächte. Eine Theologie der Gewaltfreiheit, Regensburg 2014, 3. Aufl. 2023. S.165).

Ich denke, das Beten muss auf jeden Fall beharrlich sein, weil es viele inhumane und zerstörerische Kräfte auf der Welt gibt, denen unsere Gebete etwas entgegensetzen müssen. Ich nehme mir immer wieder vor, täglich zu beten. Ich möchte das Gebet wie eine spirituelle Nahrung, wie Essen und Trinken, betrachten, die ich zum Leben brauche. Ich kann mir die Sprache von den Psalmen leihen, weil dort die ganze Bandbreite der Gefühle zu Wort kommt. Ich kann auch manchmal eine Zeit lang schweigen, damit auf dem Grund des Schweigens Raum für ein Wort Gottes ist, das Gott dort entstehen lassen will. Ich kann aber auch auf die Straße gehen und mit anderen zusammen ein Statement setzen für die Hoffnung auf Veränderung der Welt. In privaten Situationen kann ich üben, Konflikte nicht in Gewalt ausarten zu lassen, sondern sie zu nutzen, um mich und andere besser zu verstehen. Und es gibt wohl noch viele Arten des Betens, die Menschen praktizieren können.

 

Zu beten heißt nicht, die Augen zu verschließen, sondern die Welt so wahrzunehmen, wie sie ist, voller Unfrieden und Qualen. Aber mit der Auferstehung in Kopf und Herz müssen wir uns davon nicht mehr einschnüren lassen. Wir finden Auswege in der Hoffnung. Wir dürfen nicht nur, nein, wir sollen um Wunder bitten. Wir beten zu Gott, nicht, weil wir alles verstehen oder erklären können, sondern weil wir von Jesus lernen können, dass Gott mit uns zusammen Wunder tun kann.

Amen. 

 

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