21.Sonntag n.Trinitatis, 29.10.2023, Stadtkirche, 1.Mose 13, 1 -1 2, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth 21.n.Trin. - 29.X.2023
1.Mose 13, 1 - 12
Liebe Gemeinde!
Was steht uns noch bevor in diesem mörderischen 2023? In diesem Jahr, in dem Grauen auf Grauen folgt, …Grauen mit Grauen beantwortet wird. …
Was kommt noch? …
Nur zweierlei wissen wir gewiss: Der Jüngste Tag kommt bald, … und der Messias …….
Denn beides bringen uns die letzten Wochen dieses Jahres noch: Den Ewigkeitssonntag und das Weihnachtsfest.
… Und beide braucht die Welt so sehr: Das Gericht …, … das Heil.
Das Böse wütet; das Unheil ist beherrschend.
… Es ist keine Floskel mehr, kein Spiel mit staubigen alten Worten, wenn wir tatsächlich sagen müssen: Das Ende und die Erlösung sind unsre ganze Hoffnung.
Würde alles nur weiter so gehen - so sehr das Gewohnheitstier in uns sich das auch wünscht -, würde Grauen immer weiter auf Grauen folgen, wäre die Menschheit verloren.
Das ist älteste christliche Verkündigung. Es ist die täuferische Johannesstimme am Anfang des Neuen Testaments – „Tut Buße vor dem kommenden Zorn!“ (vgl. Matth.3) –, und es ist die prophetische Johannesstimme an seinem Schluss, in der Apokalypse: „Amen! Komm’, … komm’ doch endlich, Herr Jesus!“ (Offenb.22, 20)
Ohne den Richter, der da kommt, … ohne den Heiland, der da kommt, sind wir alle verloren.
Und nun sind sie uns beide so nah, … noch in diesem Jahr: Der Sonntag vom Endgericht und der Sonntag der Heiligen Nacht, in der der Erlöser kommen wird.
Aber wie lang sind diese vier, diese acht Wochen auch noch!
So lang wie die zwei, die dreieinhalb Jahrtausende seit wir warten. Seit die Kinder Abrahams warten auf den Messias; seit die Juden- und die Heidenchristen warten auf die Wiederkehr des Herrn, dessen Weltgericht in der Krippe anfing, am Kreuz vollstreckt wurde und an dem Tag bestätigt wird, wenn die einen nach links und die andern nach rechts gehen … je nachdem, ob sie einfach und ohne Einschränkung lieben konnten oder ob sie nur nach ihren eigenen, besonderen Vorstellungen vom Guten leben und lieben wollten (vgl. Matth.25). ——
Wir warten obwohl und wir warten, weil die Erde zittert … zittert vor Empörung über den Terror, zittert unter dem horrenden Beschuss der Gegenwehr….
Unter Abrahams Füßen zittert sie.
Die Erde zittert unter den Füßen Abrahams auf dem ersten seiner vielen Umwege zum Verheißenen, auf dem ersten der vielen Rückwege dieses Erzvaters und seiner unzähligen späteren Nachkommen aus dem Land Ägypten, … unter Abrahams Füßen in der Richtung des späteren Exodus zittert die Erde.
Der Weg führt ihn ja durch den Gaza-Streifen, den der Bericht in unserm Predigttext „das Südland“ nennt. Durch die unvorstellbaren Bilder der trost- und ausweglosen Not, die die Gefangenen und Eingekesselten erleiden.
Abraham – der Tag Jesu vorhersah und sich freute (vgl. Joh.8,56!) – … Abraham mag wohl auch die Tage von Gaza in 2023 vorhergesehen haben. … Und gezittert.
… Unter seinen Füßen mag er die Tunnel gespürt haben, in denen die Auslöschung seiner Kinder, der Kinder Israel geplant wurde wie einst am Wannsee in Berlin. Er mag die Beklemmung und Todesangst seiner Nachkommen aus den unterirdischen Gängen und Verstecken heraufsteigen gespürt haben: Der Geiseln der Hamas, die da seit drei Wochen im Reich des Todes Faustpfänder der Mörder sind.
Wer will es ausschließen, dass Abraham damals schon mit Segens- und mit Todesahnungen jenen Weg ging?
Wer will es ausschließen, dass er zitterte, weil er auch den Hass und die Gnadenlosigkeit spürte, die seinen anderen Nachkommen, denen von Ismael, den arabischen Opfern des Würgegriffs und der Tücke der Hamas zum Verhängnis werden würde?
Wer kann es ausschließen, dass er heute zittert, in der Herrlichkeit, … und in seinem Schoß zittert der arme Lazarus (vgl. Lk.16, 23) und alle, die dorthin gelangt sind, zittern mit …
Und Rahel weint um ihre Kinder (vgl. Jer. 31,15 / Matth.2,18) – deren Schicksal sie ja auch zu Lebzeiten nicht verfolgen konnte –, und Maria, die Tochter Zions und Trösterin im Leid aller Menschen zittert mit, wenn so viele Kinder, so viele Menschenkinder das Grauen erleben, das sie als fliehende Mutter und Zeugin von Golgatha in ihren Knochen, in ihrem Leib und ihrer Seele in Ewigkeit nicht abschütteln kann. …….
Zittern und Zagen wie in der Endzeit, … Zittern und Zagen wie heute …, Zittern und Zagen womöglich auch schon in der Frühzeit, als der Vater der Gläubigen, der Vater der unruhigen Suche nach dem verheißenen Erbteil der Ruhe, die noch vorhanden ist dem Volk Gottes (vgl. Hebr. 4,9 [+11,8ff]), aufbrach.
Auch auf dem weiteren Weg Abrahams hinauf zum Altar zwischen Bethel und Ai führt die Strecke durch Orte, die heute schrecklich sind:
… Wohl denkbar, dass auch da sein Schritt zögert und zittert, wo einst mehr als dreitausend Jahre später hunderte junge Leute nach einer heißen Nacht unbeschwerten Tanzes kalt massakriert wurden. Denkbar, dass Abraham stockte in der Gegend von Dörfern, wo man in diesem Monat des Jahres 2023 Eltern unter den irren Blicken der Kinder geschlachtet und geschändet hat und tapfere Friedensaktivisten verstümmelte und verschleppte; …. Denkbar, dass Abraham bebte in den Gebieten, in denen man Kleine, deren Urgroßeltern in Auschwitz vergast und verbrannt wurden, in ihren eigenen Kinderbettchen anzündete und ferne Familien durch einen Anruf, eine Nachricht in den sozialen Medien zu Augenzeugen in Echtzeit machte, wie die Großmutter in ihren eigenen vier Wänden gefoltert, gequält und bestialisch ermordet wurde.
… O, das Zittern Abrahams!
… O, die Angst, das Bangen Sarahs!
… O, die Schauder, die jedem kommen, der heute im Geist den Weg durch Gaza und die Wüste Negev nachvollzieht: Durch den am dichtesten besiedelten und grauenvoll ausweglosen Streifen des palästinensischen Leidens und durch die Kibbutzim, in denen die israelischen, die jüdischen, die biblisch-en Hoffnungsträume vom sicheren Überleben und von der Möglichkeit, die eigene Zukunft mit der Versöhnung mit anderen zu verbinden, blutrünstig durch die Hamas vernichtet werden sollten.
…. Zittern und Zagen vor dem Gericht. … Und vorm Heil. Die uns beide bevorstehen. ——
Aber vielleicht zittert Abraham auch gar nicht.
Vielleicht erkennt er bloß etwas auf dem Weg in die Zukunft. Erkennt etwas … nüchtern und enttäuscht vielleicht, aber auch realistisch. …
… Vielleicht erkennt er auch im Blick auf das Furchtbare, das sich leibhaftig vor unseren, nicht seinen Augen abspielt, realistisch nüchtern und gläubig enttäuscht schlicht das, was der biblische Bericht von den engzusammengehörigen Bluts- und Schicksalsverwandten Abram und Lot[i] ganz nüchtern festhält: „Das Land konnte es nicht ertragen, dass sie beieinander wohnten.“
Was für ein sonderbarer Weg in die Verheißung ist das: Ein Weg, der eben nicht glatt wie in der Legende und mühelos wie in der Phantasie verläuft, sondern an dessen Beginn schon Konflikt steht, … Konflikt, so wie Albert Schweitzer alles natürliche Dasein beschrieb und die Bibel auch die Geschichte des Glaubens, der Verheißung und des Heils: Was in dieser Welt existiert und seinen Ort sucht, seine Bestimmung, sein Ziel, das ist alles „Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will“.
Wenn aber auch nur eine dieser Lebensäußerungen verneint wird, …. wenn einer der Lebenshirten der Herde des andern ihre grüne Aue, ihr frisches Wasser verwehrt, wenn nur einer aus der einen Herde Mangel für die Herde des anderen Hirten herbeiführt, dann ist die Stunde des Richtens gekommen, … die Stunde, in der die Richtungen sich ändern müssen.
Denn das ist das Gericht: Dass Wege, die unversöhnlich sind, auseinandergehen und Bahnen klar getrennt werden, die sich im parallelen Verlauf nur gegenseitig Hindernisse bereiten. …
Im Fall von Abram und Lot – der beiden ersten Siedler, die auf Gottes Geheiß hin in das durchaus bewohnte, durchaus konfliktträchtige Land der Kanaaniter und Perisiter zogen – ist dieses ernüchternde, dieses menschlich enttäuschende, aber auch lebenskluge Gericht zum ersten Mal vollzogen worden: Richtungen, die sich nicht vereinbaren lassen, müssen so gelenkt werden, dass sie einen Abstand voneinander gewinnen, der ihrem jeweiligen Verlauf Freiheit gewährt.
Trennung, Scheidung, Teilung sind also Zugeständnisse an das, was die Reformatoren den „alten Adam“, den in der unerlösten Welt vorfindlichen Menschen nannten, der von Natur aus nicht – wie wir’s im Evangelium hörten (vgl. Matth.5,38ff) – die linke Wange darbieten kann und wird, wenn er auf die rechte schon geschlagen wurde.
Nun leben wir in Tagen, in denen die schreckliche Not dieses alten, dieses realen Adam vor aller Augen steht: Zeiten, in denen das passive Erdulden und wehrlose Hinnehmen von Unrecht und Gewalt Dritten nicht gepredigt werden kann, ohne dass die Predigenden, die nicht zur Praxis ihrer eigenen Predigt gezwungen werden, sich schuldig machten. … 2023 ist wahrhaftig kein Jahr der Bergpredigt, sondern ein Jahr des Gerichtes. ———
Nun ist aber also der erste Landkonflikt der Bibel, das erste Gericht über Wege und Ziele, die unvereinbar sind, durch und durch von der großen menschlichen Nüchternheit geprägt, die Abraham nach seiner Wanderung nordwärts durch den Gazastreifen überkam: Wenn denn das Land das Zusammenwohnen nicht verträgt, weil die Menschen es nicht vertragen, dann hilft’s nur, dass sich die Wege teilen – zur Linken der eine, der andere zur Rechten.
Diese Realpolitik aber setzt voraus, dass es eine Wahl zwischen rechts und links gibt (vgl. Jona 4,11). Da Israel indes keine Wahl hat, zu verschwinden und seine Zelte jenseits des Horizontes aufzuschlagen - weil die Welt ihm mehr als zweitausend Jahre lang bewiesen hat, dass es nirgends sonst Schutz und Heimat finden kann –, müssen wir die großmütige und zugleich gelassen-resignative Geste Abrahams bei der Weideteilung mit seinem Neffen Lot ohne Zweifel heute als einen Wink verstehen, dass sich - realpolitisch gesprochen - schon in der Weisheit der stocknüchternen Erzvätergeschichte so etwas wie der Segen einer Zwei-Staaten-Lösung andeutet.
Der angesichts der Greuel von Gaza zitternde Abraham steht uns daher nun als der seufzende Vater einer verzichtbereiten, einer nachgebenden und sich begnügenden Verheißungstreue vor Augen: Er wird das Verheißene nicht durch seinen festgehaltenen Anspruch darauf, sondern durch seine heilige Haltung des Hergebens erlangen.
Möge dieser Geist des Vaters heute nicht das durch tödliche Bedrohung herausgeforderte Volk seiner Kinder verlassen! ——
Mehr als so zu beten – mit letztem Ernst, mit dem Ernst der letzten Zeit! –, können wir in diesen Tagen für Israel, das Volk der Verheißung nicht tun. ——
Uns bleibt nun aber nur noch Eines in unserm Warten auf das große heilbringende Richten und das richtige Heilen der Welt.
Als Abraham zwischen Bethel und Ai stand und Lot zur Linken oder zur Rechten wählen ließ, streifte sein Blick auch die Bergzüge südlich seines Standortes. Dort auf dem Gebirge lag vor ihm die Stadt Salem, deren geheimnisvollen Priester Melchisedek Abraham bald kennen lernen würde, als der ihn mit Brot und Wein und Segen versah (vgl. 1.Mose14,18f).
Und dorthin – in die Stadt von Brot und Wein, in der einst der Sohn Abrahams (vgl. Mtth.1,1) für mich und für Dich gekreuzigt wurde, der in der Bergpredigt den Gewalt- und Besitz- und Rechtsverzicht des Urvaters Israels uns bis zur Feindesliebe aufgetragen hat, wie er sie für die ganze Menschheit übte – … dorthin, nach Salem, nach Jerusalem müssen wir jetzt noch blicken!
Denn da entscheidet sich unser Rechts oder Links.
Die Kinder Abrahams erwarten ja alle das Gericht und die Vollendung: Juden wie Christen, … aber auch die Muslime.
Nun sind die Kinder der Verheißung, Abrahams Nachkommen durch Isaak und Jakob - das jüdische Volk - und die Kinder Abrahams durch Ismael - muslimische und christliche Araber - in einem grauenvollen Albtraum verstrickt.
Und was können wir da jetzt tun?
Wie können wir rechts oder links wählen?
- Unmöglich können wir Israel, das mit fürchterlicher Gewalt ums nackte Überleben kämpft, verurteilen oder verlassen.
- Unmöglich aber auch, dass wir die, die begeistert den Mord an so vielen Unschuldigen in Israel feierten und die nun selber zu Opfern der grausamen Reaktion auf die grausame Aktion werden, vergessen oder verleugnen.
Wir können die Liebe zu Israel und das Mitleid mit den Menschen von Gaza also nicht in einer Alternative fassen!
Wir können unter den Augen Abrahams – des Zitterenden und Enttäuschten, des Mitleidenden und Opfernden – nur nach Jerusalem schauen, wo Der liebte und litt, wo Der starb und auferweckt wurde, Der von Jerusalem aus zu Gott zurückkehrte, um einst zu dieser Welt zurückzukehren und allen Völkern der Erde endlich den Frieden zu bringen.
Wie am Anfang des Evangeliums können wir mit Simeon und Hanna nur auf den Trost Israels (vgl. Lk.2,25) und die Erlösung Jerusalems (vgl. Lk.2,38) warten, und wie am Schluß des Evangeliums (vgl. Lk.24,53) können wir Dem, Der allein Richter und Heiland sein wird, nur nach- und also Seiner Zukunft entgegenschauen und dann „mit großer Freude nach Jerusalem zurückkehren“.
Nicht rechts oder links, sondern die Verheißung wählen wir: Dass seit grauer Vorzeit dort im Gebirge Juda eine Stadt liegt - und auch im Himmel ist (vgl. Offb. 21!) - , die „Frieden“ heißt und ist, und in der man zusammenkommen soll (vgl. Ps.122,3), weil der HERR in ihr ist (vgl.Ps.46,6)!
Amen.
[i] Die im biblischen Text an dieser Stelle noch defektive Schreibweise des Namens ist im Gesamt der Predigt überwiegend zugunsten der vertrauten Langform (die dann ja „Vater der Barmherzigkeit“ und nicht mehr „erhabener Vater“ bedeutet) zurückgestellt worden: An dieser Stelle aber geht es sozusagen um den „historischen“ Ursprung der Überlieferung, weshalb hier die textgemäße Namensform Verwendung findet.
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Psalm 31,10
Die Jünger weckten Jesus auf und sprachen: Herr, hilf, wir verderben! Da sagt er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?, und stand auf und bedrohte den Wind und das Meer, und es ward eine große Stille.
Matthäus 8,25-26