12.So. n. Trin., 27.08.2023, Stadtkirche, Jesaja 29, 17 - 24, Jonas Marquardt

Predigt Kaiserswerth 12.n.Trin. - 27.VIII.2023                                                                                                    

                      Jesaja 29, 17 - 24

Liebe Gemeinde!

Wenn die Mörder vom Himmel fallen, ist noch lange nicht Frieden.

Und wenn die Tyrannen einmal stürzen, wenn die Putschisten sich verdrücken, wenn der Blutrausch abebbt und der Konsumrausch schal wird, wenn der rücksichtslose Ur-Reflex der Selbstsucht in seiner nutzlosen Lächerlichkeit erscheint, dann ist die Welt noch immer nicht geheilt.

Und wenn die Nazis als entnazifiziert gelten und die Putinisten entstalinisiert und die Republikaner enttrumpt und die Kader Chinas entmaoisiert sein werden, dann ist noch immer nicht die Harmonie von Recht und Wahrheit zurückgekehrt und das Zerstörte steht noch nicht wieder in Blüte und das Verdorbene ist noch nicht wieder richtig gewachsen und das Böse noch nicht morsch genug geworden, um als Kompost und Humus die endgültige Ernte des Reiches Gottes geweckt, genährt und zur Reife gebracht zu haben. —

… Wann aber wird es denn so weit sein?

… Wann wird das Heil dasein?

Diese Frage ist das entscheidende Lebenszeichen des Glaubens. Das forsche Stillstellen der elementaren Erlösungssehnsucht in der geschaffenen Welt dagegen ist höchstes Erstickungsrisiko: Wer eine allzu feste Antwort hat, blockiert die Atemwege des Glaubens, die doch erst durch Schreien und das nötige Luftholen durchlässig und weit genug gemacht werden, um am Leben zu bleiben.

Wir wollen also die lebensnotwendige Frage nach dem Ziel der Hoffnung nie abwürgen durch die voreilige, verhärtete Lüge, es sei doch alles gut und schön.

Es ist nicht gut und schön auf Erden. Das Leben ist nicht hell und heil. Alle Wirklichkeit schreit nach Veränderung, Verbesserung, Verwandlung.  

Was aber tun, wenn wir nicht über das Patentrezept verfügen, wenn wir den Schnuller nicht haben, durch die das „Weinen in der Welt“ von dem Else Lasker-Schüler spricht, zur Ruhe gebracht werden könnte?

Es ist ein Weinen in der Welt, / als ob der liebe Gott gestorben wär, /und der bleierne Schatten, der niederfällt, / lastet grabesschwer“, so fängt Else Lasker-Schülers Gedicht „Weltende“[i] an. …

……. „Weltende“: Kein wirklich abwegiger Titel in unseren Tagen.

Aber auch vor hundertzwanzig Jahren, als das unterschwellige Unbehagen in der sog. „Kultur“ allmählich zu Bewusstsein drängte[ii], nicht weithergeholt. Und auch vor zweitausend Jahren durchaus der Nerv der Zeit, als am Jordan der Täufer und in Galiläa der Rabbi der Fischer und Zöllner zur Umkehr angesichts des nahegekommenen Reiches Gottes mahnten. Und in den Tagen des Jesaja, als die Erste der großen, nimmersatt erobernden und kolonialisierenden Weltmächte - Assur - die Weltordnung mit Gewalt durcheinanderwirbelte, erlebten die Zeitgenossen die Brüchigkeit und Auflösung des bekannten Daseins genauso.

Es war permanent ein Weinen in der Welt, und ist ein Weinen und bleibt ein Weinen. … Und viel, viel Schlimmeres. …….

Doch was nun?

– Jetzt Panik? – Oder Resignation? – Oder der allgemeine zynische Nihilismus? …….  ——

Erstaunlich ist, … ganz erstaunlich ist, was uns der ewigjunge alte Glaube – dessen Puls und Atem Ungeduld und Hoffnung ist und Spannung – lehrt. … Uns, die entweder gar nicht mehr hoffen und harren wollen, weil wir das entsprechende Narrentum satthaben und lieber hoffnungslos unsre Zeit aus vollen Zügen einfach zuendeleben, oder die immer bitterer hadern, dass wir eben nichts, nichts Hoffnungsvolles mehr merken können und hören dürfen.

Der alte, ewigjunge Glaube, der uns heute hier zusammenführt, stellt uns vor einen Menschen, … den selben Menschen, der mitten im Gebiet der Zehn Städte – wo Heidentum und Judentum, der hedonistische Fatalismus also und die trotzige Erlösungshoffnung sich begegnen und mischen – seinen Weg durch die Welt zog (vgl. Mk7,31)[iii].

Und dieser Mensch im Mischmasch von irdischen und himmlischen Erwartungen will auch uns berühren mit seinem innersten Wesen, wie damals in Galiläa den Taubstummen.

Er legt seinen Finger auch an unser Ohr und auf unsere Zunge.

Und er gebietet dem zynischen Ungläubigen und dem sehnsüchtigen Lösungssucher in uns: „Hephata! … Tu’ dich auf!“

… Wieso? … ’s gibt doch nix zu hören, nix zu sehen, nix zu sagen.

„Öffne dich trotzdem! Hephata!

… Will ich aber nicht. Soll mir alles vom Leib bleiben. Nicht rankommen: Die

aussichtslose, trostlose Welt da, … mit dem Gewein und dem Gestöhn und dem Geschrei, das man lieber gar nicht hören will, selbst wenn man ja vielleicht könnte.

Doch Er sagt Sein klares, strenges, geduldiges, heilendes, wunderbar erlösendes, … Sein schöpferisches Hephata!“.

– Und wir hören.

Was? … Was denn nun? ….

… Endlich einmal darf ich’s sagen. Sonst mache ich ja den gewohnten Bogen um zu viel Naturtheologie: Die alten Götterbäume Donars und Wotans, die Fruchtbarkeitskulte des Baal, die Anbetung der kosmischen Kräfte und der Gewalt der Elemente sind seit bald viertausend Jahren ja ein Hindernis gegen die immer unmittelbar naheliegende und doch immer auch irgendwie als Verlegenheits- und Ersatzlösung wirkende Naturfrömmigkeit.

Doch heute sagt der alte Jesaja uns das junge Wort: Lasst doch den Wald erst einmal wachsen. In eurer großen, drängenden, bangen Sorge um das Weltende und die Sinnlosigkeit, in eurer feurigen, waldbrandbeschleunigten Nervosität, ob Gottes Reich und jede Zukunft nicht längst abgeblasen sei und jede Hoffnung euch verkohlt, sollt ihr jetzt einmal innehalten, … lauschen, … euch öffnen, … und abwarten.

Ist das denn aber nicht der Wahnsinn? Brennt denn nicht überall von Kanada bis Griechenland, vom Amazonas bis zu den kanarischen Inseln der Wald lichterloh? Müssen wir das nicht als das röteste aller roten Alarmsignale erkennen, das uns zwingt, alles dran zu setzen, dass gelöscht wird und nicht weitere Verbrennung geschieht? Hat nicht die germanische Edda Recht, wenn sie in grauer Vorzeit die Klimakatastrophe von heute zu beunken scheint: „Alle Wesen müssen die Weltstatt räumen. / Schwarz wird die Sonne, die Erde sinkt ins Meer, / vom Himmel schwinden die heiteren Sterne. / Glutwirbel umwühlen den allnäh-renden Weltbaum, / Die heiße Lohe beleckt den Himmel.“[iv] …….

Und ausgerechnet jetzt, da sich die alt-heidnischen selbsterfüllenden Prophezeiungen vor unsern Augen bestätigen, … ausgerechnet jetzt, im Wagner’schen Weltenbrand kommt der Erste der großen Schriftpropheten Israels, die sonst so unerbittlich gegen den Naturglauben wettern, daher wie Joseph von Eichendorff?

Ausgerechnet jetzt sollen wir andächtig und seelenruhig den Wald wachsen lassen: „Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden“??!!!

Ist es dazu nicht zu spät? Können wir wirklich noch wie unsere Vorfahren, als die große - für sie auch herzlich lebensnotwendige - Rodung Europas beinah abgeschlossen war, unsere Zuflucht wieder zum Wald nehmen? Können wir wie die romantische Generation, wie die industrialisierungsmüden Menschen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts noch einmal aus gerührter, überwältigter Seele auf die „Täler weit und Höhen“ blicken[v], die „Ruh über allen Gipfeln, in allen Wipfeln“[vi] unser mattgehofftes Gemüt durchschauern lassen und dann kosmosselig wie eben der unübertroffene, herzensfromme Eichendorff die Hände falten und den Trost der Welt erfahren, der mit dem „ewigen Morgenrot / den stillen Wald durchfunkelt“[vii]?

Müssen wir nicht handeln, … aktivistische Aktion betreiben? Können wir’s auch nur in unsern kühnsten Träumen uns wirklich noch leisten, zu meditieren wie die großen Naturlyriker oder die weltflüchtigen Aussteiger aller Arten?

Wer so fragt, meint auch die Aktion nicht ernst.

Wer so fragt, hat nicht wirklich Hoffnung, sondern nur Hummeln im Hintern oder Hysterie im Hirn.

Aktion ohne Kontemplation ist Unfug.

Kurzschlusshandlungen ohne den langen Atem des gläubigen Gebets und des Gottvertrauens als Zukunftsvertrauens können mittelfristig nur wie Brandbeschleuniger wirken, weil sie die Energie der Herzen und das explosive Pulverfass der Angst so ver-schleudern, dass alles irgendwann grässlich verpuffen muss.

Wenn wir nicht den Wald wachsen ließen, … wenn wir nicht das unmerkliche Aufbrechen auch noch der verbrannten Böden leise sich vollziehen ließen, … wenn das neue, grüne Mischgehölz, wo Kyrill und der Borkenkäfer die Monokulturen unserer Heimat vernichtet haben, uns nicht einfach einmal die Hände falten und danken hieße, … wenn wir nicht heute pflanzten, was erst die Enkel an widerstandsfähigeren Arten brauchen werden als Schatten- und Entgiftungsquell, … wenn wir nicht das neue Landschaftsbild der fremden Windräder über den vertrauten Mittelgebirgszügen, überm herben Schwarzwald, überm lachenden Allgäu, … ja, wenn wir nicht sogar ein neues Landschaftsbild von Windrädern im romantischen Caspar-David- Friedrich-Gebirge als Erfüllung des paradiesischen Auftrags, die Schöpfung zu hegen und zu pflegen (vgl. 1.Mose 2,15), zu betrachten lernen, … dann gute Nacht!

Aber natürlich nicht wegen der Windräder, die scheußlich störend sind und bleiben, sondern wegen des Waldes. Wegen dieses Wunders, das mir letzten Sonntag wieder einmal vor Augen stand: Das Schulungswochenende mit unsern Teamern im Bergischen Land bedeutet reichlich Leben reichlich in Verbindung mit Gott, … aber keinen sonntäglichen Gottesdienst im mir unentbehrlichen Sinn. Da wurde ich auf meiner Weckrunde zu den einzelnen Holzhäusern voller verpennter Jugendlicher stiller Zeuge, wie in der Früh ein junger Mann aus dem Iran auf einer Bank unter den Bäumen saß und über die für ihn wohl fremden, weiten, blaugrün verschwimmenden Waldkämme unverwandt und - wer weiß? - vielleicht auf seine Weise betend in den Sonnenaufgang blickte.

Und die ganze Frömmigkeit und Dankbarkeit meiner hessischen Kindertage, in denen es Winterwälder und Brombeerpflücken im Unterholz und den schrillen Schrei des Habichts über den mittäglich schweigenden Föhren und das Erlebnis von Quellen und Bächen mitten im Tannendunkel und Pilzesuchen, Schwarzwildfährten und Hirschruf im Oktobernebel, Einsiedlerhöfe am Rand des Lichtung und Märchenvolk unter jeder Wurzel gab, … alles war wieder da, weil ein anderer Mensch schlicht auf Gottes herrlich hingebreitete Schöpfung blickte. Und die Volkslieder klangen wieder und ich hörte – doch wohl, weil einer mir „Hephata!“ geboten hatte – Jesaja im Text von heute sagen: „Was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; und die Elenden werden wieder Freude haben am HERRN und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein vor dem Heiligen Israels …“

Es war einer der Augenblicke, die hell und heil über der bedrohten, zerfallenden und doch taufrisch geweckten Welt stehen können. Und auch wenn wir’s täglich und nächtlich spüren, wie ein Weinen in der Welt ist, gilt auch das andere Dichterwort, das Wort, das der spätromantische Robert Browning dem angelsächsischen Volksmund vermacht hat: „God’s in His heaven - / All’s right with the world.“[viii]

Ja, es ist ein Weinen in der Welt, … aber Gott ist auch im Himmel!      

Wäre das nicht so, dann gäbe es keine wirkliche Hoffnung.

Wäre nicht Gott im Himmel, dann würden der Mensch und seine künstliche Intelligenz und seiner eingefleischten Unbelehrbarkeit auf Erden nur rettungslos sein.

Aber Der im Himmel ist, macht immer noch, dass neues Leben entsteht und altes sich des Lebensrechtes und des Lebensrufes alles jungen Neugeschaffenen erinnert: „Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände - ihre Kinder - in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen.“

Dieser rettende Blick für das nachwachsende Leben, diese Bekehrung der Vernichtungstrunkenen und Untergangsbesoffenen zum Willen des Schöpfers, Der ein Neues schaffen will – jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?! (Jes.43,19) –, das ist die tiefe Hoffnung, die in jedem Keim der Erde, in jedem Halm, in jedem Blatt, in allen Gewächsen, allen Wildnissen und allen Pflanzungen, in allen Bäumen, Hainen und Wäldern heranwächst.

Wer etwas davon auch in unseren Tagen sieht, wer es, weil sein Herz und Geist berührt und aufgetan worden sind – „Hephata!“ – spürt und andächtig wahrnimmt, dass die Natur mitten in ihrem Verderben immer noch den Segen und den Plan und das Heil und die siegreiche Durchsetzung Gottes beweist, der kann heute nur tun, was Israeliten und Juden und Christen niemals taten:

… Er kann sich nur vor den Bäumen des Waldes verneigen und ihnen sagen: Eure Predigt hören wir und euer Zeugnis sehen wir. … Und wir warten mit Euch, dass Ihr wachst und Gottes Reich sich gegen unsre Armut an Hoffnung und gegen unsre Tyrannei und Resignation behauptet!

Der Garten Gottes einst und künftig, … die Erde, in der das Weizenkorn wächst und nicht alleine bleibt, … die Berge der Welt, auf denen der Weinstock wurzelt (vgl. Ps.80,10ff), dessen Reben auch wir sind (vgl. Joh.15,5), … die Gemeinde der Gerechten, die grünen wie ein Palmbaum und wachsen sollen wie eine Zeder auf dem Libanon (vgl. Ps.92,13), … sie lassen uns das Geheimnis der Hoffnung erkennen, die in der Welt ist, weil Gott ihr Herr und ihr Vollender bleibt.

Und darum darf ich’s heute sagen, was sonst so kitschig und so falsch klingt … mit den Worten eines Trostbuches, das einmal Unzählige getröstet und zur Barmherzigkeit und Hoffnung gegen das gierige Blut-und-Boden-Heidentum gerufen hat:
„Ewig singen die Wälder.“[ix] … Von der Hoffnung, die in der Welt ist. … Sie heißt Gott.

Amen.    

 

[i] Else Lasker-Schüler, Sämtliche Gedichte, hgg. v. Friedhelm Kemp, München 19915, S.88.

[ii] Vgl. Sigmund Freuds gleichnamige Arbeit von 1930.

[iii] Markus 7, 31 – 37 ist das Evangelium des 12.Sonntags nach Trinitatis.

[iv] Die Edda. Die ältere und jüngere Edda und die mythischen Erzählungen der Skalda. Übers. u. mit Erläuterungen begleitet von Karl Simrock, (Nachdr: Essen 1986, S.14).

[v] Joseph von Eichendorff, „Abschied“, in: Ders., Werke - Bd.I: Gedichte. Versepen. Dramen. Autobiographisches, hgg. v. Jost Perfahl u. Ansgar Hillach, München 1970, S. 67.

[vi] Johann Wolfgang von Goethe, „Wandrers Nachtlied,“, in: Goethes Gedichte in zeitlicher Folge, hgg. v. Heinz Nicolai, Frankfurt/M 19907, S.236.

[vii] J. v. Eichendorff, „Der Einsiedler“, aaO, S.279.

[viii] Aus Robert Brownings Versepos „Pippa Passes“ von 1841. Am leichtesten zugänglich unter https://romantic-circles.org/editions/poets/texts/theyears.html

[ix] Dieser Bauernroman des norwegischen Dichters Trygve Gulbransen ist eines der am meisten verkauften Bücher in der ersten Hälfte des kranken 20.Jahrhunderts gewesen … und auf seine Weise bleibt er m.E. lesenswert.

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