Exaudi, 21.05.2023, Stadtkirche, 1.Samuel 3, 1 - 10, Jonas Marquardt

Predigt Kaiserswerth Exaudi - 21.V.2023                                                                                                             

                     1.Samuel 3, 1 -10

Liebe Gemeinde!

Wir stehen gerade mitten in den zehn unheimlichsten Tagen, die unser Kirchenjahr außerhalb der Passionszeit kennt: … Die Erde ist seit Donnerstag christusverlassen; … der Himmel bleibt vor Pfingsten geistverschlossen. ….

Zehn Tage ohne unmittelbar heilsgeschichtlichen Gedächtnis-Inhalt also. Zeit der Latenz, zusammengesetzt aus der Zahl der sieben Entwicklungs-Tage der Schöpfung und der drei geheimnisvollen Tage der Erlösung von Karfreitag bis Ostern. Zehn Tage, in denen alles oder nichts geschehen kann ……. 

Vielleicht können wir diese sonderbare Zeit der sich stauenden Zukunft, … vielleicht müssen wir diese Zeit des Zukunftsstaus sogar ganz unmittelbar auf den gegenwärtigen Moment der Weltgeschichte übertragen: Die Entwicklung der Schöpfung oder die Verfinsterung des Schöpfertodes - das Mysterium Gottes, das in beidem, in Macht und Ohnmacht sich ahnen lässt -, halten sich gerade noch die Waage. Die nächsten Schritte können zur Rettung des Ursprünglichen ebenso wie zu seinem irdisch nurmehr unaufhaltsamen Untergang führen.

… Das klingt reichlich pathetisch.

… Aber vor nicht langer Zeit sind Menschen in gewöhnlichen kleinen Tälern unserer näheren Heimat ertrunken so wie jetzt in Italien. In der Schweiz brechen die Berge auseinander, in den Bergen schmelzen die Gletscher, in der Ebene vertrocknen trotzdem seit ein paar Jahren die Ernten und in den Wäldern von den würzigen Pinien und Korkeichen bis zu den Krüppelkiefern und Birken der Tundra wüten von Frühjahr bis Herbst Feuer und atmen die tauenden Böden des Nordens Gas aus.

Wenn wir noch zehn Jahre haben sollten, dann sind es jene Jahre, in denen entweder die Verlassenheit von allen guten Geistern oder eine geschichtswendende Geistausgießung endgültig geschehen und bestätigt werden.

Da trifft es sich gut, dass wir an diesem Sonntag dazwischen - zwischen Abschied und Anfang - tatsächlich eine Ruh- und Weckgeschichte hören, … jedoch keine Traum- oder Albtraumgeschichte.

Noch besser aber passt die Überschrift über dieser Geschichte: Es ist eine Überschrift, von der ich seit einiger Zeit denke, dass sie - von den meisten Menschen unerkannt - als Titel über unsern Lebzeiten steht. Und wenn wir es einmal wirklich wahrnehmen, wie unsere Tage überschrieben sind, dann überkommen uns vielleicht Furcht und Zittern, oder - wer weiß? - vielleicht auch Entschlussfreudigkeit und seelisch Klarheit. Von den Tagen Elis jedenfalls galt: „Zu der Zeit war der HERRN Wort selten und es gab kaum noch Offenbarung“.

Bei Martin Buber und Franz Rosenzweig lautet diese Zeitansage: „In jenen Tagen war Anrede von IHM kostbar geworden, keine Schauung brach durch“. … Und dann mit einer so alarmierenden Spitzenstellung des Temporaladverbs, dass es mir den Rücken runterläuft: „Noch nicht erloschen war die Leuchte Gottes“.

Das also ist der Name dieser Zeit: Zeit des Noch-nicht-Erloschenen.

Und in ihr ruhen sie.

… Zumindest der alte Mann. Eli. Man kann und muss ihm nicht böse sein: Elis Augen haben viel vom Überfluss der Welt gesehen, haben auch treu über der Bundeslade gewacht, in der im Heiligtum von Silo das lenkende Wort Gottes verwahrt liegt; Elis Augen sind auch angestrengt, weil er immer wieder eins von ihnen zugedrückt hat, wenn seine Söhne in der Anspruchs- und Selbstbedienungsmentalität der Generation, die nichts anfangen musste, weil sie alles übernehmen konnte, sich am priesterlichen Dienst bereicherten und obendrein noch sexuelle Ausbeutung übten: Klerikaler Machtmissbrauch der ersten Stunde (vgl. 1.Sam.2,12ff; bes.22) . Eli, der Ordentliche, … Eli, der brave Patriarch mit der Vetternwirtschaft, … Eli, der ganz gewöhnliche Egoist und Pragmatist, der die guten, die halbherzigen und die skandalösen Züge seines Wesens nach lebenslanger Gewohnheit nun nicht mehr ändern wird. …Eli macht Nickerchen.

Jedenfalls liegt er still. Vielleicht im Schlummer. Vielleicht in der Schlaflosigkeit des Alters. Oder beim Versuch, den Kummer und die Gewissensbisse, die ihn beschleichen mögen, durch gleichmäßig ruhigen Atem zu betäuben. … Eli, der das Leben mehr recht als schlecht schon fast bewältigt hat und jetzt ein bisschen Yoga, ein bisschen Selbstmitleid und ganz viel Blindheit gebrauchen kann, um sich nicht mehr allzu sehr den Kopf zu zerbrechen über den vielen Ärger. …Und im Heiligtum liegt sowieso ja der Junge.

Es ist verlockend platt und es liegt erschreckend nah, das Bild des hingestreckten alten Priesters aus der Zeit vor Israels Königtum mit Bildern von hier und heute zu überblenden.

Eli hat Züge, die ich im Spiegel sehe und in der U-Bahn und in der Kirche und im schwerfälligen Betrieb des Betriebes, den wir unsere Wirtschaft, unsere Politik und Verwaltung und Kultur nennen. Überall haben sich solche wie ich und die noch Älteren breit gemacht: Rechtschaffen zumeist und auch rechtschaffen stolz und rechtschaffen müde oder mürrisch. Was die eigenen Aufgaben und das eigene Lebenswerk betrifft, baut sich das Selbstbewusstsein als starke Mauer gegen allzu viel Nachdenklichkeit auf:

„War schon alles recht. Kann niemand was sagen. Und dass man hier und da den eigenen oder wenigstens den Vorteil seiner Kinder auf selbstverständliche Weise geschützt hat, … tun das nicht alle? Und dass man jetzt noch seine Ruhe haben will und was noch vom Leben zu haben sein mag, ist ein Recht des Alters und der Natur!

… Gut, dass die ziemlich eingestaubte Bundeslade, die ziemlich unbeachteten Worte und Forderungen Gottes, … diese wirklich weit heruntergebrannte, noch nicht völlig verloschene Leuchte nicht mehr unser Problem sind! … Niemand richtet sich nach Gott? Niemand sucht Seinen Willen und hält Sein Gebot? Die „Schauungen“ schaffen trotz ihrer visionären Deutlichkeit keinen Durchbruch mehr durch das Polster der Naivität und Ignoranz? Die Menschen leben geist- und gottlos offenkundig viel lieber als gebunden an Scheu vor dem Himmel und Ehrfurcht vor einander? – Ach, da sollen sich nun andere Gedanken machen! Soll doch der Junge, der da bei der Lade schläft, sich in Zukunft drum kümmern, dass sie Lampe brennt, das Wort vernommen und der Wille Gottes getan wird.“ ——

Das ist eine Karikatur … zweifellos. Und wie alle Karikaturen vergröbert sie die Wirklichkeit, um ihr auf einfache Weise das Überwirkliche, das schmerzhaft Wirkliche abzugewinnen. Boshaft ist das vielleicht und grob fahrlässig in der Verallgemeinerung der Generationenrollen: Hie der unsympathisch selbstsüchtige Alte, der nach seinem fast gelebten Leben auf alle bleibenden Lebensfragen pfeift, … da der junge Mensch, dem nichts bleibt, als die Versäumnisse und Schuldigkeiten der Vorgänger abzutragen.

Wir kennen diese Karikatur und kennen auch ihre Wirklichkeit und Überwirklichkeit.

Wir wissen nicht nur von den aufdringlich pathetischen Weltschmerzen der Jugend, die sich zukunftslos fühlt und von uns Gestrigen um ihr Morgen betrogen. … Sie haben übrigens Recht, … grausam Recht sogar!

Wir wissen und erleben auch, dass immer mehr begabte und berufene junge Köpfe und Herzen aufgeben: Sie fahren zur Immatrikulation an die Universität und kommen heim ohne sich eingeschrieben zu haben, einfach weil die Schar der Gleichaltrigen mit oder ohne Hoffnung und Ehrgeiz ihnen vor Augen führte: Wir haben alle nichts mehr zu hoffen; es ist in der Welt zu spät geworden für einen neuen Anfang und einen besseren Weg.

Wir wissen darum wahrhaftig auch vom massenhaften Zynismus, den wir fast alle mitmachen, weil er uns in Fleisch und Blut zu sitzen scheint und uns einfach nichts an unserm Leben ändern lässt, obwohl das für genau unser eigenes Fleisch und Blut - in der Gestalt der Kinder und Kindeskinder - nicht bloß Ohrfeige und Hohn bedeutet, sondern Hunger und Tod.

Wir wissen es wirklich gut: Es drängt, und die allermeisten machen sich’s weiter bequem wie der Greis, der schlecht hört, kaum sieht und keine Störung an sich heranlässt.

Diese Karikaturen also kennen wir … und sind wir … und haben wir satt!

Doch die Wirklichkeit des Eli – selbst wenn wir ihn noch so karikierend zeichnen als alten weißen Mann, der sich nicht kümmern mag um geistlichen und weltlichen Dreck und weltliche und geistliche Sünde, die er denen nach ihm hinterlässt … die Wirklichkeit des Eli ist an einer Stelle so weit von uns und allen unseren Wirklichkeiten entfernt, dass es genau hier unendlich ernst wird.       

Er wird gerüttelt von dem Jungen aus dem Tempel und murmelt was von erster Bürgerpflicht, von Ruhe: „Geh schlafen, Samuel!“.

… Und wie in Gethsemane ein zweiter Versuch des Tiefbeunruhigten an der Lagerstatt der Teilnahmslosigkeit. – „Geh schlafen, Samuel!“ …

Und dann das dritte Mal. … Und genau da ist der Unterschied zu uns!

In der Ruhestörung und Ratlosigkeit des jungen Samuel zuckt durch das müde Herz und Hirn des alten Eli plötzlich die Möglichkeit Gottes! … Sollte Gott wohl zu dem Knaben sprechen? Sollte Gott also vielleicht hinter der Unruhe des jungen Menschen stehen? Sollte Gott sich im Schweigen der verlöschenden Zeit ohne Empfänglichkeit für die Offenbarung auf diesem Weg durch den Mund der jungen Kinder und Säuglinge (vgl. Ps.8,3) Gehör schaffen wollen? …….

Eli muss schließlich mit Gott rechnen!

… Und nun lautet die Frage an uns: Tun wir das auch noch? …….

… Wenn das auch bei uns so wäre, … wenn das auch bei uns wieder so würde, dann wäre die Zeit, in der das Wort so wenig gehört und die Wahrheit so selten befolgt wird, die Zeit, in der das Licht so schwach nur noch leuchtet, tatsächlich eine Zeit zwischen Verlassen-Sein und Erfüllt-Werden wie sie in diesen zehn Tagen für uns Christen unverkennbar herrscht und in diesen zehn Jahren in der Welt entscheidend sein wird.

… Rechnen wir mit Gott?! Geht es uns auf, dass in den Sorgen, im Klamauk, in der nervtötenden wie der besorgniserregenden Panik, im aufgescheuchten Suchen, im sendungsbewussten Forschen und Fordern der jungen Menschen Gott Seinen Anspruch auf Welt, Zeit und Zukunft geltend macht?!

Sind wir also bereit, uns als Christen, die dem Vergessen der Offenbarung, dem Verleugnen des Gebotes Gottes und dem Verdunkeln Seiner Herrlichkeit nicht länger duldsam zusehen oder dabei wegsehen können, uns wachrütteln zu lassen von denen, die Ihn vernehmen?

Das ist nicht die Frage irgendeiner politischen Protest- oder Parteibewegung; es ist nicht die Frage eines gewöhnlichen Generationenkonfliktes oder eines bestimmten weltanschaulichen Lagers. Es ist die Frage, die zu jeder Zeit zwischen der Himmelfahrt des Herrn und der Veränderungs- und Erneuerungs-Mission Seines Heiligen Geistes an alle, die im Bund mit Gott und in der Nachfolge Jesu stehen, gerichtet wird:

  • Seid Ihr bereit für Seine Kraft zur Ausrichtung der Umkehrbotschaft und für den Anbruch Seines Reiches?
  • Seid Ihr bereit, die Welt nicht beim Alten zu lassen, sondern sie in die Zukunft des Kommenden führen zu lassen durch Seinen Geist, Der Kinder und Greise erfüllen will?
  • Seid Ihr bereit, nicht mehr zu schlafen, sondern wach zu werden dafür, dass Seine kostbare Anrede wieder gilt und die Schauungen, die Er schickt, die perspektivlose Finsternis auf Erden endlich strahlend durchbrechen?
  • Seid Ihr bereit, dass - wie es der Pfingstprophet Joel verheißt - nicht in irrationaler Dunkelheit, sondern im hellen Licht des Geistes eure Söhne und Töchter weissagen, eure Alten Träume haben und eure Jünglinge Gesichte sehen werden (vgl. Joel3,1) und dass keiner dann dem andern befiehlt „Träum weiter!“ oder „Schlaf endlich ein!“, sondern sie gemeinsam der Erfüllung des Verheißenen, der Verwirklichung ihrer Visionen dienen wollen?!
  • Seid Ihr bereit, dass es in dieser dunklen, abnehmenden, drängenden Zeit Pfingsten wird und dass Erweckung kommt und Umkehr geschieht und nicht die Gewohnheit des alten Menschen, sondern das Wunder des von Gott erretteten und erneuerten Menschen die Welt prägt?
  • Seid Ihr bereit, dass Gott ruft, auch zu hören und Ihm dann willig zu folgen, damit Ihr mit der gesamten Schöpfung frei werdet – so, wie wir’s eben sangen (vgl. EG 392)?!
  • Seid Ihr bereit, ein Samuel zu werden, eine Maria von Nazareth, die dem rufenden Gottesgeist antworten (1.Sam.3,10 / Lk.1,38): „Rede, HERR, denn Dein Knecht hört! Ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie Du gesagt hast“?! ——

…………

Wenn wir dazu bereit sind, dann wird diese leere Zeit, diese Stillstandszeit, in der sich Geistausgießung und Erweckung oder das Verschlafen des letzten Rufes und dann das Ende ankündigen können, eine Zeit voller Segen und Sinn!

Wenn wir nur wie Eli damit rechnen, dass Gott die ruft, die nach uns kommen!

Wenn wir nur wie Eli die lebendige Berufung der nächsten Generation, ihre Berufung zum Leben erkennen und uns mit ihnen zum Hören und zum Heilen, zum Helfen und zum Hoffen bereithalten, dann werden sie keinesfalls die letzte Generation sein, sondern eine samuelische und marianische Generation der Wegbereitung für wirkliche Zukunft und neues Leben.

Und dann gilt, was in der Fortsetzung der Gottesrede an den hörenden Knaben Samuel im Zusammenhang einer Drohung gesagt wird, und was zum alles entscheidenden Inhalt wird, wenn wir es jetzt - vor Pfingsten - im Verheißungszusammenhang für die bedrohte Welt hören dürfen.

Gott spricht: „Ich will es anfangen und vollenden“ (1.Sam.3,12)!

Ja, Du Belebender und Vollendender, der Du - wie Samuels Mutter betete - zu den Toten hinabführt und wieder herauf (vgl. 1.Sam.2,6):

Du sendest aus Deinen Odem, so werden sie geschaffen,

und Du machst neu die Gestalt der Erde.

Komm, Heiliger Geist, erfüll die Herzen Deiner Gläubigen

und entzünde in ihnen das Feuer Deiner göttlichen Liebe![i]

Amen.

 

[i] Die alte, gesamtkirchliche Pfingst-Antiphon hier in der Fassung des Bayrischen EG 693.6.

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