Rogate, 14.05.2023, Stadtkirche, 1.Timotheus 2, 1 - 6, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Rogate - 14.V.2023
1.Timotheus 2, 1-6
Liebe Gemeinde!
Was Jesus gemeint hat, als er uns Salz nannte (vgl. Matth.5,13), wird immer deutlicher: Es soll nicht zu viele Christen geben. Eine Welt aus lauter Christen wäre sonst zwangsläufig versalzen! Die Streuung, nicht die Häufung macht die Wirkung aus. Und wenn’s auch nur eine Handvoll wäre: Ist sie gut und stark, dann durchdringt und verändert sie alles, was durchs Salz vorm Verderben und Vergehen bewahrt wird.
Darum – obwohl ich geschworen hatte, so oft wie möglich laut auszurufen, wie furchtbar eine Welt nach dem Verschwinden des Christentums sein würde! – muss ich heute sagen: Es kommt nicht auf die Christentums-Masse oder Christentums-Dichte an, sondern auf die Klarheit des Christentums. Christen, die wissen, was sie wollen und sollen, ändern alles.
Und darum gilt: Je seltener sie waren, je seltener sie werden, desto mehr liebe ich die Christen!
… Da sitzen sie am Anfang in irgendwelchen Löchern, unterhalb der römischen Kanalisation, geduckt zwischen den Grabfächern der Katakomben, eingebuchtet in Hausarrest oder bei peinlichen Verhören oder in der Verbannung. Der Mitarbeiter des Paulus, Clemens, der im Philipperbrief direkt vor dem berühmten „Freuet euch in dem Herrn allewege“ (Phil,4,4) genannt wird und der später als Bischof von Rom dritter Nachfolger des Petrus wurde[i], hat seine letzten Jahre der Überlieferung nach in einem Bergwerk auf der Krim verbracht[ii]. Dort und überall sonst, wo diese lächerlichen kleinen Radikalinskis der Liebe eines fremden Gottes und eines Gekreuzigten auftauchten, haben solche Witzfiguren der Geschichte sich eingebildet, ihre jüdischen und doch-nicht-jüdischen Beschwörungen und Gesänge lenkten das Reich!? Sie meinten tatsächlich, ihre versöhnlichen Gedanken und ihre unverbesserliche Hoffnungsdummheit spielten eine Rolle dabei, wie die Welt läuft?!
… So ein mit Zwangsarbeit und Hungerrationen gefolterter Apostelschüler und Gemeindehirte am Ende der Welt, am rauhen Fels des Schwarzen Meeres wie dieser Clemens von Rom wird an den Völkerapostel Paulus zurückgedacht und sich eingebildet haben, wenn er jetzt den Kaiser Trajan vor seinen Gott bringe, so wie Paulus und auch Petrus seinerzeit ihren Richter und Henker, den Kaiser Nero, dann werde das etwas an der Gewalt dieser Imperatoren und am Verlauf der Ereignisse für Heiden, Juden und Christen in der Antike beeinflussen!?
… Völlig machtlos, völlig entwürdigt, völlig übersehen und ohne jede Bedeutung haben diese restlos passiven Opfer der Geschichte sich dennoch eingebildet, sie nähmen aktiv daran teil: Dabei hing in Wirklichkeit doch alles von der Verdauung der Kaiser, den Intrigen ihres Senats, vom fiskalischen Eifer der Prokuratoren, von den militärischen Erfolgen des Heeres und von der Schwäche oder Korruption aller Barbaren ab. …
… Was ein altgewordener Paulusschüler Timotheus in Ephesus oder ein Grubensklave Clemens bei Sewastopol in ihrer Freizeit und ihren eucharistischen Feiern zwischen Schmerz und Sterben taten, machte da wahrhaftig nichts aus. …….
Nur dass diese verrückten, hartnäckig an der Weltgeschichte mitstrickenden Häftlinge und Judengenossen aller Länder und Lumpenproletarier im priesterlichen Dienst und Heiligen der Schlachthöfe allen Ernstes daran festhielten, sie - ausgerechnet sie: die Nebenfiguren einer religiösen Eintagsbewegung!?- seien so etwas wie der Thronrat des Himmels, das Kollegium des lieben oder des donnernden Gottes vom Zion, dem auf Golgatha seine Seifenblase doch eindeutig zerstochen worden war.
… Sie aber glaubten’s!
Sie spürten’s!
Sie wussten’s!
Da auf Golgatha und in seinem Schatten im Gartengrab war die Weltgeschichte – die Geschichte Judas und Roms, die Geschichte ganz Asiens, Afrikas und Europas, die Geschichte auch jener weiten und weiteren Erdteile, die niemand von ihnen jenseits der bekannten Meere auch nur ahnte – entschieden worden.
Kreuz und Auferweckung lautete die Entscheidung:
Wenn und was auch immer alles untergehen und sterben muss … Gott will, dass alle Menschen gerettet werden!
Dieser atemberaubende Satz, der alles sagt, was das Christentum zu sagen hat, findet sich in dieser schnörkellosen Beiläufigkeit tatsächlich im klarsten Klartext hier, im 1.Brief des das ganze römische Imperium durchwandernden Paulus, der bald ein Märtyrer der römischen Justiz werden wird, an die Nachwelt in Gestalt des jungen Timotheus.
… Ausgerechnet die Anfänge der Märtyrerkirche werden also zur Voraussetzung der universalen Botschaft der Christen!
… Ausgerechnet das, was die Apostel und ihre Nachfolger an Leiden durch das Weltreich erfahren mussten, machte sie zum Sprachrohr der Versöhnung der Menschheit!
… Weil sie vergingen, wurde in ihnen die Hoffnung für alle geweckt!
Das ist das Salz-Geheimnis unseres Glaubens: Gerade in seiner Auflösung setzt er sein grenzenloses Potential an Rettung frei! ——
Nun gibt das uns in aller Seelenruhe allmählich vor uns hin schwindenden Christen heute keinen Anlass, uns ohne Weiteres als die Fortsetzung der weltbejahenden und welterhaltenden, blutig Verfolgten von damals zu betrachten. Aber umgekehrt – auch wenn unsre schlimmsten Feinde der eigene Kleinmut, die selbstbetriebene Unkenntlichmachung und die ölige Idee von der maßgeschneidert subjektiven Zivilreligion für alle sind – … umgekehrt also haben wir nicht das Recht, auch nur ein Fünkchen weniger für die gesamte Menschheit zu hoffen, für die Geschichte zu bangen und zu beten und uns als Fürsprecher und Anwälte für alle berufen zu fühlen als die alte Kirche einst.
Unser Glaube nämlich – ein Glaube, der von der ersten Stunde des Hirtenfelds und Engelsliedes an den Menschen allen ein Wohlgefallen zusagt – … unser Glaube ist Einbindung ins ganz Große!
Unser Glaube atmet das „Siehe, es ist sehr gut!“ aus, das überm gesamten geschaffenen Kosmos strahlt; unser Glaube atmet den Schmerz ein, den die Absonderung der Menschen von Ihm Gott in Eden und überall zufügt; unser Glaube hat den langen Atem der ewigen Geduld und Vergebungsbereitschaft des mit Israel verbündeten Gottes, Der die Väter begleitet, die Könige geleitet, die Propheten bereitet und die Strafe des Exils geteilt hat; unser Glaube stößt die Seufzer und die Lockrufe Gottes aus, Der Sich einfach mit keinem Verlorenen zufrieden geben kann, sondern wirkt und wartet und wartet und wirkt, bis schließlich und endlich alle Seine Söhne und Töchter heimkehren zu Ihm.
Diese Einbindung in die göttliche Liebe und Sorge, dieses Einbezogen-Werden in die göttlichen Hoffnungs- und Erwartungshorizonte für die Welt ist die politische, die öffentliche, gesellschaftliche und soziale Mission der Kirche.
… So weit, so einvernehmlich in weiten Kreisen des Protestantismus, der sich den Weltgestaltungs- und Einmischungsauftrag, der sich seine ethische Verpflichtung aufs Gemeinwohl und seine Partizipation an der öffentlichen Verantwortung in partisanenhaftem Eifer auf die Fahnen geschrieben hat.
Doch verblasst ist dabei, dass die ursprüngliche und ureigene Gestalt der parteiischen Mitwirkung der Kirche an der Verwandlung und Erlösung der Welt nach Gottes Gebot und Verheißung durch … das Gebet geschehen soll!
… Durch das Gebet, das gerade kein Instrument der menschlichen und darum begrenzten und ausschnitthaften Weisheit ist, sondern ein Einreihen und Einstimmen, ja, ein Unterordnen und Aufgehen in der Weisheit und im Willen Gottes!
Wo statt des Gebetes die Meinung der Christen zum Mittel und Maßstab erhoben wird - wir erleben es andauernd -, da herrscht zwangsläufig das, was man den „Partikularismus“, das Regime der Teilchen, die Politik der Gruppen, die Selbstbehauptung von einzelnen Untergliederungen des großen Ganzen nennen muss.
Unsere Einsichten und Überzeugungen weichen selbstverständlich ja nun einmal voneinander ab: Ehrlichen Herzens hoffen und betreiben die einen Dieses, die anderen Jenes für das höhere Gute. … Und bösen, trotzigen Herzens stoßen sich die Bestrebungen der Menschheit erst recht hart im Raum. …….
Wenn wir es also allein auf unsere Pläne und Ziele gründen, wird das Projekt dieser Welt immer aus Kooperation und Kompromiss, Kompromiss und Konflikt, Konflikt und Krieg, Krieg und Kompromiss, Kompromiss und Kooperation und Konflikt bestehen. …
Wenn aber nun einmal ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen ist, dann bedeutet diese erste und letzte Einheit, dass trotz aller notwendigen und wirklichen Unterschiede die Menschheit tatsächlich in einem Umfassenden wurzelt und von dem Einenden umfasst werden wird.
Diese ursprüngliche und endgültige Verbundenheit, von der die verfolgten Christen im Angesicht ihrer Quäler durchdrungen waren und die die gespaltene Kirche auch heute noch trotz ihrer Teilung bezeugen muss und die der gegenwärtigen Feier des Pluralismus nicht entgegensteht, sondern den Raum der Versöhnung eröffnet, … diese ursprüngliche und endgültige Verbundenheit ereignet sich vorweg in der Gestalt des Gebetes, … des Gebetes, wie es Christus und seine Apostel lehren und üben.
Es ist Gebet für die Feinde … das ungeheuerliche, große „VATER, VERGIB IHNEN!“ (vgl. Lk.23,34)
Es ist Gebet für die, die auf der Gegenseite stehen und vertreten, was wir selber verneinen, und behaupten, was wir unsererseits bestreiten, und hoffen, was wir fürchten, und hassen, was wir lieben und wollen, was wir verhindern müssen, und verlangen, was wir verabscheuen.
Dieses Gebet der Christen, die nicht ihre Vorstellungen und Wünsche für sich formulieren, sondern die buchstäblich „außer sich“ beten, deren Bitten und Hoffnung buchstäblich das „Jenseits“ betreffen - das, was nicht vom eigenen Horizont abgegrenzt wird -, … dieses Gebet der Christen ist tatsächlich die vollständige Teilnahme an Gottes grenzenlosem und allumfassendem, an Gottes überweltlichem und versöhnendem Handeln: Weil es sich nicht beschränken, nicht vereinnahmen oder festlegen lässt: Christen sollen nicht um ihre Sache, nicht nach ihrem Gutdünken, nicht gemäß dem eigenen Standpunkt beten.
Ihr Gebet wird darum letztlich nichts anderes sein wollen, als alle und alles, überall und immer nur vor Gott zu bringen und Seinem Willen, Seiner Gerechtigkeit, Seiner Barmherzigkeit anheimzustellen. Es wird immer zuerst und am weitesten und offensten lauten: „GEHEILIGT WERDE DEIN NAME! DEIN REICH KOMME! DEIN WILLE GESCHEHE!“
Das ist der Grund und Ursprung des uns so devot, so befremdlich staatsfromm anmutenden Gebets für die Obrigkeit, zu dem Paulus, der baldige Blutzeuge Timotheus und die nachrückende Generation auffordert: … Nicht, weil das Christentum sich als Stütze der Gewalten, als Erfüllungsgehilfe aller Mächtigen, als Speichellecker der Fürsten, der Zaren, der Juntas und der Diktatoren oder heute als Schleppenträger des Zeitgeistes anbietet. … Das alles hat es viel zu oft schon getan und tut es in seiner widerlichsten, seelenmörderischsten Form noch immer in Gestalt des perversen russischen Patriarchen und Klerus.
… Aber das ist der billige Fusel aller Religion, ja überhaupt aller Weltanschauung: Sich zu berauschen am süßen Gesöff von Macht, von Protektion, Erfolg, Sieg …
Das Salz-Geheimnis dagegen hat gerade die umgekehrte Wirkung: Scharf und ernüchternd ist es, wenn wir begreifen, dass wir nicht beten, um uns zu verbünden mit denen, die uns groß machen, sondern dass wir Bitten, Gebet, Fürbitte, …. ja, sogar Danksagung einsetzen und hingeben auch für die, die alles auflösen, was uns am Herzen liegt.
Darum wissen wir – gerade im Bund mit dem Gott, Der will, dass allen Menschen geholfen werde – wirklich nicht, was wir persönlich bitten sollen (vgl. Rö.8,26).
Das Salz-Geheimnis liegt ja im Gebet des Paulus und des Timotheus für Nero.
Es findet sich Gebet des Clemens in der Verbannung für Trajan, der ihn vernichten ließ.
Es durchzieht das Gebet der Märtyrer und der kleinen, armen, ohnmächtigen Leute, die zu Zeiten der Tyrannen oder der Gnadenlosen oder der völlig Desinteressierten oder der ungebremst Sadistischen nicht aufhören konnten, sich an Gott zu wenden und Ihm alles anzuver-trauen … nicht nach ihrem Dafürhalten und Haben-Wollen, sondern im Vertrauen darauf, dass Gott weiter weiß und sieht und reicht und schlichtet und richtet und rettet, als unsere Vorstellungen je gehen könnten, und dass darum alle Welt- ob Freund, ob Feind! - vor Ihn gebracht werden muss.
Wenn - so wie auf Golgatha oder beim Martyrium des Stephanus (vgl. Apg.7,60) - die Opfer also für die Täter beten, … und wenn wir uns vergegenwärtigen, wie unendlich viele Vergessene und Vernachlässigte gebetet haben und beten „VERGIB UNS UNSERE SCHULD, WIE AUCH WIR VERGEBEN UNSERN SCHULDIGERN“, … und wenn wir die Ratlosigkeit und auch die Wortlosigkeit empfinden, die unser Beten heute verhüllen (…sollen wir beten, dass eine gigantische Entscheidungsschlacht den Krieg gegen die Ukraine beendet? … sollen wir beten, dass diese oder jene Politik und Partei sich hier oder dort durchsetzt? … sollen wir den Sturz Erdoǧans und Netanjahus erflehen? … und welchen konkreten Ausgang wollen wir - abgesehen von Waffenstillstand - für das Metzeln im Jemen und Sudan wünschen? … und wem gilt unsere Fürbitte für die Verantwortlichen in China? … und wie sieht unser Gebet für Taiwan aus? … und welche Dreistigkeit oder Genauigkeit, welche Vorgaben oder fixe Ideen enthalten unsere Gebete für unsere Kinder, unsere Pläne, unsere Anliegen?) … wenn wir also die Beunruhigung und das Zerrissene spüren, die in der Welt aufbrechen und die uns zum Beten bringen, dann merken wir tatsächlich, dass ein ruhiges und stilles Leben nur möglich sein kann, wenn nicht wir alles vorentscheiden, festlegen, beeinflussen und mit unserem Senf garnieren, sondern es schlicht Gott anheimstellen: Alle Menschen, die Könige, alle Obrigkeit, alle Ordnung und Unordnung, alles Widrige und Erschreckende, alles Ungelöste und Unauflösbare.
Wir können es alles vor Gott bringen. Oft nur so, wie eine Pfarrerin am Ende ihres Lebens es mir vergangene Woche sagte: Ich habe keine Worte mehr und ich weiß kaum noch Namen. Aber mir begegnen die Gesichter und das ist mein Gebet.
Das ist unser Gebet: Die Welt, so wie sie da liegt oder da tobt, so wie sie sich auftürmt, wie sie zu verschwinden droht, wie sie sich ausbreitet, vor Gott bringen.
Für diese ganze Welt hat Christus sich selbst zur Erlösung gegeben.
Und an dieser Erlösung der Welt, an dieser Herrschaft Gottes über sie und für sie nehmen wir teil, indem wir ohne Anmaßung, ohne Täuschung - als die, die nicht wissen, was sie beten sollen - auf sie alle weisen und sagen:
„Sie sind die Deinen, Vater! Lass deinen Willen an ihnen, an allen geschehen. Und lass uns alle endlich diese Ruhe, diese Stille erfahren, die im Leben aus Dir, mit Dir und bei Dir besteht!“
Amen.
[i] Theodor Fliedner rühmt in seinem „Kurzen evangelischen Märtyrer-Buch für alle Tage des Jahres“ (2.Theil, Kaiserswerth am Rhein, o.J. [wohl: 1864 – vgl. Vorwort zu Theil 1], S. 1159 -1161) die „Glaubensfrische und Liebesinnigkeit“ des „gotterleuchteten“ frühchristlichen Theologen und Briefeschreibers, dessen Epistel an die Korinther aus den 90er Jahren des 1.Jahrhunderts n. Chr. zu den ältesten Quellen der Dogmatik und Ämterstruktur der Kirche gehört. In seiner typischerweise etwas hölzernen Diktion sagt Fliedner von diesem Korinther-Brief des Clemens Romanus, er „athmet Himmlischgesinntheit“ (aaO, S.1161).
[ii] Die Überlieferung von Clemens‘ Martytrium auf der Krim ist nicht zeitgenössisch, aber dennoch alt.
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Kaiserswerth: 0159-038 591 89
Lohausen: 0211 43 29 20
Tageslosungen
1. Mose 2,19.20
Verkauft man nicht fünf Sperlinge für zwei Groschen? Dennoch ist vor Gott nicht einer von ihnen vergessen.
Lukas 12,6