1. Advent, 30.11.2025, Römer 13,8-12, Stadtkirche, Dr. Petra Brunner

Liebe Gemeinde, 

seit Ende Februar 2022- also beinahe seit knapp vier Jahren - gehört die Rede von der Zeitenwende fest zum gesellschaftlichen Diskurs.

Wir hören nochmal kurz die Worte des Bundeskanzlers Scholz klingen: „Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents.“

Der Begriff Zeitenwende beschreibt zum einen den Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine als einschneidendes Ereignis für Europa, umfasst zum anderen auch einen Wandel der deutschen Verteidigungspolitik, Sicherheitspolitik und Energiepolitik.

Der politische, der gesellschaftliche Diskurs hat sich verändert. Die Debatten, die wir führen, gehen um militärische Aufrüstung, um die Wehrpflicht, den Frieden in Gaza und Israel oder auch, besonders nach dem Scheitern des Klimakonferenz in Belem, auch immer wieder über die Klimakrise, die Biodiversitätskrise und auch die Gesundheitskrise. Spätestens seit der Corona-Pandemie leben wir der Zeit der multiplen Krisen. Wenn wir an die Zukunft denken, Bilder von dieser Zukunft malen, dann ist es eher das Bild einer Abenddämmerung. Der lichte Tag geht zu Ende und Wolken ziehen auf, die Sonne sinkt und es wird Nacht.

Dass die Nacht noch kommt, ist für den Bibeltext eine Untertreibung, denn der Römerbrief formuliert im hinterem, dem ethischen, Teil des Briefes, dass wir mitten in der Nacht stecken. Also die Empfangenden Gemeinden im römischen Reich, bei denen sich die Stimmung einer endzeitlichen Lage mit der drohenden Christenverfolgung durch Nero breit macht, während sie in diesem multireligiösen, schnelllebigen Moloch des römischen Imperiums leben und in ihren kleinen Hauskirchen darauf warten, dass Jesus bald wiederkommt.

In unserem Predigttext, in unserer Gegenwart und auch in der Adventszeit  klingen diese endzeitlichen Töne zusammen.

Diese endzeitliche Stimmung, die kollektiven und individuellen Krisen, die können uns schnell in die Verzweiflung und Depression führen. Oder die endzeitliche Stimmung ist einfach zu viel und zu schwer, und wir verdrängen alles um uns herum in der weltvergessenen Weihnachtsspießigkeit unserer kleinen Zuhause.

 

Wir sind nicht allein im Dunkeln. - Der Text sagt: Die Nacht war tief und lang und sie geht zu Ende, der Morgen dämmert schon und ein neuer Tag - eine neue Zeit - kommt an. Genau an diesem Punkt stehen wir heute am 1. Advent. Jetzt ist diese Zeit, jetzt ist Advent, eine Zeit der Ankunft Gottes genau in diese Welt, genau in die multiplen Krisen und in unsere dunkle Hoffnung, da kommt das Neue - der Advent kommt. Und jetzt noch in unserem alten Kalenderjahr fängt schon die Adventszeit an.

Statt sich in diesen Krisendiskurs, vielleicht als Form der Verarbeitung von Ängsten vor Veränderung, hineinsaugen zu lassen und die Krisenstimmen immer stärker und lauter und selbst verstärkender zu hören - stattdessen zünden wir heute die erste Kerze an.

Wir zünden Kerzen an, hören die alten Hoffnungstexte des ersten und zweiten Testaments – und wir singen Lieder - wir stimmen uns langsam darauf ein, dass wir einen anderen Bezugsrahmen haben. Wir erinnern uns gegenseitig daran, dass die einzige Zeitenwende für Christ:innen ist, dass Gott in Jesus zu uns auf die Welt gekommen ist und unserer Leben, unsere Dunkelheit und unseren Tod geteilt hat.

Wir zünden Kerzen an in der dunkelsten Zeit des Jahres und singen die Lieder und hoffen, dass Jesus bei uns ankommt und die Hoffnung wieder neu anfängt.

 

Unser Predigttext gehört in den Brief, den Paulus aus Korinth aus an die römischen Hausgemeinden schreibt. In elf langen Kapiteln hat Paulus ausführlich und breit das Evangelium dargelegt. Nämlich, dass wir Gottes Kinder sind, gerecht und geliebt von Jesus und einfach Gotteskinder. Dann folgt ein Abschnitt, in dem Paulus über das Verhältnis Juden zu Nicht-Juden schreibt, was mit der mit der Perspektive der Errettung von Nichtjuden wie Juden schließt.

Dann auf dieser Grundlage steht unser Predigttext. Der gehört zu den drei abschließenden ethischen Anweisungen für die Menschen in den  in den Christus-gläubigen Gemeinden. Für Paulus ist es jetzt ganz klar, was in den Gemeinden zu tun ist. Nachdem er im Abschnitt vorher das Verhältnis zum Staat und zur Obrigkeit geklärt hat - sagt er: Genau in der Jetztzeit ist es die Zeit, diese Hoffnung der Gotteskinder zu leben.  

Lang hatte Paulus erklärt, dass wir durch die Liebe Gottes zu Gotteskinder geworden sind und dass die Hoffnung zu uns kommt. Und jetzt ist es Zeit, genau in dieser Welt, genau in dieser Zeit, diese Liebe zu leben und sie zu teilen. Genau jetzt und heute sollen wir kontrafaktisch leben - in der Welt voll Dunkelheit und Hass – Liebe leben.

Paulus erinnert nochmal an die Gesetze, die im ersten Testament auf die Beziehung der Menschen untereinander genannt werden: »Du sollst nicht ehebrechen! Du sollst nicht töten! Du sollst nicht stehlen! Du sollst nicht begehren!«

 

Und Paulus zusammengefassten Merksatz, in dem alle Anforderungen an uns zusammengefasst werden:

»Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst!«

Da hören wir Jesu Aufforderung zur Nächsten- und Selbstliebe mitklingen und auch das Hohelied der Liebe aus dem Korintherbrief. Denn ohne die Liebe ist alles nichts.

 

Jetzt, heute, genau auf dieser Welt ist vieles, vieles immer noch gleich, das Alte, es ist krisig und dunkel- genau da zünden wir die Kerzen an und hoffen, dass das Licht zu uns kommt. Und weil das die andere Seite der Hoffnung ist: handeln wir auch. Wir handeln in kleinen Gesten und Worten und Entscheidungen der Liebe: Vielleicht indem wir nachtreten, wenn wir ungrechtfertigt angemotzt werden; wenn wir freundlich der Arzthelferin danken, vielleicht indem wir nicht achtlos konsumieren, vielleicht indem wir beten für Menschen oder vielleicht … Ihnen fallen bestimmt Dinge ein, wie die Liebe in ihrem Denken und Handeln Raum finden kann in dieser ersten Adventswoche.

 

Ein besonderes Glaubensvorbild ist der Theologe und Auto Jochen Klepper. Jochen wurde zu Beginn des letzten Jahrhunderts geboren. Jochen Klepper schlief schlecht, er konnte sich nicht konzentrieren und er hat die Auswirkungen der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft am eigenen Leib gespürt: er durfte nicht mehr als Autor arbeiten. In seiner Welt voll Hass, Tod und Unrecht - hat Jochen einfach nie aufgehört zu schreiben. Das Lied, das wir gleich singen: Die Nacht ist vordrungen - das schreibt er kontrafaktisch: er hat schon Berufsverbot erhalten, der Krieg steht vor der Tür und Jüd:innen werden schon in Konzentrationslagern umgebracht- und seine Frau ist jüdisch.

Jochen schreibt dieses Adventslied, was auf unseren Predigttext Bezug nimmt in dieser Zeit, die wir eigentlich als Aufbrechen der Nacht beschreiben könnten. Doch Jochen schreibt - er handelt so: die Perspektive muss eine andere sein - die Nacht geht zu Ende. Es gibt Hoffnung, der Morgenstern kommt zu uns.

Jochen Klepper und auch andere Menschen, die wirklich Schweres getragen haben mit Gott an ihrer Seite, haben das erlebt, was Jochen im letzten Vers schreibt: Gott will im Dunkeln wohnen und hat es selbst erhellt.

Jochen Kleppers Welt wurde immer kleiner, und immer enger, keine Arbeit mehr und die Verfolgung seiner Frau, er sollte sich von ihr scheiden, sie durften nicht ausreisen, die Deportation der ganzen Familie stand bevor.

 

Jochen Kleppers letzter Tagebuch Eintrag 1942 lautet so:

„Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“

Jochen Kleppers Leben endet im Suizid, in einer Dunkelheit - in der er sich vom segnenden Christus geborgen und aufgenommen wiederfand. Gott will im Dunkeln wohnen. Von da aus fängt unser Leben und unsere Hoffnung neu an, auch im Sterben.

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