Vorletzter Sonntag, 16.11.2025, Mutterhauskirche, Hiob 14 i.A., Jonas Marquardt

Predigt Mutterhauskirche Vorl. So. - 16.XI.2025                                                                                                        

                         Hiob 14 i.A.

Liebe Gemeinde!

Niemand wird bestreiten, dass Hiob unser Zeitgenosse ist.

Er sitzt auf dem Misthaufen von Gaza. Er schabt sich - wie das biblische Vorbild - seine eiternden Wunden in den Hunger-festungen des Sudan. Er beklagt seine ermordeten Kinder in den Landstrichen und Dörfern zwischen Luhansk und Odessa. Er ringt die Hände über seine verbrannten Fluren am Amazonas, und er grämt sich um seine verlorene Sorglosigkeit in unserem eigenen Bett.

Hiob ist unser Mitmensch. Hiob ist unser Sinnbild und Schutzheiliger und Sternzeichen und Stellvertreter. Hiob ist unser Avatar und unser Menetekel. … Hiob ist der Jedermann des 21. Jahrhunderts. … So wie er es vor 100 Jahren auch war. … Oder im Mittelalter. … Zur Zeit der neutestamentlichen Wende. … Und auch, als sein Buch in die hebräische Bibel geriet.

Hiob war immer da und bleibt es. Der betrogene und ins Unglück gefallene Mensch. Der Unschuldige, der mehr ausbaden muss, als er eingebrockt haben kann. Der, dem das Leben aus heiterem Himmel zur Hölle wird.

Einfach nur, weil er geboren wurde, muss er leiden.

Hiob: Der Mensch, der uns alle zu Buddhisten machen müsste, wenn wir auch nur ein Fünkchen Anstand, einen Hauch von Mitgefühl haben. Denn wie sonst sollten wir erklären, was so sinnlos ist: Das Erdbeben, … den Unfall, … die systemische Ungerechtigkeit, die die Weltkugel in Privilegierte und Chancenlose spaltet, … die Hoffnungslosigkeit, die über so vielen Szenarien der heute erst Jungen zu liegen scheint!? Es muss ein Sinn im Leid liegen. Es muss durchs Leiden ein Ziel zu erreichen sein. … Wiederkehren, Neuanfangen, Weiterüben. … Läuterung, Aufstieg und endlich dann Verlöschen im befreienden Nichts.

So sieht der Buddhismus mit seinem Blick des Mitleids mit aufs Leiden. ——

Die Bibel ist da mitleidsloser.

Jedenfalls erklärt sie das Leiden nicht zum notwendigen und darum letztlich sinnvollen Verhängnis. … So viel sie auch vom freiwilligen Leiden, vom bewussten Mittragen und Nachfolgen und Abnehmen in der Gemeinschaft des großen, stellvertretenden, göttlichen Leidenden zu sagen hat, so wenig drückt sie einfach allem Leiden, … dem unerklärlichen Hiobsleiden also den Stempel des Nötigen auf.

Ihre zentrale Aussage zum Leiden ist ja nicht, dass es gut sei. Sondern dass gut ist, wenn das Leiden vergeht. Von altersher haben wir die apostolische Mahnung an die ersten Christen in den ersten Verfolgungen in Vorderasien (vgl. Apg.14,22) leider (!) wohl meistens mit einer falschen Betonung im Ohr, denn sie besagt ja nicht, dass wir durch viel Trübsal müssen, um das Reich Gottes zu erlangen, sondern dass wir auch durch viel Trübsal hindurch das Reich Gottes vor uns sehen und schließlich dorthin gelangen sollen! Weshalb die Gemeinde im schönen Tanzlied der Renaissance (EG 398) ja auch nicht trällert, dass „in Dir alles Leiden Freude ist“, sondern widerständig wie die Märtyrer jubelt, dass auch inmitten aller Leidenserfahrungen im Hängen an Christus die Freude alle Schmerzen weit überwiegt! ———

Biblisch wird also nicht das Leiden an sich gutgeheißen. Biblisch wird Leiden nicht etwa trotz seiner Bitterkeit wegen einer medizinischen Wirkung dankbar ausgelöffelt. Biblisch wird Leiden nicht verzweckt und nicht verklärt und nicht geadelt.

… Noch einmal: Wer das Leiden freiwillig annimmt, weil das die Lebens- und die Todesgemeinschaft mit dem Gekreuzigten vertieft und eine nötige Hilfs- und Solidargemeinschaft der Mitleidensbereiten mit den unfreiwillig Leidenden eröffnet, der darf gewisslich „Ja“ zum Leiden sagen (vgl. Kol.1,24)!

… Wir dürfen alle mit dem in seiner Gefangenschaft und Ausweglosigkeit dennoch unbezwinglich freien Bonhoeffer, der wahrhaftig kein Masochist war, singen und beten:

„Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern / des Leids gefüllt bis an den höchsten Rand, / so nehmen wir ihn dankbar, ohne Zittern, / aus deiner guten und geliebten Hand.“ (EG 652)

Aber die Bibel nimmt das „Ja“ oder gar den Dank fürs Leiden ganz bestimmt nicht für alle vorweg.

Sie bleibt das Buch Hiobs

… Der in der Bibel an sich nichts zu suchen hat.

Er ist kein Israelit, sondern ein Jedermann. Er ist nicht einmal einfach ein aus der altorientalischen Umwelt eingewanderter Fremdling zwischen den israelitischen Stimmen und Zeugen und Boten des Alten Testaments, sondern ein Jedermann aus Nirgendwo, denn jenes Land „Uz“, in dem er heimisch war (vgl.Hi.1,1), lässt sich nicht wirklich lokalisieren: Ein Niemand von Überall, ein reicher, armgewordener Tropf aus Katastrophistan, ein Herr H. aus Kummerland, einfach ein Weltbürger und also auch Mit-glied der Bruderschaft des universalen Weltschmerzes.

Dieser Mensch wie alle erscheint also mitten in der Bibel.

Woher? - Egal.

Wodurch? - Egal.

Wichtig ist nur das, was für alle gilt, die irgendwie von irgendwo unter uns erscheinen: Welchen Unterschied machen sie?

Und der fremde und doch so menschlich, allzu menschlich leidende Hiob, … der macht einen Unterschied. Und was für einen!

Vielleicht, weil er nicht zu den Erwählten zählt. Er hat nicht das Erbe der Verheißung, das sonst in Israels Mark und Bein steckt. Er ist einfach nur selbst ein Vollblut-Mensch, der Gott durch seine natürliche Wahrhaftigkeit erfreut, so dass der HERR tatsächlich von ihm sagt: „Es ist seinesgleichen nicht auf Erden, fromm und rechtschaffen, gottesfürchtig und meidet das Böse“ (Hi.1,8).

Nicht erwählt, zu nichts verpflichtet, sondern bloß von sich aus gut.Und dann so schrecklich verraten und verloren! Vom Leben gebrochen. Ja, – wenn wir dem ungeheuerlichen Buch, das seinen Namen trägt und von irgendwoher irgendwie in unsere Bibel kommen sollte, folgen – ja, nicht nur bloß verraten und verkauft, sondern unergründlich auch von Gott verlassen, auf den er sich doch ohne Bund und ohne Gebot verließ.

Doch dieser durch kein Gebot, durch keinen Bund an Gott gebundene und von Gott enttäuschte, nackte Mensch wird auch da, was er in seinem ganzen Wesen und Erleiden ist: Unser Stellvertreter. Er wehrt sich und empört sich. Für uns. Er fordert Welt und Wirklichkeit und Gott heraus und schreit den Weltschmerz, schreit die Wut auf diese Wirklichkeit, schreit die Gottesfrage das berühmte: „Du! Warum?“ – ebenso heraus mit der geballten, durch die Gebrochenheit nur umso schärferen Kraft aller Menschenstimmen. ———

Eine Antwort aber kriegt er nicht.

Das Buch vom leidenden Jedermann ist wohl keine Aufgabe der höheren Algebra, die am Ende gelöst würde. Stattdessen – „O welch eine Tiefe der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“ (Rö.11,33) – statt einer Lösung, die nur abstrakt das theoretische Frustriert-sein-Müssen abschließen könnte, endet das Protokoll der geballten Not und Wut in der letzten Offenheit:

- - - Es herrscht Schweigen.

- - - - - - - In das Gott spricht.

Wie alles einmal anfing, so endet bei Hiob also alles.

Und wem sich da die Nackenhaare sträuben, … wer merkt, dass ihm der Puls vor Erregung schneller geht, … wer spürt, wie etwas da in Wallung gerät und mit einem durchgehen könnte – „Wieso verd*mmt noch mal! denn keine Lösung? Warum denn bloß ein Reden Gottes?“ –, der muss wie Hiob ganz am Schluss vielleicht doch endlich sagen, dass er auf etwas gestoßen ist, das höher sein wird als alle unsere Vernunft (vgl. Phil.4,7).

Gott, Der mit dem Wort angefangen hat, wird dieses, Sein Wort nicht nur behalten, wie man Recht behält, sondern es auch wahren … es also bestätigen und erfüllen.

Das „Es werde!“ wird nicht zurückgenommen, sondern endlos fortgesetzt!

Und auf eine eigenartige Weise hat Hiob mit seiner Stimme des Schmerzes und der durch keinen Bund gebundenen, hemmungslosen Wut daran seinen Anteil.

Denn heute ist uns sein Katalog der Leiden ja nicht am Schluss, wo Gott das Wort behält und hält, aufgeschlagen, sondern in der Mitte, … die - Zufall? - auch ziemlich genau die Mitte unseres „Alten Testaments“ ist.

Und da hören wir mitten in der ältesten und allgemeinsten, in der Ur-Litanei unserer Sterblichkeit„Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurz Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht“ – … da hören wir also mitten im Alten Testament, mitten in der Wirklichkeit der vergänglichen Welt, mitten im Tod, den wir einer wie der andere … zu allen Zeiten vor Hiob, … zu allen Zeiten wie Hiob, … zu allen Zeiten mit Hiob … und auch nach Hiob zu allen Zeiten sterben werden, einen vollkommen überraschenden Klang.

Da stößt einer an eine Glocke, da läutet einer einen Laut, den die Frommen des Bundes, den das Israel der Treue, die einzig für Gott und durch Gott lebt, nicht angerührt haben.

Die Gerechten des Bundes – Abraham und seine Kinder, Moses, Miriam und die Wandernden auf dem Weg in eine nie-erreichte Heimat, David und seine Nachkommen auf dem Thron eines großen und dann zerbröckelnden, zu Staub zerfallenden Reiches, die Gemeinde der prophetischen Gerechtigkeits-Hoffnung, die das bittere Exil erleiden musste – alle diese Gerechten des Bundes haben sich zu Gott gehalten (oder auch nicht) und sind Zeugen Seiner Herrschaft und Verheißung gewesen; aber über alles jenseits ihres Daseins, über alles jenseits ihres irdischen Segens und ihrer irdischen Prüfung haben sie in Schweigen gelebt. Sie haben es verschwiegen, wenn sie auf mehr hofften als das ihnen Gegebene, Versprochene oder Verweigerte.

Hiob aber wagt’s!

Ihn, der ohne Gebundenheit Gott dienen oder fluchen kann, … ihn, der menschlich, schlichtweg menschlich im Wohlstand wie im Unglück begegnet, … ihn hält nichts zurück!

In seinem leidenschaftlichen Protest gegen die Mühsal des Leidenslebens und Immersterbens, in seinem Aufbegehren gegen’s fremdbestimmte Tagelöhner-Elend der Leute, die nichts ändern können an ihrem sinnvollen oder sinnlosen Dasein und Vergehen, in seinem makabren Klagelied also schlägt er einfach einen Ton an, den man so vorher nicht hört.

Da vernimmt man plötzlich: „Zur Hölle!, wenn ich schon zur Hölle muss, ins Reich des erstickten Schweigens und des eis-erstarrten Todes … warum kannst Du da nichts ändern, der Du doch so viel anders machst, als ich das wollte? Warum solltest Du, dessen unbegreifliche und unvorhersehbare Macht ich in jeder Ader und an jeder Faser merke, … warum solltest Du da nicht eine Wendung in dieses Unabwendbare treiben können? Warum machst Du das Endgültige nicht einfach ungültig? Was hindert Dich denn, mein Vergehen und Vergangen-Sein vorübergehen zu lassen? Wenn Du mich aus der Fülle zu Nichts reduziert, … wenn Du mich aus dem Glück in die Asche setzt, … wenn Du mein Ausgeschlossen-Sein erfährst, … wieso kannst Du dann nicht auch aufschließen und wieder öffnen, was Herz und Kehle, Leib und Seele brauchen: Die atemgebende Quelle der Lebendigkeit, das Land des Lebens?“

Mitten in seiner Moritat von der Sinnlosigkeit lockt und reizt er Gott auf ein Gebiet, das die anderen Stimmen in der Bibel bisher nicht andeuteten. So spielerisch wie nur Verzweiflung macht, so kühn wie nur die letzte Not wohl werden lässt, fordert er Gott heraus … hinaus in die Weite. - - - - - - - Hinaus ins Offene, in das bisher Nicht-Gedachte, Nie-Gewagte.

Hiob provoziert Gott aufs Feld einer möglichen Auferstehung.

So wie Hölderlin - auch so ein Hiob! - seinen Freund Landauer in einer berühmten Elegie zu einem „Gang aufs Land“, in die Freiheit und neue Weite überreden will:

 

 „Darum hoff ich sogar, es werde, wenn das Gewünschte
Wir beginnen und erst unsere Zunge gelöst,
Und gefunden das Wort, und aufgegangen das Herz ist,
[…………………]
Mit der unsern zugleich des Himmels Blüthe beginnen,
Und dem offenen Blik offen der Leuchtende seyn.“  

 

So wirbt Hölderlin um die Möglichkeit eines neu zu erlebenden Bewegens und Redens und Denkens und Daseins.

Und nicht anders Hiob, der tatsächlich auch das Wort finden will, … das Wort, das er Gott als Wahrheit vorhält, … als Möglichkeit, die Er verwirklichen könnte und dann würde wahrhaftig! und wortwörtlich! und weiß Gott! nicht nur der Himmel leuchten, sondern alles würde blühen, so wie man’s noch nie sah:

 

„Ach, dass Du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis Dein Zorn sich legt,

und mir eine Frist setzen und dann an mich denken wolltest!

…….

Du würdest rufen und ich Dir antworten;

es würde Dich verlangen nach dem Werk Deiner Hände.

Dann würdest Du meine Schritte zählen und nicht achtgeben auf meine Sünde.

Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen.“ ———

 

Das also wäre der Unterschied, den Hiob gemacht hat.

In der Freiheit seiner Unschuld, in der Rücksichtslosigkeit seines Schmerzes, in der Ehrlichkeit seiner Existenzverzweiflung hat Er Gott unendlich herausgefordert.

Ja, Hiob hat Gott im Leid am Leben und am Sterben tatsächlich zur Unendlichkeit herausgefordert und die wunderbaren Gedanken angedacht, die wunderbaren Worte angedeutet, die wunder-, wunderbare Möglichkeitenfülle aufgestoßen einfach durch sein hemmungsloses Schreien:

Vergebung der Sünden!      – Warum nicht?!

Auferstehung der Toten!     – Gott, warum nicht?!

Ewiges Leben!                      – Mein Gott, was denn sonst?!

Und da sehen wir hinter Hiob, unserm Zeitgenossen, unserm Mitmenschen, unserm Jedermann einen Anderen auftauchen, der für alle und jeden der Menschen der Stellvertreter und die Verkörperung ist!   

Einen, der alles Leid für alle gelitten hat.

Damit die ungeheuerlich gewagte Wette Hiobs sich tatsächlich erfüllte und Gottes letztes Wort Sein erstes bleiben kann: „Es werde!“

Und damit so „des Himmels Blüte“ beginne und die unverwelkliche Blüte aller Menschen.

Hinter Hiobs Leid sehen wir also sein Leben und unser Leben auferstehen und ewig werden: Durch Jesus, Gottes Antwort auf Hiobs wilden Wunsch, wieder zu grünen vom Geruch des Wassers und Zweige zu treiben wie eine junge Pflanze.

… Und dieser Sommer kommt!

Amen.                         

 

♫ EG 148: „Herzlich tut mich erfreuen, die liebe Sommerzeit“

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