Miserikordias Domini - Feier der Goldkonfirmation, 14.04.2024, Stadtkirche, Johannes 10,14, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Miserikordias Domini - Goldkonfirmation 14.IV.2024
Johannes 10,14
Liebe Gemeinde!
Jubiläen sind missverständliche Anlässe: Entweder sie versetzen uns gezielt rückwärts in eine Vergangenheit, die doch nicht heute ist, oder sie zelebrieren die sog. Jubilare, die doch nicht wegen des gegenwärtigen Moments, sondern aufgrund eines ganz anderen Augenblicks ihrer Geschichte im Mittelpunkts stehen.
Es geht also entweder um eine Zeit, die war, aber jetzt nicht ist, oder um die Erfahrung oder Leistung eines Menschen, der wir jetzt nicht sind, aber einst waren.
Die Brücke zwischen dem beiden, aber … die Zeit, die aus dem Gestern das Heute, aus den Kindern die Leute gemacht hat, … die ist doch das eigentliche Wunder und der wirkliche Grund fürs Staunen, für Rührung, für Dankbarkeit oder Trauer.
Die Zeit, die zwischen damals und heute liegt, ist so voller winziger, unmerklicher Schübe und Verschiebungen, so voller unauffälliger kleinster Zusätze und Verluste, dass man sich kopfschüttelnd fragen würde, wie das 50 Jahre, wie das sechs oder gar sieben Jahrzehnte sein sollen, die da plötzlich vergangen sind, wenn nicht auch die großen Sprünge, die unmissverständlichen Einschnitte und Etappen das Ganze gegliedert, beschleunigt und unwiderruflich verändert hätten.
Es gab ja nicht nur das leise Ticken der Zeit, sondern auch ihre Paukenschläge. Es gab den Blitz, der uns traf: Mal als Liebe, mal als Schrecken. Es gab die unvergesslichen Dammbrüche, mit denen sich der Fluß in eine ganz andere Richtung wendete: Schleusen, die sich öffneten, nachdem alles sich vor türmenden Problemen gestaut hatte, oder plötzlich sprudelnde Lebendigkeit nach endlos-ödem Austrocknen. Es gab Glocken, die haben das Schönste eingeläutet, was wir an Festen kennen – Feste der Liebe und des Lebens –, und es gab dumpfes Dröhnen in Schädel und Brust, wenn das Leid, wenn der Tod uns trafen und alle Uhren stillstanden, ja selbst der Puls und der Atem einfach wegbleiben wollten.
Diese Wechsel, diese Ereignisse, die wir Schicksal nennen, weil sie fügungsreich oder fatal für uns waren … die lassen uns eher verstehen, dass wirklich Zeit, viel Zeit, viel Neues, viel Veränderung, viel Verlust und viele Gnaden, viel ganz Gewöhnliches und viel Einmaliges eingetreten ist, so dass was früher war, nicht auch jetzt noch ist, und dass, wie wir uns einst selber vorkamen, ganz anders ist, als wir geworden sind.
Das gilt vermutlich allgemein, wo immer wir ein halbes Jahrhundert oder noch mehr bedenken; und es gilt auch dann, wenn wir ganz nah am Innersten dieser seltsamen Zeitmaschine, die der Mensch ist, … die wir selber sind, auf etwas noch Erstaunlicheres stoßen:
Ganz im Innersten stoßen wir nämlich auf das Sonderbare, dass die rasende Raumkapsel oder die leicht und leise über alle Hindernisse hinweggleitende Gondel, in der unsere Lebensreise bisher verlief, wohl einen Passagier befördert hat, der nicht so völlig ausgewechselt, nicht so radikal verändert ist, wie die Landschaft, wie die Welt, durch die die Reise ging.
Gewiss: Es ist eine vollkommen andere Realität – unsere lichtgeschwinde, raumlose, allvernetzte digitale Sofort-Welt –, als es die viel langsamere, aber auch viel körperlichere Welt war, in die man vor fünfzig Jahren hineinwuchs.
Das liegt am Lebensalter: Dass man damals in vieler Hinsicht so viel mehr ausprobieren, so viel hemmungsloser experimentieren, wütender protestieren und hier und da auch sehr viel braver schlicht parieren musste als heute, wo alles virtuell zugänglich und selbstverständlich und deshalb auch schlicht als unbestreitbarer Anspruch wahrgenommen wird.
… Ich rede hier ja als älterer „Leut“ zu älteren Leuten und deshalb ist es wohl unvermeidlich, dass wir jetzt behaupten, wie man damals länger warten, weniger fordern, härter rackern und alles besser machen musste, als heute.
… Nun, es ist eben anders geworden: Vieles - das Meiste wohl - zu unser aller Vorteil, und die technischen und gesellschaftlichen Sensationen von einst sind für uns sämtlich längst vertrautester Horizont, unsere Sicherheit und unsere Gewohnheit geworden, von denen wir nicht weniger abhängen als die, die nie etwas anderes kannten.
Vergessen wir aber auch nicht, wie heil und hell uns manches in unseren jungen Jahren vorkam, obwohl die Schatten und Drohungen ja deutlich genug das vergangene halbe Jahrhundert schon prägten. Aber dass völlige Einschränkung uns in Isolation und Stillstand zwängen könnte, wie es die heute Jungen in den Pandemie-Jahren erlebten, dass noch viel größere und unabwendbare Verzichte und Rücksichten zwingend werden und dass wirklich Krieg und Grauen aus den Geschichtsbüchern wieder in die Zukunftsszenarien wechseln würden, … das alles hätten wir uns als Heranwachsende und in die Eigenverantwortlichkeit Aufbrechende wohl kaum vorstellen können. …….
Welt und Leben haben sich wahrhaftig tief und positiv und gleichzeitig verstörend geändert, seit einmal der Segen Gottes auf vierzehnjährige Häupter herabgerufen und in die Teenager-Ohren, die vielleicht wenig davon wissen mochten und in die jungen Herzen, die das alles doch genau verstanden, versprochen wurde.
Wahrhaftig, Leben und Welt haben sich verändert seit jenem Segen. ———
Aber hieß es nicht gerade eben, dass die, die genau durch diese Veränderungen der Welt und Entwicklungen des Lebens gereist sind, doch nicht so völlig ausgewechselt, nicht so radikal verändert seien, wie man beim Blick in die Gegenwartsgeschichte meinen sollte?
Wurde nicht gerade behauptet, dass im tiefsten Inneren der seltsamen Zeitmaschine, die der Mensch ist, sich erstaunlicherweise die irrwitzigen, herrlichen, hässlichen Wandlungen gar nicht alle so auswirkten, so niederschlugen, dass sie dort gar nicht so folgenreich eintraten, wie im großen, globalen Drumherum?
Doch.
Das habe ich gesagt.
Ich habe behauptet – obwohl fünfzig, sechzig, siebzig Jahre echte Metamorphosen, Brüche und Fortschritte bringen –, dass etwas sonderbar bei sich selbst und in sich ähnlich geblieben sei.
Das ist aber tatsächlich eine Behauptung und keine Feststellung.
Es ist ein Satz aus bloßem - man kann auch sagen: reinem - Glauben und keine Demonstration eines Beweises.
Das Einzige, was auch äußerlich dafürspricht, dass trotz weltgeschichtlicher und biographischer Purzelbäume, Katastrophen und Wunder etwas von damals auch heute noch ist, wie es war und bleiben kann, wie es ist … das Einzige, was dafürspricht, das sind Sie: Die heute Jubiläum-Feiernden.
Es ist ja alles andere als selbstverständlich, dass Sie heute bereit sind – skeptisch vielleicht, oder herzlich geneigt – etwas zu bedenken, das Sie lernten, als die Zeit eine ganz andere war.
Es ist alles andere als selbstverständlich, dass Sie bereit sind, etwas zu feiern, das Ihnen als Jugendlichen vielleicht sicher schien und inzwischen rätselhaft wurde, oder das Sie damals für abwegig und absurd abständig hielten und das Sie dann doch nie völlig verlassen haben, weil es Sie nicht einfach ganz kalt gelassen hat, wie so viel anderes Überflüssige und Vergessene, sondern Sie heute wieder versammelt, zusammenführt und in diese Stille - vielleicht sogar eine andächtige? - versetzt.
Es ist alles andere als selbstverständlich, dass Sie heute nun ausgerechnet auch noch in der Kirche, der man doch das vollkommene Verblassen und Verschwinden nahelegt und nachsagt, sitzen und sich erinnern, wie Sie einst bejahten, dazuzugehören und dafür gehalten werden zu wollen – für Christinnen und Christen nämlich –, … und dass Sie nun also immer noch und irgendwie – mit allen Pausen, mit allem Abstand, mit allen Zweifeln und aller Kritik – dabei sind: So, wie Sie es einst versprachen!
Ihr Kommen, Ihr Dasein, Ihr jenseits von Gewohnheit und Entfremdung einfach ganz heutiges Sich-Rufen-Lassen und darin Ihre Treue zu dem Versprechen von damals, zu dem Segens-Tag damals, zu dem Mädchen, zu dem Jungen, die damals hörten, sagten, taten und empfingen, was sie doch nicht abschließend ermessen konnten, …. das alles zusammen also ist jenes Einzige, das dafürspricht, dass etwas geblieben ist.
Sie selber sind die Fürsprecher für das, was war und ist und bleibt. ——
Und dafür danke ich Ihnen!
Ich danke Ihnen mitten in den Turbulenzen und Ängsten und Erfolgen der Zeit und Ihres Lebens, dass Sie nicht nur mit den atemberaubenden Veränderungen Ihrer Tage und Jahre, dass Sie nicht nur mit den bis zur Unkenntlichkeit führenden Prozessen des Älterwerdens und der Erneuerung befasst, belastet und belohnt sind, sondern dass Sie zum Gleichbleibenden stehen, dass Sie dafür heute jenen Moment – diese Gottesdienststunde, diesen Vormittag, diesen jubilarischen Sonntag – einräumen, in dem Ihnen und uns allen, das Unverwandelte, das Selbige, das Stetige, das Dauerhafte …. sagen wir’s ruhig: das Ewige vor Augen steht.
Was aber ist dieses Bleibende denn, für das Sie sprechen … als Einzige?!
Es ist – im Innersten der lernfähigen und entwicklungsfreudigen und robust fortschrittlichen und irgendwann dann hinfällig werdenden, sterblichen Wesen, die wir sind – das Allereinfachste: Man kann es die Urzelle nennen, den Kern, das Gemüt, die Herzkammer, das bleibende Menschenkind. Dasjenige, das in allen spektakulären, befreienden und schmerzhaften Umkrempelungen, Lossagungen, Auflösungen und Schwerpunktverlagerungen einfach bleibt.
Ich meine es buchstäblich:
Das, das einfach bleibt.
Das nicht kompliziert werden oder tun muss. Das - je reifer es wird, desto schlichter – begreifen und bekennen kann: Ich bin noch immer, was ich war. … Ein Menschenkind, das vollkommene Freiheit hat, weil es – wann immer es möchte – einen vollkommenen Halt findet.
Ich, der Erwachsene, bin ein Menschenkind, das zu Gott „Mein Vater im Himmel“ sagen kann.
Ein Menschenkind, das in dem Gottessohn-Menschenkind Jesus einen Bruder hat; und weil ich, das Menschenkind höre und manchmal nicht fassen und dann auch wieder nicht bezweifeln kann, dass mein menschlicher Bruder Jesus extra für mich durch alle Wachstums- und alles Todesschmerzen gegangen ist und wirklich das Sterben und die letzte, schrecklichste Trennung vom Leben und vom Lebendigsein und sogar vom lebendigen Gott vorweggenommen hat, nur damit ich darin nicht allein sein werde und untergehe, … darum kann ich in diesem Bruder sogar meinen Hirten sehen und mich Ihm anvertrauen, wo sonst nichts, gar nichts Vertrautes mehr sein wird.
Ein solches Menschenkind bin ich – im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte, meiner bürgerlichen Rechte, meiner verfassungsmäßigen Freiheit und Würde – … ein solches Menschenkind bin ich in alledem, das rational und intellektuell vollkommen unabhängig ist, und das doch spürt: Im Innersten bin ich noch anders … und mehr. … Ich bin eine Seele, ein Ebenbild Gottes, des Vaters und des Sohnes, Der mir durch Seinen Heiligen Geist ungeahnt, aber eben auch unmittelbar gegenwärtig ist und war und bleibt.
Und das – das Innerste des Menschen, der Gottes Kind ist, und ein durch Jesus Erlöster und darum in seiner Seele den Heiligen Geist unlöschbar tragen darf - … dieses Innerste ist das, was nicht vergeht, was sich nicht verliert und was nicht verloren werden kann.
Das allerdings – dass wir im Tiefsten, im Letzten und im Ewigen so Gott-verbunden, so Gott-gemäß, so Gott-gehörend sind und sein dürfen – … das haben nicht wir als Konfirmandinnen und Konfirmanden beschlossen, verantwortet oder gemacht.
Und insofern feiern wir jetzt auch gar nicht die Wiederkehr jenes weit in die Vergangenheit entrückten Tages oder die naive Tat, das ahnungslose Wort des Kindes, das man damals war und längst nun nicht mehr ist, sondern was wir feiern, ist tatsächlich Gegenwart.
Es ist die Gegenwart Gottes: Das, was Gott getan hat und zu tun nicht aufhört.
Was Er an unserer Seele in allen Phasen und Gestalten, allen Schichten und Geschichten unseres Lebens tut.
Das Tun Gottes, das endlos ist.
Ewig.
Es steht im Wort des guten Hirten vor uns und über uns.
Es steht auch in uns, die wir die einzigen Zeugen dafür sind, … das Einzige, was dafürspricht.
Es ist das einfache und niemals vergehende Wort Christi:
„ICH KENNE DIE MEINEN UND BIN BELKANNT DEN MEINEN.“
Das feiern wir.
Heute.
Und in Ewigkeit.
Amen.
Tag der Auferstehung des Herrn / Ostersonntag, 31.03.2024, Stadtkirche, Hesekiel 37, 1 - 14, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Tag der Auferstehung des Herrn - 30.III.2024
Hesekiel 37, 1 – 14
Liebe Gemeinde!
Heute trägt die Hundehütte hier vorn - auf der Kanzel - ein besonderes Schild …, wie überall dort, wo der Hofköter alt geworden ist: „Keine Angst: Der will nicht predigen; der will nur spazierengehen!“
Tatsächlich empfinde ich das als echtes, geradezu besorgniserregendes Anzeichen des Alters - viel schlimmer als Haarausfall, Verfettung, nächtliche Schlaflosigkeit und mittäglich Schläfrigkeit - , dass ich ernsthaft feststellen muss, mich auf Goethe zu besinnen! … Das ist der mit dem Hexen- und dem Wilhelm Meister, mit dem Heideröslein und dem Koran, mit der ganzen Dichtung und Wahrheit, wo das Wichtigste immer passiert, wenn man nachts durch den Wind reitet oder zu Ostern eben spazieren geht.
Und das will ich jetzt auch.
Einen Osterspaziergang machen, … wie der Dr. Faustus, der am Kuhtor unterhalb vom Burghof oder am Anleger mit Blick nach Wittlaer hinauf auch hier und heute beobachten könnte[i]: „Aus dem hohlen finstern Tor / Dringt ein buntes Gewimmel hervor. Jeder sonnt sich heute so gern. / Sie feiern die Auferstehung des Herrn, / Denn sie sind selber auferstanden, / Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern, / Aus Handwerks- und Gewerbesbanden, / Aus dem Druck von Giebeln und Dächern, / Aus der Straßen quetschender Enge, / Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht / Sind sie alle ans Licht gebracht.“ ———
Spaziergehen: Raus aus dem Alltag, aus seinen räumlichen und regelhaften Beschränkungen, ja, auch aus seinen religiösen und - bitte schön! - ebenso seinen weltanschaulichen und wissenschaftlichen Routinen, … das ist immer schon die erste aller Voraus-setzung für das Osterfest gewesen.
Wir müssen uns diese absolut ursprüngliche Notwendigkeit des österlichen Loslatschens ganz klar machen.
Ostern fand nicht in Jerusalem statt!
Wenn die traumatisierte Jesus-Truppe irgendwo in der befestigten Stadt geblieben wäre - falls sie es gewagt hätten! -, oder wenn sie in Bethanien, wohin sie vielleicht als erstes flüchteten, verkrochen in ihren Unterschlupfen geblieben wären, dann hätten sie’s nie erfahren, … hätten nie das leere Grab und die Engel und dann, … ja – dann …, ja, dann: IHN SELBST nie wieder getroffen!
Das alles geschah ja eben nicht drinnen, sondern draußen vor dem Tor (vgl. Hebr.13,12)!
Man musste wie die mit dem Mut der Liebe und Verzweiflung ausgestatteten Frauen sich ins freie Gelände trauen, in die Steinbruchs-, Müllplatz- und Schrebergartenzone, die vor der nordwestlichen Mauer Jerusalems lag, und dort im ungeschützten, ungepflegten Niemandsland das suchen, was nie wieder zu finden war: Den gekreuzigten Toten. … Kein urbanes Ereignis, das … im Raum der Zivilisation, sondern echtes outdoor-Abenteuer: Den Tod aufzusuchen und das Leben zu finden!
Erfahren kann man Ostern also nicht im Sitzen, nicht in Sicherheit, nicht im Geschlossenen und nicht im Gewohnten.
Man muss den Schutz der Enge verlassen, aber auch die Gewissheit, die uns orientiert, birgt und tröstet.
… Man muss sich Abrahamitisches trauen: Fortgehen ohne festes Ziel.
Das haben allerdings die ersten, trostlosen, für sich selbst im Morgengrauen ohne den Schutz der Stadt rücksichtlosen, für uns alle darin aber weltentscheidend-lebenswichtigen heiligen Frauen nicht gewusst, deren Gang zum Grab uns heute noch hier versammelt und hoffentlich dann auch wieder zu Wandernden auf Osterwegen machen wird.
Sie wussten an jenem Morgen nicht, dass es kein festes Ziel mehr gibt.
Sie waren nur auf den kurzen, wenn auch nicht ungefährlichen Marsch an den felsenfestesten Punkt der Welt gefasst: Wo das Wogen und Wimmeln des Lebens ans unverrückbare Nichts stößt. … Weil nichts sich je dort regt oder tut, sondern bloß unbeweglich endgültig das schroff-steile Gebirge ragt, das wir aus dem Märchen kennen[ii], in dem ein Mädchen bis ans „Ende der Welt“ wandert, um seine toten Brüder zu finden.
Das Grab dort zeigt sich dem Mädchen als der „Glasberg“: Unüberwindlich …und wenn man davorsteht, sieht man in diesem trostlosen Spiegel nur sich selbst in seiner Einsamkeit.
…Dahin hatten sich auch die Frauen außerhalb Jerusalems aufgemacht.
… Aber sie liefen nicht gegen die spiegelglatte Wand des Nichts, sondern in die herrliche Offenheit, die der Spiegel, der bloß Erinnerungen zurückwirft, nach seiner Zertrümmerung freigab. Durch den Spiegel hindurch also (wie die berühmte Alice im Wunderland) spazierten diese ersten Läuferinnen von Ostern – „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenbotinnen, die da Frieden verkündigen!“ (Jes.52,7) –, und seither darf alles, was aus der Taufe kriecht oder vom Heiligen Geist Wind gekriegt hat oder auf der Suche nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit ist, genauso in die weite Welt vor und hinter dem Spiegel spazieren, weil der Glasberg zerbrochen, der feste Punkt aufgelöst und alles in Bewegung ist. Und weil in der Weite, außerhalb des bekannten Zirkels, jenseits des ab-gesteckten Reviers unserer Alltagserfahrungen, nichts fest und also auch nichts ausgeschlossen ist, sondern alles möglich, alles offen, weil dort alles atmet und sich ändert und wächst und lebt, … darum haben auf diesen Osterwegen nicht nur die Marien und Salome (vgl. Mk.16,1) und Johanna (vgl. Lk.24,11) und dann auch Petrus, Johannes, die anderen Jünger und Thomas (vgl. Joh.20,24ff), aber auch Kleopas und der zweite aus Emmaus (vgl. Lk.24,18) und Jakobus, der Herrenbruder (vgl. 1.Kor.15,7) und gewiss auch seine Mutter und Stephanus der Diakon und Saulus aus Tarsus, der diesen Stephanus gern sterben gesehen hatte (vgl.Apg.7,55+9,5) und so viele, so viele, so viele andere auf den Spaziergängen und den Irrfahrten, auf den Fluchten und den Umwegen, auf den Weltreisen und den stinknormalen Botengängen ihres Daseins den lebendigen Jesus Christus getroffen, Der uns allen nicht nur Wegbegleiter und nicht nur immer wieder neue Überraschung am Wegesrand und nicht nur schließlich einst Ziel aller unserer Pfade, sondern tatsächlich auf Schritt und Tritt selber Der Weg, Die Wahrheit und Das Leben sein will (vgl. Joh.14,6)!
Ostern also geht nur in Erfüllung, wenn wir wirklich gehen, wenn wir uns bewegen, wenn wir Räume, Richtungen und Denkweisen wechseln, und unsre Horizonte und Erwartungen, unsre Weltbilder und Meinungen, unsre Standpunkte und Zielvorstellungen beweglich bleiben. ——
Man muss es Goethe also lassen: Ohne Spaziergang kein Ostern!
Da kann man als Christenmensch und Pfarrer von Kaiserswerth dem Weimarer Staatsminister und Hobby-Dichter die Hand drauf geben, und wird von vieler Seite viel Verständnis für solche Wanderschaftsverbrüderung erhalten: Unterwegs zu sein, Bewegung zu kriegen, reisend aufgeschlossen für Begegnungen zu bleiben, … das alles sind ja wahrhaftig österliche Grundlagen, österliche DNA sogar noch im ganz nachchristlichen Lebensideal unserer Fitness- und Weltreisekultur.
„Aus grauer Städte Mauern“ hinaus in die freie Wildbahn; Bahrain, Bali, Botany Bay abklappern; Buddha besuchen und den Geistern der Osterinseln winken: So gehen Bildungsreisen unseres privilegierten Weltbürgertums.
Doch auch der Geheimrath von Goethe meint es nicht ganz so vordergründig wie unsre Kavalierstouren mit ein bisschen Schnuppern am Exotischen, ein wenig auch spirituell Über-den-Tellerrand-Gucken und etwas Aufgeschlossenheit für Erfahrungen, die uns transformieren können und in denen – wenn man indische Sadhus, die taoistische Harmonielehre sozialer Ganzheit und die unmittelbar menschenfreundliche Gastlichkeit so vieler Gesellschaften kennenlernt – tatsächlich auch Jesus uns berührt und verändert.
Nicht nur die österliche Erfahrung, dass wir durch jeden Weg einen weiteren Horizont und ein tieferes Herzenswissen um das Labyrinth des Lebens, das von Gott kommt und zu Gott führt, entwickeln, ist also der Sinn unserer Osterspazierens heraus aus dem Alt-Bekannten ins freie Neuland, das sich erschloss, seit der Gekreuzigte uns aus der Welt, die hinterm Grab anfängt, in unserer Welt entgegenkommt. … Nicht nur die österliche Erfahrung also, die in unserm eigenen Leben weltweit zu machen ist, wenn wir nicht hocken bleiben, wenn wir nicht verkrochen oder festgeklammert im eigenen Beritt kleben, sondern ins Unbekannte aufbrechen, ist der Sinn der Osterspaziergänge, die es braucht.
… Sondern der Aufbruch in Erfahrungen und Wirklichkeiten weit über unser eigenes Leben, weit über alle noch so erweiterungsfähigen eigenen Horizonte, weit über die bekannte, jetzige Welt hinaus.
Bei Goethe bricht die Sehnsucht danach in Faust auf als am Osterabend, gegen Ende des Spaziergangs die Sonne sinkt: „Dort eilt sie hin und fördert neues Leben. / O daß kein Flügel mich vom Boden hebt / Ihr nach und immer nach zu streben!“[iii] … In Betrachtung der untergehenden Sonne, die ja nur weiterzieht und nicht auslöscht, zieht es darum auch Faust in ihre Bahn: „Ich eile fort, ihr ew’ges Licht zu trinken, / Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht.“[iv]
Und das ist der eigentliche Kompass der Spaziergänge, die mit dem Grabesweg der Frauen vor den Toren von Jerusalem begonnen haben: Dass die Menschheit, dass jeder von uns und wir alle zusammen auf jenen Weg gelangen, auf dem vor uns der Tag des Lebens und hinter uns die Todesnacht liegt!
Den Spaziergang in diese Richtung aber treten wir nicht auf Vergnügungsreisen oder Rucksackabenteuern oder auf irgendwelchen anderen, von uns ausgesuchten Routen zum Sinn des Lebens an. Denn oft können wir gar nicht wissen, dass wir gerade einen Schritt auf das große österliche Ziel zu gemacht haben oder dass unsere Füße just auf Boden stehen, der dem Punkt, an dem nur noch Tag vor uns liegen kann, näher ist als viele, viele andere Schauplätze und Koordinaten unserer Lebenswege. ——
Eine kleine, zähe Frau aus Nordafrika, die verwurzelt in der sonnigen Rauhheit ihrer algerischen Heimat vermutlich nie erwartet hätte, einmal auf einem anderen Kontinent, in einer völlig anderen Welt (wie so viele Migrantinnen und Verpflanzte!), in Italien nämlich ein Grab finden zu müssen, wurde im Alter am Ende ihres Lebens - sie war zwei Jahre älter als ich! - einmal gefragt, ob ihr der Gedanke nicht schwerfalle, nun wohl bald so fern der Heimat bestattet zu werden. Ihre Antwort – die Antwort einer menschenerfahrenen, weltkundiggewordenen, lebenssatten Wandrerin auf Osterwegen – ist berühmt und bleibend herrlich wahr: „Nichts ist fern von Gott, und es ist auch nicht zu fürchten, dass er beim Ende der Welt nicht wüsste, wo er mich erwecken soll“[v]. Das war Monika, die Mutter des Kirchenvaters Augustinus.
Und Monikas Wort gilt.
Es zeigt uns: Überall ist das Osterziel. … An jedem Fleck auf dieser Welt steht Ostern uns bevor, liegt es unter unseren Füßen, ist es versteckt in der Dunkelheit, die vergeht, wenn endlich wahr wird, was der Ostergänger Faust suchte: „Vor mir der Tag und hinter mir die Nacht.“
Nun gibt es gewiss aber Stellen und Stätten, an die wir nicht unbedingt freiwillig oder gar gern reisen, an denen wir aber direkt auf Ostern stoßen: Eine junge namibische Umweltarchäologin, Annina van Neel, die auf der durch Napoleons Exil berühmt gewordenen Insel St. Helena den Flughafenbau begleiten sollte, stieß mit ihrem Team bei den Bauarbeiten auf einen immensen Friedhof, auf dem die Überreste von mehr als 9000 versklavten Männern, Frauen und Kindern aus Afrika verscharrt waren, die jeweils wenige Wochen nach ihrem Geraubtwerden aus der Heimat, die viele noch geschmückt mit schönstem Schmuck verließen, die einsamen Felsengruppe im Atlantik nur noch als Leichen erreichten. Über Annina van Neels Kampf darum, den Toten heute wenigstens ein angemessenes Begräbnis und ein ehrendes Angedenken zu verschaffen, gibt es eine packende Dokumentation[vi]. Über Gottes Kampf dafür, die Toten von St. Helena weder im alten oder neuen Grab und auch nicht nur in der Erinnerung zu lassen, gibt es ein noch packenderes Buch: … Es heißt „Die Bibel“.
Und es entwirft für alle, die auf dieser Erde leben und sich regen, eine ganz und gar österliche Landkarte. Auf ihr sind solche Spaziergänge wie der Gang der myrrhetragenden Totensalberinnen[vii] am ersten Ostertag die wichtigsten Wege zu Gottes endgültigem Ziel.
Da aber trennen sich nun die Spaziergänge Goethes und Faustens und die der christlichen Gemeinde: Unsere Wege zielen, wenn sie endgültig den Tag und das Leben suchen, nicht Richtung Sonne, sondern vielleicht nach Verdun, wo meine Familie und ich nach Ostern vergangenes Jahr in der Frühlingspracht standen und den allgegenwärtigen Tod so stark empfanden, dass es schlagartig zu einem Weg wurde, der nur noch und unmittelbar in Gottes Richtung fortgesetzt werden konnte.
Solcherart also sind die Osterspaziergänge des Glaubens:
Die Wege nach St. Helena und Verdun; die Straßen nach Srebrenica und Butscha; die verschütteten und zerbombten Pisten nach Gaza; die Zufahrt zum Kibbuz Be’eri; die verstopften Ausfallstraßen hinunter zur blockierten ägyptischen Grenze bei Rafaḥ … und dann der größte Osterspaziergang, den einer jemals – und er war fern von Israel und Jerusalem, in der Verlassenheit der irakischen Wüste, im völligen Niemandsland – vor seinem geistigen Auge sich vollziehen sah[viii]:
Des HERRN Hand kam über mich, und er führte mich hinaus im Geist des HERRN und stellte mich mitten auf ein weites Feld; das lag voller Totengebeine. 2 Und er führte mich überall hindurch. Und siehe, es lagen sehr viele Gebeine über das Feld hin, und siehe, sie waren ganz verdorrt. 3 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, meinst du wohl, dass diese Gebeine wieder lebendig werden? Und ich sprach: HERR, mein Gott, du weißt es. 4 Und er sprach zu mir: Weissage über diese Gebeine und sprich zu ihnen: Ihr verdorrten Gebeine, höret des HERRN Wort! 5 So spricht Gott der HERR zu diesen Gebeinen: Siehe, ich will Odem in euch bringen, dass ihr wieder lebendig werdet. 6 Ich will euch Sehnen geben und lasse Fleisch über euch wachsen und überziehe euch mit Haut und will euch Odem geben, dass ihr wieder lebendig werdet; und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin. 7 Und ich weissagte, wie mir befohlen war. Und siehe, da rauschte es, als ich weissagte, und siehe, es regte sich und die Gebeine rückten zusammen, Gebein zu Gebein. 8 Und ich sah, und siehe, es wuchsen Sehnen und Fleisch darauf und sie wurden mit Haut überzogen; es war aber noch kein Odem in ihnen. 9 Und er sprach zu mir: Weissage zum Odem; weissage, du Menschenkind, und sprich zum Odem: So spricht Gott der HERR: Odem, komm herzu von den vier Winden und blase diese Getöteten an, dass sie wieder lebendig werden! 10 Und ich weissagte, wie er mir befohlen hatte. Da kam der Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig und stellten sich auf ihre Füße, ein überaus großes Heer. 11 Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe, jetzt sprechen sie: Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren, und es ist aus mit uns. 12 Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will eure Gräber auftun und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf und bringe euch ins Land Israels. 13 Und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber öffne und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufhole. 14 Und ich will meinen Odem in euch geben, dass ihr wieder leben sollt, und will euch in euer Land setzen, und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin. Ich rede es und tue es auch, spricht der HERR.
Einen solchen Spaziergang nach Hause ins Leben gebe Gott aller Welt:
Vor uns allen Sein Tag und die Nacht für immer hinter uns!
Amen.
[i] Faust, Erster Teil – „Vor dem Tor“, Z. 918ff: Zitiert nach der handlichen Ausgabe: Goethe. Faust - Der Tragödie erster und zweiter Teil. Urfaust, hgg. u. kommentiert von Erich Trunz, München 1986, S. 35f.
[ii] „Die sieben Raben“ in der Sammlung der „Kinder- und Hausmärchen“ der Brüder Grimm.
[iii] AaO, Z. 1073f.
[iv] AaO, Z. 1086f.
[v] Augustinus, Bekenntnisse, 9.Buch 11,28: zitiert nach Augustinus, „Confessiones – Bekenntnisse. Lateinisch/deutsch“, eingel., übers. u. erl. von Joseph Bernhart, München 19804, S. 471.
[vi] „A Story of Bones“ (2021) von Joseph Curran und Dominic Aubrey de Vere (s. https://moviesthatmatter.nl/en/festival/annina-van-neel/) aber auch den Beitrag auf der Homepage des Guardian unter https://www.theguardian.com/world/2024/mar/27/scraping-away-generations-of-forgetting-my-fight-to-honour-the-africans-buried-on-st-helena.
[vii] Unter dem Ehrentitel der Μυροφόροι (Myrrhe-Trägerinnen) werden die Zeuginnen des leeren Grabes seit der Antike in der östlichen Tradition der Orthodoxie verehrt und ihr Gedächtnis wird mit einem eigenen Fest am 2. Sonntag nach Ostern begangen.
[viii] Dieser Text – Hesekiel 37, 1 -14: Eine der gewaltigsten und wirkmächtigsten Grundlagen des innerbiblisch sich entfaltenden Auferstehungsglaubens –, zu dessen Zeugnis die Predigt nur hinleiten kann, zählt zu den Marginaltexten für die Feier der Osternacht.
Karfreitag, 29.03.2024, Stadtkirche, Matthäus 27, 33 - 54, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Karfreitag - 29.III.2024
Matthäus 27, 33 – 54
Liebe Gemeinde!
Dies also – Finsternis, Erdbeben, unterm Schutt zu Trümmern gewordene Gräber, wandelnde Tote, Apokalypse – … dies also ist beinah das Ende des Anfangs. Beinah der Schluss des ersten Evangeliums, … desjenigen nach Matthäus, das anhebt mit der Formel (Mtth.1,1) „Βιβλός γενέσεως Biblos Geneseos“ – Genesis-Buch, Schrift vom Werdenden.
Dies also ist aus ihm geworden: Ein durstiger Schatten … während im Anfang Sein Heiliger Geist fruchtbar über den Wassern schwebte (vgl.Gen.1,2).
Ein Qualkörper, der durch sauren Essig noch von Innen verätzt werden soll … während die Pflanzen des Ursprungs und alle Wesen, denen Er zu leben bestimmte, ihrer jeweiligen Natur nach doch „sehr gut, sehr schön“ erschaffen waren (vgl. Gen.1,12+31).
Ein letzter Verlassenheitsschrei ist geworden … aus dem Mund, der einst durch das Wort die Fülle herbeigerufen hatte (vgl. Gen.1,3ff).
Tod ist geworden. … Von einer Leiche bekennt ein römischer Vollstrecker posthum die Gottessohnschaft.
Dies also ist – so scheint’s – das Ende jenes Anfangs.
Das selbe Evangelium, dessen Lehre sich durch das wundervolle Portal der Bergpredigt (vgl. Mtth.5-7) auftut, endet mit der vollständigen Zerstörung der einladenden Architektur seiner Seligpreisungen (vgl. Mtth. 5,3ff):
„Selig sind die da Leid tragen“, denn sie schleppen’s, bis sie drunter zusammenbrechen auf ihrer via dolorosa.
„Selig sind die Sanftmütigen“, denn wenn man sie bespuckt, foltert und schindet, dann ertragen’s sie’s willig und stumm, wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird (vgl. Jes.53,7).
„Selig sind, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit“, denn man kann ihnen auf den unstillbar nüchternen Magen zur Gaudi und zum Brechreiz Wein und Galle einflößen.
„Selig sind die Barmherzigen“, denn als Opfer sind sie unersetzlich ideal.
„Selig sind die Friedfertigen“, denn sinnlose Gegenwehr verdirbt den Würfelspielern bloß die Pause.
„Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden“, denn bei den Schuldigen muss man legale Urteilsbegründungen formulieren, aber bei ihnen reicht’s, wenn man sie König der Narren nennt.
Der felsige Hügel Golgatha ist das Ende jenes Anfangs auf dem grünen galiläischen Bergrücken. ——
Die Wucht des vorletzten Kapitels in den Aufzeichnungen des Matthäus, die das Neue Testament eröffnen, ist von buchstäblich biblischem Ausmaß.
Wenn wir gelegentlich in unserer Gegenwart wieder erinnert werden, welche Totalauslöschungskraft an Weltzerstörung der Krieg noch am heutigen Tage entfalten könnte und welche Weltzerstörungskräfte auch in unserm einfach ungebremsten Weiter-so uns morgen oder übermorgen bevorstehen, dann ahnen wir die Dimension der Destruktion, die der Karfreitag darstellt:
Das, was die Welt ausmacht, das Geheimnis des Lebens, der Grund und die Verheißung aller Wirklichkeit werden hier wohl vernichtet. -------
… Natürlich nicht auf den ersten Blick.
Für einen neutralen Zeugen passierte dort nichts, das statistisch irgendeine Relevanz hat.
Dass ein Mensch brutal misshandelt und sadistisch zu Tod gebracht wurde, ergibt weder eine Fußnote der Weltgeschichte noch eine Kommastelle in der Datenmenge der Erdbevölkerung. Es ist historische Alltäglichkeit und durchschnittlichste Wahrscheinlichkeit, dass ein junger Mann aus der Armut eines kolonialistisch besetzten Landstrichs nicht alt und lebenssatt aushaucht, sondern früh, grausam und trotzdem schlicht als Einer unter Vielen gemeuchelt wird. Wenn überall, wo Willkürjustiz, Gruppenkonflikte oder gescheiterte Utopien wieder ein Opfer forderten, die Erde bebte, die Sonne sich versteckte, die Unterwelt in Aufruhr käme … man ist gotteslästerlicher Weise geneigt, mit Heinz Erhardt zu sagen: „Das würde spritzen!“
Schon an jenem Karfreitag, als der dreiunddreißigjährige Sohn Gottes in einer reinen Durchgangsprovinz des römischen Reiches hingerichtet wurde, belief sich sein Schicksal an Ort und Stelle ja bloß auf 33% der zur Einschüchterung und Lähmung effizienten Tagesquote der lokalen Kapitalgerichtsbarkeit. … Andere Mütter hatten an jenem Frühlingsfreitag auch gekreuzigte Söhne!
Was also soll die Aufregung? … Schluss mit dem albernen Tanzverbot aus Anlass eines solchen – wage ich es, Gott ein zweites Mal zu lästern? – „Fliegenschisses“!
So redet die Vernunft. Die informierte, neutrale, reflektierte, analytische Vernunft: Es mag schlimm gewesen sein, aber das ist es immer und überall. … Und also außer für die unmittelbar Betroffenen fast nie und nirgends. Besonders nicht bei uns, die mörderische Schlachten vor der Haustür, reale apokalyptische Szenen in jedem unserer vielen Guckkästen zur Welt vor Augen und eine völlig ignorierte Garantie des eigenen, unabwendbaren Sterbenmüssens als wirkungslose Verschlusssache im Bewusstsein haben und doch mit alledem hervorragend unbeschwert vor uns hin leben, als "wär’ die Welt voll Teufel und wollt’ uns gar verschlingen, doch fürchten wir uns nicht so sehr," denn uns kann das alles mal kreuzweise …….
… Und da habe jetzt nicht ich ein drittes Mal Gott gelästert, sondern wir alle jeden Tag und jede Stunde, die wir doch auch ohne Glauben und Gottesfurcht wissen, dass es eine goldene, den Heiden schon vertraute Regel gibt, nach der, wer nicht helfen und retten will, rettungslos und ohne Helfer bleiben wird.
Zurück aber zur Aufregung der Christenheit an diesem Tag, an dem geschehen ist, was immer schon Alltag war und bleiben wird, bis der Karfreitag endlich die gesamte Menschheit durchdrungen und verwandelt haben wird.
Zurück zur Erschütterung, die einen Matthäus ganz am Anfang gepackt, gerüttelt und gerettet haben muss, der doch das Werden der neuen Wirklichkeit des Reiches Gottes schilderte. Und der vom ersten Wort seines Werde-Buches an, seines Buchs voller Seligkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit und Lebendigmachen wusste, dass er den Rabbi und Richter, den Heiland, den Menschensohn und Messias bis dahin schreibend würde begleiten müssen, wo aus dem himmlischen Wohltäter und Lehrer der wahren Weisheit ein ohnmächtig zugerichtetes, wundgeprügeltes Stück Hilflosigkeit am Galgen werden würde.
Der gleiche Federkiel, der von der Pilgerschaft der morgenländischen Sterndeuter zum neugeborenen König der Juden schrieb (vgl. Mtth.2,) und damit den Anbruch des Reiches aus allen Völkern schilderte, … der gleiche Federkiel musste die antijudaistische Hohn- und Hetztafel nachzeichnen, die Pilatus, der Römer als finale Kränkung des von ihm gedemütigten Friedefürsten in Zion (vgl. Mtth.21,5-9) diktiert hatte.
Matthäus, der die väterliche Stimme Gottes im Lichtglanz des Heiligen Geistes ausgegossen über und strahlend aus dem Sohn bei dessen Taufe und Verklärung (vgl. Mtth.3,16f + 17,5) voll tiefster Ergriffenheit festhalten durfte, musste auch die schwarze Nacht des Endes auf den so hell begonnenen Seiten schildern.
Matthäus, der gewürdigt wurde, das für Menschen doch unaussprechliche, intime Geheimnis zwischen Jesus und Gott selbst in den Worten des Jubelrufes (Mtth.11,26f) zu bezeugen „Ja, Vater; so hat es dir wohlgefallen. Alles ist mir übergeben von meinem Vater; und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn“ … dieser Matthäus, der das Heilsgeheimnis der innersten Kommunikation der zwei Naturen so überliefern durfte, dass ihm die Hand gezittert haben muss, musste auch den Atemstillstandsschrei der Gottverlassenheit des mit Gott einigen Sohnes im Tod dem Papyrus anvertrauen.
Die Liebe, die der Himmel ist und die grauenvolle Furcht, die die Hölle ist: Matthäus kam es zu, sie beide im Bericht von einem einzigen wahren, ungeteilten Menschen fest-zuhalten!
Doch nur so wird aus dem, was bei der Todesstrafe an einem frommen, für Gott freien und befreienden Nazarener Handwerker in Judäa geschah, während der Kaiser Tiberius auf Capri seinen mehr als menschenverachtenden Lastern frönte, der Bericht vom Karfreitag:
Nur, wenn man weiß, dass dieses grauenvolle, unumkehrbar eingerichtete Verhängnis von Golgatha unter den von Matthäus beurkundeten Vorzeichen geschah.
… Der tatsächliche König Israels, der Sohn Davids, … nein, der über alles geliebte Sohn Gottes und Stellvertreter der Menschheit, in dem der Hunger, der Durst, das Elend und die Einsamkeit, die Verlassenheit und der Schmerz aller Geringen, aller Armen, aller Verachteten und Verstoßenen eine unauflösliche Einheit bilden (vgl. Mtth.25,31-46!), der ist dort umgebracht worden! …………
O Gott!
O Jesus!
O Geist des Lebens!
… Es ist also nicht nur die zum Gotterbarmen alltägliche Allerweltgeschichte von Unrecht, Leid und Tod, sondern es ist die direkte, bewusste, hilflose und darin vollständige Verwicklung des erbarmenden Gottes selbst in diese furchtbaren Verhältnisse, die Matthäus hier beschrieb, obwohl sich ihm Herz und Hirn und Hand und Feder und Tinte in ihr gesträubt haben müssen.
Doch eben weil er den Stern kannte, der mit Jesus über allen Menschen aufging (vgl. Mtth.2,2+9f), war es nötig, dass er auch die Sonnenfinsternis nicht verschwieg, die das Leiden Jesu kosmisch darstellt. Weil er wusste, wie Jesus die galiläischen Narzissen auf dem Feld in ihrer mehr als königlichen Schönheit betrachtete (vgl.Mtth.6,28f), bewegte ihn buchstäblich auch das seismische Beben, das eintrat, als der Freund der blühenden Erde an seiner eigenen Lungenflüssigkeit erstickt war und die Unterwelt keine Blüten, sondern nur noch Leichen ans Licht brachte.
Von allen diesen Furchtbarkeiten, von diesen Zeichen der zerstörten Natur, der zerrissenen Ordnungen, der Entblößung und Entweihung bis ins Heiligtum musste Matthäus Zeugnis geben, weil er nur so das abgründig schreckliche und zugleich rettende Geheimnis von Golgatha bis in die letzte Tiefe und Höhe nachbuchstabieren konnte:
Es ist das Ende schönster Hoffnung, strahlendster Wundertaten, unvergleichlich wärmender Liebe, überirdisch zündender Weisheit. Es ist das Ende. …
Aber es ist Gott, Der hier auch bis ins Letzte, an den Schluss, in den Untergang auf dem Weg der Weisheit, der Wunder, der Hoffnung, der Liebe treu bleibt!
O Gott!
Jesus!
Geist!
Dich hat man misshandelt, Dich zerbrochen, Dich zum Verlöschen gebracht: Das, was die Welt ausmacht, das Geheimnis des Lebens, den Grund und die Verheißung aller Wirklichkeit
Darum müssen solche wie Matthäus, solche Freunde Jesu - Christen nennt man sie - ……. darum müssen wir Christen also mitten in aller Betrübnis, allem Mitgefühl, aller Teilnahme am Leid unserer Geschwister auf der ganzen Welt das Karfreitagsleid so unvergleichlich empfinden und erfahren: Der Geist, der Sohn, der Schöpfer selber leidet da das ganze Leid und alles Leid ganz und zuende!
Es ist die Summe, die Totalität aller Schmerzen und Tränen, aller Krankheit, Gewalt und Menschenschuld, die sich da ballt. Es ist tatsächlich von Anfang an und bis zum Abend aller Tage der Tiefpunkt, der Untergang, das Ende allen Lebens da an diesem Kreuz zusammengefasst. Eine unvorstellbar, unergründlich, unerträglich bittere und finstere Querschnitts- und Kreuzeswirklichkeit des Fatalen.
Aber Matthäus hat es aufgeschrieben und sein Bericht steht am Beginn des Neuen Testaments als Eröffnung aller Evangelien, weil diese erdrückende Summe nicht das endgültige Fazit ist!
Der von seiner römischen Zolleinnahme-Stelle aus dem Dienst des Schinderkaisers Tiberius durch Jesus einfach weggerufene Evangelist Matthäus (vgl. Mtth.9,9) weiß zwar, wie atemberaubend groß die Summe des Leids ist, das er da in der apokalyptischen Karfreitagsszene zusammenzählt mit ihren Naturkatastrophen und dem Kollaps der Zeit … wenn der Tag kein Licht mehr kennt und die Toten keine Ruhe mehr.
Doch diese gesamte Unheilsbilanz ist tatsächlich nur der Zähler.
Der Nenner jenes unglaublichen Bruchs – jenes Welt- und Geschichtsbruchs Golgatha –, den der ehemalige Zöllner da festhält, ist ein anderer. Das gesamte Elend, die gesamte Misere aller jemals lebenden Sterblichen, aller je gestorbenen Lebendigen trägt ja ein anderer. Das Ganze liegt auf Einem, Der es wirklich, ungemindert und vollständig erleidet.
Matthäus aber schreibt das Evangelium ja nur, weil dieser Eine – der Nenner dieses Bruchs mit dem unzähligen Zähler – eben trotz der grausamen Wirklichkeit Seines Todes darin nicht zersplittert.
Der Bruch geht auf, weil Der, Der das alles auf sich nimmt, Der ist, von Dem Matthäus von Anfang erzählt hat.
Und wir haben nichts anderes umkreist als dieses unergründliche Wunder, dass man von Diesem auch solches erzählen muss.
Matthäus jedoch, der längst nicht mehr in römischem Sold steht, überlässt das allesentscheidende Wort – das endgültige Nennen des Nenners des unglaublichen Bruches – ausgerechnet einem Söldner der Weltmacht, die auf Golgatha scheitert. So großzügig ist der erste Evangelist in seinem erschütternden Buch des Werdens geworden, dass er den Mörderhauptmann aus der Garnison von Jerusalem die letzte Wahrheit feststellen lässt: Der, auf dem alles Grauen der Welt zusammenkommt, ist Gottes Sohn gewesen!
Weil aber Gott, Jesus, der Geist der Lebendigkeit da am Kreuz der Nenner unter der Summe allen Unheils, allen Leidens, allen Sterbens ist: Deshalb geht der Bruch auf!
Es ist nicht das Ende des Anfangs, sondern der Anfang des Endes!
Es ist nicht gescheitert, was der Schöpfer und Erlöser wollte, sondern es hat die Zerstörung und Vernichtung hinter sich gelassen!
Weil Er starb, aber nicht tot blieb, hebt das Evangelium des Matthäus also eigentlich wahrhaftig erst mit seinem Schlußsatz an, dem sprichwörtlichen „Matthäi am Letzten“, wo wir allerdings das allerletzte Wort anders übersetzen und verstehen müssen, als wir es gewohnt sind.
Der gekreuzigte Sohn Gottes, dessen Tod der Welt und Menschheit Leben ohne Bruch und Abbruch schenkt, spricht (Mtth.28,20): „Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt … ------ eben nicht »Ende«, sondern »Vollendung«, … bis alles geworden ist, wie es sein und bleiben soll!“
Amen.
Gründonnerstag, 28.03.2024, Stadtkirche, Johannes 13, 1 - 14. 34f, Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Gründonnerstag - 28.III.2024
Johannes 13 i.A.
Liebe Gemeinde!
Die Fußwaschung verstanden als quasi-sakramentales Wellness-Rezept ist gefährlich.
Die Fußwaschung verstanden als quasi-dänische Hygge-Übung des Gastgebers, der gern Pantoffeln verteilt, damit alle es sich bequem machen können, ist gefährlich.
Die Fußwaschung verstanden als Zeichen der besonderen Gruppen-Zusammengehörigkeit im innersten Kreis der Abendmahlsfeier ist gefährlich.
… So gefährlich wie das ganze Johannes-Evangelium, wenn wir es als das Zeugnis einer besonderen, verschworenen, exklusiven Liebesgemeinschaft verstehen, die kuschelig-vertraut wie in einer freikirchlichen Gemeinde und dabei doch so ausschließlich wie der inquisitorischste Orden nur Vollmitglieder mit lupenreiner Anpassung umfasst.
Wenn die Fußwaschung und die intime Nähe, die sie schafft, bloß das Wohlbehagen, das Hausrecht und das Gruppengefühl der kleinen Jüngerschar symbolisieren, dann sollten wir sie in Zeiten der ausgebleichten und ausfransenden Kirchen nicht mehr meditieren: Zu sehr könnte uns das Wir-Bewusstsein, das Zückerchen der ethischen Sonderrolle, die elitäre Illusion des spezifisch christlichen Liebens und Geliebt-Werdens benebeln. … Zu sehr könnte uns das Gefühl, wie wohl wir’s haben und wie wichtig wir noch immer sind, betören: Wir – die Liebes-Profis Gottes; wir – die Spezialeinheit des christlichen Rettungskommandos. … Herrlich, so ein Erkennungszeichen unserer Erwähltheit; erhebend, so ein Ritus unseres höchstpersönlichen Dabeiseins. ———
Wer so naiv nur das Zeichen der Sondermoral im Dienst und Beispiel des gründonnerstäglichen Christus erkennt, ist selber schon ein nachchristlicher Zeitgenosse, der nur den kameratauglichen TikTok-Moment, nur die inszenierte Harmlosigkeit der tückischen Influencer wahrnimmt, die Opium fürs Volk und Cannabis für die Jugend vertreiben: „Wie süß! Nachmachen!“ …………. ———
Ich wünsche mir, dass wir ein für allemal aufhören, so unwürdig vordergründig von Jesus Christus und der Erlösung durch Ihn zu denken!
Wer Christus, den Erlöser kennt, muss abgründig zu denken bereit sein.
Die Fußwaschung ist schließlich das letzte Tun des Lammes Gottes, seine endgültige Aktion vor der Passion. Der Karfreitag ist ja schon angebrochen als der bald Entkleidete und Gefolterte, der bald Verstümmelte und Ermordete sich noch einmal eine – wo-möglich saubere - Schürze umbindet und mit dem Wasser in der Nacht das blutige Geschehen des bevorstehenden Tages vorwegnimmt. ——
Was er da aber tut, wenn es nicht um Höflichkeit, um Wohlbehagen oder modellhafte Veranschaulichung einer Haltung geht? …….
Ein Gründonnerstag-Albtraum hat mich in den vergangenen Tagen verfolgt.
Ein Albtraum, der der Stunde der Fußwaschung vor den Stunden von Golgatha womöglich näherkommt als die harmlosen Erklärungen sonst.
Ich sehe Jesus, wie man Jesus eben sieht. … Er ist es. … Aber ich will nicht, dass Er es ist. Ich will Ihm in den Arm fallen, … Ihn wegreißen, … Ihn bevormunden, … Ihn nach meiner Vorstellung lenken, nach meinen Maßstäben dirigieren.
Er soll da nicht hinknien und sich so unterschiedslos, … so unkritisch, … so beschämend den völlig Falschen widmen: Ausgerechnet vor den allerletzten Kandidaten für irgendeine andere Ehrbezeugung als echte, aggressive Abwehr hockt Er da und macht sich klein und unmöglich und lächerlich, nein angreifbar und womöglich zum Komplizen.
…. Kann es denn sein, dass Er diese widerlichen Typen nicht kennt, die Ihn verhöhnen und eine einzige Schande und Bloßstellung für Ihn bedeuten???
Er aber ist – weil’s sich ja wirklich um einen Albtraum handelt – für mein panisches Rufen und Eingreifen nicht zugänglich. Ich will es tatsächlich verhindern, …. vielleicht würde ich Ihn sogar schubsen, Ihm die Schüssel aus der Hand schlagen oder zwischen Ihn und diese miesen, abstoßenden Kanaillen treten, wenn ich mich irgendwie rühren, irgendwie bemerkbar machen könnte und nicht gelähmt und vollkommen stumm mit ansehen müsste, wie die feixenden Verbrecher das auch noch sichtlich selbstgefällig annehmen, was einer da in restloser Unterwürfigkeit für sie leistet.
… Kyrill, der Hundesohn von einem Patriarchen, … Trump, der abgebrühte Killer von Wahrheit und Gemeinsinn, … Netanjahu, der besinnungs- und gewissenlose Verräter an den Geiseln und Geiselnehmer einer sowieso verratenen Zivilbevölkerung.
Wieder und wieder sucht mich die Horror-Szene heim, dass Jesus ausgerechnet vor ihnen kniet und diesen eitlen, bösartigen und rachsüchtigen Exempeln der Menschengewalt als dienender und sühnender Messias unterwürfig begegnet.
Und immer wieder will ich es also verhindern, dass Er sich ihnen so ausliefert und sie so behandelt, als wären sie dieser Zuwendung, dieser unmittelbaren Menschenpflege, dieses Hautkontaktes mit Gott auch nur im Entferntesten würdig. …………..
Doch der wahre Albtraum dabei sind meine unterschwelligen, aber kräftig brodelnden Missverständnisse, … meine ganze natürliche Auflehnung gegen das Evangelium von Jesus Christus, dem Sklaven, den Gott in den Einsatz für die ganze Welt geschickt hat.
Wenn ich nicht ertrage, dass Jesus sich hingibt an die Verkehrten, wer sind denn dann nach meiner Vorstellung die Richtigen, … die Rechten, … die Berechtigten?
Wenn ich die unbestreitbar niederträchtigen und unmoralischen Gestalten, die ich in meinem Fußwaschungsspuk vor Augen habe, zwanghaft ausschließen muss vom Liebesdienst und von der Lebensrettung, die Jesus bringt: Welche unbewussten Vorstellungen habe ich dann wohl von denen, die es verdienten, dass Er ihnen Gutes tut und Seine Gnade zukommen läßt?
… Muss man doch besonders sein, um von Jesus die Möglichkeit der Vergebung, der Freiheit und des Lebens zu erlangen?
Ist Er nur den strebend sich Bemühenden, den Gutgesinnten, den Gerechtigkeitssuchenden, denen, die auf der politisch korrekten Seite stehen, gesandt? Ist Jesu ausgegossenes Leben in einen Kanal gelenkt, der nur bestimmten Menschen zufließt? Dürfen an Seinem Brunnen nur die trinken, deren Wohlverhalten ihnen ein Vorrecht unter den Durstigen einräumt? Werden in Seinem Blut, in Seiner Taufe nur milde Fehler und leichte Sünden ausgelöscht? Lebte und starb Er nur für geeignete Kandidaten? ——
Das sind die Fragen, die das sich festsetzende Bild von Jesus zu Füßen der Antipathie-Träger, zu Füßen der Halunken auslöst.
Es sind rhetorische Fragen.
Natürlich sind sie alle mit „Nein“ zu beantworten.
Der Sich in den Staub und Dreck, in die Hässlichkeit und Gemeinheit der Menschen erniedrigte, Der ist nicht als Belohnung für die Braven, sondern als Erneuerer der Verdorbenen und als Aufweicher alles in unveränderlicher Härte Erstarrten und Zementierten gekommen!
Was Er abwäscht, was Er reinigt, was Er verwandelt und neu macht, das sind nicht nur die Schönheitsfehler und Abnutzungsspuren des menschlichen Lebens, sondern es sind die Verkrustungen und Versteinerungen, die lebende Menschen zu Zombies, zu wandelnden Wiedergängern der Menschlichkeit und zu atmenden Trägen der lähmenden Wirklichkeit der Sünde und des Todes machen.
Jesus wäscht diese völlig beherrschende Schicht, die uns auf Schritt und Tritt einhüllt, die sich in alle Poren setzt und jede unserer Bewegung begleitet, von uns ab.
Nicht von denen, die nicht betroffen sind, sondern von den Befallenen.
Indem Er sich bei keinem von ihnen zu schade ist, bei keinem zurückhält, bei niemandem eine Ausnahme macht.
Er erniedrigt sich vor seinen sämtlichen Jüngern und allen anderen, die jetzt nicht verstehen oder missverstehen, was Er tut.
Er erniedrigt sich vor Petrus, dem Hektiker und Wackelkandidaten und wäscht dessen Füße, obwohl Er genau weiß, wie bald dem Petrus diese Beine schlottern, diese Knie zittern werden und seine Zunge - das einzig noch flott beweglich Organ - lügen wird, nur um diese wenige Stunden zuvor von Jesus gewaschenen Füße zu retten, die ihn angeblich nie zum Mitläufer des Nazareners gemacht hatten.
… Jesus wäscht auch die Füße des ihn verzweifelt beschleunigenden Judas, der seinem Meister durch Verrat Beine auf der Bahn zum Sieg machen wollte. … Auch diese Füße wäscht Jesus, die als Erste keinen Boden mehr unter sich haben werden, wenn sie zuckend und haltlos unter dem sich selber Erhängenden den grauenvollen Tanz des Todes aufführen.
… Auch Judas also starb mit gewaschenen Füßen. ———
Ihnen allen … und allen anderen Menschen wäscht Jesus die Erde, den Staub und die Asche, von der sie genommen sind und zu denen sie alle wieder werden müssen, ab. Vor ihnen allen erniedrigt Er sich selbstlos und freiwillig bis ins Letzte.
Bei keinem macht Er eine Ausnahme: Nicht beim Idioten, nicht beim Feigling, nicht beim Ideologen mit unschuldigem Blut an den Händen.
Jesus wäscht das alles bei Allen fort. Das ist Seine Ganzhingabe, Sein Opfer an völliger, rückhaltloser Gnade, für die, die sonst von Fuß bis Kopf, vom ersten Schritt bis zum letzten Atemzug irgendwann ersticken würden an dem, was wir Menschen unfreiwillig, aber ebenso unaufhaltsam an Bösem, an Schlechtem, an Unheil aufwirbeln in unserm Leben. … Das ist Seine reine und in ihrer Reinheit reinigende Liebe.
Es gibt nur eine Einschränkung dabei: Sie wird frei hingegeben. Und kann darum auch nur frei angenommen werden.
Niemand muss sich Jesu Liebe schenken lassen.
Wir können uns wieder mit Asche, Staub und Erde bedecken, beschweren, beschäftigen und ausfüllen lassen, wenn wir wollen.
Wir müssen nicht so leben und sterben und leben, wie Jesus es uns eröffnet.
Es geht auch anders. Denn auch wenn alle durch Ihn gewaschen, d.h. in die Freiheit von Sünde und Tod gesetzt sind, sind doch nicht alle rein: Jesus weiß und sagt es selbst.
Die aber, die von ihm gewaschen und rein sind, das sind diejenigen, die „Teil an ihm haben“. …
Dieser Begriff, dessen unergründliche Bedeutung uns zurecht vermutlich überfordert, findet sich ganz unauffällig in Jesu Erklärung für den begriffsstutzigen Petrus: „Wenn ich dich nicht wasche, so hast du kein Teil an mir.“
Noch einmal langsam und positiv: „Wenn ich dich wasche – und du nimmst diese Gabe, diese Taufe, dieses, Mein für dich hingegebene Leben, Mein Opfer an –, … dann werden wir verbunden. Du bist dann beteiligt an Mir und Ich an dir.“
Beteiligt sein an Jesus; Beteiligung an Seinem Leben, Seiner Liebe, Seinem Geben und Seiner Hingabe … das ist der Gegenbegriff zur freien Ablehnung der Fußwaschung, zur Rückkehr zum Suhlen im Schlamm der alten Wege.
Diese Jesusbeteiligung, diese Jesus-Anteile unserer eigenen Wirklichkeit und Wirksamkeit werden nun aber in der Feier des Abendmahls besiegelt: Wenn wir das dabei nämlich freiwillig und aus Überzeugung tun – Jesus wirklich und wirksam in uns aufzunehmen! –, dann gehen wir andere Wege und leben ein anderes Leben als ohne Ihn.
Was Er uns gegeben hat in Seiner totalen Hingabe bei der Fußwaschung und in der Einladung, diese menschliche Hingabe im Brot und Wein immer wieder bewusst zu empfangen und sie zu einem organischen Teil unserer selbst werden zu lassen, das wird und das muss uns verändern!
… Auf Dauer können wir nicht harmlos oder oberflächlich als Christen, die Christus-Teile sind, leben. Auf Dauer können wir nicht nur unser Wohlbehagen oder bloß nette, typisch christliche Eigenschaften in dem erblicken wollen, was der kniende Gott, was der dienende Gott, was der demütig liebende und Leben rettende Gott da tut.
Es ist mehr: Es ist das Beispiel – und „Beispiel“ bedeutet biblisch hier nicht einfach Anregung, sondern den Bauplan und das unumstößliche Vorbild[i] – einer radikal anderen, einer völlig neuen, einer durch die göttliche Bereitschaft zum Sterben erst lebensfähig werdenden Weltordnung der Liebe! ——
Albträume wie meiner von Jesu unterschiedsloser Erniedrigung und Zuwendung zu den vermeintlich Verkehrten müssen sich da irgendwann auflösen wie die Nebel der Nacht.
Wenn wir dem Beispiel Seiner Liebe entsprechen, wenn wir Teil an Ihm haben, dann werden sich unsere Instinkte und Vorurteile, aber auch unsere Vernunft und deren Maßstäbe von Seiner völligen, von Seiner reinen Liebe aufweichen lassen.
Denn gerade in Zeiten des Hasses ist das das einzigartige Geschenk Jesu Christi an die ganze Welt: Dass in Ihm und durch Ihn in den Seinen keine Einschränkungen gelten. Ein exklusives Verständnis der Liebe als einer Gruppenhaltung, einer auf die eigene Art oder Geschwisterschaft oder Gemeinschaft bezogenen Vorzugsbehandlung muss uns vergehen.
Und am Vorabend der morgigen Sonnenfinsternis in Seiner Todesstunde müssen wir von unserem Gott im Dreck, von unserem Gott, Der Seine Liebe allen zu Füßen legt, das Sonnengleichnis lernen, das Er selber uns aufgegeben hat (Matth.5,44f): „Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel. Denn er läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute.“
Das ist das Beispiel, zu dem uns das Abendmahl zurüstet, in dem wir Teil an Jesus er-halten. … An Ihm, Dem der Vater alles in die Hände gegeben hat.
Möge diese Mahlfeier, dieser Gründonnerstag, möge der morgige Karfreitag und das Wunder des kommenden dritten Tages uns schenken, was der Herrnhuter Brüdergemeine einst ebenfalls durch eine Abendmahlsfeier geschah: „Wir lernten lieben“, heißt es in ihren Aufzeichnungen vor 297 Jahren[ii].
Wir, die Christenheit in der gespaltenen Welt von heute, müssen das auch.
Universal.
Jetzt.
Durch Ihn.
Amen.
[i] Vgl. die hervorragende, bündige Übersicht über die innerbiblischen Rückbezüge des für Johannes einmaligen „Beispiel“-Begriffes bei: Hans Rapp, Das Sakrament der Demut, zugänglich unter https://www.bibelwerk.ch/d/m68985
[ii] Von der am 10. und dann wieder besonders am 13. August 1727 spürbaren Geistbewegung und Erweckung in Herrnhut zeugen die Losungen an jedem 13.August bis heute. Eine Beschreibung der Ereignisse findet sich z.B. bei Erich Beyreuther, Zinzendorf und die sich allhier beisammen finden, Marburg an der Lahn, 1959, S.202ff. Der Eintrag in den Annalen blickt auf die Nachwirkung der denkwürdigen Abendmahlsfeier vom 13.August mit den Worten: „Wir brachten hierauf diesen und die folgenden Tage in einer stillen und freudigen Fassung zu und lernten lieben“ (aaO, S.204).Nichts anderes kann das Programm der christlichen Kirche heute, in der Zeit des Hasses sein,
Judika, 17.03.2024, Stadtkirche, 2. Mose 34, 4-6 u. Mark.10,35-45, Dr. Uwe Vetter
Kaiserswerth Stadtkirche
2.Mose 34, 4-6 und Markus 10, 35-45
Passionszeit.
“The Big Five”
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AT-Lesung (Predigttext) Exodus 34: 4-6
Nachdem Mose die beiden Steintafeln mit den zehn Geboten zerbrochen hatte, im Zorn über seine Landsleute, die einen Tanz uns Goldene Kalb aufgeführt hatten, besänftigte der HERR seinen Knecht (Ex34,1). Und Mose hämmerte (noch einmal) zwei steinerne Tafeln zurecht, (so) wie die ersten waren,
und stand am Morgen früh auf und stieg auf den Berg Sinai, wie ihm der HERR geboten hatte,
und nahm die zwei steinernen Tafeln in seine Hand.
(5) Da kam der HERR hernieder in einer Wolke,
und Mose trat daselbst zu Ihm und rief den Namen des HERRN an.
(6) Und der HERR ging vor seinem Angesicht vorüber,
und Mose rief: „HERR (JHWH), HERR (JHWH), Gott (Elohím) – was bist du
barmherzig, und
gönnend, und
zögernd-im-Zorn, und
sehr großzügig, und
treu !“
(1) Judica me, beurteile mich, richte mich, Gott! Das ist der Psalmvers, der unserm Sonntag heute den Namen gibt. Gib mir ein ehrliches Feedback, mein Gott, das mich aufrichtet. Mach richtig, was schiefläuft. Darum geht es in der ganzen Passionszeit: Wir suchen jetzt mit Leidenschaft, nach dem, was Not und Leiden schafft. Und damit das nicht runterzieht, sondern bessern hilft, tun wir Christen das mit Gottes Hilfe.
Unsere Bibelszene heute ist eine große Hilfe. Uns wird erzählt, wie sich die Jünger Jesu in die Haare kriegen über die Frage, wer der Größte ist im Team, und wie unser Herr interveniert, modellhaft. Geben Sie gut Acht.
Markus 10, 35-45
Da machten sich Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, an Jesus heran und sprachen: „Meister, wir wollen, dass du uns eine Bitte erfüllst“. (36) Er sprach zu ihnen: „Was wollt ihr, dass ich euch tue?“ (37) Sie sprachen: „Gib, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken, in deiner Herrlichkeit.“ …
(41) Als die anderen aus dem Zwölferkreis das hörten, wurden sie wütend über Jakobus und Johannes. (42) Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: „Ihr wisst doch, wie die weltlichen Fürsten ihre Völker unterdrücken, wie die Mächtigen ihnen Gewalt antun. (43) So soll es unter euch nicht sein! Sondern: Wer ´groß` sein will unter euch, der sei euer Diener; (44) Und wer unter euch der Erste sein will, der sei der Knecht aller.“
(2) Was haben die Jünger sich aufgeregt! Hinter unserm Rücken bei Jesus um die besten Plätze im Himmel schachern - un-ver-schämt! haben sie geschäumt. – Man kann´s ihnen nicht verdenken: Jakobus und Johannes wirken ein wenig wie deutsche (Klischee)Urlauber, die frühmorgens die Liegen am Hotelstrand mit Handtüchern reservieren und dann erstmal gemütlich frühstücken. Zur Rechten und zur Linken Jesu, das sind die Ehrenplätze, mehr noch, da sitzen die engsten Berater, auf die der Chef hört. Die andren Jünger sind außer sich.
Die Frage ist: Warum eigentlich? Wollten sie etwa selber gerade … und sind einfach zu spät gekommen? Hielten sie die beiden Zebedäussöhne für zweite Wahl, im Unterschied zu sich selbst? - Ich las neulich, dass 80% aller Deutschen unter dem above-average-syndrom litten. Das above-average-syndrom meint das Gefühl, selbst doch etwas besser als der Durchschnitt zu sein. Jürgen Becker, Kabarettist, meint, dies sei das Kennzeichnen des Rheinländers. Sei´s wie es sei, die Frage ´Wer ist der Größte` begleitet uns ständig: Wer ist der Größte, der Erste, der Beste?
° Wer wird befördert (und wer nicht)?
° Wer legt in Umfragen zu?
° Wer hat die meisten ´likes`, die meisten followers im sozialen Netzwerk?
° Wer wird Weltmeister?
° Wer ist die Beste des Abiturjahrgangs und hat bei der Jobsuche die Nase vorn?
° Wer hat das Sagen, wer darf sich was erlauben, wer nimmt sich was heraus, wer weiß sich am besten zu verkaufen, … wer ist der/die Größte? …
(4) Unter den Jüngern Jesu gärte es, schon seit Längerem (Markus9,34). Als Jakobus und Johannes sich an Jesus ranmachen, liegen die Nerven blank. Wer ist der Größte? Entscheide das jetzt!
Interessanterweise wischt Jesus die Frage nicht beiseite. Er macht auch nicht auf egalitär: ´Meine Lieben, alle sind groß, irgendwie. Wir wollen doch niemanden ausgrenzen! Und auch nicht traumatisieren! Therapieplätze sind rar`… nein, das sagt er nicht.
Im Ernst, ich kenne kein Verbot des Herrn, das Wettbewerb verbietet. In der Bibel gibt es sie, die Bewährten (Zaddiqim) und die Vorbilder. Wer jedem und jeder in der Schulklasse eine Ehrenurkunde verleiht, auch den notorischen Turnbeutelvergessern und den wasserscheuen Nichtschwimmern, kann man sich nicht auf Jesus Christus berufen. In der Bibel heißt es: Ehre wem Ehre gebührt (Römer 13,7).
(5) Doch als Jesus interveniert, gibt er der Frage: ´Wer ist der Erste`, eine bedeutsame Wendung: Was heißt eigentlich „groß sein“, „der Größte sein“? Wenn wir uns die Großen der Welt ansehen, dann ist doch klar, was deren Maßstäbe sind: Die Fürsten der Welt halten sich mit Skrupellosigkeit an der Macht, seht doch, wie sie ihre Völker unterdrücken!` sagt Jesus. Was den Mächtigen Macht verleiht, ist die Angst, die sie verbreiten. Was entscheidet darüber, wer der Größte ist?
(6) Die Idee mit der Pistole entschied das Rennen, las ich vor Jahren in der Zeitung[1]. Der Artikel handelte vom Siegeslauf der Assessment-Center. Dreiviertel aller größeren Firmen schalten Assessment-Center ein, um für gehobene Jobs die besten Bewerber aus der Menge herauszufiltern. Wer ist der Beste, die Vielversprechendste, der Größte unter den KandidatInnen? Neben Zeugnissen, Präsentationen und Auswahlgesprächen gehören auch Rollenspiele zur Prüfung. Und dieses Rollenspiel ging so: Eine Gruppe mit sechs KandidatInnen bekommt eine Aufgabe. ´Stellen Sie sich vor, Sie sitzen in einer Höhle eingeschlossen, Wasser dringt ein, nur einer kann gerettet werden. Klären Sie in 30 Minuten untereinander, wer von Ihnen überleben soll`. Die Gruppe diskutiert ´weiche` Kriterien – also wer hat Familie, oder wer ist die Jüngste und hätte noch die längste Lebenserwartung? Da zieht der spätere Gewinner des Tests eine imaginäre Pistole und erzwingt sich mit vorgehaltener Waffe den Weg zur Rettungskapsel. Im Artikel heißt es: „Solche Tatkraft überzeugte den Arbeitgeber“. Der junge Mann war der Größte und bekam die Stelle.
(7) Das ist nicht fair! werden Branchenkenner sagen. Solche primitiven Tests sind die Ausnahme. Es gibt auch seriöse Verfahren. - Die gibt es wirklich. In vielen Assessments wird mit wissenschaftlicher Sorgfalt und gut durch-dachter Eignungsdiagnostig nach den Größten unter den BewerberInner gesucht. Da wird alles versucht, auch den stilleren Kandidaten die Chance geben, ihre Stärken zu zeigen.
Obwohl kein Job wie der andre ist, obwohl jede Stelle spezifische Anforderung stellt, haben sich dabei doch fünf Persönlichkeitsmerkmale herauskristallisiert, fünf Merkmale, die einer haben soll, wenn er/sie vorn dabei sein will. Die „Big Five“ werden sie genannt, die großen Fünf : Es braucht
emotionale Stabilität (kein Weichei, nicht hysterisch, kann was ab),
Offenheit (sagt was er denkt, man weiß wo man mit ihm dran ist),
Gewissenhaftigkeit (arbeitet, bis ein Job erledigt ist, ist privat flexibel),
soziale Verträglichkeit (ein Team Player, keine Primadonna; achtet auf Körperhygiene), und
„Extraversion“ (kein brummliger Eigenbrödler, geht aus sich heraus, hat etwas Gewinnendes).
Das sind die „Big Five“. Das ist das Holz, aus dem die Größten geschnitzt sind.
(8) An und für sich ist gegen die Big Five nichts einzuwenden. Nützliche Eigenschaften sind es, die helfen, eine Abteilung zu leiten, Personal zu führen, koordiniert zu arbeiten. – Die feine Grenze aber verläuft dort, wo sich Sekundärtugenden an die Stelle von Primärtugenden schieben. Wenn nützlich gleich groß bedeutet. Wenn also das, was Menschen für das Unternehmen verwendungsfähig und im Marktgeschehen profitabel macht, gleichgesetzt wird mit dem, was Größe ausmacht.
(9) Wenn das geschieht, dann setzt das große Artensterben ein. Das Sterben der Originale. Das Sterben der Einzigartigkeit. Und vor allem das Sterben der traditionellen BigFives unserer westlichen Zivilisation. Fragte man die antiken Philosophen: Was macht die Größe eines Menschen aus? dann sagten °die Griechen: >kalós k´agathós<, das Schöne und das Gute erhebt den Menschen. °Immanuel Kant lehrte: Wenn du groß sein willst, dann handle so, dass dein Tun zum Gesetz für alle Menschen werden könnte[2]. Meine Großmutter hatte immer zwei °Goethe-Sprüche parat: >Tue Recht und scheue niemanden; edel sei der Mensch, hilfreich und gut<. Das ist Maßstab für Größe, das sorgt für Persönlichkeitsentwicklung. – Und es gibt längst Assessment-Vertreter, die das selber so sehen! „Im Assessment-Center wird zuwenig auf Werte geachtet,“ meinte einer nachdenklich (Christoph Obermann, SZ). „Wofür steht jemand? Wie reagiert er in korrumpierenden Situationen?“ In unseren Verfahren „werden narzisstische Persönlichkeiten ausgesucht,“ fügt ein andrer (Heinz Schuler, SZ) hinzu, „Menschen mit hohem Selbstvertrauen, die andere für sich einnehmen …und eine hohe Risikobereitschaft haben, die weit über ihre eigenen Fähigkeiten …hinausreicht“. Wenn man das Nützliche unbesehen mit einem Wert gleich setzt, und das immer wieder hört und nachspricht, dann fängt man an, daran zu glauben[3]. „Auf die Dauer nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an“, beobachtete der römische Philosoph und Staatsmann Marc Aurel. „Auf die Dauer nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an“.
(10) Wer ist der Größte? – In den Kirchen glauben wir: Der Größte ist keiner von uns. Der Größte ist Gott, der Vater Jesu Christi. Der setzt Maßstäbe. Der definiert Werte. Und weil nur Er Gott ist, dürfen wir andren alle Menschen sein, das entlastet. Liefert Gott aber die Messlatte, dann lohnt es sich, immer mal wieder an die BIG FIVE Gottes zu erinnern. Denn dieser Gott hat Seine eigenen BIG FIVE. Erinnern Sie sich (an die Schriftlesung Ex 34)?
Der HERR ging vor Moses Angesicht vorüber, und Mose rief aus: „HERR (JHWH), HERR (JHWH), Gott (Elohím) – was bist du barmherzig und gönnend und zögernd-im-Zorn, und sehr großzügig und treu!“ Das sind die Persönlichkeitsmerkmale Gottes. Mit diesen BIG FIVE hat der HERR das größte und weiter expandierende Unternehmen gegründet, das Universum. Mit diesen BIG FIVE führt ER den Personalpool der Menschheit. Mit ihnen gibt ER bench marks vor, an denen wir uns aufrichten und messen und auf die wir uns besinnen. Die BIG FIVE Gottes sollte der Mensch im Kopf haben, als Tönung der Gedanken. Denn auf die Dauer nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an.
(11) Nur der Vollständigkeit halber noch eins: Wir sollten das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Wir sollten die BIG FIVE Gottes nicht gegen die kleinen BigFive ausspielen: unsere guten Gaben, unsern Schneid und Einfallsreichtum, unsern Humor und unsere Selbstironie, unsere Ehrlichkeit und unser tägliches heimliches Heldentum – wenn die sich nicht aufblasen, sondern Gott helfen, die Welt zu einem guten Ort zu machen, dann sind sie aller Diener.
Amen.
Fürbittengebet
Gott des Himmels und der Erde, Erfinder des Lebens, Richte uns aus und richte uns auf, an diesem Sonntag!
Wir bitten Dich für alle, die all die Sorgen der Welt, die deprimierenden Nachrichten für eine Weile vergessen möchten. Lass uns das Geschirr ablegen und den Sattel abwerfen. Lass uns so sein, wie wir auch sind: müde und unüberlegt, heiter und unvorsichtig. HERR, segne uns mit Deinem Geschenk dieses Sonntags.
Wir bitten Dich für alle, „stillen Wasser“, die sich nicht gut vermarkten können, Für alle, die nicht zu den Forschen gehören, die von andren oft einfach eingeplant werden und mit denen ungefragt gerechnet wird, die sich im Schatten wohler fühlen als im Licht – HERR, lass wenigstens Du Dein Angesicht über sie leuchten.
Und wir bitten Dich für alle, die sich präsentieren sollen, die sich bewerben und anbieten und sich abschätzen lassen – HERR, lass sie auf Menschen treffen, die sich selbst nicht für die Größten halten, die Achtung und Vorsicht walten lassen. HERR, färbe ihre Gedanken.
Und wir bitten Dich für alle, die irgendwie „unpassend“ wirken: für die Originale und die Vierschrötigen, für die heimlichen Genies und die gedankenvollen Schweiger, in die man nicht hineinschaut – HERR, schenke uns eine Prise von Deiner Lust an allem, was kreucht und fleucht.
Amén.
[1] Süddeutsche, 3.Februar 2010, „Schwätzer bevorzugt. Viele Firmen wählen Mitarbeiter im Assessment-Center aus – doch das befördert vor allem Selbstdarsteller“. Von Nicola Holzapfel
[2] Frei nach dem traditionellen rabbinischen Lehrsatz Jesu Christi : „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun, das tut ihnen auch. Das ist die (Summe der) Thora und der Propheten“ (Bergpredigt MatthEvg 7:12)
[3] Das Buch von Jack Welch, dem legendären C.E.O der Weltfirma General Electric, (Titel „Winning“) ist ein Musterbeispiel dafür, das Marktphilosophie zur Religion werden kann.
Laetare, 10.03.2024 - Einführung der neuen Presbyterinnen und Presbyter, Stadtkirche, Lukas 22, 54 - 62,Jonas Marquardt
Predigt Kaiserswerth Lætare –10.III.2024
Lukas 22, 54 - 62
Liebe Gemeinde!
… Das tut mir echt leid! Ausgerechnet heute, beim Dank für und beim Eintritt in den Dienst der Presbyterin und des Presbyters … ausgerechnet heute also mit diesem Archetypen, diesem Alpha-Modell aller Presbyter konfrontiert zu werden, ist - vorsichtig formuliert – tatsächlich was für den Sportsgeist. …
Nicht bloß, weil selbst wir Evangelischen Petrus beinah unwillkürlich als Premieren-Papst einsortieren, während er selbst sich in seinem Brief an alle Ältesten, alle Gemeindeleiter wendet und dabei ausdrücklich ihren „Mitpresbyter“ nennt (vgl.1.Petrus 5,1), … nicht bloß wegen dieser Petrus-Kollegialität ist die Last und Kragenweite eines mit dem Ur-Apostel geteilten Amtes ziemlich groß.
Allerdings: Mitpresbyterinnen und -presbyter des Papstes Numero Uno zu sein, heißt inzwischen ja wohl v.a. einen ziemlich heißen Stuhl innezuhaben, an dem viel Dreck klebt und auf den viel aggressiv antireligiöser Schmutz geworfen, ja gekübelt wird. Die in Verschiss geratene christliche Gemeinde in nachchristlicher Zeit zu leiten, ist eher nichts für Feiglinge oder Sonnenbank-Naturen, die es gern warm und ansehnlich mögen. Mitpresbyterinnen und Mitpresbyter in der Gemeinschaft zu sein, die seit zweitausend Jahren den Namen Jesu und das Kreuz Jesu und das Leben Jesu in Ewigkeit hochhalten, mit Herz und Mund und Tat und Leben bezeugen und von ganzer Seele und mit allen Kräften zu Ehren und Verehrung bringen will, … das ist kein Pappenstiel und Kinderspiel. Sondern großer, verantwortungsvoller, befreiender und todüberwindender Ernst.
… „Salute!“ dazu, wie man anerkennend und aufmunternd an dem Ort sagen würde, an dem der Mitpresbyter aller Gemeindeleitungen sein Leben einsetzte und verlor … und durch seinen auferweckten Herrn wiedergewann. „Salute!“ ——
Aber mit den ehrwürdigen Fußtapfen und der spürbaren Verantwortung ist es ja nicht getan, wenn wir heute mit einer Mischung aus Respekt und Besorgnis auf die gucken, die unter dem neutestamentlichen Titel „Presbyter“ der Gemeinde den Dienst ihrer Zeit, ihrer Weisheit, ihrer Fürsorge, ihrer Gaben, ihres Glaubens, ihrer Inspiration zur Verfügung stellen.
Das, was einem wirklich Muffensausen machen kann, ist nicht die hierarchische Stellung des Fischers aus Kapernaum, der alle gleich zu Verabschiedenden und Einzuführenden - kumpelhaft wie er war - „Mitpresbyter“ heißt. Gegen Vorrang und Würde irgendwelcher Autoritäten sind evangelische Christen (inzwischen) weitgehend gleichgültig, … und rheinische nun gar sind dagegen beinah immun: Ein gutes Dutzend Leute im Rat und geschäftsführende Komitees halten sie für das Organigramm des Karneval.
Aber was niemanden kalt lassen kann, ist nicht das Privileg des Petrus, sondern seine Pleite.
Petrus, der Pionier christlicher Jüngerschaft ist zugleich der Prototyp des Flops in der Nachfolge.
Er schlich hinter seinem Herrn und Freund am Anfang von dessen Ende zwar her und er hätte erleben dürfen, wie dieser sein Heiland, ja, wie Gott selber alles annahm, alles ertrug, alles bis in den Tod aushielt um der Menschheit willen, … aber ehe es so weit war, folgte bei Petrus schon nichts mehr. Sein Puls und seine Panik waren stärker als Treue und Vertrauen: Er kam ins Stottern, der lebenserhaltende Instinkt der Lüge siegte über die Wahrheit und er versagte. … Sprach und versagte!
Und das ist der Gipfel seines Elends! Nicht mal schweigend, sondern redend – in galiläischer Mundart, in Jesu Dialekt also, dem Herrn im Tonfall zum Verwechseln ähnlich! – hat Petrus die Sache Jesu torpediert.
„Si tacuisses“, sagt bei so was der Lateiner: Wenn Du immerhin die Schnauze gehalten hättest, wäre Deine Bindung an Deinen Berufer und Erlöser vielleicht ge-rade noch so gerade geblieben ……. trotz Deiner vollen Hosen! Aber weil Du selbst im Scheitern labern musstest, ging und wurde alles schief, Du Großmaul des Kleinglaubens.
Weil Du die Luft nicht ein Mal anhalten konntest, sondern Dein eigenes vermeintliches Nicht-Sein rausposaunen musstest, wirst Du als Verleugner Deiner Wahrheit und darin als der Verleugner des Weges und der Wahrheit und des Lebens für alle (vgl.Joh.14,6!) während der gesamten Geschichte der Kirche in Erinnerung bleiben.
Petrus, vorlaut, forsch und vordergründig bis zum Schwachsinn kann die Zunge nicht im Zaum halten.
Statt eine anklagende Anfrage einfach stehen zu lassen – eine Anfrage, auf die wir noch zu sprechen kommen müssen, weil sie auch uns fordert –, hat er den theologisch nihilistischsten Satz gesagt (wenn Nihilismus denn steigerungsfähig sein sollte), den es geben kann. Bedenken wir: Gott heißt „ICH BIN“ (2.Mose3, 14); und Petrus kontert, als er nach Gott und ihm gefragt wird, wie aus der Pistole geschossen: „Ich bin’s nicht!“ ——
… Nein, Du bist nichts, Petrus! … Nichts bist Du ohne Gott! ———
Das aber, was uns hier begegnet im fernen Flackerlicht des Bühnenrands der Nacht des Leidens Jesu, … das ist nun nicht nur das Drama oder die Tragik derer, die Petrus später als seine Mitpresbyter bezeichnen wird, sondern das ist die Sein-oder-Nicht-Sein-Frage der gesamten Christenheit, … aller, die nach Petrus das Bekenntnis ablegen: „Jesus, Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ (Matth.16,16).
Ist das ein Wort, zu dem wir stehen?
Oder stößt man auch bei uns ins Nichts, stößt man auf unser Nichts-Sein, wenn man uns danach fragt? …….
Luft-Anhalten.
… Lieber Schweigen, als jetzt Unsinn quasseln.
… Möglicherweise ja auch ganz ehrlich schweigen.
Ehe wir ein geheucheltes Bekenntnis nachsprechen, ist das Offen-Gelassene immerhin ein Raum, in den wir hineinwachsen können, … in dem andere sich und ihren fragenden Glauben entfalten könnten, … ein Raum, in dem sich mein und Dein Glauben begegnen können als jene Art von Glauben, die Unglaube ist, dem geholfen werden muss, ……. weil ihm geholfen werden kann (vgl.Mk.9.24!), wenn der glaubensunfähige Glaube sich einzeln oder besser noch gemeinsam an Jesus wendet und an Jesus hält.
Von Petrus’ bitterer Bauchlandung zu lernen, sich zu ihm, unserm Mitpresbyter, unserm Mitchristen in seiner Schande zu stellen, bedeutet, den Wert des Aushaltens und Ausharrens in den Jesus-Verlegenheiten, in der christlichen Überforderung, in den Rätseln des eigenen Glaubens zu erfahren.
Wenn wir nach Jesus gefragt werden, ist nicht unser Selbsterhaltungstrieb gefragt, der uns zur Lüge reißt.
Wo Jesus fraglich ist und folglich wir es sind, da ist nicht die spontane Antwort die beste: Die dient fast immer entweder unserer Selbstbehauptung, unserer Selbstverteidigung oder unserer Selbstdarstellung … da, wo wir als Follower Jesu auf mehr „Likes“, auf Zuspruch und auf Beifall rechnen können.
Wenn wir nach Jesus gefragt werden – und wir können in einer so ahnungslosen, Gottes-vergessenen, Religions-müden, Kirchen-skeptischen Zeit nur hoffen und beten, dass wir nach Jesus gefragt werden!!! – , … noch einmal also: Wenn wir nach Jesus gefragt werden, dann soll nicht der Reflex, sondern die Reflektion antworten!
Nicht die instinktive Witterung, was jetzt wohl passt und nützt, soll uns dann leiten, sondern die pietätvolle und empathische Erinnerung an den Ersten in unserer Reihe:
Er hatte sich schon verrannt in seinem kämpferisch-großkotzigen Eifer, mit Jesus - wenn er gleich sterben müsste - ins Gefängnis und in den Tod zu gehen (vgl.Mk.14,31 / Lk.22,33), … und genauso verrannte er sich in seiner kreatürlichen Angst, die einfach nur den eigenen galiläischen Dickschädel aus der sich zusammenziehenden Karfreitags-Schlinge retten wollte.
Wer aber nun wie wir in der Nachfolge dieses Bekenners und dieses Verleugners Petrus steht, der soll von Jesus und zu Jesus nichts sagen, das mit „Ich bin“ anfängt – z.B. „Ich bin mir völlig bombensicher“, denn auch Paulus sagt da, wo wir ihn immer mit „Ich bin gewiss“ zitieren (vgl. Rö.8,38), wörtlich: „Ich wurde überzeugt; ich wurde gewiss gemacht“. Wir sollen die Jesus-Frage also nicht mit markigen „Ich bin“-Sätzen beantworten, und umgekehrt erst Recht natürlich auf keinen Fall mit teigig-wabbeligen „Ich bin’s nicht“-Sätzen, in denen wir uns selber auflösen wie das Häufchen Elend, das ein begeistert streunender und Menschen suchender Fischer war und ein Presbyter und Papst erst noch werden sollte.
Wir Christenmenschen sollen die Frage nach Jesus nicht mit irgendwelchen großspurigen oder kleinlauten Privatsätzen, sondern mit reinen, einfachen Jesus-Sätzen oder mit Sätzen für alle Menschen beantworten!
Das sollte der Maßstab unseres Zeugnisses als Gemeinde und unseres Dienstes in ihr sein: Es geht um Jesus und die Menschen.
Er muss wachsen (Joh.3,30) – so haben’s uns schon die Fliedners mitgegeben – und alle Völker, alle Zeiten, alle Welt soll zu Ihm kommen und in Seinem Namen das Heil finden (vgl. Apg.4,12).
Das ist alles, was zählt.
… Und also sind da wir und unsere Privatmeinung, … wir und unser einzelner Dienst, … wir und unsere Gewohnheit – und das heißt auch: Wir und unsere Gemeindegewohnheit! – nicht das Wesentliche!
Hätte Petrus doch nur einen Satz mit „Du“ gewagt, als ihn die neugierigen, hämischen, bedrohlichen Stimmen nach der Verbindung zwischen Jesus und ihm fragten. Er hätte ja die reine Wahrheit dort im Hof des Hohenpriesters gesagt, wenn er der Magd und dem Gaffer und dem Spitzel, die ihn alle fragten, ob er nicht mit Jesus gewesen sei, geantwortet hätte: „Dreh’ Dich um! Du bist doch auch mit ihm hier!!! … Da steht er doch hinter Dir. Da steht er - weil er hinter Dir steht! - vor dem Richter.“
Kurzum: „Wer Du auch bist, die oder der mich hier fragt: Der, nach dem Du mich fragst, ist auch mit Dir!“
Das wäre eine Antwort auf die Jesus-Frage, die womöglich mehr als jedes eifrige individuelle Bekenntnis auslösen würde, und allemal mehr auch als ein vorsichtiges Schweigen.
Es ist aber auch alles, was wir zur Zeit sagen können und sollen: Dass Jesus bei den Menschen ist, weil Er für sie ist, … weil Sein ganzes Wesen und Sein ganzer Weg und Seine ganze Wirkung dieses Für-Andere-Dasein, dieses Mitmensch-Werden, dieses Mitleid-Haben, dieses Mit-uns-in-Tod-Gehen-damit-wir-nicht-verloren-werden sind.
Jesus ist das große, ursprüngliche, erlösende, ewige „Mit“, das Gott und Mensch verbindet
Jesus ist mit allen, die uns nach Ihm fragen, weil Er selbst die Verbindung zwischen Gott und allen schafft. Er ist in Person die nicht weichende Gnade, wo alle Berge und Hügel stürzen, … Er in Person ist der Bund des Friedens, der nicht hinfallen wird, sondern für immer besteht (vgl.Jes.54,10).
Und deshalb ist er zuletzt auch unsere Hoffnung auf eine Antwort auf die Jesus-Frage in der Ich-Form.
Es ist vermessen, sie für uns selbst heute schon zu beantworten: Ob wir ebenso bei und mit Jesus sind, wie Er mit uns, ob wir Ihm so verbunden bleiben, wie Er uns bis in Seinen Tod … das können wir alle noch nicht sagen und behaupten, sondern nur hoffen und wünschen.
Weil wir aber heute päpstlich-presbyterial begonnen haben, schließen wir vielleicht auch genauso mit Blick auf ein vermeintliches Spitzenamt, das zwar niemandem von uns heilig, aber hoffentlich doch ernst ist.
Um die zu Lebzeiten von uns selbst nicht zu gebende Ich-Antwort auf die Frage nach unserem Jesus-Verhältnis hat sich eines unserer Staatsoberhäupter – zu einer Zeit, als Bundespräsidenten noch nicht aus der Kirche ausgetreten zu sein pflegten – Gedanken gemacht.
In Wuppertal nannte man ihn den „Bruder Johannes“, weil er als fliegender Buchhändler in einem frommen Barmer Traktat- und Bibelgeschäft anfing. Gestorben ist er, nachdem er das höchste Amt in unserm Staat bekleidete er in Berlin und liegt dort auch auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof begraben.
Er wird selbst gewählt und selbst gewusst haben, was auf dem Grabstein steht:
Die Anklage, mit der der erste Presbyter der Kirche nach seinem dummen Reden zum noch dümmeren Schweigen und dann zum Heulen gebracht gebracht wurde.
Diese schwebende Frage des heutigen Tages, die nur beantwortet werden kann, weil wir glauben dürfen, dass Jesus mit uns ist und wir darum auch hoffen sollen, in der Ewigkeit – wenn alle unsere Verantwortung verantwortet, alle unsere Schuld entschuldet, all unser Nichts durch Ihn zu etwas gebracht worden sein wird – die Antwort auch über uns selbst zu hören, die Petrus schuldig blieb. … Warst Du?
… Bei Johannes Rau steht – nach dem Tod!, nicht wegen seines eigenen Verdienstes, sondern weil Jesus Sein Heiland und Retter war! – auf dem Grab der Schuldspruch, der uns selig macht: „Dieser war auch mit dem Jesus von Nazareth“.
Möge das von uns allen einst ebenso gesagt werden!
Amen.
Veranstaltungskalender
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Tageslosungen
Jeremia 39,18
Jesus sprach zu dem Übeltäter: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Lukas 23,43